Interview mit Xavier Bettel im Tageblatt

"Ich dachte, Sie seien alle genervt von meinen Pressekonferenzen"

Interview: Tageblatt (Tom Haas)

Tageblatt: Herr Medienminister, wo ist Luxemburg unter Ihrer Regierung transparenter geworden?

Xavier Bettel: Wir haben ersten sein Transparenzgesetz geschaffen, welches es davor nicht gab. Wir haben ein Rundschreiben – auch wenn es "Circulaire Bettel" genannt wird, wofür ich nichts kann–, welches die Beamten und Mitarbeiter der Behörden verpflichtet, den Pressesprechern sämtliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Das war vorher nicht der Fall. Wir haben außerdem ein Transparenzregister, das die möglichen Interessenkonflikte von Ministernaufzeigt. Es gibt außerdem einen Deontologiekodex. Das sind alles Punkte, die notwendig sind und waren. Was vor 20 Jahren noch möglich war, geht heute nichtmehr.

Tageblatt: Sie haben auch das Register der wirtschaftlichen Eigentümer eingeführt …

Xavier Bettel: Das hat viele Diskussionen ausgelöst. Es gibt ja einerseits Transparenz hinsichtlich der Politik, andererseits Transparenz insgesamt. Der Finanzplatz heute ist nicht mehr der gleiche wie zu Beginn meines Mandats. Davor war Luxemburg bekannt dafür, dass man hier Dinge regeln konnte, über die nicht gesprochen werden sollte. Heute sind wir bekannt für die Qualität der Dienstleistungen und konform mit internationalen Regeln. Als Pierre Gramegna gesagt hat: "Wir brauchen Transparenz am Finanzplatz", habenviele Leute geantwortet, das sei das Ende der Banken in Luxemburg. Ich kann Ihnen sagen: Hätten wir die Transparenz nicht geschaffen, wäre der Finanzplatz heute nicht so stark, wie er es ist.

Tageblatt: Kommen wir kurz zum Transparenzgesetz von 2018. Auf dieses kann ich mich berufen, wenn ich Einsicht in administrative Dokumente erhalten möchte. Wie oft wird das genutzt?

Xavier Bettel: Ich habe die genaue Zahl jetzt nicht im Kopf. Es sind viele Journalisten, die darauf zurückgreifen. Wir haben fast jeden Tag Journalisten, die nach Zahlen fragen und auch erhalten. Sie sagen immer: "Es ist wichtig, dass wir sie vor zwölf Uhr oder fünf Uhr haben. "Das klappt dann meistens.

Tageblatt: Das sind normale Anfragen. Die berufen sich ja nicht auf das Transparenzgesetz von 2018.

Xavier Bettel: Es ist aber im Sinne der Transparenz, dass man direkten Zugriff hat und die Zahlen bekommt. Es sind ja administrative Zahlen. Der Journalist beruft sich bisweilen auf den Text, aber es ist inzwischen zur Gewohnheit geworden, dass auch die Verwaltungen mitziehen und die Zahlen herausgeben. Ich habe auch angeboten, nach zwei Jahren Bilanz zu ziehen. Wir haben auch beim Presserat um ein Gutachtengebeten. Ich warte auf dieses. Es sind jetzt mehr als zwei Jahre, aber wir sind auch in speziellen Zeiten.

Tageblatt: Auf der Website der Transparenz-Kommission kann man die Anfragen nachvollziehen –viele werden abgelehnt. Soweit mir bekannt ist, hat sich im Jahr 2020 kein einziger Journalist mehr auf das Gesetz berufen, um Informationen zu erhalten.

Xavier Bettel: Weil das Rundschreiben bereits seinen Dienst erfüllt. Falls es das nicht tut, gibt es das Gesetz. Das Gesetz ist für mich komplementär zu dem Rundschreiben.

Tageblatt: Die Kritik der Journalisten an dem Rundschreiben ist allerdings, dass die Informationen dadurch länger geworden sind. Wenn ich beispielsweisewissen will, wie viele Kindermorgens in einer bestimmten Schule krankgemeldet sind, rufe ich bei dieser Schule an. Dort verweist man mich an die Pressestelle des Ministeriums. Die Pressesprecherin weiß das aber natürlich nicht – sie ruft dann bei der Abteilung an, die für die jeweilige Schule verantwortlich ist. Dann rufen die wiederum bei der Schule an – bei exakt der Person, beider ich zuvor angerufen habe. Aber ich warte dann drei Tage auf die Zahl der Krankmeldungen.

Xavier Bettel: Wir wollen ja verhindern, dass Sie bei XYZ anrufen. Das Ziel ist, dass Sie einen AnsprechpartnerIn dem jeweiligen Ministeriumhaben, dem Sie sagen können: "Ich brauche diese Informationen– bis heute Mittag." Und die Mission des Sprechers ist es, Ihnen diese Informationen innerhalb von vier Stunden zu besorgen. Wir wollen es den Journalisten leichter machen, damit ihr den Informationen nicht hinterherjagen müsst. Man hat mir mitgeteilt, dass einige Ihrer Kollegen sagen: "Es ist nicht normal, dass man uns sagt, mit wem wir sprechen sollen. Wir möchten sprechen, mit wem wir wollen." Aber wenn die Person keine Informationen hat? Und nicht zu vergessen: Beamte sind keine Politiker. Ich kann Beamten nicht die Verantwortung für politische Entscheidungen aufbürden. Die Pressesprecher sind in dem Sinne kein Sieb, sondern eine Sammelstelle für Informationen.

Tageblatt: Ja, eine Möglichkeit, Informationen zu kanalisieren. Das ist im Falle explizit politischer Aussagen oder Prozesse ja nachvollziehbar. Aber wenn ich eine Zahl wissen möchte...

Xavier Bettel: Die erhalten Sie! Es gibt Journalisten, die dreimal die Woche irgendwelche Zahlen von meinen Pressesprechern wissen wollen –und auch erhalten.

Tageblatt: Im Transparenzgesetz ist eine Frist von bis zu zwei Monaten vorgesehen, die ein Beamter hat, um mir Einsicht in administrative Dokumente zu gewähren. Das ist doch eine Frist, die für keinen Journalisten in irgendeiner Form sinnvoll ist, wenn er die Informationen tatsächlich braucht.

Xavier Bettel: Ich habe Ihnen ja gesagt, dass wir Bilanz ziehen. Das wird jetztgemacht – wenn eine der Schlussfolgerungen ist, dass diese Frist zu lang ist, dann muss man darüber diskutieren. Ich bin in keinem Punkt hermetisch, es gibt nichts, worüber ich nicht bereit bin, zu diskutieren. Wenn die Frist auf zwei Wochen gekürzt werden soll, sperre ich mich nicht. Aber ich warte auf das Gutachten des Presserats.

Tageblatt: Sie sagen, Transparenz sei Ihnen wichtig. Gegenüber dem Luxemburger Wort haben Sie in einem Interview allerdings gesagt, dass zu viel Transparenz der Attraktivität Luxemburgs für Geschäftsleuteschaden könnte.

Xavier Bettel: Ich wurde in dem Fall zum Urteil Clement in Bezug auf den RTL-Konzessionsvertrag befragt. Das Problem ist folgendes: Das Urteil des Verwaltungsgerichts besagt, dass das Parlament genau wie die Regierung als Vertrauensperson bei dem Vertrag gilt. Das heißt, der Parlamentarier unterliegt den gleichen Regeln der Vertraulichkeit wie die Regierung. Ich sage nur, wenn ich heute mit einem potenziellen Partner etwas bespreche und dann unterschreibe– und das in der Öffentlichkeit tun muss, dann schwächen wir uns gegenüber der Konkurrenz. Wenn ein Text vorschreibt, dass ich dem Parlament etwas vorlegen muss, bin ich der Letzte, der das verstecken will. Aber unter den gleichen Bedingungen und mit den gleichen Pflichten für Parlamentarier, die auch für mich gelten. Abgeordnete genießen aber auch parlamentarische Immunität. Wenn sie also entscheiden, morgen trotz der Vertraulichkeit an die Öffentlichkeit zu gehen, da sie aufgrund ihrer Immunität nichts riskieren, dann habe ich ein Problemgegenüber dem Partner.

Tageblatt: Aber es gibt ja die Möglichkeit, sicherheitsrelevante Bereiche gesetzlich zu definieren.

Xavier Bettel: Aber das hier geht weiter. Das Urteil besagt, dass die Parlamentarier de jure Mitunterzeichner eines Vertrags sind – sie sind also in dergleichen Rolle wie ein Minister. Das heißt, sie haben das Recht, alles zusehen, was ich unterzeichne. Wenn ich aus ökonomischen oder sicherheitsrelevanten Gründen eine Vertraulichkeitserklärung unterzeichne und mich verplappere, bin ich verantwortlich. Ein Abgeordneter nicht – aufgrund seiner Immunität. Da besteht ein Widerspruchzwischen dem Gerichtsurteil und der Verfassung. Deswegen schauen wir zurzeit gemeinsam mit dem Parlament, wie wir die Transparenz schaffen können, aber mit der Absicherung, dass nicht sämtliche Diskussionen sofort in die Öffentlichkeit gelangen. Sonst kommt niemand mehr – nicht einmal, um den Luxemburger Marktüberhaupt zu erkunden.

Tageblatt: Der Journalistenverband ALJP hat eine Kampagne gestartet, um ein Informationszugangsrecht nach deutschem Vorbild zu erhalten. Eine entsprechende Vorlage hat der Verband Ihnen bereits 2017 zukommen lassen. Warum sträuben Sie sich dagegen?

Xavier Bettel: Ich sträube mich nicht dagegen, aber es sind ein paar Dinge: Erstens wird so getan, als hätten wir keine Transparenz. Aber das Transparenzgesetz ist ja nichts, was ausschließlich den Bürgern zugutekommt – die Hauptinteressenten sind Journalisten. Ich finde, wir sollten nach zwei Jahren die Bilanz des Gesetzes ziehen. Ich bevorzuge einen Text, der allgemein Transparenz in den Verwaltungen vorsieht und strikte Regeln für alle vorsieht, als dass ich das Gefühl vermittle, für den Bürger dauert es zwei Monate, um an Informationen zu gelangen und für die Presse dauert es nur eine Stunde. Der Bürger soll nicht das Gefühl haben, dass er gegenüber dem Journalisten kein Recht auf Transparenz hat. Das Ziel ist es, den Journalisten durch die "Circulaire Bettel" schnell alle Informationenzukommen zu lassen und es durch das Transparenzgesetz noch mal zu untermauern.

Tageblatt: Aber sind Sie offen gegenüber dem Vorschlag, einen Informationszugang im Pressegesetz festzuhalten?

Xavier Bettel: (Die Stimme hebend) Ich weiß nicht, weshalb das im Pressegesetzstehen soll! Ich verstehe es nicht. Ich habe keine Erklärung erhalten.

Tageblatt: Der Punkt ist folgender: Das Transparenzgesetz gibt mir Zugriff auf administrative Dokumente. Wenn ich aber eine Zahl will, die sich aus dem Dokument ableiten ließe, aber noch nicht existiert, dann würde ein Zugangsrecht – auf die Information, nicht auf das Dokument! – dafür sorgen, dass das Ministerium mir diese Zahl generieren müsste.

Xavier Bettel: Aber das macht doch die "Circulaire Bettel" – da erhalten Sie die Informationen.

Tageblatt: Aber darauf können wir uns als Journalisten nicht berufen. Das ist der Punkt: Es ist ein internes Rundschreiben, kein Gesetz.

Xavier Bettel: Aber wenn ich als Premier eine Direktive erlasse – also, ich möchte jetzt nicht sagen, dass diese mehr oder weniger wert ist als ein Gesetz. Es ist auf jeden Fall die Regel.

Tageblatt: Die Regel ist nichts, was wir einklagen können.

Xavier Bettel: Also ich höre nur von Leuten, die sagen: "Ich wollte mit der Person reden und die hat mich zu wem anders weitergeleitet." Das reicht mir nicht, um dem Beamten, der auch einen gewissen Schutz genießen muss, diese Verantwortung aufzubürden. Deswegen kanalisieren wir die Informationen. Aber ich verschließe mich nicht vor Verbesserungsvorschlägen – weder hinsichtlich der Transparenz noch in Bezug auf die Verwaltung.

Tageblatt: Als Sie 2013 Premierministerwurden, war Luxemburg auf Platz vier der Weltrangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen. Mittlerweile sind wir auf Platz 20. Beunruhigt Sie das?

Xavier Bettel: Es gibt Dinge, die ich nicht ändern kann, wissen Sie. Wenn das Wort 70 Leute rauswirft …

Tageblatt: Das ist aber nicht der einzige Grund.

Xavier Bettel: Ich musste ja etwas schmunzeln, als gesagt wurde: "Es ist wegen der Politik." Es gab vier Punkte in dem Gutachten von Reporter ohne Grenzen: Erstens die Nähe zwischen den Medienhäusern, zweitens die Abhängigkeit von Werbekunden. Drittens die Nähe zwischen den "Großen" in Luxemburg und der Presse wegen der Größe des Landes. Und eben, dass die Journalisten bei Verwaltungen und Justiz nicht an alle Informationen gelangt sind. Es sind vier Punkte – aber nur über den letzten Punkt wurde berichtet. Deswegen ist uns die Pressehilfe wichtig –damit die Medien nicht nur von Anzeigenkunden abhängig sind. Denn das seid ihr – und das ist auch eine Frage nach Unabhängigkeit, die man stellen muss.

Tageblatt: Das gilt für die Medien in allen Ländern.

Xavier Bettel: Ja, aber Luxemburg ist kleiner. Wenn eine große Supermarktkette sich dazu entscheidet, bei Ihnen keine Anzeigen mehr zuschalten …

Tageblatt: ... klar, dann fürchte ich um meinen Job. Aber es gibt noch andere Punkte: Es gab eine Klage von Gerard Lopez gegen Pierre Sorlut und das Luxemburger Wort, Flavio Becca sucht die Journalistin Véronique Poujol von Reporter.lu an, der Whistleblower Antoine Deltour wurde angeklagt. Wie bewerten Sie denn diese Prozesse?

Xavier Bettel: Verstehen Sie das nicht falsch, ich bin vielleicht Medienminister, aber ich bin auch Jurist. Menschenhaben das Recht auf einen Prozess. Ich kommentiere auch keine Urteile. Aber für mich ist Einschüchterung nie die richtige Lösung. Professioneller Journalismus ist wichtig, das haben wir auch in der Pandemie jetzt noch mal gesehen. Verglichen mit Schrott, den man sonst so liest. Aber es gibt auch Grenzen.

Tageblatt: Andererseits bringt "Schrott" einen anscheinend ja bis an die Spitze der Cargolux.

Xavier Bettel: (kurze Stille) Ja, also ich spreche jetzt von Behauptungen, bei denen die Leute den Unterschied zwischen professionellem und nicht-professionellem Journalismus machen müssen. Wir leben in einem freien Land. Jeder kann eine Meinung haben, ich muss sie nichtteilen. Aber ich weiß, dass das, was ein Journalist schreibt, recherchiert wurde. Selbst wenn er seinen Standpunkt vertritt, weiß ich, dass er recherchiert hat. Wir brauchen Bildung im Medienbereich. Die Menschen erkennen teilweise nicht den Unterschied zwischeneinem Bericht und einer Parodie. Daran sieht man auch, wie wichtig es ist, in die Presse zu investieren. Mit dem neuen Pressehilfegesetzwollen wir deshalb ja auch in die Menschen, in die Journalisten, investieren, statt in die Anzahl der gedruckten Seiten.

Tageblatt: Da wurde die Summe allerdings jetzt gekürzt – von 55.000 Euro auf 30.000 Euro pro Journalist im aktuellen Entwurf.

Xavier Bettel: Das ist ein Entwurf. Das sind Arbeitsdokumente, die noch gar nicht deponiert wurden – und dann heißt es, "das ist jetzt die Summe". Insgesamt würden mit dem neuen Text nur zwei Medien weniger Geld bekommen – deswegen haben wir auch eine Transitionsphase vorgesehen, damit diese nicht von heute auf morgen dichtmachen müssen. Und es muss eben auch in die Digitalisierung investiert werden. Und Sie müssen ja auch sehen – sorry, wenn ich das als Medienminister sage – Ihr Beruf ist ja heute nicht mehr der gleiche wie vor einigen Jahren. Damals haben Sie angerufen und gesagt: "Ich brauche die Information bis 17.00 Uhr, damit der Text vor Redaktionsschluss fertig ist." Wenn Sie heute um zehn Uhr anrufen, wollen Sie die Information um zehn nach zehn. Warum? Damit ihr die Ersten mit der Push-Nachricht seid, weil die Push-Nachrichten Klicks generieren. Und die Bürger, die früher ein Abonnementhatten, wollen heute auch fast nichts mehr bezahlen, um die Information zu erhalten.

Tageblatt: Halten Sie Printmedien angesichts der Digitalisierung denn für antiquiert oder obsolet?

Xavier Bettel: Nein. Printmedien haben immer noch diesen gewissen Wert. Wissen Sie, wenn ich in ein Café gehe und meine Zeitung aufklappe – ich hoffe, dass die nächsten Generationen das noch kennen werden. Das ist für mich ein Moment der Geselligkeit. (Bettel gerät ins Schwärmen) Im Urlaub, mit einem Espresso, und dann die Zeitungaufmachen! Und nicht scrollen. Ichgehöre noch zu einer Generation, welche die Seiten umschlägt.

Tageblatt: Seit 2004 hat sich die Anzahl an Pressesprechern bei Behörden nahezu verdreifacht. Trotzdem scheint es für uns Journalisten manchmal, als wäre es schwieriger geworden, an Informationen zu kommen.

Xavier Bettel: (lacht) Glauben Sie, es sind zu viele?

Tageblatt: Keine Ahnung, woran liegt es Ihrer Meinung nach?

Xavier Bettel: Kommunikation ist heute auch nicht mehr dieselbe wie einst. Minister kommunizieren heute auch über Twitter – ich habe einen offiziellen Twitter-Account, den hatte ich vor acht Jahren noch nicht. Es werden auch beispielsweise kleine Filme produziert. Die Situation entwickelt sich, es ist auf jeden Fall nicht unser Ziel, die Kommunikation zu verwässern.

Tageblatt: Was ist denn Ihr Verständnis von politischer Kommunikation?

Xavier Bettel: Politische Kommunikation heißt für mich, der größtmöglichen Anzahl von Personen den Zugang zu Informationen von öffentlichem Interesse zu ermöglichen. Das funktioniert über die Presse, über die sozialen Medien, durch die Zusammenarbeit mit Kommunikationsagenturen, durch Flyer, durch Radiospots... Kommunikation braucht Diversität. Nur auf Luxemburgisch zu kommunizieren, wäre zum Beispiel falsch. Stellen Sie sich mal vor, wir hätten die Impfeinladungen nur auf Luxemburgisch verschickt. Kommunikation heißt, sich anzupassen. Auch über Twitter oder Instagram erreiche ich andere Personen als über eine Anzeige im Wort oder im Tageblatt.

Tageblatt: Durch das Internet hat sich für die Politik ja auch die Möglichkeit ergeben, ohne das Medium Presse direkt mit den Menschen zu kommunizieren …

Xavier Bettel: (unterbricht) Und ich dachte, Sie seien alle genervt von meinen Pressekonferenzen. Das freut mich jetzt, zu hören, dass Sie sich nichtfreuen, wenn ich anders kommuniziere. (lacht) Ich dachte, ich hätte zu viele Pressekonferenzen veranstaltet – dann nehme ich zur Kenntnis, dass es nicht so ist.

Tageblatt: Pressekonferenzen sind schön, weil wir Ihnen Fragen stellenkönnen. Das gestaltet sich auf Twitter schwieriger.

Xavier Bettel: Rufen Sie meine Pressesprecherin an, dann antworte ich!

Tageblatt: Sind Sie manchmal genervt von Journalisten?

Xavier Bettel: Nein. Ich merke nur manchmal, dass die Leute sich Fragenstellen zu den Fragen, welche die Journalisten stellen. Ich finde die Fragen aber berechtigt. Wenn Sie sich etwas fragen, hat sich irgendjemand anders diese Frage ja auch gestellt. Der Journalist ist ja auch das Sprachrohr der Allgemeinheit.

Tageblatt: Sie haben in den Pressebriefings ja ziemlich transparent kommuniziert, gerade was die Zahlen in der Pandemie angeht. Dies erstreckte sich aber nicht auf die Arbeitsgruppen und deren Zusammensetzung.

Xavier Bettel: Weil ich zuerst mit den Leutenreden wollte. Ich verstecke das nicht. Ich habe Leute gebeten, in diesen Gruppen mitzuarbeiten, und ich wollte von diesen Personen das Okay, ob ich das kommunizieren könnte. Diese Leutehaben ja auch ökonomische Interessen – und ich wollte nicht, dass sie als Lobbyisten missbraucht werden. Deswegen wollte ich wissen, ob sie bereit wären, ihre Namenpreiszugeben, wenn sie in den verschiedenen Gruppen mitarbeiten. Denn die Veröffentlichung des Namens war keine Bedingung bei der Ausschreibung.

Tageblatt: Was würden Sie in der Krisenkommunikation denn rückblickend anders machen?

Xavier Bettel: Nichts. Denn das, was wir getan haben, war in dem Moment, in dem wir es taten, das Richtige. Jetzt zu sagen: "Ich hätte es andersgemacht", das wäre heuchlerisch. Später ist man immer schlauer.

Tageblatt: Ja, eben. Sie sind jetzt schlauer als zuvor. Das Moment der Selbstkritik …

Xavier Bettel: (unterbricht) Die Situation mit dem einzelnen Journalisten vom Presserat, bei der die Zeitungen ihre Fragen per Mail einreichen mussten, das war nicht ideal. Aber ich weiß heute noch immer nicht, wie ich es anders hätte machen sollen.

Tageblatt: Frau Cahen wurde vorgeworfen, in der Krise nicht genug hinsichtlich der Situation in den Altenheimen kommuniziert zuhaben. Wie sehen Sie das?

Xavier Bettel: Also es ist nicht so, dass Frau Cahen nichts tut, nur weil es keinen Tweet oder keinen Instagram-Post von ihr gibt. Die Ministerin hat in dem Ressort sehr viel gearbeitet, insbesondere mit den Strukturen selbst. Herr Fischbach (Präsident der Copas und CSV-Mitglied, A.d.R.) hat ihr eine "bonne note" gegeben. Das tut er nicht, um ihr eine Freude zu machen.

Tageblatt: Viele Personen haben allerdings Angehörige in den Heimen

Xavier Bettel: … Ja, aber wenn Sie nur hören: "Da ist ein Fall" – dann geraten Sie in Panik. Das Haus schafft es aber möglicherweise, den Fall zu isolieren. Es war vielleicht auch, um Panik zu verhindern, indem sie ihre Arbeit gemacht haben.

Tageblatt: Ist das denn ein Argument: Panik verhindern wollen? Wir haben doch mündige Bürger, die eigene Entscheidungentreffen können, oder?

Xavier Bettel: Fakt ist, dass wir in den Altersheimen eigentlich eine Senioren-WG haben. Die Leute sind nichteingesperrt. Und, auch wenn es hart ist, das zu sagen, die Lebensdauer in einem Altersheim ist nichtlang. Die meisten Menschen bleiben dort keine zwei Jahre. Wenn es dort Fälle gab, wurde die Familie ja in Kenntnis gesetzt. Aber jetzt zu kommunizieren "Ah, es gibt dort wieder einen Fall, und hier auch. "Man musste meiner Meinung nach ein Gleichgewicht finden, um die Angehörigen und die Rentner zu informieren, ohne aber alles dichtzumachen. Was mich schockiert hat: Mit dem Thema wurde auf geradezu populistische Art umgegangen –es wurde fast so getan, als hätten Frau Cahen und Frau Lenert die Menschen in den Altersheimen umgebracht. Das habe ich in 22Jahren in der Politik noch nicht erlebt – dass man wirklich versucht, die Menschen so fertigzumachen.

Tageblatt: Ist das Ihr Vorwurf an den CSV-Abgeordneten Michel Wolter?

Xavier Bettel: Nicht nur an Herrn Wolter – an alle, die mitgemacht haben. In den letzten Wochen sind viele CSV-Abgeordnete und -Mitglieder zu mir gekommen und haben gesagt: "Das war aber nicht korrekt, was Michel Wolter gemacht hat. Das hätte ich nicht mitstimmen sollen. "Aber dann sollen sie das im Parlament sagen, nicht mir zwischen Tür und Angel. Sie sollen es auch in der Fraktion sagen. Wir sind als Regierung verantwortlich. Aber jemanden fertigzumachen, nur um ihn fertigzumachen – moi, j'aime pas ça. Das ist nicht mein politischer Stil. Wir sind Menschen. Ich fordere keinen Schutz, ich fordere aber, dass man eine gewisse Würde in der Politik bewahrt. Es war immer eine Stärke Luxemburgs, dass wir den Ball spielen und nicht den Mann. Das sollten wir nicht aufgeben.

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