Interview mit Yuriko Backes im Luxemburger Wort

"Der Finanzplatz hat sich stark verändert"

Interview: Luxemburger Wort (Thomas Klein)

Luxemburger Wort: Yuriko Backes, Sie sind jetzt etwa ein halbes Jahr im Amt - Zeit für eine erste Bilanz. Es gibt eine Menge Baustellen am Finanzplatz. Hätten Sie sich einen ruhigeren Einstieg gewünscht?

Yuriko Backes: Als ich anfing, war mir klar, dass ich in den laufenden Betrieb einsteige und was das bedeutet. Es war also sicherlich ein Sprung ins kalte Wasser, aber mittlerweile habe ich mich an die Temperatur gewöhnt. Der Einstieg musste nämlich den Umständen entsprechend zügig erfolgen, denn es ist ja sehr viel geschehen, gerade mit dem Krieg in der Ukraine und dem explosionsartigen Anstieg der Energiepreise. Als Finanzministerin war ich auf jeden Fall erfreut darüber, dass wir als Land sehr gut durch die Pandemie gekommen sind und ich meine Arbeit auf einer soliden Basis, insbesondere was die Staatsfinanzen anbelangt, aufnehmen konnte. Denn es galt von Beginn an, die Herausforderungen anzupacken, die die Menschen und auch die Unternehmen in ihrem Alltag zu spüren bekommen. Mit den Maßnahmen aus dem "Energiedësch" und dem "Solidaritéitspak" hat die Regierung weitreichende Antworten auf diese kurzfristigen Herausforderungen beschlossen. Daneben galt es in den letzten Monaten an etlichen Dossiers weiter zu arbeiten, sowohl national aber auch europäisch und international, und die EU-Sanktionen gegen Russland umzusetzen.

Luxemburger Wort: Die Weltwirtschaft hat sich kaum von der Pandemie erholt, folgt jetzt schon die nächste Krise. Im Gegensatz zur Finanzkrise schlagen sich die Banken hierzulande bisher sehr gut. Wird das Ihrer Ansicht nach so bleiben?

Yuriko Backes: Der Luxemburger Finanzplatz steht seit Jahren für ein Drittel unseres Bruttoinlandsprodukts und generiert einen Großteil unserer Steuereinnahmen. Dass sich die Banken hierzulande gut schlagen, erfreut mich daher. Anderseits gilt es, die Attraktivität des Standorts zu bewahren und weiter auszubauen. Der Finanzsektor hat darüber hinaus viele Krisen gemeistert - ich erinnere an die Krise 2008 - und daraus Lehren gezogen, oft entgegen düsterer Prognosen. Heute ist die europäische Finanzindustrie widerstandsfähiger, auch wenn dies kurzfristig zu Mehrkosten geführt haben kann. Unser Luxemburger Finanzplatz gehört weiterhin zu den führenden der Welt. Luxemburg hat es immer verstanden, sich weiterzuentwickeln und Expertise in neuen Bereichen aufzubauen, wie zum Beispiel zuletzt bei den alternativen Investmentfonds. Der regelmäßige Austausch mit Vertretern des Finanzplatzes stimmt mich auf jeden Fall zuversichtlich für die Zukunft.

Luxemburger Wort: Der Bankenverband ABBL moniert, dass die Finanzhäuser hier nicht profitabel genug seien, vor allem im Vergleich mit US-Konkurrenten. Woran liegt das Ihrer Einschätzung nach? Sind die Banken in Luxemburg und in Europa zu klein? Erwarten Sie, dass sich die Konsolidierung fortsetzt?

Yuriko Backes: Das bisherige Negativ-Zins-Umfeld hat sicherlich nicht geholfen, und das Volumen der regulatorischen Anforderungen stellt für viele Banken eine große Herausforderung dar. Diesbezüglich setzt sich Luxemburg seit jeher für intelligente Regeln auf EU-Ebene ein, damit der EU-Finanzsektor auch über die nationalen Grenzen hinaus wettbewerbsfähig bleibt. Darüber hinaus müssen viele Banken Investitionen im Bereich der Digitalisierung tätigen, um in einem gesunden Wettbewerb mit dem FinTech-Sektor zum Beispiel bestehen zu können, und die Kosten bleiben dementsprechend hoch.

Luxemburger Wort: Laut Global Financial Centres Index ist Luxemburg im Vergleich zu anderen Finanzplätzen um vier Plätze gefallen und hat sich im Ranking um zwölf Plätze verschlechtert. Woran liegt das Ihrer Einschätzung nach?

Yuriko Backes: Solche Rankings sollte man nicht überbewerten, mal geht es ein paar Plätze rauf, mal runter. Faktisch gesehen ist unser Finanzplatz heute nicht weniger attraktiv als noch vor einem Jahr. Für Luxemburg sprechen die realen Entscheidungen der Unternehmen. Seit dem Brexit sind immerhin 95 Unternehmen hierhergekommen. Im vergangenen Jahr ist das verwaltete Vermögen im Bereich der "Private Equity" um 30 Prozent gestiegen und die CSSF und das CAA ("Commissariat aux Assurances", Red.) haben 77 neue Lizenzen vergeben. Darüber hinaus gibt es 220 FinTechs in Luxemburg. Die Zahlen sprechen also für sich.

Luxemburger Wort: Verliert der Finanzplatz Luxemburg langsam an Wettbewerbsfähigkeit?

Yuriko Backes: Das pauschal zu sagen, ist in meinen Augen falsch. Im Gegenteil. In den vergangenen Jahren sind eine Reihe weiterer Banken nach Luxemburg gekommen, vor allem aus Drittstaaten wie den USA und Großbritannien. Aber sie kommen auch aus EU-Ländern wie Portugal und Spanien. Diese Banken finden Luxemburg attraktiv - und das ist auch etwas, was mir bei rezenten Finanzmissionen in Spanien, Schweden oder Großbritannien so bestätigt wurde. Viele haben mir versichert, dass sie Pläne haben, ihre Aktivitäten in Luxemburg noch weiter auszubauen. Natürlich müssen wir immer weiter versuchen, gezielt die richtigen Talente anzuziehen, in der Wertschöpfungskette zu steigen und neue Kompetenzen aufzubauen.

Luxemburger Wort: Luxemburg strebt an, sich als globales Zentrum für nachhaltiges Investieren zu etablieren. Gleichzeitig wächst die Kritik an dem ESG-Konzept. Setzt Luxemburg da vielleicht aufs falsche Pferd? Wie kann man verhindern, dass ESG ein beliebiges Label wird?

Yuriko Backes: Dieses Thema ist heute eigentlich Mainstream - völlig zu Recht meiner Ansicht nach, denn die gesellschaftlichen Herausforderungen sind enorm. Ich bin sehr stolz darauf, dass unser Finanzplatz heute über 40 Prozent der nachhaltigen Fonds in Europa beherbergt und an der Luxemburger Börse die Zahl nachhaltiger Anleihen im letzten Jahr um 50 Prozent gestiegen ist auf mittlerweile 1200 - eine Spitzenposition. Seriosität, Sensibilisierung und der einsetzende Erfolg von ESG-Produkten machen den Ansatz attraktiv. Damit ESG nicht zu einem sogenannten "Greenwashing" führt, brauchen wir aber klare Regeln und Definitionen, die dem Anspruch gerecht werden. Dafür setzt sich die Regierung auch auf EU-Ebene ein.

Luxemburger Wort: Was tut Luxemburg denn in Sachen Nachhaltigkeit?

Yuriko Backes: Luxemburg hat schon lange Pioniergeist bewiesen in Sachen Nachhaltigkeit, die Partnerschaft zwischen den öffentlichen und privaten Akteuren ist in dieser Hinsicht vorbildlich. Wir sind zum Beispiel Vorreiter in Sachen Labeling, dank LuxFLAG, das wir vor mehr als 15 Jahren ins Leben gerufen haben. Auch unsere Börse hat schon 2016 mit der Schaffung des Luxembourg Green Exchange selbst Verantwortung übernommen. Rezent haben wir weitere Initiativen gestartet, um den Finanzsektor in seiner Bestrebung nach mehr Nachhaltigkeit zu begleiten.  Ein gutes Beispiel ist die Luxembourg Sustainable Finance Initiative, die unter anderem Workshops im Finanzbereich und Selbsteinschätzungstools für Finanz-Institute anbietet. Hinzu kommt der International Climate Finance Accelerator, der bis dato 18 innovative Fondsmanager im Bereich Klimafinanzen unterstützt hat. Es wurde auch ein Zeichen gesetzt mit der Schaffung einer Klimafinanzplattform, die gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank aufgelegt wurde und in Klimafonds investiert, um Privatkapital zu mobilisieren. Vor einigen Tagen habe ich eine neue Initiative angekündigt, die dazu beitragen soll, private Investitionen in den grünen Wandel und den Umweltschutz in Schwellenländern zu lenken.

Luxemburger Wort: Luxemburg positioniert sich gerne als "Gateway to Europe", zum Beispiel auch für chinesische oder russische Banken. Wird das in Zukunft angesichts der geopolitischen Konflikte schwieriger?

Yuriko Backes: Die russische Invasion der Ukraine ist völkerrechtlich illegal und durch absolut nichts zu rechtfertigen. Die geopolitische Lage wird durch diesen Krieg sicherlich komplizierter und alle Akteure, die in Luxemburg tätig sind, müssen sich an das geltende Recht halten und alle bestehenden Regeln umsetzen. Das gilt eben auch für Sanktionen. Natürlich ist es zu bedauern, dass China Russlands Überfall auf die Ukraine nicht klar verurteilt hat und sich gegen Sanktionen ausgesprochen hat. Diese Themen müssen auf politischer Ebene angesprochen werden, und der Dialog mit China muss weitergeführt werden. Als überzeugte Europäerin und Verfechterin des Multilateralismus lege ich sehr viel Wert darauf, dass wir ein offenes Land bleiben und dass der Kontinent Europa nicht zu einer "Fortress Europe" wird. Gesellschaftliche Herausforderungen wie der Klimawandel können nur auf globaler Ebene gelöst werden. Wir brauchen also multilaterale Lösungen, denn geopolitische Konflikte stiften Unruhe und bringen Unsicherheiten mit sich. Dies gilt es zu verhindern, in einem offenen Dialog und ohne Tabus, aber auch mit dem nötigen Respekt für die Befindlichkeiten des jeweiligen Partners.

Luxemburger Wort: Eigentlich sollte im Sommer die globale Mindeststeuer für Unternehmen in der EU auf den Weg gebracht werden, jetzt bremst Ungarn, auch in den USA geht es nicht voran. Scheitert das Vorhaben?

Yuriko Backes:Die im Oktober 2021 erzielte Einigung zur internationalen Steuerreform ist ein historisch wichtiger Schritt hin zu mehr Steuergerechtigkeit, den die Regierung unterstützt hat und den ich persönlich nur begrüßen kann. Erst Anfang Juni war ich auf der Minister-Tagung bei der OECD in Paris und wir haben natürlich auch über die Umsetzung der Reform gesprochen. Ich bedauere, dass wir auf EU-Ebene noch nicht vollständig zu einer Einigung gelangt sind, trotzdem bin ich zuversichtlich, dass es zu einer zeitnahen Umsetzung kommen wird und auch das globale Level Playing Field gesichert bleibt.

Luxemburger Wort: Wenn die globale Mindeststeuer kommt, welche Folgen hätte das für Luxemburg? Sind nicht steuerliche Vorteile immer noch einer der Gründe, warum sich Firmen für Luxemburg als Standort entscheiden?

Yuriko Backes: Die globale Mindeststeuer bahnt sich schon seit Jahren an, einen Exodus internationaler Investoren haben wir in Luxemburg aber nicht gesehen in all diesen Jahren. Ich bin zuversichtlich, dass Luxemburg weiterhin ein attraktives Land bleibt, besonders wenn andere Faktoren wie die zentrale Lage, gut ausgebildete, mehrsprachige Mitarbeiter, das Triple A und die politische Stabilität in Zukunft noch eine noch größere Rolle spielen werden. Das sind auch die Gründe, warum Unternehmen nach Luxemburg kommen. Es gilt natürlich auf dieser positiven Grundlage weiter die Attraktivität des Landes für Unternehmen, aber auch für Arbeitnehmer, zu bewahren und zu stärken.

Luxemburger Wort: Ist es ein Nachteil für ein kleines Land wie Luxemburg mit einem überschaubaren eigenen Markt, wenn es nicht auch über die Steuern mit anderen Ländern konkurrieren kann?

Yuriko Backes: Mit der internationalen Steuerreform gelten weltweit die gleichen Rahmenbedingungen. Auch wenn es weiterhin Steuerwettbewerb geben wird, wird die Besteuerung in Zukunft insgesamt wahrscheinlich eine geringere Rolle spielen. Dies muss aber nicht unbedingt ein Nachteil für Luxemburg sein. International tätige Unternehmen werden weiterhin die Dienstleistungen, Anlageinstrumente und das Know-how benötigen, die in internationalen Investitionszentren wie Luxemburg zur Verfügung stehen, um ihre grenzüberschreitenden Finanzaktivitäten zu zentralisieren.

Luxemburger Wort: Eine weitere Initiative der EU ist "Uns-hell". Laut einem Bericht des Internationalen Währungsfonds gab es 2019 im Großherzogtum über 45 000 Firmen, die je nach Definition als Briefkastenfirmen gelten könnten. Hätte eine steuerrechtliche Neutralisierung dieser Firmenhüllen Auswirkungen auf den Finanzplatz?

Yuriko Backes: Diese Initiative ist sicherlich eine der bevorstehenden Herausforderungen im Steuerbereich, aber ich begrüße den guten Dialog mit der EU-Kommission in diesem Zusammenhang. Es ermöglicht mir unsere Ansichten besser darzulegen, denn mir geht es sicherlich nicht darum, sogenannte "Briefkastengesellschaften" zu schützen. Der Entwurf geht weit über diese Frage hinaus, wirft eine Menge grundsätzlicher Fragen auf, und letzten Endes könnte es für Europa insgesamt ein Eigentor darstellen. Vor allem der Anwendungsbereich ist so breit definiert, dass dies einen Einfluss auf viele Unternehmen haben könnte. Was die mögliche Auswirkung der Vorschläge der Kommission auf unsere Arbeitsplätze und Steuereinnahmen anbelangt, darf man diese nicht unterschätzen, und es ist demnach Vorsicht geboten.

Luxemburger Wort: Das Triple A wird immer als einer der Standortvorteile Luxemburgs, gerade in der Finanzbranche, angeführt. Gleichzeitig steigt der Druck durch Inflation und Krisen, dass der Staat mehr Geld ausgibt. Wie schwierig ist es für Sie in der Koalition gerade, Ausgabenwünsche von Ministerkollegen abzuwehren?

Yuriko Backes: Zu Beginn des Mandats einer Regierung wird ein politischer Rahmen durch das Koalitionsprogramm festgelegt und die Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag sind eindeutig: das mittelfristige Haushaltsziel (OMT) einhalten und die Staatsschulden unterhalb von 30 Prozent des BIP stabilisieren. Natürlich kommen aktualitätsbedingt nicht vorhersehbare Situationen wie die Pandemie oder nun der Krieg dazu. Die Kolleginnen und Kollegen in der Regierung zeigen Verständnis, und ihre Wünsche tragen den Gegebenheiten Rechnung. Es gibt eine kollektive Verantwortung für das, was wir machen. Wir wollen als Regierung das Land nach vorne bringen und eine verantwortungsvolle Politik für unser Land machen.

Luxemburger Wort: Sie sagten, dass Sie einen Katalog mit über 30 möglichen Steuermaßnahmen zusammengestellt haben, unter anderem, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes zu fördern. Können Sie ein Beispiel geben, was Sie im Sinn haben?

Yuriko Backes: Die Regierung arbeitet derzeit an einem Gesetzentwurf für die Grundsteuerreform, einer nationalen Spekulationssteuer und einer Leerstandssteuer. Darüber hinaus steht eine große Steuerdebatte im Parlament bevor. Allgemein bleiben die Unsicherheiten aktuell sehr groß, auch was die finanziellen Rahmenbedingungen anbelangt. Es gibt aber erste, eher positive Anzeichen, was die Widerstandsfähigkeit unserer Staatsfinanzen angeht, solange wir nicht in eine Rezession fallen. Falls es also die finanzielle Situation erlaubt, werde ich sicherlich Akzente setzen, die die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts stärken, und Lösungen suchen, die auch die gesellschaftlichen Herausforderungen anpacken. Generell gilt jedoch das Gleiche wie bei den Haushaltsverhandlungen: Es geht zunächst um politische Prioritäten, dann gibt es einen Abgleich mit den finanziellen Möglichkeiten und anschließend wird entschieden.

Luxemburger Wort: Im Herbst steht die Gafi-Prüfung an, die beurteilen soll, wie gut Luxemburg im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung aufgestellt ist. Denken Sie, das Land und der Standort sind gut vorbereitet?

Yuriko Backes: Luxemburg, unter der Federführung des Justizministeriums, hat sehr viel unternommen in den letzten Jahren, um so gut wie möglich vorbereitet zu sein. Der Finanzplatz, mitsamt den vielfältigen Akteuren, hat sich stark verändert und das Land steht mittlerweile auf keiner grauen Liste mehr. Dadurch, dass wir die europäischen und internationalen Anforderungen alle erfüllen, bin ich also eher zuversichtlich, was die bevorstehende Gafi-Prüfung anbelangt. Ich möchte daher auch nicht spekulieren. Schlussendlich geht es auch darum, die Effektivität unseres Systems zu bewerten, und das geht auch über den Gafi-Besuch im November dieses Jahres hinaus.

 

 

 

 

 

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