Romain Schneider: Es ist eine Herausforderung. Luxemburg ist das erste Land überhaupt, das einen Minister für diesen Bereich hat. Die ersten Monate musste ich mich erst einmal einarbeiten und vor allem mit dem Arbeitsministerium klären, wer was tut. Vor allem mussten wir das Thema erst einmal genau definieren. Als nächstes wollen wir einen juristischen Rahmen schaffen, was aber noch lange nicht alles ist. Darüber hinaus muss die Solidarwirtschaft auch in der Öffentlichkeit mehr präsent werden. Ich habe noch kürzlich im zuständigen Parlamentsausschuss gesehen, dass es sehr schwer ist, einem Außenstehenden kurz und bündig zu erklären, um was es sich bei der Solidarwirtschaft eigentlich handelt.
Tageblatt: Sie haben vor kurzem gesagt, Sie würden sich mit Vertretern des Handwerks treffen, um mit ihnen über den unfairen Wettbewerb der Solidarwirtschaft zu reden. Fand das Gespräch statt, und wenn ja, wie verlief es?
Romain Schneider: Ja, das Gespräch hat stattgefunden, allerdings nur mit der 'Föderation des artisans' (FA). Das Gespräch war ein sehr positives. Wir konnten den Vertretern der FA viele Ängste nehmen, vor allem, was die Finanzierung der Solidarwirtschaft angeht. Wir haben erklärt, dass das nicht unsere Rolle ist. Es bestehen gewiss Probleme, ob wir aber eine neue juristische Form brauchen, ist eine andere Frage. Wir wollen alle bestehenden Probleme, ob sie nun mit dem Niederlassungsrecht oder mit der Konkurrenz zu tun haben, herausfiltern und eine Struktur aufbauen, in der wir nicht mit diesen Problemen konfrontiert sind. Wir wollen etwas komplementäres zur bestehenden 'normalen' Wirtschaft. Es wird ja eine Plattform, eine Arbeitsgruppe geschaffen, an der alle Akteure teilnehmen werden. Auch die FA soll in die Gespräche mit eingebunden werden. Wir machten ihnen klar, dass für uns Solidarwirtschaft auch ein Teil des sozialen Zusammenhalts ist.
Tageblatt: Ist diese Botschaft von ihnen verstanden worden?
Romain Schneider: Ja, ich muss sagen, dass sie sehr gut angekommen ist. Es gab eine Zeit, wo die Debatte auf anderen Ebenen nicht so gut verlaufen ist. Nachdem wir ihnen die ersten Ängste nehmen konnten, gibt es jetzt eine Bereitschaft, die soziale Rolle der Betriebe zu berücksichtigen. Wir sind uns einig, dass der Aufbau der Solidarwirtschaft im Rahmen eines Sozialdialogs ablaufen muss.
Tageblatt: Spricht man mit Vertretern der Solidarwirtschaft, wie etwa dem OPE, so erwarten diese auch staatliche Gelder. Ist das Ministerium für Solidarwirtschaft in dieser Hinsicht nicht ein Papiertiger, wo es doch keine Gelder verteilt? Was können Sie konkret tun?
Romain Schneider: Nein, ich glaube nicht, dass wir ein Papiertiger sind. Was die Finanzierung der Beschäftigungsinitiative angeht, so kümmert sich das Arbeitsministerium darum. Das OPE ist eine Struktur, wovon die Beschäftigungsinitiativen nur ein Teil sind. Zur Solidarwirtschaft gehören aber noch all die 'mutualites', die Kooperativen und die gemeinnützigen Vereine ("asbl") im sozialen Bereich. Unsere Aufgabe ist es nun, eine Art Pilotprojekt zu entwickeln. Ein Land, wo in diesem Bereich ebenfalls viel passiert, ist Frankreich. Der Bericht des Abgeordneten Francis Vercamer zeigt einige Pisten auf, die die gleichen sind, die wir auch verfolgen: eine Analyse der aktuellen Situation, die Forschung, die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der Aufbau einer Einrichtung, durch die eine Dienstleistung angeboten werden kann. Dabei soll ein Teil von öffentlicher Hand finanziert werden, die Einnahmen sollen dann aber wieder zurück in die Einrichtung fließen, so dass sie ohne Gewinnzweck funktionieren kann. Das ist unsere große Herausforderung.
Tageblatt: Wie steht es mit der Arbeitsgruppe, die sich mit der Finanzierung der Solidarwirtschaft beschäftigen soll?
Romain Schneider: Das gehört zu dem Konzept, welches wir gerade entwickeln.
Tageblatt: Wie weit sind die Arbeiten zum Gesetzentwurf für eine Vereinigung kollektiven Interesses fortgeschritten?
Romain Schneider: In diesem Zusammenhang spielt auch das asbl-Gesetz eine Rolle. Wir hatten schon Kontakte mit dem zuständigen Minister, der dabei ist, das Gesetz so zu strukturieren, dass all die Kritiken, die es gegeben hat, berücksichtigt werden.
In der Praxis beschäftigen wir uns als Erstes mit den Problemen der Solidarwirtschaft. Diese Probleme werden innerhalb der erwähnten Plattform diskutiert. Danach wird auch das Gesetzesvorhaben geschrieben. Wann? Selbstverständlich so schnell wie möglich, aber es wird sicherlich noch ein bis zwei Jahre dauern, bis diese Struktur steht. Da müssen wir uns nichts vormachen.
Tageblatt: Was wollen Sie im Bereich Solidarwirtschaft erreichen?
Romain Schneider: Wie gesagt, wir wollen eine Struktur, worin sich alle Akteure wiederfinden. Wir haben uns die Latte hoch gelegt, aber wir müssen ja das Rad, was den legalen Aspekt angeht, praktisch neu erfinden. Dann müssen wir auch irgendwann das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Solidarwirtschaft errechnen. Es wird behauptet, sie mache weltweit zehn Prozent des BIP aus.
Wir wissen aber nicht, ob das stimmt. Luxemburg könnte darüber hinaus zum Vorreiter in Europa werden, was eine große Charice darstellt. Wir arbeiten übrigens schon eng mit dem 'CRP Henri Tudor' zusammen und man könnte sich vorstellen, dass die Universität Luxemburg einen Lehrstuhl für Solidarwirtschaft einrichtet. Das würde bestimmt eine ganze Menge Leute aus Europa nach Luxemburg anziehen. Das ist sicherlich Zukunftsmusik, aber das muss unser Ziel sein.