Verantwortung und Visionen

Interview: Revue (Eric Hamus, Hubert Morang)

Revue: Seit knapp einem Jahr leiten Sie die Regierungsgeschäfte. Was gefällt Ihnen dabei am besten?

Luc Frieden: Dass ich mithelfen kann, das Land nach vorne zu bringen!

Revue: Hatten Sie sich den Job als Premierminister so vorgestellt?

Luc Frieden: Ich war schon in der Vergangenheit Mitglied verschiedener Regierungen und konnte mir also ein Bild davon machen, was es bedeutet, zu regieren. Aber der Job eines Premierministers ist inhaltlich noch etwas anspruchsvoller als die Leitung eines spezifischen Ressorts. Als Regierungschef muss man über alle Ressorts Bescheid wissen und ständig versuchen, die Vorgänge in jedem Bereich zusammenzubringen. Diese Koordinationsarbeit zählt zu den größten Herausforderungen im Alltag, da meine Zeit natürlich begrenzt ist. Ich muss gestehen, dass ich diesen Aspekt anfangs zeitlich unterschätzt habe. Letztlich geht es aber auch darum, den eigenen Terminkalender so effizient wie möglich zu organisieren.

Revue: Sie haben sich nach 2013 eine längere Auszeit von der Politik genehmigt. Hätten Sie sich zu dieser Zeit dennoch vorstellen können, noch einmal Premierminister zu werden, oder hatten Sie komplett mit diesem Kapitel abgeschlossen?

Luc Frieden: Eigentlich hatte ich mit der Politik abgeschlossen, weil ich ab 2013 ein anderes berufliches Leben geführt habe. Natürlich habe ich auch weiter Interesse am politischen Geschehen gehegt, zum Beispiel in meiner Rolle als Präsident der Handelskammer. Schließlich ist Politik irgendwie überall: Sie behandelt die Funktionsweise unserer Gesellschaft, und sie bestimmt die Regeln des Zusammenlebens. Ich bin ein politischer Mensch, aber mit einer Rückkehr hatte ich eigentlich nicht gerechnet, schon gar nicht in der Funktion des Premierministers. Diese Rolle ist eine große Ehre und ich bin sehr dankbar, sie übernehmen zu dürfen. Es geht bei diesem Posten nicht darum, in einem möglichst großen Büro zu sitzen, sondern darum, Verantwortung für das Geschehen im Land zu übernehmen. Und das ist eine sehr herausfordernde Aufgabe.

Revue: Die Ausgangslage bei Ihrer Amtsübernahme war recht außergewöhnlich, haben Sie doch mit ihrem Vorgänger zusammen eine neue Regierung gebildet. War das zunächst nicht etwas sonderbar?

Luc Frieden: Das war schon etwas Besonderes, aber nicht einzigartig. Nach den Wahlen von 1979 wurde Gaston Thorn Vizepremier in der Regierung von Staatsminister Pierre Werner. Was mein Verhältnis zu Xavier Bettel angeht, so bin ich froh, dass dieses sehr gut und vor allem sehr freundschaftlich ist. Dies ist entscheidend für eine gute Arbeit innerhalb der aktuellen Koalition. Die Wähler haben sich im Oktober 2023 für eine andere Politik ausgesprochen - eine, die dafür sorgt, dass die Wirtschaft funktioniert und Arbeitsplätze entstehen. Diese Begebenheit wiederum gibt uns die Möglichkeit, eine solide Sozialpolitik zu betreiben und auch die ökologische Transition zu finanzieren. Die CSV und die DP sind hier auf einer Linie, und glücklicher weise stimmt auch auf menschlicher Ebene die Chemie. Ich bin zufrieden mit der geleisteten Arbeit aller Minister der Regierung, aber auch mit der Stimmung innerhalb der Regierung.

Revue: Die Regierung hatte am Anfang scheinbar mit leichten Startschwierigkeiten zu kämpfen, Stichwort Bettelverbot. Dreht der Motor mittlerweile reibungslos?

Luc Frieden: Der Motor hat von Anfang an gedreht. Aber wenn man eine Regierung mit vielen neuen Ministern bildet - was mein ausdrücklicher Wunsch war -, dann muss man davon ausgehen, dass es einige Monate dauert, bis sie sich in ihrer neuen Rolle zurechtgefunden haben. Viel wesentlicher für mich ist die Tatsache, dass wir geeint bestrebt waren, das Koalitionsabkommen Punkt für Punkt zügig umzusetzen. Und das sind wir immer noch. Das, was von außen als Startschwierigkeit betrachtet wird, hat nach innen viel kohärenter gewirkt. So war das "Heescheverbuet" nur ein Bruchteil einer sehr viel breiteren Sicherheitspolitik.

Revue: Warum war es Ihnen so wichtig, neue Gesichter in die Regierung zu berufen?

Luc Frieden: Zehn Jahre lang drückte die CSV die Oppositionsbank, bevor sie mit einem starken Wahlergebnis zurück in die Regierungsverantwortung kam. Dies war der richtige Zeitpunkt, die Zukunft der Partei einzuläuten. Das kann nur erfolgen, wenn man verschiedene Posten mit neuen Personen besetzt, die auch in Zukunft das Land mitgestalten können. Für die Wahlen hatte ich mir zwei Ziele gesteckt: die CSV zurück in die Regierung zu führen und eine parlamentarische Mehrheit zu schaffen, mit der wir die Kernelemente unseres Wahlprogramms umsetzen können. Die Koalition mit der DP erlaubt es uns, unsere Vorstellungen in der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik Realität werden zu lassen.

Revue: Was hat Sie in den ersten zwölf Monaten am meisten geprägt?

Luc Frieden: Die Schwierigkeit, in einer Demokratie zügig voranzukommen. Im Privatsektor werden Entscheidungen relativ schnell getroffen, weil man nicht mit unendlich vielen Stakeholdern sprechen muss. In einer Demokratie hingegen wird alles besprochen, kritisiert und kommentiert, am Ende braucht man immer eine Mehrheit. Dadurch wird das Regieren etwas schwieriger. Natürlich aber braucht eine Demokratie diese Debatten, auch wenn sie das Handeln etwas abbremsen.

Revue: Wobei wir bei der Frage wären, wie schnell etwa bei der Rentenreform Nägel mit Köpfen gemacht werden können?

Luc Frieden: Schnell wird das nicht gehen. Das ist auch nicht die Absicht. Eine Rentenreform wird natürlich kontrovers diskutiert. Es ist auch ein Punkt, der nicht im Koalitionsabkommen ausformuliert wurde. In einer ersten Phase haben wir uns verschiedene Vorschläge angehört. In einer zweiten Phase werden wir Vorschläge unterbreiten, bevor in einem dritten Schritt dann die Entscheidungen getroffen werden. Diese betreffen zukünftige Generationen und nicht die Menschen, die jetzt schon oder bald in Rente gehen. Es geht in diesem Dossier um eine strukturelle Absicherung der Renten auch für zukünftige Generationen.

Revue: Die Gewerkschaften haben vergangene Woche im Dossier Kollektivverträge mit einem Generalstreik gedroht. Befürchten Sie nicht, dass auch in Sachen Rentenreform ein rauer Gegenwind wehen könnte?

Luc Frieden: Debatten gehören zu einer Demokratie. Nur gibt es in Luxemburg keine Kultur des Generalstreiks. Wenn die Menschen sich vor Augen führen, dass wir bemüht sind, den Wohlstand zu steigern, dann kann ich mir nur sehr schwer vorstellen, dass sie zu Hunderttausenden auf die Straße gehen. Ich tausche mich ständig mit Menschen aus. Dabei merkt man, dass das Vertrauen in diese Regierung groß ist. Und ich freue mich, dass wir im Vergleich zu unseren drei Nachbarländern hierzulande eine stabile politische Mehrheit haben. Und dass die Zusammenarbeit zwischen allen Parteien von gegenseitigem Respekt geprägt ist, auch mit der Opposition. Das ist einzigartig im Vergleich zum Ausland, und ich glaube deshalb nicht, dass es so schnell zu einem Generalstreik kommt.

Revue: Was sind letztlich die Knackpunkte dieser Rentenreform?

Luc Frieden: Solche Diskussionen sind immer schwierig. Jeder will eine gute Rente, allerdings sind nicht alle bereit, zum Beispiel mehr Beiträge zu - 4 zahlen oder länger zu arbeiten. Eine Rentendiskussion dreht sich immer um die gleichen Punkte. Weil wir aber, wie erwähnt, zunächst einmal zuhören wollen, ist noch keine Marschrichtung vorgegeben.

Revue: Gleichzeitig schwebt auch noch eine Steuerreform im Raum...

Luc Frieden: Wir haben bereits die Kaufkraft der Menschen gestärkt und die Steuerlast substanziell reduziert. So werden ab 2025 viele Menschen zwischen zehn und fünfzehn Prozent weniger Steuern zahlen. Eine wesentliche Verbesserung! Daneben wurden manche Sozialhilfen erhöht. Aber es werden auch noch strukturelle Änderungen in Bezug auf die Steuerklassen anvisiert. Nur ist das nicht ganz so einfach umzusetzen.

Revue: Sie haben zuletzt mehrmals unterstrichen, dass es den Menschen hierzulande inzwischen besser geht. Woran machen Sie das fest?

Luc Frieden: Zunächst an der gesunkenen Steuerlast: Es bleibt mehr Netto vom Brutto übrig als vorher. Dann an der wirtschaftlichen Entwicklung, die 2024 substanziell besser war als 2023. Gleichzeitig sind die Prognosen für 2025 gut. Ein Wirtschaftswachstum ist der Garant für ein Absichern und eine Schaffung neuer Arbeitsplätze. Und drittens sagen auch die Banken, dass wieder Kredite für Wohnungen aufgenommen werden. Das sind nur ein paar Elemente.

Revue: Das sind alles Wirtschaftsindikatoren, aber was sagt der Mann oder die Frau auf der Straße?

Luc Frieden: Die Wirtschaft ist für viele Menschen die Basis des Lebens. Wenn die Arbeitsplätze weg sind, dann können sie nicht mehr für sich und ihre Familie sorgen. Ich spreche viel mit den Leuten und habe das Gefühl, dass viele verstehen, dass wir uns um ihre Sorgen kümmern. Das ist eigentlich das Ziel der Politik und eins ist klar: Nichts tun bringt das Land nicht weiter.

Revue: Themenwechsel: An den Grenzen wird kontrolliert, der europäische Gedanke scheint angeschlagen. Wie sehen Sie dies?

Luc Frieden: Ich mache mir große Sorgen, dass Europa in verschiedenen Punkten auf eine Krise zusteuert. Zum einen verlieren wir im Vergleich zu China und den Vereinigten Staaten an Einfluss. Parallel dazu setzen wir Errungenschaften aufs Spiel, die über Jahrzehnte aufgebaut wurden, wie eben der Schengenraum. Genau deshalb sage ich meinen Amtskollegen aus den Nachbarländern, aber auch der Europäischen Kommission, dass solche Grenzkontrollen keine bestehenden Probleme lösen werden. Das Problem illegaler Immigration kann man nur an den Außengrenzen der EU bekämpfen.

Revue: Unsere Nachbarländer stecken in politischen Krisen. Wird dadurch der Dialog nicht schwieriger?

Luc Frieden: Allein deshalb ist es gut, dass wir eine stabile Regierung mit einer starken Mehrheit haben. Dies -und der respektvolle Umgang mit der Opposition - soll man nicht unterschätzen. Ich bin aber überzeugt, dass es uns gelingen wird, mit den Regierungschefs aus den anderen europäischen Staaten ein Stück voranzukommen. Die Wahl des neuen amerikanischen Präsidenten war diesbezüglich eine Art Weckruf, damit Europa wieder näher zusammenrückt, um in Sachen Wirtschaft, Werte und Klima etwas zu erreichen.

Revue: Wie schwer wiegt die Unberechenbarkeit Donald Trumps auf der internationalen und transatlantischen Politik?

Luc Frieden: Sehr schwer. Dennoch sind Amerika und Europa in vielem vereint. Wir glauben zum Beispiel an dieselben Grundwerte von Demokratie und Freiheit. Die Geschichte spielt in dieser Hinsicht eine große Rolle sowie die Tatsache, dass Europa, Amerika und Kanada zusammen in einer NATO sind. Wir müssen auch weiter konstruktive Diskussionen mit dem gewählten US-Präsidenten führen -auch wenn es unter Donald Trump schwieriger werden könnte als unter Präsident Biden. Dennoch braucht Europa seine eigenen Sichtweisen, wir können nicht nur den Amerikanern hinterherrennen. Wir dürfen uns nicht abhängig von Entscheidungen machen, die anderswo auf der Welt getroffen werden.

Revue: Gibt es eigentlich Amtskollegen, zu denen Sie einen besonders guten Draht haben?

Luc Frieden: Wenn ich drei nennen müsste, dann den portugiesischen Premierminister Luis Montenegro, der mich schon im Wahlkampf in Ettelbrück unterstützt hat, den polnischen Premierminister Donald Tusk und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. In einem Jahr sind da schon gewisse Freundschaften entstanden.

Revue: Lassen Sie uns noch über die anstehenden Feiertage reden. Was erwarten Sie sich von 2025?

Luc Frieden: Politisch hoffe ich, dass wir weitere Punkte im Koalitionsabkommen mit der gleichen Energie umsetzen wie bisher. Politisch soll also einiges geschehen. Privat wünsche ich meiner Familie und mir selbst natürlich eine gute Gesundheit. Ich werde auch versuchen, in den kommenden zwölf Monaten mehr Zeit zu schaffen, um Sport zu treiben. Das kam 2024 definitiv zu kurz (lacht).

Revue: Worin finden Sie noch einen Ausgleich zur Politik?

Luc Frieden: Beim Hiking im Wald oder in den Bergen, beim Schifahren oder Wassersport, oder wenn ich mich mit guten Freunden zum Essen treffe. Das sind die Dinge, bei denen ich Energie tanken kann.

Revue: Können Sie überhaupt ganz abschalten?

Luc Frieden: Nein, das konnte ich noch nie, und ich denke, ich brauche es auch nicht. Premierminister ist man 24 Stunden am Tag. Das ist für mich aber keine Last. Vielmehr verleiht es mir sogar Energie.

Revue: Wie könnte man Ihnen zu Weihnachten eine Freude bereiten?

Luc Frieden: Die größte Freude für mich ist nicht materieller Natur, sondern ein gemütliches Zusammen sein mit meinen Kindern und dem Rest meiner Familie bei einem Raclette oder Fondue in den Bergen. Deshalb werden wir auch dieses Jahr die Festtage in den Alpen verbringen.

Revue: Sind Sie leicht zu beschenken? Was sagt Ihre Familie dazu?

Luc Frieden: Da müssen Sie schon meine Familie fragen. Ich denke aber, es ist leicht, Geschenke für mich zu finden. Ich schätze nämlich die Geste mehr als den materiellen Aspekt.

Revue: Haben Sie eigentlich die Zeit, Geschenke selbst zu besorgen, oder shoppen Sie im Internet?

Luc Frieden: Die Geschenke besorge ich selbst. Wir haben ein Abkommen in der Familie, dass wir uns nicht übermäßig beschenken. Das Los entscheidet, wer wen beschenkt. Und ich freue mich darauf, diese Geschenke selbst zu besorgen.

Regierungsmitglied

FRIEDEN Luc

Organisation

Staatsministerium

Datum des Ereignisses

11.12.2024