"Ökoviertel made in Luxemburg"

Interview von Claude Turmes im Luxemburger Wort

Interview: Luxemburger Wort (Nicolas Anen)

Luxemburger Wort: Claude Turmes, mit den vielen Industriebrachen, die jetzt zur Verfügung stehen, steht der Süden vor einem Aufschwung. Entsteht ein Gegenpol zur Hauptstadt?

Claude Turmes: Die Stadt Luxemburg wird im Bereich der Banken, der Dienstleistungen und der EU-Institutionen nicht zu übertrumpfen sein. Wichtig bei der Landesplanung ist aber, ein Land ausgewogen zu entwickeln. Im Süden stellt Belval eine Success Story dar. Dies gilt auch für Differdingen mit der Kreativfabrik. Das zeigt, dass der Süden sich vom traditionellen Industrie- zum Innovationsstandort entwickeln kann. Das soll weiter gefördert werden. Die Frage stellte sich, welchen Mix wir auf der Metzerschmelz wollen. Es wurde entschieden, relativ viele Aktivitäten, neben dem Wohnen, dort zu entwickeln. Dies, weil wir den Süden in seiner Arbeitsplatzbeschaffung stärken wollen. Der Süden soll keine Schlafsiedlung der Stadt Luxemburg werden.

Luxemburger Wort: Nichtsdestotrotz steht aber fest, dass auf dem Areal der Metzerschmelz 50 bis 60 Prozent für Wohnzwecke bestimmt sind. Und da sind Strukturen wie Schulen nicht mitgezählt.

Claude Turmes: Agora, die beiden Gemeinden Esch und Schifflingen sowie ArcelorMittal sehen tatsächlich etwa 50 Prozent an Wohnfläche dort vor, sowie einen sehr hohen Anteil an Sozialstrukturen wie Schulen, Altersheime, ein Lyzeum. Das ist für die Escher und die Schifflinger Gemeinde sehr wichtig, weil sie auf ihrem der- ' zeitigen Gebiet teilweise keinen Platz mehr dafür haben. Wir sehen aber auch Raum für Innovation und andere Aktivitäten vor. Prozentzahlen sagen nichts darüber aus, wie viele Arbeitsplätze geschaffen werden. Für einen Büroplatz braucht man zehn bis 15 Quadratmeter. Für eine Wohnung aber mindestens 50 Quadratmeter. Unsere Vorgaben entsprechen ein paar Tausend Arbeitsplätzen. Damit auf dem Gelände der Metzerschmelz nicht nur ein reines Wohnviertel entsteht.

Luxemburger Wort: Von welchen Arbeitsplätzen reden wir?

Claude Turmes: In Belval steht die Universität.  Eine Idee für die Metzerschmelz könnte ein größeres Start-up-Haus sein. Weitere Ideen soll der Wettbewerb, der jetzt beginnt, ermitteln. Er ist einmalig für Luxemburg. Hier werden vier verschiedene Teams mit internationaler Erfahrung ins Rennen geschickt. Wir haben darauf bestanden, dass neben Architekten und Urbanisten auch Soziologen Teil dieser Teams sind. Sie werden sich sozusagen eine Woche lang auf dem Gelände zurückziehen und beraten. Der andere Aspekt ist, dass wir die Bürger mit einbinden. In einer Art und Weise, wie es hierzulande noch nie der Fall war. Bürger können sich morgen vor Ort umschauen. Und dann während der kommenden Woche die Teams, die die Projekte ausarbeiten, befragen. Dadurch hoffen wir auf einen guten Ideenaustausch. Und zu ermitteln, was die Seele vom neuen Viertel sein wird.

Luxemburger Wort: Was könnte diese sein?

Claude Turmes: Hier kann auf eine Geschichte, eine Kultur aufgebaut werden. Dii Metzerschmelz ist der Platz, wo 1942 der Generalstreik stattgefunden hat. Das war wohl eine de] couragiertesten politischen Aktionen, die Luxemburger je gestartet haben. Es stehen auch schöne Gebäude dort, wie das Walzwerk, aber auch der Wasserturm und sein Pumpwerk, die wir erhalten möchten. Außerdem hat die Metzerschmelz einen riesigen Vorteil Sie befindet sich mitten in der Natur. Der Lallénger Bierg ist einer der schönsten Plätze, die es meiner Meinung nach in Luxemburg gibt. Auf der anderen Seite befindet sich das Feuchtgebiet, der Schifflinger Brill. Dieses soll durch die Renaturierung der Dipbech und der Alzette vergrößert werden. Ein weiterer riesiger Vorteil ist die Nähe zur Escher Rue de l'Alzette. Das Areal soll dessen Verlängerung darstellen.

Was einerseits den zukünftigen Bewohnern Einkaufsmöglichkeiten gibt. Und anderseits wollen wir dem Kern der Eschèr Geschäftswelt, der in den vergangenen Jahren unter Belval gelitten hat, neuen Schwung verleihen.

Luxemburger Wort: Sie haben die vier Teams angesprochen. Danach soll eine Jury darüber entscheiden, welches der vier Projekte umgesetzt wird. In dieser Jury sind aber auch sieben Vertreter von ArcelorMittal. Besteht nicht das Risiko, dass mehr nach Rendite als nach Interesse für die Region geschaut wird?

Claude Turmes: Das sieht nach viel aus. Aber neben den sieben Vertretern von ArcelorMittal bilden auch sieben Vertreter vom Staat, drei von den Gemeinden und sechs Experten die Jury. Es sind also sieben von 23. Für jemanden, dem 85 Prozent des Areals gehören, ist das eher unterrepräsentiert. Das zeugt auch von Vertrauen von Arcelor-Mittal.

Luxemburger Wort: Wie ist es mit der Verseuchung des Geländes?

Claude Turmes: Die Sanierung müssen wir sorgsam angehen. Luxemburg hat mit der Schweiz die strengsten Regeln, was die Altlastensanierung betrifft. Alles geschieht auf wissenschaftlicher Basis. Es wurden über 200 Bohrungen durchgeführt. Es ist nicht so, dass alles verschmutzt ist. Wir haben ein Kataster erstellt. Klar ist, dass die Umweltverwaltung das letzte Wort hat.

Luxemburger Wort: Es ist aber auch eine Frage des Geldes. In Belval war eine Summe mit ArcelorMittal für die Sanierung vereinbart worden. Als diese erreicht war, mussten Steuergelder eingesetzt werden. Wird es auf der Metzerschmelz anders geregelt?

Claude Turmes: Die Idee ist folgende: Die Einnahmen, die wir über Jahrzehnte beziehen werden, sollen reichen, um die Sanierung zu bezahlen. In Belval wurde deutlich, dass man in den ersten Jahren mehr ausgeben muss, als man einnimmt. Mittlerweile werden nun in Belval aber Gelände verkauft und dadurch ist eine gewisse Rentabilität gewährleistet. Es soll versucht werden, dieses Konzept auch auf der Metzerschmelz umzusetzen.

Luxemburger Wort: Wie nachhaltig wird das neue Viertel?

Claude Turmes: Luxemburg soll Vorreiter im Bereich der Ökoviertel werden. Vorstellbar ist eine Art Label "Ökoviertel made in Luxemburg", sei es in Schifflingen, Düdelingen oder Wiltz. Sprich null CO2-Ausstoß bei den Gebäuden und Priorität auf sanfter Mobilität. In Düdelingen versuchen wir Tiefenbodenwärme zu nutzen. Hier wurde eine sogenannte geologische Anomalie entdeckt. Wir kommen dadurch schneller in warme Gesteine als gedacht. Wir sprechen von einer Tiefe von 500 600 Metern. Wir prüfen derzeit, ob diese geologische Anomalie auch bis nach Esch und zur Met- zerschmelz reicht. Dann könnte das auch dort angewendet werden. Und das würde mich als Energieminister freuen.

Luxemburger Wort: Und in puncto Mobilität?

Claude Turmes: Die Metzerschmelz wird in dieser Hinsicht vorbildlich sein. Zug, Schnelltram unl schnelles Bussystem werden zusammenkommen. Sodass daraus einer der bestangeschlossenen Standorte des Landes wird. Eine weitere Neuerung ist, dass keine Tiefgaragen gebaut werden. Es geht nicht mehr vom Schlafzimmer in die Garage. Es ist ein Konzept das in Freiburg umgesetzt wurde. Fahrrad, zu Fuß gehen, Car-Sharing und öffentlicher Transport bieten sich an, ehe man den Reflex hat, den eigenen Wagen zu nutzen.

Luxemburger Wort: Eingesparte Sanierungskosten, weil man nicht im verseuchten Boden graben muss, dürften aber auch eine Rolle gespielt haben.

Claude Turmes: Ganz genau. Wir sollten generell in Luxemburg mehr in die Richtung gehen, zu viel Bodenaushub, der wieder deponiert werden muss, zu verhindern.

Luxemburger Wort: In der Escher Lentille Terres Rouges ist es ein Privatunternehmen, das das Gelände entwickelt. Wie beurteilen Sie das?

Claude Turmes: Es war eine Entscheidung von ArcelorMittal, das Gelände an einen privaten Promoter zu verkaufen. Dieser hatte viele Gespräche, nicht nur mit der Escher Gemeinde, sondern auch mit den staatlichen Vertretungen. Seine Idee ist es, ein Vorzeigeviertel im Bereich der Ökologie zu schaffen.  Also auch ein Ökoviertel. Sodass die Sterne eher gut stehen.

Luxemburger Wort: Der frühere Escher Schöffe Henri Hinterscheid hat eine Metropole de l'Alzette ins Gespräch gebracht, die von Belval über Esch nach Schifflingen reichen würde.  Sollten die Gemeindegrenzen gesprengt werden?

Claude Turmes: Durch Belval sind Esch und Sassenheim zusammengewachsen und via die Metzerschmelz wird Esch mit Schifflingen enger zusammenwachsen. Ob diés aber einmal eine Metropole de l'Alzette wird, das müssen die drei Gemeinden, ihre Einwohner und ihn Gemeinderäte entscheiden.

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