Interview von Claude Turmes im Forum

"Die Seele Luxemburgs ist die erstaunliche Nähe zur Natur"

Interview: Forum 

Forum: Claude Turmes, als Abgeordneter im EP haben Sie sich mit Energie- und Klimapolitik beschäftigt. Bei der Regierungsbildung haben Sie dann auch das Dossier Landesplanung erhalten. Wurde es Ihnen zugeteilt, weil es am Ende noch übrig war, oder reizt Sie etwas an diesem Dossier? 


Claude Turmes: Als junger Mensch habe ich mich für ein Sportstudium entschieden. Als Alternative hatte ich damals auch Geografie im Visier. Ich bin ein leidenschaftlicher Kartenleser, mich interessieren — auch wenn ich bisher nicht an vorderster Front daran mitwirken konnte — Planung, Architektur, Stadt und Land. Landesplanung ist ein wertvolles Dossier für einen Minister, auch für mich persönlich. 

Forum: Wenn Sie heute auf eine Karte schauen und Luxemburg von oben betrachten, was sehen Sie dann? Was fällt Ihnen auf? 

Claude Turmes: Landesplanung wird oft schlechtgeredet. Ich denke nicht, dass alles schlecht gelaufen ist. Wir hatten das Glück, Paul Helminger als Bürgermeister der Stadt Luxemburg zu haben, der dafür gesorgt hat, dass eine Stadt, die lange Jahre eingefroren war, sich zu einer wahren Hauptstadt entwickeln konnte, deren Einwohnerzahl von 76.000 im Jahr 2001 auf mittlerweile über 116.000 angestiegen ist. Die Landesplanung hat auch das Projekt "DICI" hervorgebracht, der Zusammenschluss der Stadt Luxemburg mit den Gemeinden Bertrange, Leudelange, Hesperange und Strassen zu einer Zweckgemeinschaft im Transport- und Parkmanagement. Auf diese Weise ist eine Agglomeration im Zentrum, rund um Luxemburg-Stadt und die umliegenden Gemeinden entstanden. Die PROSUD-Konvention hat zur Zusammenarbeit unter den Süd-Gemeinden geführt, wo zurzeit das Projekt "Man and Biosphere" entwickelt wird. Auch Belval hätte es ohne die Landesplanung nie gegeben. Ein weiteres Beispiel ist das Quartier Alzette zwischen den Gemeinden Esch und Schifflange, die quasi zu einer "Minette-Metropole" zusammenwachsen. Bleibt die Entwicklung der Nordstad, die von der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung her zwar weniger gut verlaufen ist als Zentrum und Süden, die wir aber durch die Nordstad-Konvention dazu bringen konnten, Fusionsgespräche aufzunehmen. 
Auf diesen positiven Aspekten muss man in den kommenden Jahren aufbauen. 
Sicherlich gab es stellenweise zu viel Zuwachs in ländlichen Gemeinden, die weniger gut an den öffentlichen Transport angebunden sind, aber wir hatten auch positive Ergebnisse. 

Forum: Was man in den letzten Jahren beobachten konnte, ist vor allem eine Verdichtung des Raumes, insbesondere in den drei von Ihnen aufgeführten Entwicklungszentren. Wo wird uns diese Verdichtung hinführen? Was ist Ihre Vision von dem, was auf Luxemburg in den kommenden Jahren zukommen wird? 

Claude Turmes: Die Devise lautet: "innen vor außen". Wir haben durch die Studie "Raum Plus", die François Bausch seinerzeit als Landesplanungsminister in Auftrag gegeben hat und die in Zusammenarbeit mit einem Schweizer Büro entstanden ist, festgestellt, dass wir weitere 120.000 bis 150.000 Einwohner in die bestehenden PAGs integrieren können. Das Wichtigste ist, dass der verfügbare, potenzielle Bauraum in den bestehenden PAGs jetzt genutzt wird. Mit der neuen Wohnungsbauministerin Sam Tanson arbeiten wir an einem Projekt zur weiteren Verdichtung der luxemburgischen Städte und Gemeinden. Unser Vorbild ist die Stadt Wien, der es durch Aufstockung auf bestehende Wohnhäuser gelungen ist, auch finanziell "added value" zu generieren. 50 oder 80 Quadratmeter Wohnfläche auf Limpertsberg, in Bonnevoie oder Belair bedeuten viel Geld. Durch Aufstockung der bestehenden Gebäude ließen sich durch das zusätzliche Geld Anlieger- und Mehrgenerationenwohnungen bauen und energetische Sanierungen durchführen. 

Unser zweiter Schwerpunkt ist es, große Industriebrachen zu entwickeln: Dudelange, Wiltz, die zentrale Achse zwischen Diekirch und Ettelbrück, wo inzwischen eine Entwicklungsgesellschaft gegründet wurde. Und schließlich das Vorzeigeprojekt "Quartier Alzette" zwischen Esch und Schifflange. Es geht also um die Schließung von Baulücken innerhalb der bestehenden PAGs, Verdichtung im Bestand und große Neubauprojekte — übrigens auch auf dem Kirchberg. Der Fonds Kirchberg wird in den kommenden Jahren verstärkt Wohnungsbau betreiben, damit 10.000-12.000 Menschen auf Kirchberg angesiedelt werden können. Ich denke, dass die Antwort auf Ihre Frage lautet, die Menschen dahin zu bringen, wo die Infrastruktur ist! 

Forum: Was Sie aufgezählt haben, wäre eine Antwort für die nächsten zehn Jahre bei einem Wachstum von 10.000 Einwohnern pro Jahr, eine Zahl, die eher steigen als sinken wird — und auch nur, wenn wir keinen Nachholbedarf hätten. Was kommt in zehn Jahren? Was ist die langfristige Vision? 

Claude Turmes: Landesplanung kann nur gut sein, wenn sie vorausschauend ist. Wir arbeiten an zwei Zeithorizonten: Aktuell beschäftigen wir uns mit den sogenannten "plans sectoriels", die eine Antwort auf die heutige Situation darstellen. Der nächste Zeithorizont wäre das "Programme directeur de l'aménagement du territoire", das die Zeitspanne bis 2035 behandelt. Unsere Idee ist es, dass wir dabei nicht nur "Landesplanung 2035" machen, sondern auch die Themen Verkehr, Wohnungsbau, Naturschutz berücksichtigen und mitgestalten. Es muss Schutz-Zonen geben, die erhalten bleiben. Die Seele Luxemburgs ist die so erstaunliche Nähe zur Natur bei gleichzeitig erstklassiger Infrastruktur zum Beispiel im Kultur- oder Sportbereich. 
Und in Zukunft werden wir zudem ein erstklassiges Verkehrsnetz und mehr sowie bessere Fahrradpisten haben. 

Forum: 2035 ist also der nächste Planungshorizont, der die oben erwähnten zusätzlichen 120.000 Leute berücksichtigt. Wie sieht der darauffolgende Horizont aus? 

Claude Turmes: 120.000 ist eine Zahl, die Sie genannt haben. Solche Zahlen sind eher als Größenordnungen zu verstehen, die stark variieren und schwer vorhersehbar sind. Der nächste Zeithorizont wäre dann 2050. 
Wir sind gerade dabei, uns umzuschauen, wie sich andere Metropolen aufstellen. Es gibt "Greater Copenhagen", "Greater Helsinki", "Grand Paris" usw. Das Beispiel, das uns am relevantesten erscheint, wäre "Grand Genève", da der Kanton Genève sich in einer ähnlichen Größenordnung wie Luxemburg bewegt. Auch dort findet ein Teil der Entwicklung über die Grenze statt. An dieser Vision werden wir uns wahrscheinlich inspirieren. 

Forum: Wo wird über diese Fragen nachgedacht? Über welche eigenen Ressourcen verfügt das Ministerium? 

Claude Turmes: Im Bereich der Landesplanung haben wir als Ministerium etwa 39 Mitarbeiter, dazu gehört aber auch der europäische und internationale Teil unserer Arbeit sowie die allgemeine, transversale Abteilung für Personal und Finanzen.
Konzeptuell und inhaltlich arbeiten auf nationaler Ebene 12 Mitarbeiter. Wir haben inhouse zwar begrenzte Kapazitäten, aber auch das große Glück, mit dem USER und der Universität Luxemburg starke Partner an der Seite zu haben, mit denen wir in enger Zusammenarbeit Forschungsprojekte durchführen. Darüber hinaus ist ESPON, das für die Europäische Kommission die Grundlagenforschung für die Strukturfonds macht, nur 200 Meter von hier entfernt. Wir nutzen dieses Dreieck zwischen Ministerium, Forschung und ESPON sowie die Kompetenzen des CSAT (Conseil supérieur de l'aménagement du territoire), den wir neu besetzt haben. Neben nationalen Experten greifen wir zumindest punktuell auch auf internationale Experten zurück. 

Forum: Was bedeutet Stadt- und Landesplanung heute? In den 80er Jahren und eigentlich noch ziemlich lange in die 2000 er hinein gab es insbesondere in Luxemburg in diesem Bereich einen top down Ansatz. Das Territorium ist klein, und daraus wurde gefolgert, dass man alles ordnen könne. Heute hat man den Eindruck, dass dieser Ansatz gescheitert ist. Hat man sich vom leicht paternalistischen Konzept der Planung verabschiedet? 

Claude Turmes: Gaston Reinesch, der Chef der Zentralbank, hat bei einer Diskussion im Rahmen der Regierungsbildung einmal gesagt, dass Luxemburg eigentlich aus einer Hand geplant werden müsste. Für Luxemburg würde ich sogar so weit gehen zu sagen, dass das nicht reicht. Wir müssten Luxemburg eigentlich bis in die Großregion hinein denken und planen und das tun wir auch. Wir sind gerade dabei, ein Raumentwicklungskonzept auf Ebene der Großregion zu erstellen. 2018 wurden vier Themenhefte im Bereich Verkehr, Demographie, Umwelt und Wirtschafft erstellt, um die Stärken und Schwächen der Großregion auszuloten. Basierend auf diese Resultate arbeiten wir zurzeit an einer gemeinsamen Entwicklungsstrategie für die Großregion. 

Dann ist es in Luxemburg auch so, dass wir zwei Ebenen der Politik haben: die nationale Ebene und die kommunale Ebene. Um letztere einzubinden und sozusagen eine bottom-up-Perspektive zu stärken, haben wir zwei Instrumente: Die kommunal übergreifenden Konventionen wie die vorhin erwähnte Nordstad-Konvention, die DICI-Konvention und die PROSUD-Konvention. Außerdem stärken wir das Gremium CIPU, eine Zusammenarbeit zwischen Ministerien (Landesplanung und Wohnungsbau) und einigen größeren Gemeinden, um eine Plattform für Erfahrungsaustausch bereitzustellen, die besonders jenen Gemeinden zugute-kommt, in denen größere Bauprojekte anstehen (z.B. éco-quartiers). 

Forum: Gaston Reinesch fordert, dass alles aus einer Hand geplant werden müsste. Stattdessen haben wir eine Vielzahl von einzelnen Akteuren, die alle koordiniert werden wollen. In diesem Puzzle soll man Landesplanung machen. 

Claude Turmes: Das Landesplanungsministerium ist der Ort in der Regierung, der die meiste Erfahrung und den größten Datenschatz in diesem Bereich besitzt. Der Landesplanungsminister hat dann eine Koordinationsfunktion zwischen den Sektorpolitiken, mit dem Vorteil, dass weitere Infrastrukturministerien diesmal zudem im gleichen Gebäude angesiedelt sind und in enger Partnerschaft geführt werden. 

Eine moderne Welt funktioniert nicht mehr top-down und dirigistisch, sondern ist ein Zusammenspiel — allerdings eines, das auf einer Vision und ,hard facts' der Wissenschaft und des Data-Mining basieren sollte. 

Forum: Wie viel Planung muss sein, wie viel Freiheit sollte sein in diesem Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Akteuren Regierung — Gemeinden — Eigentümer? 

Claude Turmes: Es braucht Planung, und es braucht Freiheit. Wenn beides gut gemacht ist, entsteht Kreativität und das Resultat ist gut. 

Forum: Wie würde man dieses "gut" qualifizieren? Was könnte das sein? 

Claude Turmes: Gut ist, wenn Natur und Umwelt nicht zerstört werden und die Seele von Luxemburg bewahrt bleibt, also das naturnahe Wohnen mit einem hochqualitativen Wohnen kombiniert werden kann. "Hochqualitiativ" bedeutet Gesundheit, Lärmschutz in den Gebäuden, Energieeffizienz sowie gute Anbindung an öffentlichen Verkehr und Grün-und Erholungsflächen rund um die Wohngebäude. Dort besteht natürlich eine Schnittstelle mit meinem anderen Zuständigkeitsbereich, dem Energieministerium, das ja auch das Ministerium der "construction durable" ist. Ein Projekt an der Schnittstelle zwischen Landesplanung und "construction durable" ist z.B. das Projekt "Eco-quartiers made in Luxembourg", mit dem wir die Nomenklatur und Typologie für nachhaltige Viertel entwickeln und die Erfahrungen aus Dudelange, Wiltz, Esch/Schifflange und Kuebebierg bündeln. Zu den Nachhaltigkeitskriterien eines Gebäudes gehört mehr als der Energieaspekt, sie umfassen auch Innenraum, Luftqualität, Akustik, den Einsatz nachhaltiger Materialien usw. 

Forum: Gehört zu dieser Qualität auch, dass der geschaffene Wohnraum bezahlbar ist? 

Claude Turmes: Ich denke, dass der überteuerte Wohnraum das größte soziale Problem Luxemburgs darstellt. Deswegen ist es auch so wichtig, die "plans sectoriels" nach über zehn Jahren Diskussion endlich zu einem Abschluss zu bringen. Wir werden sie noch vor dem Sommer auf Regierungsebene definitiv verabschieden, danach folgt der Avis des Staatsrats. Einer der Schwerpunkte der "plans sectoriels" ist der "plan sectoriel du logement", in dem wir die "logements à coûts modérées" explizit von zehn auf 30 Prozent Anteil bei größeren Wohnungsbauprojekten erhöhen. Das machen wir bewusst, um neben den Maßnahmen, die das Wohnungsbauministerium, der Fonds du logement und die SNHBM (Société Nationale des Habitations à Bon Marché) unternehmen, möglichst schnell zusätzliche Wohnungen zu bezahlbaren Preisen auf den Markt zu bringen.

Forum: Die luxemburgischen Gemeinden wachsen zusammen, insbesondere die Stadt Luxemburg und der Süden, Leudelingen breitet sich aus, hinzu kommen die Cloche d'Or, das Fußballstadion... Was sind die Vor- und Nachteile dieser räumlichen Verdichtung? 

Claude Turmes: In der Vergangenheit sind Fehler geschehen. Ich finde zum Beispiel, dass die Tankstellen auf der Escher Autobahn, die von den Ministern Wiseler und Schank genehmigt wurden, gegen das Prinzip einer "zone interurbaine", wie sie gesetzlich definiert ist, verstoßen. 

Deshalb ist der zweite Schwerpunkt der "plans sectoriels" der "plan sectoriel paysage", in dem wir eine "zone verte interurbaine" zwischen dem Süden und der Stadt Luxemburg bzw. dem AggloLux schaffen, um durch Erholungsraum eine höhere Lebensqualität zu gewährleisten. 

Wir wollen nicht, dass diese Ballungsräume willkürlich zusammenwachsen, sondern setzen ganz bewusst darauf, eine grüne Schneise in diesem Raum zu erhalten. Mit den sogenannten "coupures vertes" führen wir des Weiteren ein Instrument ein, das es uns erlaubt, an sehr wichtigen und empfindlichen Stellen, an denen sich Ortschaften nicht weiter in die Natur ausbreiten sollten, Tabu-Zonen für den weiteren Ausbau zu schaffen. 

Beides sind wichtige Schutzmechanismen, um einen Teil des Wildwuchses der letzten Jahre wieder einzuschränken. 

Forum: Wann werden diese Instrumente in Kraft treten? 

Claude Turmes: Voraussichtlich Ende 2019. Wenn der Staatsrat länger brauchen sollte, wird dies Anfang 2020 sein. 

Forum: Gibt es noch andere Gründe als das Erholungsargument, um die Natur in diesen Räumen zu erhalten? 

Claude Turmes: Andere Gründe sind Klimaschutz und der Biodiversitätsschwund. Wir werden in Zukunft mit teilweise sehr warmen Sommern konfrontiert sein. Wenn es in und zwischen den Städten keine Grünflächen gibt, hat das bei Temperaturen über 25-27 Grad große Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Menschen. Ich hoffe, dass die dramatischen, wissenschaftlichen Berichte über Klimaschutz und Biodiversität und Aktionen wie Fridays for Future die grüne Welle, wie wir sie bei den Europawahlen gespürt haben, stärken und innerhalb der Bevölkerung eine größere kritische Masse und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass die Bereitstellung von Verkehrsinfrastruktur und auch Wohnungsraum nicht willkürlich vorgenommen werden kann — so dass eben diese Einsicht uns dabei helfen wird, eine gute Planung durchzusetzen. 

Forum: Welche Vorteile verbinden Sie mit der Verdichtung der Städte? 

Claude Turmes: Verdichtung hat eigentlich nur Vorteile, weil sie die Natur schützt, Urbanität schafft und vor allem Kosten spart. In den AggloZentren AggloSüd und Nordstad ist die Infrastruktur — also Schulen, Sportinfrastrukturen, öffentlicher Transport — gewährleistet. Wir müssen endlich zu einer Infrastrukturdichte kommen, wie sie die Niederlande und die Schweiz schon lange aufweisen. Dafür muss auch die Tram gebaut werden. Wir merken gerade am Beispiel der Cloche d'Or, dass das Vorhaben, ein Riesenviertel zu bauen und erst nachträglich die Tram einzuführen, suboptimal ist — genau das wollen wir in Zukunft in Zusammenarbeit mit François Bausch, Carole Dieschbourg und Sam Tanson verhindern. 

Forum: Sie haben als Modell oder Inspirationsquelle für Luxemburg die Stadt Genf und ihr Umland genannt. Steht uns am Ende nicht eher Singapur oder die Niederlande bevor? 

Claude Turmes: Es gibt durchaus einige Akteure im Staat, die von Singapur träumen. Ich nicht, mein Vorbild ist eher die Schweiz, die eine ähnlich dynamische und mit Luxemburg vergleichbare Wirtschaftsund Bevölkerungsentwicklung aufweist. 

Sie hat ihre schöne Natur gerade durch die Verdichtung um die Bahnhöfe — also ein gezieltes Bauen um den öffentlichen Transport herum — geschützt. Dies versuchen wir konkret am Projekt "Midfield" rund um die Gare Howald umzusetzen, wo wir nicht vier, sondern 10 bis 15-stöckig und höher bauen, weil es dort Sinn ergibt. Wir machen derzeit eine Analyse jener Flächen, die nahe an der Eisenbahn gelegen sind und die man mit höheren Dichten ausstatten könnte. 

Ich denke, dass wir von der Schweiz viel lernen können, auch was die Instrumente anbelangt. So hat die Schweiz zum Beispiel einen Fonds geschaffen, um ländliche Gemeinden, die weniger stark wachsen als urbane Räume, finanziell aufzufangen. Luxemburg wird abwägen müssen, ob es sich bei der nächsten Gemeindefinanzreform oder in der Umsetzung der "programme directeur d'aménagement du territoire" ähnliche Instrumente wie die Schweiz geben sollte — und die Schweiz ist kein kommunistisches Land, soweit ich weiß. 

Forum: Wir hatten in den letzten Jahrzehnten in Luxemburg ein sehr starkes Wachstum und als Folgen davon überlastete Verkehrswege, Mangel an Wohnraum usw. Parallel dazu hatten wir auch lange Jahre einen Investitionsstau. Ist das Land jetzt mental dazu bereit, neue Wege zu gehen? Ich nenne mal ein paar Pisten: Erstens: in die Höhe zu bauen? 

Claude Turmes: Ja, es soll gezielt an Orten, wo eine gute Akzeptanz besteht und wo es Sinn macht, höher gebaut werden, zum Beispiel im Quartier Alzette in Esch/Schifliange. 

Dort, wo wir nahe an Wohnvierteln sind, wo heute zwei- oder dreistöckige Gebäude stehen, soll auch in Zukunft nicht siebenstöckig gebaut werden. Man soll dort höher bauen, wo wir neue Flächen entwickeln und diese behutsam in die bestehende Baukultur integrieren. 

Forum: Zweitens: das Tramnetz flächendeckend ausrollen? 

Claude Turmes: Passiert schon. 

Forum: Drittens: Tunnel bauen? 

Claude Turmes: Tunnel sind teuer. Aber Überdeckelung von Straßenraum ist machbar. Daher ist eine der Fragen von "Midfield" die Option der Überdeckelung, sodass Straßen- und Eisenbahnraum für die Urbanität zurückgewonnen werden. Wir haben Success Stories von Überdeckelungen in Wien, in Hamburg usw. Von daher denke ich, wird man in einem Land, wo Natur wertvoll und Fläche teuer ist, punktuell und an Orten, wo es sinnvoll ist, auf den Weg der Überdeckelung gehen. 

Forum: Viertens: den Flughafen verlegen, der sehr nahe am Rand der Hauptstadt liegt, eine starke Lärmbelastung verursacht und weiter wachsen will. 

Claude Turmes: François Bausch ist gerade dabei, den Druck auf die Fluggesellschaften zu erhöhen, damit in Luxemburg nur Flugzeuge landen, die auf dem neusten Stand sind und den letzten Lärmschutznormen entsprechen. Ihre Frage verstehe ich eher rhetorisch, da es überhaupt keine andere Fläche für den Flughafen in Luxemburg gibt. Soll er etwa links oder rechts neben Remich oder Wünscher liegen? 

Forum: Fünftens: systematischer Aufkauf von Agrarland, um in Zukunft über Bauland zu verfügen? 

Claude Turmes: Wir werden im Umkreis der Bahnhöfe auch beim Erwerb von Bauland vorausschauender sein als das früher der Fall war, wabei Agrarflächen wertvolle Flächen sind — auch hier gilt: innen vor außen —, wir wollen auf dem alten Bestand verdichten, Industrieflächen nutzen, Straßen und Schienen überdeckeln... das sind unsere Prioritäten. Es kann nicht darum gehen, weitere Grünflächen zuzubetonieren. 

Forum: Wir wollen die Frage präziser stellen: Vor 30, 40 Jahren haben eine Handvoll Privatleute mit Unterstützung der einheimischen Banken damit begonnen, das gesamte Agrarland im Umkreis der Bauperimeter aufzukaufen. Sie haben darauf gesetzt, dass die PAGs erweitert werden und hatten damit Erfolg. Das gigantische Projekt Cloche d'Or ist dafür ein Paradebeispiel. Wenn wir heute in der Perspektive von 30 Jahren denken, sollte der Staat dann nicht anstatt dieser Promotoren alles Agrarland — wenn es denn verkauft wird — aufkaufen und an Landwirte vermieten? So könnte dieser Spekulationskreis, den wir alle mit unseren Einlagen bei der Sparkasse unwillkürlich unterstützen, durchbrochen werden. 

Claude Turmes: Das ist ein Ansatz, wir diskutieren verschiedene Ansätze im Ministerium. 

Forum: Das luxemburgische Wirtschaftsmodell strahlt massiv über die Grenzen aus. Gibt es so etwas wie eine grenzüberschreitende Landesplanung? 

Claude Turmes: Der Druck, aber auch der politische Wille der Luxemburger Regierung, vor allem dieser Luxemburger Regierung, Landesplanung über die Grenzen hinaus zu denken, ist sehr groß. Es gab noch keinen Koalitionsvertrag, in dem dieser Punkt so tief verankert wurde. Die wissenschaftliche Grundlage davon, d.h. eine Detailanalyse der Raumentwicklung der gesamten Großregion, werden wir nach dem Sommer vorstellen. Dabei wurde im Rahmen eines Interreg-Projektes eine umfangreiche Diagnose in den verschiedenen Bereichen Transport, Landschaft, Wirtschaft usw. gemacht, die inzwischen vorliegt. Auf deren Grundlage wird es nun darum gehen, eine gemeinsame Strategie zwischen allen Partnern der Großregion zu entwickeln. Wir haben nicht nur über institutionelle, sondern auch wissenschaftliche Partner (LISER, Uni der Großregion, Städtenetzwerke Quadropole usw.) versucht, das Projekt so breit wie möglich aufzustellen, damit es möglichst abgestimmt ist. Das bringt zwar einerseits immer administrative Hürden mit sich, sorgt andererseits aber auch dafür, dass wir einen Kalender haben, an den wir uns halten müssen. 

Soweit zur wissenschaftlichen Basis. Wir haben allerdings auch einen großen politischen Willen, konkrete Projekte in Angriff zu nehmen. Die Grundlagen dafür — das ECBM (european crossborder mechanism), das die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Schaffung von gemeinsamen Transport-, Wohninfrastrukturen usw. vereinfacht — hat noch Camille Gira in Brüssel durchgesetzt. 

Meine europäische Priorität in der Landes planung ist es, die Verhandlungen dieses Instruments in den nächsten Monaten zum Abschluss zu bringen, um konkrete Projekte in Angriff nehmen zu können. 

Auch entlang der Saar-Mosel haben wir eine gute Zusammenarbeit, so bestehen etwa Überlegungen, gemeinsam mit der deutschen Grenzregion Auffangparkings und Geschäftszentren zu schaffen, um einen Teil des sehr diffusen Verkehrsaufkommens von Deutschland nach Luxemburg zu bündeln. Das sind konkrete Schritte nach Jahren von Vorarbeit, die oft von Luxemburg ausgegangen ist. 

Darüber hinaus gibt es noch das Projekt "GECT Alzette Belval", eine Zusammenarbeit zwischen einer Reihe Luxemburger und französischer Gemeinden entlang der Grenze, das langsam seine Früchte trägt. 

Forum: Als Wirtschaftsstandort ist Luxemburg auf die Regionen auf der anderen Seite der Grenzen angewiesen, was die Bereitstellung von Arbeitnehmern anbelangt. Diese Menschen verdienen im Zweifel gutes Geld in Luxemburg, bringen das nach Hause, können sich eine Wohnung kaufen oder ein Haus bauen. Die Gemeinden dort haben aber durch die Nähe zu Luxemburg praktisch keine Steuereinnahmen und keine Betriebe mehr. Auf französischer Seite sind die Kommunen durch die Nähe zu Luxemburg ärmer als eine durchschnittliche Gemeinde an einem anderen Ort in Frankreich, was enorme Diskrepanzen hinsichtlich der öffentlichen Infrastrukturen von einer Seite der Grenze zur anderen nach sich zieht. Wäre es nicht auch Aufgabe unserer Landesplanung, für diese grenznahen Gemeinden, die in unser Wirtschaftsmodell direkt eingebunden sind, Verantwortung zu übernehmen? 

Claude Turmes: Diese Problematik ist im Koalitionsabkommen angesprochen. Wir haben auf eigene Initiative hin eine neue, interministerielle Arbeitsgruppe für das "co-développement" gegründet, bei der das Landesplanungs- und Außenministerium den Vorsitz innehaben. Dort versuchen wir die Frage zu klären, wie eine zukünftige Zusammenarbeit mit der Grenzregion und den angrenzenden Gemeinden aussehen soll. 

Heute sind das zum Beispiel konkrete Projekte im Transportbereich, die sehr positiv aufgenommen werden. Der Bürgermeister von Thionville ist total happy, dass François Bausch ein Parkhaus in seiner Stadt quasi vorfinanziert und ihm dort unter die Arme greift, wo seine eigene Regierung ihn im Stich lässt. Wir haben in sechs Monaten in Luxemburg die Grundlage geschaffen, um konkret Hilfe zu leisten, während Paris für den Teil, den die französische Regierung erbringen müsste, nicht aufgekommen ist. Projekte wie dieses werden also nicht nur aus luxemburgischer Sicht als Success Story empfunden, sondern auch von den politischen Instanzen in den angrenzenden Gemeinden. Nun versuchen wir dem Ganzen ein System zu geben. 

Forum: Im Moment sieht es so aus, als ob diese Projekte allein darauf abzielen, die Arbeitnehmer, die die Grenze überschreiten, so schnell wie möglich hierhin zu bringen und sie so schnell wie möglich hier wieder heraus zu bekommen. 

Claude Turmes: Da bin ich mir nicht so sicher. Viele dieser Menschen verbringen einen Teil ihrer Freizeit hier; vom STATEC wissen wir beispielsweise, dass sie auch hier einkaufen. 

Forum: Dennoch geht es nur um eine bestimmte Mobilität, die für uns in Luxemburg von Bedeutung ist. Könnte man sich nicht vorstellen, dass Luxemburg auch für Infrastrukturen im Kultur- oder Sportbereich Verantwortung übernimmt und die Lebensqualität jener Menschen verbessert, die zwar in Luxemburg arbeiten und hier das Steueraufkommen zu 50% erwirtschaften, aber im angrenzenden Ausland ihr zu Hause haben? 

Claude Turmes: Ich will der Arbeit in dieser Arbeitsgruppe nicht vorgreifen — wir haben in den letzten Jahren in diesem Bereich viel unternommen. Jetzt geht es darum zu prüfen, ob es über den Transport hinaus noch andere Kooperationsmöglichkeiten gibt. Das, was wir als Regierung ausschließen, ist, einen Blankoscheck nach Paris zu schicken, weil wir nicht daran glauben, dass dabei auch wirklich das Beste für die Menschen hier herauskommt. Mir als Landesplanungsminister sind die Grenzgänger extrem wichtig. Ich weiß um deren Wert — nicht nur für unsere Wirtschaft.

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