"Gleichstellung ist ein Grundwert"

Interview von Taina Bofferding im Luxemburger Wort

Interview: Marc Schlammes (Wort)

Wort: Taina Bofferding, die Ministerin für Gleichstellung muss doch gewaltig stören, dass sie als Innenministerin einen von Männern dominierten Mikrokosmos vorfindet. 

Taina Bofferding: Erst einmal finde ich es ganz gut, dass beide Ressorts von einem Minister betreut werden. Auf diese Weise kann ich direkt Einfluss nehmen auf die Chancengleichheit in den Gemeinden. Wir haben eine Dienststelle, die sich mit der Gleichstellung auf lokaler Ebene befasst und sind nun dabei, eine Strategie auszuarbeiten, um die Gemeinden zu unterstützen, die Gleichstellung im Alltag mit Leben zu erfüllen. Übrigens gibt es heute schon viele Gemeinden, die sich erfolgreich engagieren. Deren Erfahrungen sollen in unsere Strategie einfließen. 

Wort: Wie haben Sie eigentlich die Stellungnahme der Gewerkschaft der Gemeindebeamten FGFC - "Nun wird es dann wohl eine junge Frau sein" - zu Beginn Ihrer Amtszeit aufgenommen? Unverblümter konnte eigentlich nicht ausgedrückt werden, dass bei der Chancengleichheit noch ein weiter Weg zurückzulegen bleibt. 

Taina Bofferding: Ganz genau. Es ist der treffende Beleg dafür, dass ein Ministerium für Gleichstellung gebraucht wird und es offenbart, dass immer noch viel Arbeit vor uns liegt. Im Besonderen ist es ein Beispiel dafür, dass es vornehmlich Frauen sind, die mit derartigen Stereotypen behaftet sind und dagegen anzukämpfen haben. 

Wort: Auch wenn es, wie Sie sagen, gebraucht wird, so wird das Ministeramt für Gleichstellung oft als Anhängsel wahrgenommen. Wie wollen Sie der Thematik ihren Stempel aufdrücken? 

Taina Bofferding: Im Vergleich zu anderen Ministerien ist es ein kleines Ministerium. Aber es ist ein wichtiges Ressort: Die Gleichstellung ist ein Grundrecht. Es geht letztlich um eine gerechte und solidarische Gesellschaft. Es ist folglich alles andere als ein "Nice to have"-Ministerium. Wir sind in Luxemburg in der günstigen Lage, dass auf legislativer Ebene in der jüngeren Vergangenheit viel geleistet wurde. Nun müssen wir es noch schaffen, dass diese gesetzlichen Bestimmungen in unserem Alltag gelebt werden. Deshalb sehe ich für das Ministerium auch zwei große Missionen: Einerseits bestehende Ungerechtigkeiten beheben und andererseits die Gleichstellung fördern, beispielsweise, wie erwähnt, in den Gemeinden oder auch in den Schulen und Betreuungsstrukturen. 

Wort: Eine Online-Befragung hat unlängst die fehlende Gleichbehandlung bestätigt. Und doch bleibt der nächste Schritt, diese Schieflage zu begradigen, zumeist aus. 

Taina Bofferding: Was unseren Alltag immer noch sehr stark beeinflusst, sind Stereotypen, die sehr tief verwurzelt sind. Um dies zu verstehen, haben wir bei der Uni Luxemburg eine Studie in Auftrag gegeben, die die Lage der Jugendlichen hierzulande unter die Lupe nimmt. Aufgrund der daraus resultierenden wissenschaftlichen Erkenntnisse kann die Politik dann Maßnahmen ergreifen. Beispiel Berufsorientierung: Es muss uns darum gehen, Talente und Interessen zu fördern. Es kann nicht das Ziel sein, irgendeinem Schubladendenken gerecht zu werden. Genauso wenig darf es um Gleichmacherei gehen. 

Wort: Als Innenministerin sind Sie mit einer anderen Schieflage konfrontiert: Große Hoffnungen werden nun in die Gemeinden gesetzt, die Lage am Wohnungsmarkt zu verbessern. Wie wollen Sie die Kommunen begleiten? 

Taina Bofferding: Der Wohnungsbau ist eine immense Herausforderung, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Wir benötigen die tatkräftige Unterstützung der Gemeinden. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns mit den Bedürfnissen der Gemeinden vertraut machen. Das geschieht zurzeit mit der Bewertung des Pacte logement, bei dessen Neuauflage das eine oder andere Instrument anders ausgerichtet wird. Im Intérieur sind wir auch dabei, bei den Baulandverträgen letzte juristische Fragen zu klären. Mit diesem Instrument schaffen wir eine Positivplanung, da es uns die Möglichkeit gibt, innerhalb bestimmter Fristen ausgewiesene Flächen zu erschließen. Und dann bleibt die Reform der Grundsteuer, um der Spekulation, die ein großes Problem ist, entgegenzuwirken. 

Wort: Wobei heute nichts die Gemeinden davon abhält, die Grundsteuer zu erhöhen, da es sich um eine kommunale Steuer handelt. 

Taina Bofferding: Es hat in der Vergangenheit ein paar Gemeinden gegeben, die eine Art Spekulationssteuer eingeführt haben, was jedoch mit einer Reihe von juristischen Problemen einherging. Wenn wir nun die allgemeinen Bebauungspläne überarbeitet haben, verfügen wir landesweit über verlässliche Angaben, anhand derer wir einen generellen Berechnungsmodus aufstellen können. 

Wort: Eben bei diesen Bebauungsplänen stehen eine ganze Reihe an Gemeinden vor dem Problem, dass sie die überarbeitete Fassung nicht fristgerecht bis zum 1. November einreichen. Eine weitere Verlängerung kommt nicht in Frage. Und dann? 

Taina Bofferding: Viele Gemeinden arbeiten derzeit mit Hochdruck daran, noch vor dem 1. November ein erstes Mal über ihren Plan d'aménagement général (PAG) abzustimmen, sodass die Prozedur lanciert ist. Die eine oder andere Kommune wird die Frist allerdings nicht einhalten, mit der Konsequenz, dass sie nach dem 1. November 2018 (sic!) weder Teilbebauungspläne annehmen noch punktuelle Anpassungen an ihrem PAG vornehmen dürfen. 

Wort: Droht Ihnen folglich zur Rentrée kein prozeduraler Stau im Innenministerium, wenn zu viele Gemeinden auf einmal ihre neuen Bebauungspläne einreichen? 

Taina Bofferding: Dieses Szenario wollen wir verhindern, indem wir die notwendigen Umstrukturierungen im Intérieur vorgenommen haben. So sollten wir den für Herbst zu erwartenden Rush bewältigen können. 

Wort: Sie selbst wollen bis zum Ende der Legislaturperiode das Gemeindegesetz reformieren. 

Taina Bofferding: Es geht darum, die gesetzlichen Bestimmungen an die Aufgaben und Herausforderungen von heute anzupassen. Vor 30 Jahren, als das jetzige Gesetz in Kraft trat, hatten die Gemeinden beispielsweise sehr wenig mit Kinderbetreuung zu tun. Das ist heute anders. Der Zeitpunkt ist nun reif, zu definieren, welche Mittel eine Kommune benötigt, um den Anforderungen von heute und morgen gerecht zu werden. Das Ganze soll auf partizipativer Basis erfolgen, das heißt, dass die Gemeinden mit all ihren Akteuren in diesen Reformprozess eingebunden werden. Nur so können wir von den kommunalen Kompetenzen und Erfahrungen profitieren und nur so können wir den Slogan der Reform, "Mateneen fir eng modern Gemeng", mit Leben erfüllen. 

Wort: Sie haben den partizipativen Ansatz angesprochen. Fördern Sie damit nicht die Illusion, es allen 102 Gemeinden mit ihren Besonderheiten - klein/groß, arm/reich, städtisch/ländlich - recht machen zu wollen? 

Taina Bofferding: Gerade aufgrund dieser Vielfalt - und vergessen Sie nicht das Zusammenwirken von Mehrheit und Opposition - setzen wir auf die Beteiligung der Bürger. Beteiligung bedeutet in diesem Fall nicht, einmal kurz den Puls zu fühlen. Die Partizipation sieht mehrere Etappen vor, mit dem Ziel, gemeinsam pragmatische Lösungen zu formulieren, die auf allgemeine Akzeptanz stoßen. 

Wort: Ein kommunalpolitischer Dauerbrenner bleiben die Fusionen. Das Koalitionsabkommen liest sich sehr zurückhaltend. Wäre nicht, vor dem Hintergrund der vielfältigen Aufgaben, die die Gemeinden zu bewältigen haben, die Reform der "loi communale", eine gute Gelegenheit zum Handeln? 

Taina Bofferding: Um es vorwegzunehmen: Mit mir wird es keine forcierten Fusionen geben. Die Initiative zum Zusammenschluss muss von den Gemeinden selbst ausgehen. Ab dem Moment, wo das Interesse zur Fusion besteht, wird das Intérieur diesen Prozess natürlich mit Rat und Tat begleiten. Derzeit arbeiten wir an einer Art "Best practices"-Broschüre mit Beispielen von gelungenen Fusionen. 

Wort: Einige Gemeinden flirten derweil heftig mit einem Bezirkswechsel. Wie wollen Sie dieses Thema - auch mit Blick auf die kommenden Wahlen 2023 - angehen? 

Taina Bofferding: Solch ein Wechsel kann nicht von heute auf morgen erfolgen, da es nicht nur um gesetzliche, sondern auch um verfassungsrechtliche Aspekte geht. Von daher sollten wir eine Diskussion auf der Grundlage des Fragenkatalogs führen, den der Premierminister zum Wahlmodell erstellt hat. Und wenn beispielsweise die Antwort ein einziger Wahlbezirk wäre, müsste die Frage nach dem dazu passenden Wahlsystem eine Antwort finden. 

Wort: Die Reform der Rettungsdienste ist seit Juli 2018 unter Dach und Fach. Eine Situation, die Sie als Chancengleichheitsministerin nicht zufrieden stellen kann, ist, dass im Rettungsdienst vornehmlich Luxemburger und Männer engagiert sind. 

Taina Bofferding: Beim CGDIS ist man sich dieser Tatsache bewusst und Generaldirektor Paul Schroeder hat unlängst bei der Bilanzpressekonferenz darauf hingewiesen, dass wir es uns nicht leisten können, auf 50 Prozent der Bevölkerung zu verzichten. Es führt demnach kein Weg daran vorbei, dass der Rettungsdienst in Luxemburg in Zukunft inklusiver wird und sich in stärkerem Maße um das Engagement von Frauen und ausländischen Mitbürgern bemüht. 

Wort: Ein Thema, das Ihnen am Herzen liegt, ist die Gestaltung der zivilen Feiern in den Gemeinden ... 

Taina Bofferding: ... die sich in diesem Bereich viele Fragen stellen und wo wir als Ministerium gefordert sind, angemessene Antworten zu liefern. 

Wort: Beispielsweise ... 

Taina Bofferding... beispielsweise die Möglichkeit einer zivilen Eheschließung in einer entweihten Kirche. Wir wollen die gesamte Thematik im kommenden Jahr angehen, mit dem Ziel, für mehr Flexibilität zu sorgen. Gelingt es uns, die gesetzlichen Bestimmungen etwas aufzulockern, dann lassen wir da und dort eine individuelle Note zu, was wiederum den Gemeinden entgegenkommt und den betroffenen Bürgern hilft. 

Wort: Sie haben sich in jüngerer Vergangenheit ein ums andere Mal auch mit dem Innenleben Ihrer Partei beschäftigt. Wäre es da nicht eine logische Konsequenz gewesen, ein parteipolitisches Spitzenamt anzustreben? 

Taina Bofferding: Seit Dezember 2018 bin ich in der Regierung und will diese Aufgaben verantwortungsvoll bewältigen. Das bedeutet aber nicht, dass es mich nicht mehr interessiert, was nun in der Partei passiert. Auch als Regierungsmitglied bleibe ich Sozialistin und es liegt mir am Herzen, dass es mit der LSAP wieder aufwärts geht. Bei diesem Prozess werde ich auch mithelfen. Erste Schritte hin zum Renouveau sind bereits erfolgt, nun müssen unter Regie der neuen Parteispitze die nächsten Etappen folgen. 

Wort: Welche Etappen sind denn Ihrer Meinung nach zu bewältigen, damit die LSAP im Superwahljahr 2023 ihr derzeitiges Tief überwindet? 

Taina Bofferding: Wichtig erscheint mir eine frühzeitige Rekrutierung bei der Aufstellung der Listen. Es gilt, jetzt schon strategisch vorzugehen und zu sehen, über welche Profile die Partei bereits verfügt und welche noch fehlen. Es muss gelingen, jene Menschen, die politisch interessiert und aktiv sind, abzuholen und ihnen Perspektiven aufzuzeichnen, wie sie sich in der LSAP verwirklichen können. Ich denke da insbesondere an die Jugend, wo die "Fridays for Future"-Bewegung doch sehr deutlich vor Augen führt, dass sie sich mit ihren Ideen in die politischen Gestaltungsprozesse einbringen wollen. 

Wort: Was tut Taina Bofferding, um in ihrem Urlaub Abstand von der Politik zu gewinnen? 

Taina Bofferding: Ich werde in jedem Fall viel Zeit mit Freunden und Familie verbringen und ich freue mich darauf, neben meiner politischen Pflichtlektüre, mal wieder einen guten Krimi zu lesen. 

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