Europa auf dem Sprung. Rede von Premierminister Jean-Claude Juncker (Katholische Akademie in Bayern)

Lieber Theo Waigel,
Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich möchte Sie, als die zahlreich hier versammelten, nicht beleidigen, aber ich bin hier, weil es Theo Waigel gibt. Ich habe zusammen mit Theo Waigel vieles zu bewirken versucht in Europa, aber auch manche „Schlägerei“ mit ihm gehabt. Es gibt etwas, das in der Politik ja nicht anders ist als im normalen Leben auch: Man mag sich oder man mag sich nicht. Man versteht nicht alles was der andere sagt, aber wenn man das Gefühl hat, dass man sich im Wesentlichen auf einer Linie befindet, sich in dieselbe Richtung bewegt, dieselben Wasser durchschwimmt, dann wird alles möglich. Deshalb denke ich an Theo Waigel, von dem ich nie in der Vergangenheitsform rede, gerne zurück was seine Tätigkeit in Europa anbelangt. Theo Waigel hat sich nicht nur um Deutschland verdient gemacht, sondern auch um die Europäische Union und die europäische Integration. Als Vertreter des kleinen Nachbarlandes Luxemburgs möchte ich ihm auch heute Abend hier in München, in seinem München, herzlich danken.

Was wir in den vergangenen Jahren gemeinsam zustande gebracht haben, kann man heute feststellen, obwohl es ja inzwischen zur europäischen Normalität gehört, dass man sich über das Erreichte kaum noch zu freuen traut. Das hat wesentlich mit dem übergroßen Einfluss der elektronischen öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland und in Europa zu tun. In Deutschland wird man ja nur dann zum beliebten Redner, wenn man sich pausenlos beklagt, wenn man die neue deutsche Tugend der Larmoyanz zu Höchstblüten treibt und wenn man erklärt, die Dinge wären noch nie so schlecht gewesen wie sie zur Zeit sind. Die Italiener verstehen das nicht mal in Übersetzungen.

Was wir in Europa geschafft haben - das sage ich als jemand der zwar ein begeisterter Europäer ist, aber kein Europafanatiker im Sinne eines Euro-Euphorikers - ist beeindruckend. Theo Waigel hat eben von meinem Vater und damit auch von der Generation meines Vaters geredet. Das ist ja ein unwahrscheinlicher Vorgang, den wir in Europa gemeinsam, grenzüberschreitend, zu bewerkstelligen haben. Da kommen Menschen 1945 von den Frontabschnitten zurück, aus den Konzentrationslagern, Menschen wie mein Vater - Theo hat darauf hingewiesen, vier seiner Brüder - in ihre zerstörten Dörfer, in ihre zerstörten Städte und diese Menschen sagen sich, dass sie zum allerersten Mal in der europäischen Geschichte Ernst machen möchten mit diesem ewigen Nachkriegssatz „Nie wieder Krieg“. Dieser Satz „Nie wieder Krieg“ wurde zu einem politischen Programm für viele, zu einem millionenfach geäußerten Gebet. Die Menschen haben es geschafft Frieden herbei zu führen, obwohl niemand dachte, dass in Europa zwischen Staaten, zwischen Nationen, zwischen Menschen, die sich gestern noch bekämpft haben, Frieden einkehren könnte. Bis zum heutigen Tage wird diese europäische Friedensleistung weltweit bewundert, weil aus der einfachen Lektüre der Geschichte, der Vorgänge, der Zerwürfnisse, der Irrungen und Wirrungen des europäischen Kontinents eigentlich nur die Schlussfolgerung übrig bleibt, dass es nie etwas werden kann mit einem gemeinsamen Europa. Dennoch hat das die Generation unserer Eltern, meiner Eltern, meines Vaters, meiner Mutter hingekriegt und man sagt: Ja, Europa, das ist das Werk von de Gaulle, von Adenauer, von Schumann, von Monet, von De Gasperi, von Bech, von Spaak, von vielen andern. Nichts hätten diese Männer hingekriegt, wenn die Menschen es nicht so gewollt hätten!

Politiker entscheiden nie über Weichenstellungen. Sie können Weichenstellungen veranlassen, erleben tun sie erst die, die die Kreuzungen überqueren. Aus diesem Grund ist dies das gemeinsame Werk der Vernunft der Regierenden und der Einsicht der Menschen. Dass wir uns darüber nicht mehr freuen können, dass wir heute europäische Normalität in vollem Umfang erleben, dass Luxemburger Reden in München halten, dass Münchner Reden in Luxemburg halten, dass wir heute Abend einem luxemburgischen Schauspieler begegnet sind, der heute Abend hier in München auf der Bühne steht, all dies ist Zeichen europäischer Normalität. Es hätte aber auch ganz anders kommen können. Die Europäer hätten weitermachen können mit der Unvernunft der Regierenden, mit der Uneinsichtigkeit der Menschen. Dass es so gekommen ist, darüber sollten wir uns eigentlich andauernd und fortwährend freuen. Wir schulden es der Lebensleistung der Kriegsgeneration, dass wir uns über die europäische Einigung freuen. Wir sind eigentlich die schwachen Erben großer Architekten. Diese großen Architekten waren unsere Eltern und die Generation, die noch gegeneinander Kriege geführt hat und die für uns entschieden hat, dass es nie mehr dazu kommen darf. Unsere Aufgabe ist es dieses Werk auch weiterzuführen.

Auch über jüngste Erfolge verstehen wir es nicht uns zu freuen. Ich rede vom Euro. Als wir uns 1991 - ich hatte damals den Vorsitz im Ministerrat zu gestalten - auf den Weg gemacht haben, die Europäische Union, die damals noch nicht so hieß - sie hieß noch Europäische Gemeinschaft - auf den Euro vorzubereiten, da wurden wir von vielen belächelt. Von deutschen Professoren, die immer über die Leistungen anderer lächeln, von Ministerpräsidenten, in Nord und auch in Süd, die dachten, wir würden irgendwelchen Hirngespinsten anhängen, von vielen die sagten, man solle sich von schwierigen Aufgaben weit entfernt halten, wenn man in Europa tätig sein wollte.

Ich erzähle immer die Geschichte - um keine süddeutsche erzählen zu müssen - des amerikanischen Finanzministers Rubin. Ich war im August 1995 - ich war damals wie heute Premier- und Finanzminister - in Washington bei US-Präsident Bill Clinton. Auf Bill Clintons Nachfrage hin, was denn in Europa so los sei, erzähle ich ihm über den Euro. Nach 8 Minuten merkte ich, dass das wohl nicht das gewünschte Thema sei. Stattdessen erkundigte sich der amerikanische Präsident, wie es um die Türkei stehe, woraufhin ich ihm die Sachlage zu erklären versuchte. Meinen nächsten Besuch stattete ich Finanzminister Rubin ab, der sich ebenfalls erkundigt, was denn in Europa so los sei. Ich dachte mir, hier bist du an der richtigen Stelle, berichte erneut über den Euro und auch der amerikanischer Finanzminister sagt nach elf, zwölf Minuten: „Ok, was ist denn mit dem europäischen Arbeitsmarkt, mit den europäischen Strukturreformen?“. Zwei Jahre später bin ich wieder in Washington anlässlich der Jahrestagungen des Weltwährungsfonds und der Weltbank. Samstag Nachmittag um 16 Uhr erreicht mich in meinem Hotel ein Telefonanruf des amerikanischen Finanzministers, der sagt: „Mister Juncker, es wäre doch gut, wenn wir mal über den Euro reden könnten“. Daraufhin habe ich mir gedacht: Also jetzt bist du ein ganz großes Tier hier; wenn der amerikanische Finanzminister den Luxemburger Finanzminister an einem Samstag Nachmittag um 16 Uhr anruft, dann ist was los. Daraufhin habe ich gemeint, ich hätte jetzt keine Zeit. Prompt hat mich der amerikanische Finanzminister zum Breakfast am Sonntag Morgen um 06.45 Uhr gebeten.

Mir wurde in dem Moment bewusst: Der Euro wird was. Die Amerikaner haben angefangen, den Euro Ernst zu nehmen und es waren bis dato nicht die einzigen, die am Euro und an der Machbarkeit der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion gezweifelt haben. Damals gab es viele Zweifler, nicht nur jenseits des Atlantiks, auch in Europa, in Deutschland, auch in Bayern. Man muss jedoch auch verzeihen können, dass nicht alle so einsichtig waren wie wir, Theo Waigel und ich selber. Außerdem kann man Folgendes feststellen: Wenn die katholische Kirche so viele Neu- und Spätberufene hätte wie der Euro, müssten Seminare gebaut und keine Kirchen geschlossen werden. Deshalb muss man sich über die Spätberufenen immer freuen. Es sind nicht verlorene, sondern von sich selbst irregeleitete Söhne, die jetzt wieder in den Schoß der Eurokirche zurückgekehrt sind.

Allerdings müssen wir dafür sorgen, dass das, was Geschäftsgrundlage war Geschäftsgrundlage bleibt. Wir hatten uns dazu aufgemacht - dies war den Menschen versprochen worden - dass der Euro so stabil werden würde wie die damals führende europäische Währung, das heißt die deutsche Mark. Aus diesem Grund haben wir, Theo Waigel federführend, den europäischen Stabilitätspakt, den wir dann den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt genannt haben, auf den Weg gebracht und diesen Weg darf man nicht einfach so verlassen. Ich bin sehr dezidiert der Auffassung, dass der Euro auf Dauer keinen Erfolg haben wird, wenn wir den Stabilitätsgedanken nicht auf Dauer in der europäischen Wirklichkeit sesshaft machen. Deshalb darf es kein Abrücken von den Grundelementen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes geben. Ich füge allerdings auch hinzu: Man darf nicht zum Stabilitätsfetischisten werden. Man darf nicht so tun, als ob Zweck und Ziel der europäischen Währung exklusiv Stabilität wäre. Stabilität gehört dazu und ohne Stabilität ist der Weg in die Zukunft nicht auf Dauer gangbar. Aber wer jetzt so tut, als ob die strikte Einhaltung in jedem Monat der laufenden Jahre des Drei-Prozentkriteriums ein sakrosanktes Prinzip wäre, das man zu keinem Moment und zu keiner Sekunde überschreiten dürfe, der erweist dem eigentlichen Stabilitätsgedanken auch keinen Dienst.

Es könnte mich amüsieren - es tut es aber nicht - dass diejenigen, die zu Oppositionszeiten Mitte der neunziger Jahre die strikte Stabilität einforderten, jetzt den strikten Stabilitätspfad verlassen haben. Aber ich habe von derartiger Freude nicht sehr viel. Ich bin sehr dafür, dass wir in Frankreich, Deutschland und Italien nichts unversucht lassen, um diese drei Flächenstaaten der Eurozone wieder auf den Stabilitätspfad zurückzubringen. Ich bin aber auch sehr dagegen, dass man aus den Augen verliert, dass es sich nicht nur um einen Stabilitätspakt, sondern auch um einen Wachstumspakt handelt. Stabilität und Wachstum widersprechen sich nicht. Wachstum auf Dauer wird ohne Stabilität auf Dauer nicht möglich sein. Der endgültige Eintritt in die Schuldenspirale, der Bruch der intergenerativen Solidarität würde Wachstum auf Dauer verhindern. Aber dass man in konjunkturabgeschwächten Zeiten vorübergehend tolerieren muss, dass drei Staaten der Eurozone, sprich Frankreich, Deutschland und Italien, aus Gründen der Wachstumsimpulsgebung in Gesamteuropa nicht millimetergenau dem Drei-Prozent-Kriterium entsprechen müssen, muss auch eine Sache sein, der man sich ohne größere Seelennöte verschreiben kann, unter der Bedingung, dass die, die jetzt den Pfad der Tugend verlassen haben, sich dazu verpflichten, bei wieder erstarkter Konjunktur und dementsprechenden konjunkturbedingten Mehreinnahmen, diese Mehreinnahmen dem Schulden- und dem Defizitabbau zuzuführen.

Es gibt einen großen Unterschied zwischen kleinen und großen Staaten. Die kleinen haben alle ihre Stabilitätsaufgabe gemeistert als sie noch Geld genug hatten, um sie zu meistern. Die Defizite wurden in den Niederlanden, in Irland, in Dänemark, in Schweden, in Luxemburg, in Belgien abgebaut zu Zeiten, als die Konjunkturergebnisse noch so waren, dass die bewusste Zuführung der Konjunktur mehr Einnahmen in die Bereiche Schulden- und Defizitabbau noch möglich waren. Die großen Staaten der Europäischen Union - groß im geographisch-demographischen Sinne - haben es allesamt unterlassen gute Konjunkturergebnisse zum Zwecke des Schulden- und Defizitabbaus zu verwenden.

Ich war damals mit Theo Waigel dezidiert der Auffassung, dass wir den Stabilitätspakt bräuchten, nicht so sehr um der deutschen öffentlichen Meinung und der deutschen veröffentlichten Meinung Rechnung zu tragen, sondern weil die kleineren Staaten der Europäischen Union diesen Schutzwall gegen die Unvernunft der Großen brauchten. Wenn es diesen Stabilitätspakt nach Waigels Machart heute nicht gäbe, dann hätten wir nicht nur etwas mehr als drei Prozent Haushaltsdefizit in Deutschland, dann hätten wir vier, fünf, sechs Prozent, dann hätten wir in Frankreich nicht nur vier, sondern fünf, sechs, sieben Prozent, dann hätten wir morgen höhere Schulden, übermorgen höhere Steuern und sofort noch gestern höhere Arbeitslosigkeit als die, die wir ohnehin schon in Deutschland, Italien und in Frankreich haben. Insofern ist der Stabilitätspakt nie ein Diktat von Theo Waigel gewesen, sondern ein Angebot an Stabilität und ein Schutzwall, den die kleinen Staaten brauchten gegen Unvernunft der Großen. Wir brauchen eine schnelle Rückkehr zum Stabilitätspakt, weil wir eine permanente Stabilitätsphilosophie in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion brauchen.

„Europa auf dem Sprung“ heißt mein Vortrag. Von wo springen wir weg? Das habe ich versucht darzustellen. Wir springen eigentlich von einer Erfolgsbasis weg. Aber wo springen wir hin? Springen wir in eine Welt, in eine Wirklichkeit, die diesen Erfolg dauerhaft machen möchte oder springen wir in eine Welt, die sich aus mehr unbekannten als aus bekannten Elementen zusammenstellt? Weil wir nicht genau wussten, wo wir hinspringen sollten, haben die Staats- und Regierungschefs entschieden, dass wir den europäischen Konvent mit der Festlegung europäischer Zukunftsaufgaben beschäftigen sollten. Somit haben wir Nationalparlamentarier, Europaparlamentarier und Regierungsvertreter während sechzehn Monaten um einen Tisch versammelt, um sich europäische Zukunft auszumalen, um eine europäische Verfassung auszuarbeiten, die wir jetzt im Rahmen einer Regierungskonferenz versuchen umzusetzen, in dem wir sie abändernd verbessern.

Was ist denn diese europäische Zukunft? Weil es so viel Kleinmütigkeit in diesem Bereich gibt glaube ich schon, dass man sich sehr dezidiert dazu bekennen muss, dass die Europäische Union nach Ost- und Mitteleuropa ausgedehnt werden muss. Nicht weil wir von irgendwelchen Hegemonialgelüsten getrieben wären, sondern weil die Menschen dort eine große Nachfrage nach Europa äußern, weil die Menschen in Warschau, in Sofia, in Budapest, in Lubiljana, überall in Mitteleuropa Mitglieder der Europäischen Union werden möchten und dies aus gutem Grunde. Wir haben nicht die Frage zu beantworten ob wir die Erweiterung wollen oder nicht. Wir haben einzig und allein die Frage zu beantworten wie wir die Erweiterung der Europäischen Union nach Ost- und Mitteleuropa gestalten möchten.

Während der Nachkriegszeit, während der langen, zu langen Jahrzehnte des kalten Krieges war es einfach sich jeden Sonntag nach der Messe hinzustellen und den Leuten zu sagen „Vertreibt die Kommunisten und ihr seid jederzeit willkommen in der europäischen Familie“. Wenn wir ehrlich mit uns selber sind, hätten wir nie gedacht, dass es so schnell möglich wäre diese friedliche Revolution in Mittel- und Osteuropa einzuleiten und auch zum Besten der Menschen zu gestalten. Jetzt, wo diese Staaten, diese neuen, jungen Demokratien, diese transformationsgestressten Staaten Ost- Mitteleuropas an die europäische Tür klopfen, können wir nicht sagen, das wäre alles nicht so gemeint gewesen. Wir müssen die EU-Erweiterung jetzt vollziehen! Das hat etwas mit kontinentaler Glaubwürdigkeit zu tun. Es gibt es keine Alternative zu der Erweiterung nach Ost- und Mitteleuropa und wir müssen sie jetzt aktiv gestalten.

Die Erweiterung nach Ost- und Mitteleuropa wird kein einfacher Prozess werden. Ich war stets gegen eine Erweiterung im Galopp. Zum Schluss des Erweiterungsprozesses gab es galoppähnliche Elemente, aber trotzdem muss man sehen, dass der Drift, der Dreh, der die Geschichte erfasst hat und den die Geschichte erfasst hat, so gewaltig war, dass für Erbsenzählerei keine Zeit mehr übrig blieb. Man hätte die EU-Erweiterung ja noch um zwei bis drei Jahre aufschieben können. Die Transformationsleistung dieser neu entstandenen volkswirtschaftlichen Räume, dieser neu entstandenen Demokratien, dieser neu entdeckten Autonomien und Souveränitäten war so, dass wir eine schnelle Antwort formulieren mussten, ansonsten eine Rückwärtsentwicklung in diesen doch erheblichen kontinentalen Gebiete des europäischen Ensembles die direkte Folge gewesen wären.

Wir sind ja in unseren europäischen Gegenden so westlich kopflastig geworden, dass wir überhaupt nicht mehr merken, was im mittleren und östlichen Teil Europas passiert. Wir denken immer: Wir sind Europa. Wir sind natürlich überhaupt nichts ohne den anderen Teil Europas. Auch denken wir, wir hätten die europäische Idee geboren. Nichts ist falscher als das! In unserem Teil Europas beschäftigt man sich ja kaum noch mit Geschichte. Wer sich aber damit beschäftigt, auch mit der jüngeren Geschichte, wird unschwer feststellen können, dass die eigentliche Idee die Europäische Union zu gründen überhaupt keine, wie wir denken, westeuropäische Idee war, sondern eine mitteleuropäische Idee. Es waren die Exilregierungen Mitteleuropas in London, die die ersten Pläne zur Europäischen Union, die sie damals auch so bezeichnet haben, entworfen haben. Es waren die tschechische und die polnische Exilregierungen, die den ersten Plan zur Integration des europäischen Kontinentes entworfen haben. In einem tschechisch-polnischem Entwurf kann man nachlesen, dass die beiden Regierungschefs damals festgelegt haben, den Plan zu verwirklichen und sollte es gelingen, hätten die westeuropäischen Staaten auch mitmachen dürfen. Diese Menschen waren immer Europäer und hatten weiterführende europäische Ideen, bevor wir erst damit angefangen haben, diese europäischen Ideen überhaupt erst zu denken. Wenn wir so klug gewesen wären, wie wir denken dass wir waren, dann hätte es ja vieles an Verheerendem gegeben, was man hätte verhindern können, wenn wir es ernst gemeint hätten mit unseren eigenen Entwürfen.

Vergessen sind die Initiativen von Coudenhove-Kalergi und vielen andern. Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts ist gescheitert am Widerspruch der Kapitalisten in Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und in Belgien. Die Stahlbarone waren dagegen. Wenn sich diese Ideen durchgesetzt hätten, dann wäre den Kriegsherren der vierziger Jahre das Kriegsgeschirr aus den Händen genommen worden. Ohne Kohle und Stahl konnte man den Zweiten Weltkrieg überhaupt nicht führen. Wir haben den Anstoß der Mitteleuropäer gebraucht, während der Zeit zwischen den Generationen, zwischen 1940 und 1945, um die europäischen Dinge überhaupt erst auf die Bahn zu kriegen. Es ist das eigentliche Verbrechen des Kommunismus und des Sowjetimperialismus, dass die Staaten Ost- und Mitteleuropas daran gehindert wurden, an unserem gemeinsamen Abenteuer teilzunehmen. Dadurch dass die Sowjets verhindert haben, dass der Marschallplan auch den Polen, Tschechen, Ungarn und Slowaken zur Verfügung gestellt werden konnte, haben wir fünf Jahrzehnte in der europäischen Nachkriegsgeschichte verloren. 1947, als Churchill anlässlich des großen Europakongresses in Den Haag, auf dem Höhepunkt seiner moralischen Autorität angekommen, eine wegweisende Rede hielt, konnte er sagen: „Wir fangen jetzt im Westen an, was wir eines Tages im Osten Europas zu Ende bringen werden“. Jetzt sind wir da angekommen, im Osten Europas, und es steht unserer Generation schlecht zu Gesicht, dass wir jetzt diesen natürlichen Prozess abbremsen würden. Wir müssen diesen Prozess beschleunigen und in dem Zusammenhang auch eine neue Logik des Teilens entdecken. Ich lese mit wachsendem Missmut in der überregionalen deutschen Presse, aber auch in der luxemburgischen, französischen, britischen, egal wo, dass wir sehr gut darauf achten müssen, dass es jetzt nicht zu unbezahlbaren Transferleistungen nach Mitteleuropa kommen wird. Ich bin auch der Meinung, dass man nicht egal was an Geldtransfers nach Ost- und Mitteleuropa organisieren sollte. Aber wenn wir doch ehrlich sind, für eine Sekunde: Es geht uns doch so gut - nicht allen, aber vielen - dass es uns nicht schlechter ginge, wenn wir etwas mit den Menschen in Ost- und Mitteleuropa teilen würden.

Nun liegt dieses europäische Konventergebnis vor und die Regierungskonferenz der Fünfzehn plus Zehn, also der 25 europäischen Staaten, hat am vergangenen 4. Oktober in Rom begonnen. Nun weiß niemand, was in diesem Verfassungsentwurf steht, aber die Schützengräben sind klar erkennbar. Es gibt die, die sagen, es müsse alles so bleiben wie es in diesem Konventsentwurf steht und es gibt die, die sagen alles müsse anders gemacht werden. Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, zufällig die vier größeren Staaten der Europäischen Union, sagen, es müsse alles so bleiben wie es da steht und die kleineren sagen, die lesen ja auch das Kleingedruckte, da gebe es Einiges, was man noch ändern muss. Nun bin ich der Auffassung, dass generell die Stoßrichtung des europäischen Konventes, dieser „fast verfassungsgebenden Fastversammlung“ stimmt. Wir brauchen integrationsweiterführende Schritte in der Europäischen Union. Wir brauchen eine effiziente Gestaltung der Entscheidungsprozesse in der Europäischen Union, die mit demnächst 25 Staaten funktionieren muss. Wir brauchen weniger Einstimmigkeitsbeschlüsse und mehr Beschlüsse nach der Methode der Mehrheitsentscheidung. Wir brauchen an vielen Stellen mehr Europa statt weniger Europa und ich sehe schon, dass wir diese enorme Kontroverse in der Europäischen Union haben. Die Wasserscheide durchschneidet nicht nur Europa, sondern jeden einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union, zwischen denen die der Auffassung sind - zu dem Lager gehöre ich dezidiert - dass wir an vielen Stellen mehr Europa brauchen und diejenigen die denken, wir hätten an vielen Stellen schon zuviel Europa.

Nun ist, wie so oft im Leben, die Wahrheit in der Mitte dieser beiden extremen Tendenzen zu orten. Es gibt Dinge um die Europa sich kümmert, wo man sich fragen muss: Bin ich eigentlich mit zuständig dafür, dass die sich darum kümmern? Ich kann überhaupt nicht erkennen, wieso die Europäische Kommission Regeln über die Gesamt-Puddingproduktion in Europa erlassen muss. Falls sie es noch nicht getan hat, wird sie es demnächst tun. Ich kann überhaupt nicht erkennen, wieso wir gemeinsam europäische Detailregeln über Feuerwehruniformen in Gesamteuropa brauchen. Ich kann überhaupt nicht erkennen, wieso die bayerischen Käseproduzenten sich jetzt an der luxemburgischen Produktionsführerschaft in dem Bereich inspirieren sollen, weil bayerischer Käse den Bayern schmeckt und den Luxemburgern im Übrigen auch und die Bayern keine Ahnung haben von der Qualität des luxemburgischen Käses und sie das sie auch nicht zu interessieren braucht. Das geht Europa nichts an!

Menschen brauchen einen direkten Bezug zu dem, was wir Heimat nennen. Über Heimat müssen wir auch lernen in Europa völlig normal zu reden. Ich kann überhaupt nicht verstehen, wieso niemand sich mehr traut von seiner Heimat zu reden. Ich bin luxemburgischer Patriot, ich bin aber auch europäischer Patriot. Zum modernen Patriotismus gehört die Zweistrahligkeit, nationaler Patriot zu sein ohne Nationalist zu sein und europäischer Patriot zu sein, um nicht Nationalist werden zu können. Jeder soll Bayer sein, Deutscher sein. Jeder muss aber auch Europäer sein. Über Heimat müssen wir noch reden dürfen. Es gibt doch so etwas wie sofortige Nähe von der wir leben, die wir atmen möchten, die wir spüren möchten, die wir riechen möchten. Das darf uns Europa nicht kaputtmachen! Europa ist kein Schmelztiegel in dem alles aufgeht. Nein, Europa braucht, um überhaupt als Europa überleben zu können, auch die Anerkennung der Heimat, dessen was uns eigentlich heilig ist: Unsere Landschaften, unsere Gebräuche, unsere Traditionen, das was uns jeder für sich stark macht, nicht auf Kosten des andern, sondern für uns selbst. Wenn Europa das kaputt macht, macht Europa sich selbst kaputt. Insofern muss man für die sofortige Nähe in der Europäischen Union kämpfen. Dies ist kein antieuropäisches Programm, sondern ein Selbsterhaltungsprogramm für die Europäische Union. Das hat nicht mit rückwärtsgewandter Betrachtungsweise zu tun, sondern mit existentieller europäischer Zukunftssicherung.

Aber dass wir, in vielen Bereichen, eine Abkehr von dem Korsett der Einstimmigkeitsentscheidungen brauchen ist glasklar. Die einzigen, die Europa richtig begriffen haben sind die Terroristen und die Kriminellen, für die es schon längst keine Grenzen mehr gibt. Wieso denken wir eigentlich, dass wir mit nationalen Polizeieinheiten gegen das internationale Verbrechen ankämpfen könnten? Nein, wir brauchen in Europa so etwas wie ein europäisches FBI, eine Polizeidienststellengruppierung, die grenzüberschreitend aktiv werden kann, wenn es darum geht, das internationale Verbrechertum, den internationalen Terrorismus, die internationale Geldwäsche, den internationalen Menschenhandel zu bekämpfen. Was macht es denn für einen Sinn mit nationalen Polizeitruppen in abgeschirmten, abgeschotteten Zuständigkeitsräumen gegen das internationale Verbrechen anzutreten? Wir brauchen hier mehr Europa, weil es um die Menschen geht. Es geht nicht um die Region, es geht um die direkten Interesselagen betroffener Menschen. Dieselbe Bemerkung trifft auf den europaweiten Umweltschutz zu.

Auch im Steuerbereich muss es zu Mehrheitsentscheidungen kommen. Luxemburg hat stets - Theo Waigel weiß sich das noch leidvoll zu erinnern - für das Prinzip der Einstimmigkeit im steuerlichen Bereich geworben. Er im Übrigen auch. Aber dass wir einen gemeinsamen Binnenmarkt, eine gemeinsame Währungsunion betreiben, bei sehr unterschiedlicher Ausgestaltung nationaler Steuersysteme, ist auf Dauer nicht machbar. Wir brauchen eine Annäherung der Bemessensgrundlage. Wir brauchen eine Annäherung, nicht eine Gleichschaltung, der Steuersätze, damit wir unsere Landschaften wettbewerbskonform und die Wettbewerbsnormalitäten respektierend aneinander angleichen können. Ich habe mich mit Theo Waigel zehn Jahre über Kapitalertragsbesteuerung und die Einführung einer Quellensteuer gestritten. Luxemburg gilt ja als Steuerparadies und jetzt haben wir eine Regelung gefunden, wie wir die Kapitalertragsbesteuerung in Europa regeln könnten. Meine Meinung war jedoch die, dass Deutschland das größere Steuerparadies wäre. Richtig ist, dass Deutsche, die ihre Gelddepots in Luxemburg hatten das steuerfrei tun konnten. Richtig ist auch, dass Luxemburger, die ihre Gelddepots in Deutschland hatten dies auch steuerfrei tun konnten. Richtig ist aber vor allem, dass es mehr Deutsche gab, die ihr Geld nach Luxemburg brachten als Luxemburger, die ihr Geld nach Deutschland brachten. Deshalb hat mir das eigentlich sehr gut gepasst, wie sich die Ordnung in Europa bis dahin gestalten ließ. Jetzt führen wir die Quellensteuer in Gesamteuropa ein und dies ist auch im Sinne der europäischen Integration. Auf Dauer kann kein Staat auf Kosten eines Nachbarstaates leben. Das ist kein politisches Programm und auch kein sicherer Weg in die Zukunft. Deshalb brauchen wir auch in Steuerfragen manchmal Mehrheitsentscheidungen und zwar dort, wo sie dem Binnenmarkt oder der Währungsunion zweckdienlich sind.

Es gibt auch einige Dinge im Vertragsentwurf, die nicht so sind, dass man sie ohne weiteres übernehmen kann. Vor allem im institutionellen Bereich ist die Sachlage überhaupt nicht durchschaubar. Der Vorsitz des Ministerrates in der Europäischen Union wurde so abgeändert, dass der halbjährlich rotierende Vorsitz abgeschafft werden und ersetzt werden soll durch ein System, das man auch in Umrissen nicht mal erkennen kann. In diesem Punkt bedarf es weiterer Klärung der Verhältnisse.

Es ist ohne jeden Zweifel so, dass wir auch in Fragen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik integrationsweiterführende Schritte brauchen. Dort wird es laut Konventsentwurf - die Regierungsinitiativen in dem Bereich lassen dies auch perspektivisch annehmen - bei der Einstimmigkeit bleiben. Ich bin mir bewusst, dass man nicht von heute auf morgen in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik mit Mehrheit entscheiden kann. Ich würde mir allerdings wünschen, dass man wenigstens diese Perspektive ermöglicht. Wir machen uns doch anlässlich jeden internationalen Konfliktes regelrecht lächerlich in den Augen der Europäer und in den Augen der Welt, dass wir mehr europäisches Durcheinander als europäisches Miteinander anzubieten haben. Das wurde anlässlich der schrecklichen  Ereignisse in Jugoslawien Anfang der neunziger Jahre augenscheinlich. Das merken wir ebenso im Mittleren Osten sowie anlässlich der Irakkrise. Es ist unglaublich schwierig den Menschen zu erklären, dass wir aus guten europäischen Gründen auf vieles verzichten müssen was wir bisher im nationalen Souveränitätsrahmen gestalten konnten, beispielsweise in der Steuerpolitik, dass aber die Großen, die das von uns verlangen, nicht imstande sind dort wo sie selbst und fast alleine zuständig sind, sich so auf einander zuzubewegen, dass so etwas wie ein erkennbares Europa entstünde.

Dieses „europäische Theater“ anlässlich der Irakkrise hat die Menschen deshalb sehr enttäuscht, weil sie gerne gesehen hätten, dass die Europäer sich so zusammenraufen, dass eine klare, nach außen vernehmbare, eindeutige europäische Stellungnahme erfolgt wäre anstatt dass jeder in seiner Ecke seinen nationalen Sonderweg begeht, der nicht europadienlich war und der uns in der Sache keinen Millimeter weitergebracht hat. Aus gutem Grunde brauchen wir auch in den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik Mehrheitsentscheidungen: Vorschlag der Kommission, mehrheitliche Entscheidung im Ministerrat, Mitbestimmung, falls notwendig, des Europäischen Parlamentes, aber immer Zustimmung der nationalen Parlamente, wenn es um die Entsendung von Soldaten geht. Das hat wieder mit Heimat, mit Nähe und mit direktem Bezugsrahmen etwas zu tun. Europäische Soldaten wird es selbst dann noch nicht geben, wenn wir eine europäische Armee haben. Soldaten werden immer aus Luxemburg, aus Bayern, aus Schwaben, aus Franken, aus dem Saarland und aus Oberösterreich kommen und dort müssen dann die Entscheidungen auch dementsprechend vorformuliert werden und endformuliert werden.

Wir brauchen - weil es diese gewaltige Nachfrage nach Europa weltweit gibt - ein entscheidend stärker erkennbares Europa in außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Ich hielte es allerdings für einen groben Fehler, wenn wir uns in Europa auf einen Weg machten der darin bestünde, dass wir denken würden, europäische Sicherheit und Stabilität weltweit wäre im günstigsten Falle, im besten Falle und im exklusiven Falle nur im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten von Amerika herzustellen. Ich bleibe der Auffassung, als ein durchaus Amerika-kritischer Beobachter, dass es für die nächsten 20 bis 30 Jahre weder in Europa noch in der Welt Frieden und Stabilität gibt, wenn nicht Europäer und Amerikaner in festem transatlantischen Schulterschluss zusammenstehen und die Dinge der Welt gemeinsam in die Hand nehmen. Primitiver Anti-Amerikanismus führt uns da nicht weiter. Im Übrigen auch nicht primitive Washingtoner Auffassungen, die darin gipfeln, dass Minister und Generäle im Pentagon und sonstwo denken, Europäer hätten sonst nichts zu tun als vassalenhaft hinter der amerikanischen Flagge herzutraben. Europa muss ein selbstständiger Partner sein. Aber Selbstständigkeit besteht nicht darin, dass man genau das Gegenteil dessen sagt, was die Amerikaner sagen. Die Amerikaner sollen auch nicht meinen, Freundschaft bestünde darin, dass man genau das gleiche sagt wie das, was uns in Washington vorgesungen wird. Wir müssen hier zu einem souveränen Umgang miteinander finden.

Normalerweise äußere ich mich nie sehr ausgiebig zu solchen außenpolitischen Fragen. Meine Lebenserfahrung ist die, dass wenn der luxemburgische Premierminister sich zu geostrategischen Fragen äußert, dies nicht auf weltweites ökumenisches Interesse stößt. In Washington, Peking und in Moskau hört man nicht auf zu atmen, wenn der luxemburgische Premierminister sich zu derartigen Fragen äußert. Wir müssen lernen, dass große und kleine Staaten in der Europäischen Union gemeinsam diese Dinge bestreiten. Es hat wesentlich mit der europäischen Erfolgsgeschichte zu tun, dass große und kleinere Staaten stets miteinander konnten und stets versuchten die Dinge so abzustimmen, dass daraus ein europäischer Guss entstand. Helmut Kohl, Theo Waigel in seinem Bereich auch, waren Spezialisten dieser Geschichte. Nie die Kleinen beleidigen. Ich habe – wie ich schon sagte - mit Theo Waigel fast nur friedliche Erlebnisse gehabt. Aber auch auf den Höhepunkten unserer sich vor den Augen der anderen abspielenden massiven „Schlägereien“ hat er sich nie dazu verstiegen mir zu bedeuten, er würde für 82 Millionen Menschen reden und ich für 458.712. In Europa muss die Kraft des Argumentes und die Stärke der Demokratie zählen und nicht die Größe des Landes.

Es macht einfach keinen Sinn, dass größere Staaten kleineren Staaten dauernd erklären, dass sie größer und die anderen kleiner wären. Es wird immer weniger Luxemburger geben als Deutsche. Insofern muss Deutschland sich damit abfinden, dass es weniger Luxemburger gibt, die Luxemburger im Übrigen auch dass es mehr Deutsche als Luxemburger gibt. Weil Deutschland in der Mitte Europas liegt, das Land mit den längsten Grenzen, mit den meisten Nachbarstaaten ist, kommt Deutschland eine zentrale Rolle bei der Befriedung der Europäischen Union zu. Europa gerät auf die schiefe Bahn, wenn Deutschland aufhört der Alliierte der kleineren Staaten der Europäischen Union zu sein. Deutschland braucht die kleinen Staaten, aber die kleinen Staaten müssen wissen, dass auch sie Deutschland brauchen, so wie man seit Helmut Kohls Zeiten mit Fug und Recht behaupten kann, dass Deutschland seinen Nachbarn noch nie ein so guter Nachbar war. So muss es auch bleiben, damit die europäischen Dinge nicht aus dem Lot und aus dem Lauf geraten. 

Diese Dinge zusammen zu bringen ist auch Aufgabe der Regierungskonferenz, die sich mit vielen Fragen zu beschäftigen hat, auch im Übrigen mit der des direkten Gottesbezuges in der Präambel der europäischen Verfassung. Ich bin Christdemokrat, gläubiger Christ und schlauer Katholik wie viele. Ich bin der Meinung, dass Gott auch in dieser europäischen Verfassung zu finden sein wird, wenn er nicht namentlich erwähnt wird. Wenn in dieser Präambel zur europäischen Verfassung steht, dass Europa auch aus seinen religiösen Werten besteht, die auch heute noch Geltung haben, dann kann ich ohne Mühe Gott zwischen den Zeilen, über den Zeilen und in diesen Zeilen sehen. Mein Glaube hängt doch nicht davon ab, ob man mir das schwarz auf weiß in eine Präambel einer europäischen Verfassung schreibt. Mich ärgert die Aufdringlichkeit derer, die mit aller Gewalt verhindern möchten, dass von Gott in dieser Verfassung geredet wird. Mich ärgert aber auch die Art und Weise, wie viele, auch aus dem Bereich der Amtskirche, darauf bestehen, dass Gott namentlich erwähnt werden müsste. Ich bin ein gläubiger Mensch und ich brauche das nicht unter Form des verfassungsmäßigen Attestats in einer Präambel der Europäischen Union. Ich setze mich dafür ein, aber ich wehre mich nicht dagegen, wenn andere dies nicht möchten. Ich hätte gerne, dass dieses Europa eine Veranstaltung der Toleranz wird, damit jene, die glauben und jene, die nicht glauben, jeder aufgrund seiner Provenienz, jeder aufgrund seiner geistigen Einflüsse, die er in sich verarbeitet hat, zu gemeinsamen Entschlüssen kommt, dass uns das Gemeinsame verbindet, statt dass wir uns um den Inhalt dieser Präambel streiten. Deshalb glaube ich, dass die Frage wichtig ist. Sie ist aber nicht so wichtig, dass sie die Europäer auseinander treiben sollte. Das wäre nicht gut für Europa.

Wichtig ist, dass wir in Europa dafür sorgen, dass dies ein Kontinent des Friedens bleibt. Wichtig ist, dass wir dafür sorgen, dass dies ein stabilitätsausstrahlendes Element der Weltordnung bleibt. Wichtig ist, dass wir aus diesem Kontinent einen Kontinent machen, in dem Wohlstand, wirtschaftspolitische Stabilität, hohe Beschäftigung und unter den Menschen richtig verteilter Reichtum zu den Insignien gehören. Wichtig ist, dass wir aus dieser Europäischen Union einen Kontinent machen, dessen friedensabstrahlenden Wirkung den Rest der Welt erfasst. Wichtig ist, dass wir begreifen, dass wir Europa nicht nur gestalten wollen wegen Europa und der Europäer Willen, sondern auch wegen unseres Auftrages in der Welt. Wichtig ist, dass wir nicht Abstand nehmen von der barmherzigen Betrachtung anderer Teile der Welt, denen es bei weitem nicht so gut geht wie uns. Wichtig ist, dass die Europäer eine wesentlich stärkere Entwicklungshilfe leisten als die, die wir leisten. Wichtig ist, dass wir im Terrorismus nicht nur eine Gefahr sehen, deren Folgen wir bekämpfen müssen, sondern auch eine Gefahr sehen deren Kausalität wir bekämpfen müssen. Wichtig ist eigentlich, dass wir uns mir dem Bösen in der Welt beschäftigen und uns systematisch dem Guten verschreiben, wegen Europa und wegen der Menschen weltweit.

Vielen Dank.

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