Laudatio von Premierminister Jean-Claude Juncker anlässlich der Verleihung des Gottlieb Duttweiler Preises an den deutschen Außenminister Joschka Fischer

- Nur das gesprochene Wort gilt -

Frau Stiftungspräsidentin,
Frau Bundesrätin,
Frau Minister,
Herr Außenminister und Vizekanzler,
Lieber Joschka,
Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Da ich von Zeit zu Zeit Laudationes halte, frage ich mich: Was ist das eigentlich, eine Laudatio und was ist das, ein Laudator? Was erwartet man von dem Lobenden? Heute bin ich eigentlich kein guter Laudator, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass man denjenigen, den man loben soll, nicht so gut kennen darf, dass man zu ihm so etwas wie gewachsene Distanz braucht, Abstand, den Abstand, den man braucht, um besser zu sehen, weil von ganz nahe sieht man schlecht. Dazu bin ich völlig außerstande, zu Joschka Fischer die notwendige kritische Distanz zu entwickeln, die man bräuchte, um ihn gebührend loben zu können. Ich kenne ihn zu gut.

Man kann den Außenminister Fischer loben, das, was er in der deutschen, in der europäischen, in der darüber hinaus liegenden Diplomatie bewirkt hat, und das war nicht wenig. Man kann sich aber auch - deshalb diese mangelhafte Distanz - mit dem Menschen Joschka Fischer beschäftigen. Nicht ein Prinzip wird heute ausgezeichnet, sondern ein Mensch. Es ist ja nicht so wie beim Aachener Karlspreis. Dort hat man dem Euro vor zwei Jahren den Karlspreis verliehen, so als ob man den Nobelpreis nicht Flemming, sondern dem Penizillin verliehen hätte.

Wir treffen heute den leibhaftigen Joschka Fischer. Ich finde, dass dessen Vita es in sich hat, weil sie von einer unwahrscheinlichen Dichte ist, reich an Etappen, reich an Umwegen, mit geraden Zielstrecken, manchmal auch mit viel Umdrehungen und einigen Sackgassen. Er hat - und dies ist nicht der kleinste Deutschland mit sich selbst versöhnende Beitrag - er hat dafür gesorgt, dass die 1948 geborenen und 1968 groß gewordenen und danach in verschiedene Richtungen wachsenden jungen Deutschen sich mit der nach-68er deutschen Republik identifizieren konnten. Identifikationsstifter sein ist nicht der kleinste Beitrag, den man als aktiv Handelnder hinterlassen kann. Seine Vita ist eine Vita mit vielen Brüchen. Er kommt von weit her, war Straßengänger, Platzwart, Steinmetz, Fotograf, in vielen Dingen unterwegs, Taxifahrer, Revolutionär, aber immer - obwohl ich ihn damals nicht gekannt habe - immer jemand, der zu sich selbst einen nuancierten Umgang pflegte und der hat etwas ausgemacht, der, nicht richtig eingeschätzt, falsch bewertet, auch zugeben konnte, dass er sich geirrt hat - eine in Politikerkreisen äußerst selten anzutreffende Gabe und Tugend.

Ich habe Joschka Fischer kennen gelernt, bevor ich ihn kannte, nämlich - das ist mir in Erinnerung geblieben - durch eine Rede, die er im Deutschen Bundestag im Mai 1998 hielt, eine Mitteilung nach der etwas spektakulären Ernennungsprozedur des ersten Präsidenten der Europäischen Zentralbank, wo es Krach gegeben hat zwischen Deutschland und Frankreich, was immer, trotz der intensiven, romantisch übersteigerten Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich mal vorkommt. Wir bedauern das und genießen das auch.

Damals schon, sechs Monate bevor er Minister des Auswärtigen Amts wurde, war es eine sehr engagierte Rede zur deutsch-französischen Freundschaft. Wir Schweizer, Liechtensteiner, Luxemburger, Belgier, Österreicher, andere verstehen dies nicht immer. Es ist trotzdem ein Dreh- und Angelpunkt europäischer Politik. Die deutsch-französische Freundschaft, die er damals angemahnt hat und die er – da bin ich Zeuge - immer wieder in die rechten Bahnen zurückgelenkt hat, ist von einer derartig essentiellen, fundamentalen Bedeutung für die Europäische Union, dass die Kleinen der Europäischen Union sich darüber nicht beklagen, sondern sich darüber freuen sollten, dass Deutsche und Franzosen nach so vielen Irrungen und Wirrungen, nach so viel Blut und nach so viel Krieg es verstanden haben, diesen Kontinent auch durch ihre intensive Zusammenarbeit zusammenzuführen und beieinander zu halten.

Dass er es auch verstanden hat, die deutschen Außenbeziehungen und die europäischen Innereien so zu gestalten, dass die Kleinen der Europäischen Union - ich sage das, weil das so ist - nie das Gefühl hatten, der große deutsche Bruder würde mitleidig und herablassend auf sie herabschauen, ist auch ein großes Verdienst der Fischerschen innereuropäischen Diplomatie. Er hat den Deutschen dies sehr oft erklären müssen, seinem Kanzler manchmal auch. Beim Kanzler ist die Botschaft angekommen, in der deutschen Öffentlichkeit besteht noch Nachbesserungsbedarf. Aber Joschka Fischer ist sich in der Sache konsequent, weil er bei vielen Gelegenheiten und bei vielfältigen Anlässen immer großen Wert auf die Feststellung legt, dass Europa nur etwas werden konnte, und nur etwas werden kann, weil Große und Kleine zusammenarbeiten so wie sie zusammenarbeiten.

Fischer hat nicht nur Marx und Mao Tse Tung studiert, sondern auch Brehms Tierleben, weil in Brehms Tierleben ist nachzulesen, dass große und kleine Tiere gemeinsam atmen, leben und sich bewegen müssen. Zum Beispiel weiß jeder, auch der in Brehms Tierleben weniger Kundige, dass ein Floh einen Löwen zum Wahnsinn treiben kann, ein Löwe einen Floh aber nie zum Wahnsinn treiben wird.

Meine Damen und Herren, Joschka Fischer möchten wir kleinen Flöhe überhaupt nicht zum Wahnsinn treiben, sondern wir möchten ihn weiter noch treiben, weil die Stimme von Joschka Fischer in der Europäischen Union Gewicht hat und weil sie uns nie stört, wenn sie sich zu Worte meldet.

Er denkt das Europäische mit dem Kopf, wenn er über Kerneuropa sinniert, wenn er über die notwendige Verbindungsbrücke zwischen der ersten und der zweiten Gruppe in der Europäischen Union nachdenkt. Er denkt Europa weiter, wenn er sich intensiv für den erfolgreichen Abschluss des europäischen Verfassungsbildungsprozesses in Europa einsetzt. Er denkt Europa kompletter, wenn er sich dafür einsetzt, dass die Sozialdimension der Europäischen Union nicht auf dem Abstellgleis untergebracht werden kann. Er ist Europäer des Jahres 2030, wenn er außenpolitische Entwürfe skizziert, dafür plädiert, sich dafür einsetzt, dass es eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik geben muss, die eben nicht darin besteht, dass wir weniger Amerika haben sollten, sondern dass wir mehr Europa haben müssten, um zu einer etwas formvollendeteren europäischen Außen- und Verteidigungspolitik zu kommen.

Ein Mann, der Mut hat - auch eine seltene Gabe in der Politik. Als es darum ging, den ersten deutschen Soldateneinsatz nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa anlässlich des Kosovo-Konfliktes zu entscheiden, hat Joschka Fischer die Deutschen und die Europäer hinter sich und seine Überlegungen gebracht. Man denkt über vieles nicht mehr nach, weil die Zeit so schnell vergeht, aber dies war eine große Tat, nicht nur weil die Deutschen sich engagierten in Sachen Friedenstiften, sondern weil die anderen Europäer auch die Deutschen regelrecht beauftragten, sich zu engagieren. Dieses Stück wieder gefundene Normalität auf diesem europäischen Kontinent wurde ermöglicht, weil Politiker mit der Glaubwürdigkeitsdichte von Joschka Fischer am Werke waren. Und so denke ich mir, dass es gute Gründe gibt, um ihm diesen Preis zuzuerkennen: Weil er ein überzeugter Europäer ist, weil er auch für seine europäischen Überzeugungen eintritt, weil er auch dafür streitet (er ist, was man ihm ja so nicht ansieht, ein streitsüchtiger Mensch).

Sie haben, Frau Bundesrätin, von dem schweizerischen und dem deutschen Bundespräsidenten geredet, die ein Stelldichein bei Gott hatten und einige Zeitfragen erörterten. Ich kann mir durchaus vorstellen: Wenn der streitsüchtige Joschka Fischer - Gott möge verhindern, dass dieses Treffen wirklich stattfindet - im Himmel an die Pforte klopft, und Gott ihn zu einem ersten Gespräch empfangen wird, er dann im Wartesaal sitzt und George Bush aus dem göttlichen Zimmer kommt und zu Joschka Fischer sagt: „Es war eine schwierige Fragestunde, aber ich darf bleiben“, dann geht Joschka Fischer zu Gott und nach fünf Stunden kommt Gott heraus und sagt: "Ich darf bleiben!"

Er hat diesen Preis verdient, weil er zu seinen Überzeugungen steht, weil er Mensch geblieben ist. Joschka Fischer ist nicht nur Außenminister. Er ist auch ein guter Kumpel. Ich mag gute Kumpel von mir, die Außenminister und Preisträger sind.

Alles Gute!

Dernière mise à jour