Laudatio tenue par Jean-Claude Juncker en l'honneur de Helmut Kohl, désigné comme citoyen d'honneur de la Ville de Ludwigshafen

Sehr verehrter Herr Bundeskanzler, lieber Helmut,
sehr verehrte Frau Richter,
sehr verehrte Frau Oberbürgermeisterin, liebe Eva,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Freunde,

von Zeit zu Zeit, immer wieder, aber nie oft genug, werde ich gebeten Helmut Kohl zu würdigen. Ich tue das mit unterschiedlicher Begeisterung. Die Art und Weise wie sich eine Würdigung aufbaut, hängt sehr von seiner Tageslaune ab, und die ist nicht gleichmäßig gut. Es hängt sehr davon ab, wo man das tut und mit wem zusammen man dies tun darf.

Und doch hat es mich diesmal in besonderem Maße gewundert, dass diese Bitte an mich herangetragen wurde, weil ich eigentlich davon ausgehen musste, Helmut Kohl wäre längst schon Ehrenbürger dieser Stadt. Es wurde einfach Zeit, dass er es wurde.

Nun weiß ich nicht, welche Privilegien mit der Ehrenbürgerschaft dieser Stadt verbunden sind. Ich selbst bin der einzige Ausländer, übrigens, der Ehrenbürger der Stadt Trier ist. Und sehr zu meinem Entsetzen hat der Oberbürgermeister der Stadt Trier mir mitgeteilt, in seiner Würdigung – auch ich werde manchmal, wenn auch nicht oft genug, gewürdigt –, dass nur ein Privileg mit der Ehrenbürgerschaft der Stadt Trier verbunden sei, nämlich das, kostenlos in Trier beerdigt zu werden. Wenn dies auch in Ludwigshafen so wäre, würde das Helmut Kohl vermutlich nicht sehr beeindrucken, weil wahrscheinlich kein Sohn dieser Stadt zu Lebzeiten so oft beerdigt wurde wie er.

Ich bin aber nicht der bestmögliche Laudator für Helmut Kohl, weil man von einem Laudator auch annehmen müsste, er würde sich höchstobjektiv an den zu Würdigenden herantasten. Das kann ich einfach nicht, weil ich ihn dazu viel zu sehr mag um ihn jetzt in Teile zu zerlegen, um ihn nachher wieder, damit er wieder als großes Ganzes erscheint, zusammenzusetzen, obwohl er aus sehr vielen kleinen und großen Teilen besteht.

Seine Altersgenossen aus Ludwigshafen wissen sich mit Sicherheit daran zu erinnern, dass er als sehr rauflustig galt, als er hier in Ludwigshafen zu Schule ging, Grundschule und auch Gymnasium. Davon ist ihm ja zeitlebens auch einiges geblieben, weil an richtigen Raufereien hat er immer wieder seine Freude gehabt. Er wurde hier in Ludwigshafen Schülersprecher, dann Schulsprecher, auch Fraktionsvorsitzender im Stadtrat. Er hat also früh gelernt, Mehrheiten zu organisieren und sie auch zu behalten. Mehrheiten zu kriegen ist nicht immer so schwer, sie über längere Zeit zu behalten, das ist schon etwas schwieriger. Das muss man lernen. Es ist – das geben die Bischöfe ohne jeden Zweifel zu – noch kein Meister vom Himmel gefallen. Wenn man Politik – ein Handwerk, das man auch lernen muss – richtig beherrschen möchte, muss man früh damit anfangen oder wenn man später anfängt, schnell lernen, sonst ist es schon wieder vorbei.

Er war der jüngste Ministerpräsident dieses Landes, mit 40 ist er Ministerpräsident geworden. Das mag ich besonders, weil ich auch mit 40 Premierminister geworden bin. Dann ist man voll im Saft und kann noch vieles tun, auch einiges, was einem so nicht unbedingt zugetraut wird. Er war ein – das wurde ihm zwar zugetraut – moderner Ministerpräsident, aber die Jüngeren unter uns können sich wahrscheinlich nicht vorstellen, welcher Kraftanstrengung es gebraucht hat und bedurft hat, um die Konfessionsschulen in Rheinland-Pfalz zu Gemeinschaftsschulen heranwachsen zu lassen.

Anlässlich einer früheren Würdigung habe ich meine Büchsenspanner in meinem Staatsministerium beauftragt, mir einmal aufzuschreiben, was man früher so alles über Helmut Kohl gesagt, verbreitet und damit auch gedacht hat, bewiesen zu haben. Das liest sich sehr erstaunlich, passt eigentlich auch nicht in meine Würdigung, ist das Gegenteil einer Würdigung. „Die Zeit“ schrieb, er mache sich einen Redekurs der totalen Irratio zu eigen. „Der Spiegel“ schrieb, nachdem er darauf hingewiesen hatte, Helmut Kohl verkörpere, und sonst nichts als das, Südwestliga in Deutschland, er wäre ein sprachloser Schwätzer. Ich habe mich manchmal gefragt, wieso Helmut Kohl – das ist so einer seiner kleinen Teile, die andere überhaupt nicht so nachempfinden können – eigentlich immer großen Wert darauf gelegt hat jedem zu erklären, vor allem seinen ausländischen Freunden, dass er den „Spiegel“ nie lesen würde. Man versteht es wenn man ihn liest, dass er ihn nicht lesen wollte. Im Übrigen hat der nicht-Spiegellesende Kohl unter der Tatsache, dass er nicht „Spiegel“ gelesen hat, viel weniger gelitten als der nicht von Kohl gelesene „Spiegel“. Der hat sich öfters damit beschäftigt als der Nichtlesende selbst.

Man hat ihm, vor allem in den überregionalen deutschen Medien – das hat Ausländer immer sehr gewundert – eine abgrundtiefe Provinzialität bescheinigt, so als ob man Ferien in der Toskana machen müsse, um Zugang zur Weltpolitik zu kriegen. Das kann man auch von hier aus. Das was man Provinzialität nennt, lässt im Übrigen ein totales Verkennen dessen, was eigentlich Deutsch ist, vermuten. Deutschland besteht nicht aus Einfalt, ansonsten es einfältig wäre. Deutschland besteht aus Vielfalt, das ist die deutsche Stärke. Deshalb ist das, was man andernorts als Provinzialität beschreibt eigentlich sonst nichts, als dass man die Menschen mag mit denen man groß wurde, als dass man die Landschaften gerne hat, die man von Kindesbeinen aus gesehen hat, dass man diesen Fluss mag und die Döme an diesem Fluss mag, dass man Nähe mag. Und Nähe braucht man, wenn man erfolgreich Politik und staatliches Geschehen gestalten möchte. Er hätte dies nicht geschafft, wenn er nicht in sich selbst ruhen würde. Das, was dann abschätzig wie provinzieller Stummsinn, fast wie Behäbigkeit, in Deutschland beschrieben wurde, ist das, was Helmut Kohl prinzipiell Ruhe gegeben hat und ihn sich mit sich selbst in Harmonie bewegen ließ.

Auf dieser Grundlage, aus diesem Mixtum-Kompositum aus Menschen, aus Geographie, aus Landschaft, aus Fluss, aus Dom, aus Weinbergen, aus Feldern, aus Industrie auch, ist dann dieses Selbstbewußtsein erwachsen, ein Selbstbewußtsein, das fernab von jeder Arroganz sich in seiner Person so verstetigte, dass es andere immer wieder zum Wahnsinn trieb. Nicht nur, dass er an sich selbst glaubte – wer könnte von sich behaupten, er täte dies nicht, wenn er öffentlich wirksam ist oder sein möchte, sogar die Männer der Kirche sind von großem Selbstbewusstsein ja getragen. Es hat ihm die Kraft gegeben sich aus dieser Ruhe heraus, die er in sich spürte, gestaltliche Aufgaben in großer Zahl, sowohl in der Stadt als im Land als auch in der Republik und dann in Europa und weltweit zu tun.

Ich weigere mich eigentlich immer sein Leben so zu beschreiben, als ob dies ein abgeschlossener Prozess wäre. Da bin ich sehr allergisch gegen. Ich weigere mich auch immer seine Summa vitae vorzutragen, weil perspektivisch ist ja noch vieles von Helmut Kohl zu erwarten. Trotzdem muss man aus der Fülle dieses Lebens einige Dinge hervorheben.

Ich weiß nicht, ob es noch Mode ist in Deutschland über die Deutsche Einheit zu reden. Manchmal bei öffentlichen Veranstaltungen denke ich mir, ich bin der einzig deutschsprachige Mensch, der sich noch an der Deutschen Einheit freuen kann. Man geht ja zu nichts lieber auf Distanz als zu der eigenen Geschichte, wenn sie einem folgt, insofern ist dies ein nachvollziehbarer Prozess.

Ich kann bezeugen, weil ich Helmut Kohl länger kenne als andere denken, sie würden ihn kennen, dass er auch – als die Deutsche Einheit von vielen als ein sich noch um Jahrhunderte verzögernder Prozess beschrieben wurde – er immer an diese Deutsche Einheit glaubte. Ich habe es selbst erlebt. Ich müsste lügen, wenn ich nicht sagen würde, dass er sehr oft, auch in europäischen Studienzirkeln und festlichen oder weniger festlichen Sitzungen immer wieder ein massives Bekenntnis zur Deutschen Einheit abgelegt hat, zu Zeiten wo andere dies als die Nachkriegslüge der Republik verunglimpften und uns alle wissen ließen, dass man besser daran täte diese Perspektive überhaupt nicht mehr öffentlich zu erörtern, um nicht endgültig als Herausforderer zu gelten. Er hat daran geglaubt.

Ich war dabei als er auch mit anderen gestritten hat, als es um die Deutsche Einheit ging. Es löste sich wie alle schwierigen Prozesse in Wohlgefallen auf und nachher, wenn die Dinge im Lot sind, dann erscheint dies alles ja sehr einfach. Ich war dabei als er – die christliche Nächstenliebe bringt mich dazu, die Namen derer, die damals angesprochen werden mussten, nicht zu erwähnen – Anderen in Europa, nicht Premierminister von anderen Kontinenten, sondern Premierminister mitten aus Europa, da waren auch viele Kontinentaleuropäer dabei, überzeugen musste, dass der deutsche Weg zur Deutschen Einheit eine logische Weiterentwicklung wäre der europäischen Einigung, dass diese beiden Wege parallel verliefen, nach dem alten Spruch des nicht minder alten Adenauer, dass Deutsche Einheit und europäische Einheit zwei Seiten einer Medaille sind, dass er es verstanden hat, auch mit viel Glück und mit Gottes Hilfe, diesen Moment der deutschen Chance zu nutzen, um etwas für die Menschen Wertvolles zu gestalten, um versöhnend zu wirken über Jahrhunderte hinweg und dies auch im Einvernehmen mit den europäischen Nachbarn zu tun. Dies war eine außergewöhnliche Lebensleistung, von denen alle in Europa wussten, dass sie eine große war und von der ich manchmal denke, die Deutschen wüssten es am allerwenigsten, wie groß sie eigentlich war.

Die Vorstellung, 50 Jahre nach Kriegsende hätte man überall schon gemerkt gehabt, dass die Deutschen zu guten Nachbarn geworden sind, ist eine Vorstellung der ich nicht anhaften kann, weil ich einfach weiß, dass es immer noch, auch 1989, 1990, unwahrscheinliche Ressentiments gegen Deutschland gab. Die hat man nicht ausformuliert wenn Deutsche dabei waren, aber weil ja nicht immer Deutsche dabei waren wenn wir zusammensaßen, wusste man ja, dass es diese Ressentiments gab. Viele auch aus nachvollziehbaren Gründen.

Zu den glücklichen Momenten meines Lebens gehört eigentlich trotzdem immer wieder die Freude die ich empfinde, wenn ich überhaupt mit Deutschen, als luxemburgischer Premierminister, einfach so von der Lunge auf die Zunge reden kann. Wo stand denn geschrieben, dass dies so selbstverständlich wäre nach all dem was passiert war und was in deutschem Namen an Unglück über Europa kam? Dass wir dies heute so tun können, ist der Verdienst selbstverständlich des deutschen Volkes, der Deutschen, die nach Kriegsende sich in Gebet und in Schwur das Wort gaben, dass so etwas nie mehr von deutschem Boden ausgehen würde. Aber es ist auch die Leistung deutscher Staatsmänner und besonders auch des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl, der in einem Moment, wo diese Ressentiments plötzlich wieder aufflammten, ohne dass das in Deutschland überhaupt zur Kenntnis genommen wurde, es verstand, europäischen Freunden und Partnern den Weg zur Deutschen Einheit und die Deutsche Einheit selbst zu vermitteln. Deshalb ist dies für mich eine sehr beeindruckende Lebensleistung.

Und das was er in Deutschland gemacht hat, hat er auch auf der europäischen Ebene zu tun verstanden. Er hat, das habe ich bei ihm gelernt, auch wenn es im luxemburgischen Fall ein bisschen weniger schwierig ist als im deutschen, der europäischen Karte immer wieder die Vorfahrt gegeben. Bis hin zur Selbstverleumdung, das habe ich selbst erlebt. Was die Deutschen nie wussten, er hat das in Deutschland auch nie erzählt, ist dass er für deutsche Interessen knallhart eintrat, beinhart eintreten konnte, fast beleidigend werden konnte. Weil auch viele dachten, da Helmut Kohl ja, erwiesenermaßen, ein großer Europäer war, sie müssten auf das was er in deutschem Namen vorzubringen hatte nicht so sonderlich viel Rücksicht nehmen. Er hat trotzdem deutsche Interessen nicht nur vertreten, nicht nur plädiert, sondern im Übrigen auch durchgesetzt. Man wünschte sich, dass dies auf Dauer eine deutsche Tradition und eine europäische Tradition würde, weil viele von uns lieber zu Hause damit glänzen, was sie alles in Brüssel verhindert haben, als dass sie damit zu glänzen verstünden, was sie alles in Brüssel für Europa und für ihr eigenes Heimatland durchgesetzt haben. Er hat dies getan ohne sonderlich viel Rücksicht auf eine immerhin schnell feststellbare Einteilung der Mitgliedstaaten in Groß und Klein vorzunehmen. Ich bin da immer besonders hellhörig, weil ich mich von der Kategorie der Kleinen immer sofort angesprochen fühle. Er hat einmal in Warschau gesagt, auf die Frage hin, was denn europäisch an ihm wäre, er würde sich immer, bevor er zur Abstimmung schreiten würde in Europa, auch dafür interessieren wie denn der luxemburgische Standpunkt wäre. Das hat er auch echt gemacht, das war nicht immer für mich angenehm, weil er hat auch manchmal kommentiert, was ich so vorzubringen hatte.

Aber dass er aus dieser Rede von Churchill, der Zürcher Rede von 1946, der auch davon gesprochen hatte, dass man keinen Unterschied machen dürfte zwischen Groß und Klein, den Stoff gemacht hat aus dem er Politik, für Deutschland und für Europa erfolgreich, gestaltet hat, zeigt auch wie sehr er sich in der Geschichte auskennt und nicht davon ausgeht, dass die Geschichte erst mit einem selbst anfängt, sondern dass sie Ursprüngliches an sich hat, mit dem man selbst nichts zu tun hat. Er hat sich eigentlich diese Lebenserkenntnis sehr zu eigen gemacht, dass Klein und Groß miteinander können, wie das auch im Tierreich ja immer wieder festzustellen ist. Sie wissen, dass ein Floh einen Löwen zum Wahnsinn treiben kann. Und sie wissen auch, dass es einem Löwen nie gelingen wird einen Floh zum Wahnsinn zu treiben. Insofern ist es immer angebracht, besonders behutsam mit kleinen Tieren in Europa umzugehen.

Ich habe erlebt, als wir Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger Jahre – ich war damals Finanzminister – die ersten Schritte in Richtung europäische Wirtschafts- und Währungsunion unternahmen, wie sehr isoliert er auch in der deutschen Politik, auch in der eigenen Partei war, wenn es um den Euro ging. Heute sind ja alle immer schon für die europäische Wirtschafts- und Währungsunion gewesen. Auf allen Plätzen der Republik ist zur Zeit zu hören, dass man immer schon für den Euro war. Ich war am letzten Samstag in Bayern, ich habe es auch dort gehört. Herr Kardinal, wenn die katholische Kirche so viele Spätberufene hätte wie der Euro, sie müssten Seminare bauen.

Ich weiß aber noch, dass es ein kleiner Kreis nur war von europäischen Verantwortlichen, die wirklich daran geglaubt haben. Er hat daran geglaubt. Diese etwas vereinfachende Darstellung, als ob Helmut Kohl mit der Einführung des Euros nur einverstanden gewesen wäre um die Zustimmung der Andern zur Deutschen Einheit zu erzielen, dieser Darstellung möchte ich eigentlich einmal entgegentreten. Wer die jüngere Geschichte der Europäischen Union kennt, weiß, dass er wohl immer für die Deutsche Einheit sich einsetzte, aber auch immer für die europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Der Startschuss zur Währungsunion war in den Gremien der Europäischen Union zu vernehmen, bevor man von der deutschen Wiedervereinigung realistischerweise überhaupt reden konnte. Insofern möchte ich darauf hinweisen, dass diese etwas vereinfachende Darstellung, dies wäre eigentlich der Preis gewesen, den Helmut Kohl angeboten hätte, um die Deutsche Einheit zu erzielen, dieser Darstellung möchte ich entgegentreten.

Nun wird er Ehrenbürger dieser Stadt – erstaunlicher Vorgang, weil er ja schon 1998 Ehrenbürger Europas wurde. Jean Monnet und er. Wäre Monnet Ludwigshafener gewesen, wer weiß ob er Ehrenbürger geworden wäre. Aber Helmut Kohl wird das jetzt Gott sei Dank. Seinen Freunden tut das gut. Er hat ja im Leben nicht nur schöne Momente gehabt, wurde auch geprüft, jung schon, und später dann immer wieder. Dass er dies alles ertragen hat, hat wesentlich mit denen zu tun, die er im Leben geliebt hat und die ihn im Leben liebten und lieben, so dass wenn man eine Auszeichnung erhält, man selbst besser weiß als die Würdigenden, wem man das alles noch zu verdanken hat. Deshalb würde ich gerne, obwohl mich das überhaupt nichts angeht, indem ich ihn würdige, auch die würdigen die mit ihm ein Leben lang unterwegs waren. Er hat diese Ehrenbürgerschaft verdient und die, die ihn begleitet haben auch.

Herzlichen Glückwunsch, Helmut.

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