Jean-Claude Juncker bei der Eröffnung des Dokumentations- und Begegnungshauses in Hinzert

Sehr verehrter Herr Ministerpräsident, lieber Kurt,
meine sehr verehrten Damen und Herren Vertreter aus Parlamenten und Regierungen,
meine sehr verehrten Damen und Herren.

Wer deutlich nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, der täte eigentlich gut daran, an Orten wie diesen zu schweigen, weil man auch nicht nur annähernd erfassen kann, was in den Köpfen und in den Herzen derer stattfindet, die wissen worüber wir reden, ohne es selbst erlebt und erlitten und erduldet zu haben.

Hier in Hinzert sind Menschen aus 18 Ländern gepeinigt worden. Darunter, und deshalb stehe ich hier, viele Luxemburger. Hier sind Menschen gestorben, weil sie ihre Überzeugungen nicht verstecken wollten, und weil sie in Momenten wo Andere geschwiegen haben, weggeschaut haben, sich gegen das Unrecht aufgelehnt haben, weil sie anstatt weg zu tauchen, zur richtiger, menschlicher Grösse gefunden haben, weil sie für sich und für andere und für viele, für alle eigentlich, eingetreten sind, sehr oft mit ihrem Leben bezahlt haben, jedenfalls ihre Freiheit eingebüsst haben.

Hier in diesem Sonderlager, in diesem KZ sind so viele Träume zerstört worden, so viele Biographien gebrochen worden, so viel Jugend verschleudert worden, so viel Diebstahl am Leben begangen worden, dass auch die pädagogisch geschickteste Erinnerungsstätte nie in voller Breite darstellen kann, wofür dieser Ort in der Erinnerung Vieler steht, und in der Erinnerung Aller stehen müsste. Menschen die sich erinnern, Menschen die sich auch schwer tun mit der adequaten Organisation der Erinnerung, verfallen immer wieder auf den Gedanken in die Landschaft, dort wo die Landschaft einen Namen trägt, Steine zu setzen, Erinnerungsorte zu schaffen, etwas hinzustellen, was zukünftige Generationen an das erinnern möge, worüber frühere Generationen denken, weil das Leben es gut mit ihnen gemeint hätte, wäre ihnen das, woran diese Steine und diese Orte und diese Stätte erinnern, erspart geblieben.

Nun meint das Leben es nicht immer gut, nur mit meiner Generation hat das Leben es sehr gut gemeint, weil wir uns an etwas erinnern dürfen, sollen und müssen, das wir nicht selbst haben durchschreiten müssen. Und bei Gelegenheiten wie diesen kann man nicht umhin die aussergewöhnliche Lebensleistung der Vorgänger Generationen zu würdigen. Wir, die wir es so schwer haben, und die wir die ganze Last der Welt zu tragen haben, und die wir unter der Drangsal und der Mühsal der Gegenwart zusammenbrechen, wir, die wir denken, es hätte noch nie eine Generation gegeben, die derartig grosse Anstrengungen hätten machen müssen, um Beruhigung und Zufriedenheit zu finden.

Wir sollten vielleicht schweigen, wenigstens heute, und uns verneigen vor der Lebensleistung derer, die hier sind, oder der Angehörigen derer die hier sind. Es bleibt eine unwahrscheinliche auch kollektive Lebensleistung, eine individuelle ohnehin, der Menschen die ins Kriegsgeschehen verwickelt waren, der Menschen die ihrer Freiheit beraubt wurden, der Menschen die ihrer Würde beraubt wurden, der Menschen die durch Dreck und Schmutz gezogen wurden, der Menschen die jeden Tag hier laufen mussten, weil hier niemand einfach nur gehen durfte. Dass sie, als sie aus Hinzert, aus den anderen Konzentrationslagern, auch von den Frontabschnitten wieder in ihre zerstörten Städte und Dörfer zurückkehrten, sich nicht hingesetzt haben, und Gottes Wasser über Gottes Land haben laufen lassen, sondern, dass sie sehr resolut mit dem Wiederaufbau ihrer Heimat Luxemburgs, der Niederlanden, Belgiens, der Bundesrepublik, all derer, die heute hier vertreten sind, angefangen haben. Und dass sie aus diesem ewigen Nachkriegssatz „nie wieder Krieg“, der früher immer Hoffnung war für Millionen, für viele Millionen auch immer Gebet war, dass sie aus diesem Satz zum allerersten Mal in der Geschichte dieses zerwühlten und aufgewühlten Kontinents ein politisches Programm für alle Zeit gemacht haben. Es wäre einfacher gewesen, jeder hätte sich nur um sich selbst gekümmert.

Dass diese Gepeinigten es aber geschafft haben, sich neu aufzustellen, und gemeinsam mit Anderen dieses Europa in die Wege zu leiten, auch mit Deutschen in die Wege zu leiten. Dies bleibt eine unwahrscheinliche Lebensleistung, die man eigentlich nur ermessen kann, wenn man sich vorstellt, auch nur für Sekunden, es hätte diese Lebensleistung nicht gegeben, und wir hätten dies alles nachholen müssen, und wir hätten es nicht nachholen können, und wir hätten es auch nicht geschafft, es so hinzukriegen wie die Vorgänger Generation es in die Wege hat leiten können. Und deshalb gilt mein besonderer Dank, denen, die älter sind als der Ministerpräsident und ich, denen, die die richtigen Schilder in die europäische Zukunft hinein aufgestellt haben, denen wir eigentlich nur zu folgen brauchen, um nicht vom richtigen Weg abzukommen, und nicht wieder in die Verirrungen und in die Unvernunft früherer Zeiten abzurutschen.

An ech géif dat besonnesch gäre fir d’Lëtzebuerger soen, déi hei de Kapp duer gehalen hunn, an déi méi wéi anerer, a méi wéi déi vun haut dofir gesuergt hunn, datt d’Zäite besser ginn. Datt mir d’Zäiten net brauchen ze änneren, mä datt mir se just brauchen esou ze erhalen, wéi se gewuess sinn duerch deen Ustouss, deen d’Leit, déi hei gelidden hunn, déi hei gestuerwe sinn, ginn hunn. Dat ass eng grouss Generatioun, déi mir haut éieren, an déi, déi haut liewen a méi jonk sinn, hunn all Ursaach op déi Lëtzebuerger, déi virun hinnen do waren, a virun allem op déi, déi hei waren, houfreg a stolz ze sinn.

Diese Zukunftsaufgaben bleiben Aufgaben von heute. Und Erinnerungsstätte wie diese, Dokumentations- und Begegnungshäuser wie diese, sind Meilensteine auf dem Weg in die Zukunft. Nur wer in Erinnerung hat, was war, und nur wer auch das Leiden derer, die hier waren, im Herzen behält, ist eigentlich fähig sich an dem grossen europäischen Zukunftswerk zu beteiligen. Und deshalb bin ich froh, dass es diese Dokumentations- und Begegnungsstätte gibt.

Und ich würde mich gerne bedanken, im Namen der Menschen aus den 17 anderen Länder, die hier gelitten haben, bei Landesregierung und bei Bundesregierung, vor allem beim Ministerpräsidenten und beim Herrn Staatssekretär Diller, dass es möglich war, diese Stätte so zu gestalten, wie sie gestaltet wurde. Dass man sich auch über anfängliche Schwierigkeiten, weil man den politischen Willen hatte, dies wirklich zu leisten, hinweggesetzt hat.

Ich möchte mich sehr gerne bedanken bei den Verbänden und Vereinigungen der Widerstandskämpfer aus Luxemburg, aus Frankreich und aus den anderen Ländern, dass sie nie nachgelassen haben, seit Kriegsende, immer wieder an diese Stelle zu kommen und Zeugnis abzulegen, davon dass hier Menschen unwahrscheinliches durchlitten haben, und um Zeugnis von und dafür abzulegen, dass die die hier gelitten haben, nicht umsonst gelitten haben, sondern dass alle aus ihrem Beispiel lernen, dass es sich lohnt vor der eigenen Geschichte und vor der Geschichte der Welt dem Unrecht den Weg zu versperren, auch wenn es den höchsten aller Preise verlangt. Deshalb bin ich froh, dass es diese Stätte gibt.

Und ich möchte mich auch bedanken, bei den Menschen hier vor Ort, die dieses Projekt positiv begleitet haben. Und die zu dieser Begegnungsstätte stehen, und diese Begegnungsstätte auch mit Leben erfüllen müssen, und erfüllen werden. Dies ist ein trauriger Tag für die, die an jene denken, die hier ihr Leben verloren haben. Dies ist ein trauriger Tag für die, die selbst hier gelitten haben. Dies ist aber auch ein Tag der Hoffnung, und ein Tag der Freundschaft. Und dass wir 60 Jahre nach Kriegsende völlig unkompliziert und unkomplexiert über Vergangenheit reden können, auch dort wo sie keine gemeinsame war, das können wir nur, weil wir wissen, dass es nur eine Zukunft geben kann, und das ist eine Zukunft die auch immer gemeinsam sein wird.

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