Jean Asselborn, Discours à l'occasion des festivités autour du "Codex Aureus", Nuremberg

Willibrord, Gründer der Abtei Echternach, geboren 658 in England, zog im Alter von 20 Jahren nach Irland, der "Insel der Heiligen", wo er sich einer strengen Askese unterwarf und seine missionarische Berufung erfuhr. Im Jahre 688 zum Priester geweiht, war er vom damaligen Geist der "peregrinatio" durchdrungen, jenem mystischen Verlangen, auf die irdische Heimat zu verzichten, um den sogenannten Heidenvölkern das Evangelium zu verkünden. So setzte er im Jahre 690 mit elf Gefährten zum europäischen Kontinent über, um dem Volk der Friesen, das sich bis dahin der Evangelisierung widersetzt hatte, zu ermöglichen, sich mit dem christlichen Glauben anzufreunden.

Im Unterschied zu anderen Missionaren seiner Zeit, wollte Willibrord in engem Einvernehmen mit der päpstlichen Autorität vorgehen und reiste deshalb zweimal nach Rom. Dort wurde er im Jahre 695 von Papst Sergius I. zum Erzbischof von Utrecht geweiht. Im Jahre 698 erhielt er von Irmina, Äbtissin in Trier, die Hälfte eines größeren Anwesens in Echternach, das später durch eine Schenkung der andern Hälfte seitens Pippins II. ergänzt wurde. So konnte Willibrord in Echternach ein Kloster gründen, dessen Entwicklung eine für ihn ungeahnte Wichtigkeit in Westeuropa erhalten würde.

Willibrord starb am 7. November 739 und wurde seinem Wunsche gemäß in Echternach beigesetzt. Schon sehr früh nach seinem Tode wurde er verehrt, und immer zahlreicher wurden die Pilger, die zu seinem Grab zogen. Die älteste Chronik solcher Pilgerprozessionen wird dem Abt Thiofrid (+ 1110) zugeschrieben. Willibrords Ausstrahlung, sein Ruhm und sein missionarisches Wirken haben die Entwicklung der Abtei maßgeblich geprägt und die heute noch zelebrierte "Springprozession", jedes Jahr zum Pfingstdienstag, ist europaweit bekannt. Eine große Anzahl von Belgiern, Holländern und Deutschen, deren Gemeinden früher vom Kloster Echternach abhängig waren, haben das Patrozinium Willibrords bis heute bewahrt und nehmen jährlich an dieser Wallfahrt teil.

Die Basilika in Echternach, in deren Krypta Willibrord seine ewige Ruhe fand, sowie der gesamte Kult um die Person dieses Missionars sind also in das Bewusstsein der Bevölkerung eingegangen, aber in einer wohl stark grenzüberschreitenden Art und Weise die sicher in Europa in den Zeiten des Mittelalters durchaus geläufig war und bis heute erhalten blieb, über alle Wirren und Auseinandersetzungen der Geschichte hinaus. Für viele ist Willibrord ein Nationalheiliger, für manche aber auch darüber hinaus ein Wohltäter, der in der gesamten Grossregion verehrt wird. Für Luxemburg und die Grossregion steht die Abtei Echternach dementsprechend auch für geistige Entwicklung und den Ausdruck sehr hohen künstlerischen Schaffens.

Zweifelsohne ist in jenem Zusammenhang der "Codex aureus epternacensis" ein symbolisches Werk. Seine Exegese und Interpretation überlasse ich gerne den Historikern und Wissenschaftlern. Darüber hinaus werden die Besucher des Museums in Nürnberg nach 25 Jahren wieder die Möglichkeit haben, dieses einzigartige Werk mittelalterlicher religiöser Kunst mit eigenen Augen zu bewundern.

Es ist anzunehmen, dass es nicht ein einsamer Mönch war, der jahrelang, tagaus, tagein, in seiner Zelle am Evangeliar arbeitete. Letzte Erkenntnisse scheinen darauf hinzudeuten, dass ein ganzes Kollektiv im Skriptorium des Benediktinerklosters Echternach an diesem monumentalen Werk schrieb und zeichnete. Sie alle setzten ihren Lebensinhalt bewusst und vollends in den Dienst dieser guten Sache.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

Es drängt sich mir hier ein Gedanke auf, den ich - von allem Religiösen einmal abgesehen - aber das Menschliche im Vordergrund - sehr gerne als Leitfaden in unsere heutige Zeit mitnehmen möchte:

Werke wie der "Codex aureus" sind auf Dauerhaftigkeit, auf die pure Transzendenz des Zeitlichen ausgerichtet gewesen; die Skriptoren arbeiteten in Entsagung alles Kurzfristigen, für das Gemeinwohl sowie den Erhalt und das Weiterleiten des für sie fundamentalsten Wissens der Menschheit im damaligen Europa.

In der heutigen Zeit der Schnelllebigkeit, der ultraschnellen Kommunikationswege, des allgegenwärtigen Drucks Neues zu schaffen, zügige Entscheidungen zu treffen und die Menschen ständig mit den letzten Informationen zu versorgen, ist uns das tiefere Wesen der Kommunikation, das heißt unter anderem der Überlieferung von Werten und Überzeugungen abhanden gekommen. Es täte uns modernen Menschen gut, mittelfristiger zu überlegen und zu handeln sowie unsere Aktionen auf längere Sicht zu gestalten. Ich wage deshalb zu behaupten, in einem Bereich, mit dem ich mich alltäglich befasse - nämlich jenem der europäischen Konstruktion - dass wir uns auf die Werte der Gründungsväter Europas besinnen sollten und mit Ernsthaftigkeit, Mut und Engagement das kurzfristig relevante wohl berücksichtigen sollten, jedoch unsere grundlegenden Entscheidungen öfter und besser an den dauerhaften Bestrebungen und Sehnsüchten unserer Mitbürger ausrichten sollten, und dies im mittel- und langfristigen Interesse unseres Kontinents. Auch im heutigen geographischen Europa müssen Friede, Stabilität und soziale Gerechtigkeit ihre Fundament in der Tiefe haben.

In diesem Sinne kann das religiöse, künstlerische, humanistische Schaffen des Mittelalters in seiner idealistischen Komponente uns eine wahre Inspirationsquelle sein.

Abschließend möchte ich der Deutsch-Luxemburgischen Freundschaft einige Worte widmen. Der "Codex aureus" ist zweifelsohne ein Zeichen der gemeinsamen deutsch-luxemburgischen Geschichte, in Luxemburg vor 1000 Jahren geschrieben, in Nürnberg aufbewahrt. Viele andere Zeichen könnten an dieser Stelle aufgeführt werden. Ich beschränke mich auf zwei: die Gründungsakte der Stadt Luxemburg im Jahre 963 beruhte auf einer Tauschakte von Ländereien zwischen dem Luxemburger Grafen Siegfried und der Abtei St. Maximin in Trier; im 14. und 15. Jahrhundert, genauer gesagt zwischen 1312 und 1437, stellte das Luxemburger Grafengeschlecht drei Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen (Heinrich VII, 1312-1313, Karl IV, 1355-1378, sowie Sigismund, 1433-1437).

Von diesen Beispielen einmal abgesehen ist die Geschichte Luxemburgs seit je her mit der seines großen Nachbars verflochten gewesen, in guten und in schlechten Zeiten, und wir sind überzeugt, dass wir schlussendlich das Beste dieser Beziehungen erhalten haben, es zu schätzen wissen und in unseren gemeinsamen europäischen Projekten weiterentwickeln werden.

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