Jean-Claude Juncker: Eine Vision für die nächsten Jahrzehnte

Frage: Herr Premierminister, am heutigen Montag findet das sechste Gipfelgespräch in der Grolßregion statt. Was ist die Großregion für Sie eigentlich?

Juncker: Sie ist eine politische Zukunftsvision für die nächsten 20 bis 30 Jahre. Das politische Europa von morgen wird ein Europa der Regionen sein. Wer heute die Großregion gestaltet, macht die Politik für die Zukunft. Übrigens: Jeder fünfte Grenzgänger der Europäischen Union arbeitet in dieser Großregion. Das verpflichtet uns zur Zusammenarbeit.

Frage: Diese Großregion bezeichnet sich gerne als europäische Modeliregion. Worin besteht der Modellcharakter?

Juncker: Nirgendwo sonst in der Europäischen Union arbeiten Regierungen und Verwaltungen, Parlamentarier, Repräsentanten aus Wirtschaft und dem Sozialbereich so eng zusammen, wie das zwischen Rheinland-Pfalz, Lothringen, Saarland, Wallonien, der deutsch-sprachigen Gemeinschaft Belgiens und natürlich Luxemburg geschieht.

Frage: So unbedingt deutlich wird das nicht immer. Was kommt bei dieser engen Zusammenarbeit heraus?

Juncker: Richtig ist, dass diese Zusammenarbeit nicht immer einen spektakulären Charakter hat. Wer weiß eigentlich schon, dass Luxemburg, Wallonien und Rheinland-Pfalz gemeinsam Entwicklungshilfe in Ruanda betreiben?

Frage: Wenn die Großregion eine Vision ist, wozu brauchen wir Strukturen?

Juncker: Die Großregion gibt es insofern nicht, als dass sie keine staatliche Einheit darstellt. Aber wir mussten uns die nötigen Organe und Instrumente schaffen, mit denen wir gezielt und konkret arbeiten können. Dazu gehört zum Beispiel der Wirtschafts- und Sozialrat, den wir eingerichtet haben und der im Zentrum des sozialen Dialoges in der Grol3region steht.

Frage: Nach den Attentaten in den Vereinigten Staaten sind zahlreiche Rufe laut geworden, man müsse Sehengen außer Kraft setzen. Ist das nicht ein Beweis dafür, dass ein Zusammengehörigkeitsgefühl in der Großregion nicht existiert?

Juncker: Die ersten Tage nach den Attentaten waren von der Angst der Menschen geprägt. Aber wir müssen lernen und einsehen, dass wir uns nicht in unser Schneckenhaus zurückziehen können. Damit lösen wir das Problem nicht.

Frage: Wann schaffen Sie statt des Schneckenhauses den Großregion-Sicherheitsraum? Dann muss man Sehengen auch nicht wieder abschaffen.

Juncker: Es gibt diesen Sicherheitsraum bereits. Die Polizei arbeitet in gemeinsamen Kommissariaten in Luxemburg und in Saarbrücken zusammen. Die Zollbehörden führen gemeinsame Kontrollaktionen durch. Auch die Geheimdienste kooperieren bereits seit langem. Auf all diesen Ebenen konkretisiert sich die Großregion.

Frage: Muss das nach den Attentaten nicht intensiviert werden?

Juncker: Wir werden darüber am Rande des Gipfels reden,

Frage: Luxemburg hat mit großem Aufwand an einem drängenden wirtschaftlichen Problem für diesen Gipfel gearbeitet, das alle Regionen betrifft: Ein Generationenwechsel im Unternehmertum. Warum beschäftigt das die Politik?

Juncker: In der Großregion steigt die Zahl der Lohnempfänger an. Die Zahl der Unternehmer geht zurück. Wir müssen hier etwas tun und die Tendenz umkehren. Sonst gibt es eines Tages zu wenig Unternehmen in der Großregion, und Arbeitsplätze fehlen. Das ist der Bereich, in dem die Politik ordnungspolitisch tätig werden muss. Wir werden auf dem Gipfel ein Aktionsprogramm verabschieden.

Frage: Was darf man sich unter dieser Überschrift vorstellen?

Juncker: Wir müssen junge Leute dazu anreizen, Unternehmen zu übernehmen. Wir müssen für Zugang zu privatem und halb-privatem Kapital sorgen. Wir müssen die Grenzen weiter öffnen. Wir müssen Management unterrichten und Unterstützung bei Unternehmens-Management geben.

Frage: Soll man sich darunter vorstellen, dass Deutsche in Lothringen, Luxemburger in der Eifel, Franzosen in Luxemburg oder im Saarland Unternehmer werden?

Juncker: Genau das ist der Geist der Großregion, und genau das ist der Pioniergeist, den wir jetzt hier brauchen, um in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren die Nase bei der Kooperation der Regionen in Europa vorne zu haben.

Frage: Braucht man dazu nicht auch und zuallererst ein Umdenken in den Verwaltungen? Die werden vieles dann genehmigen müssen, was bisher ungewohnt ist und sich Ausländern aus den Nachbarregionen als Service-Organisationen anbieten müssen.

Juncker: Ich verschreibe mich diesem Pioniergeist.

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