Jean-Claude Juncker: Der Finanzplatz Luxemburg wird seine Stellung behalten

Herr Staatsminister, wird sich der Finanzplatz Luxemburg in den nächsten Jahren weiter so gut entwickeln wie in den vergangenen?

Jean-Claude Juncker: Seit ich als Finanzminister im Jahre 1989 das Terrain betreten habe, wird mir sowohl in Luxemburg als auch in der veröffentlichten Meinung in Deutschland vorausgesagt, der Finanzplatz nähere sich unaufhaltsam seinem baldigen Ende. Festzustellen ist, dass sich trotz aller Irrungen und Wirrungen der Finanzplatz Luxemburg insbesondere seit Mitte der achtziger Jahre sehr robust entwickelt hat. Ich habe allen Grund, davon auszugehen, dass diese Entwicklung sich trotz mancher gewiss vorhandener Schwierigkeiten und Widerstände in der Zukunft fortsetzen wird.

Jetzt, nachdem in der Europäischen Union die Erweiterungsfrage im Prinzip geklärt ist, kommt eine andere ungelöste Frage wieder auf die Tagesordnung, die Steuerharmonisierung. Wie kann hier eine für alle Seiten befriedigende Lösung gefunden werden?

Jean-Claude Juncker: Die Behandlung dieser Frage hat auch in den vergangenen Monaten, als es vor allem um die Erweiterung der Europäischen Union ging, nicht geruht. So hat Luxemburg anlässlich seiner EU-Präsidentschaft im Jahre 1997 und während seines Vorsitzes im Ecofin-Rat eine prinzipielle Einigung auf ein Gesamtsteuerpaket herbeigeführt, das aus zwei Teilen besteht.

Teil 1 ist dem Kampf gegen unfairen Steuerwettbewerb der europäischen Unternehmen gewidmet, Teil 2 enthält den Grundsatz, dass Kapitalerträge zu versteuern sind. Dabei verständigte man sich auf eine Koexistenzregel von zwei Systemen: Die Länder mit Bankgeheimnis erheben automatisch eine Quellensteuer auf in ihrem Territorium anfallende Kapitalerträge, die Mitgliedstaaten ohne Bankgeheimnis installieren einen gegenseitigen Informationsaustausch über bei ihnen anfallende Erträge. Unter portugiesischer Präsidentschaft wurde auf dem EU-Gipfel von Feira die Einigung dahin gehend erweitert, dass man die Informationspflicht als zwingend vorschrieb. Luxemburg setzte auf der Feira-Tagung noch die Bedingung durch, dass die nicht der Europäischen Union zugehörigen europäischen Bankenplätze, wie zum Beispiel die Schweiz, Liechtenstein und Malta, ebenfalls in den Informationsaustausch einzubeziehen seien, da sie sonst gegenüber den EU-Plätzen wettbewerblich im Vorteil wären. Auf den nachfolgenden Sitzungen des Ecofin-Rates wurde von der luxemburgischen Regierung wiederholt klargestellt, dass das Großherzogtum ohne eine Erfüllung dieser Bedingung nicht bereit sei, in den Informationsaustausch einzutreten. Das gleiche Prinzip wurde auf Betreiben Luxemburgs auch für die Einbeziehung der so genannten "abhängigen Gebiete", wie die britischen Kanalinseln, in den Informationsaustausch beschlossen.

Werden die genannten Länder sich diesem Beschluss beugen?

Jean-Claude Juncker: Es wird sehr schwierig sein, alle im Beschluss von Feira genannten Länder und Territorien in die EU-Regelung hereinzubekommen. Aber ich lehne es ab, Mutmaßungen und Prognosen über die zeitliche und inhaltliche Verwirklichung der Feira-Beschlüsse anzustellen (und mit besonderem Nachdruck: "Beschluss ist Beschluss, und die luxemburgische Erklärung zum Beschluss bleibt luxemburgische Erklärung zu dem Beschluss").

Glauben Sie, dass nach Einführung des Euro und weiteren der Einheitlichkeit dienenden EU-Beschlüssen der Finanzplatz Luxemburg in der gleichen Art und Weise wie bisher eine relativ eigenständige und flexible Wirtschaftsund Währungspolitik weiterführen kann?

Jean-Claude Juncker: Ich spüre, dass bei den auf dem Finanzplatz Handelnden ein sehr starkes fachbezogenes Vorstellungsvermögen und bei den politisch Verantwortlichen eine ernst gemeinte Fürsorge für den Platz und seine besondere Situation vorhanden sind. Beide Beweggründe werden entscheidend dazu beitragen, dass Luxemburg in dem sich verändernden Europa seine Stellung wird behaupten können.

Klar ist dabei, dass der luxemburgische Finanzplatz ebenso wie andere Bankenplätze nicht dauernd auf Kosten der Nachbarländer leben kann. Man wird ein europäisches Regelwerk schaffen müssen, das die Interessenlage aller Mitgliedsländer berücksichtigt.

Dies gilt für Finanzplätze wie Luxemburg und Dublin, aber auch für das überall in Europa grassierende steuerliche Dumping im Bereich der Unternehmensbesteuerung. Man kann nicht nur auf die Besteuerung der Kapitalerträge starren und den anklagenden Zeigefinger in Richtung Luxemburg ausstrecken. Es liegt dem Ecofin-Rat als Teil des steuerlichen Gesamtpaketes von 1997 noch eine Liste von 66 Beispielen als unfair eingestufter Steuermaßnahmen in den Mitgliedsländern der EU vor. Deren effektive Behandlung ist bisher an der Vollzugsbehäbigkeit dieser Staaten gescheitert.

Es muss klar sein: Wenn es nicht zu einer Regelung des unfairen Steuerwettbewerbs kommt, wird es auch keine Regelung in Sachen Kapitalertragsbesteuerung geben. Unfaire Betriebssteuern sind Gift. Zusammenfassend ist zu sagen: Die luxemburgische Regierung ist nicht glücklich über den jetzigen Zustand - eine Gemeinschaft, die nach der Errichtung des Binnenmarktes und der geglückten Einführung einer einheitlichen Währung jetzt ihre ganze Kraft entfalten könnte, braucht Mindeststeuerregeln sowohl bei Kapitalertragsteuern als auch auf dem Gebiet der Betriebssteuern.

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