Jean-Claude Juncker: Agrarverhandlungen sind 2006 zu führen

Salzburger Nachrichten: Wird der Gipfel in Brüssel ohne Ergebnis in der wichtigsten Frage - Verhandlungspositionen der EU zu Subventionsansprüchen der Beitrittsländer - enden?

Jean-Claude Juncker: Sollten wir die Beschlüsse über das Finanzkapitel bis zum Jahresende hinausschieben, wäre dies ein völlig verfehlter Umgang mit den Beitrittslandern. Man muss ihnen mindestens sechs Wochen Zeit einräumen, damit sie sich nicht nur mit den Positionen der EU in diesen zentralen Fragen vertraut machen, sondern auch darüber konkret verhandeln können. Ich bin dagegen, dass wir diese Entscheidungen bis zum EU-Gipfel in Kopenhagen verschieben und dort den Beitrittskandidaten quasi via Presseaussendung mitteilen, was Sache ist.

Salzburger Nachrichten: Aussagen von Politikern aus Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden lassen aber zweifeln, ob das Brüsseler Ziel erreicht wird.

Jean-Claude Juncker: Abgemacht ist, dass wir uns in Brüssel einigen. Die Staats- und Regierungschefs der EU treten mit dem Anspruch an, zu einer Weltmacht aufzusteigen. Da müssen wir zeigen, dass wir unsere eigenen Probleme lösen können. Deutschland und Frankreich signalisieren uns dauernd, dass es ohne den deutschfranzösischen Zusammenschluss keinen Fortschritt in Europa gäbe. Berlin und Paris würden sich selbst am meisten dienen, wenn sie sich auf eine einheitliche Position einigen würden. Einen Führungsanspruch muss man beweisen.

Salzburger Nachrichten: Vertreter von Deutschland und den Niederlanden haben bekräftigt, es müsse einen Grundsatzbeschluss über die Agrarreform vor Abschluss der Beitrittsverhandlungen geben. Halten Sie das für legitim?

Jean-Claude Juncker: Ich war immer der Meinung, dass nach 2007 Eingriffe in die Agrarpolitik notwendig sein werden, um die Budgetlasten der Nettozahler zu erleichtern. Aber ich halte es nicht für realistisch, dass man die Frage der Agrarreform vor dem Beitritt wird klären können. Diese Verhandlungen sind 2006 zu führen (also zu Ende der jetzigen Finanzperiode, Anm.).

Salzburger Nachrichten: Befürworter und Gegner der Agrarreform haben fixe Positionen bezogen. Gibt es einen Ausweg?

Jean-Claude Juncker: Denkbar wäre, dass wir in Brüssel eine Entscheidung unter Vorbehalt treffen. Das wäre wieder keine gehobene Form der Staatskunst, aber es könnte passieren.

Salzburger Nachrichten: Wie könnte so ein Vorbehalt formuliert sein?

Jean-Claude Juncker: Wir könnten uns auf Grundlage der Kommissionsvorschläge einigen (stufenweise Einführung der Direktzahlungen für die osteuropäischen Bauern, Anm.). Der Vorbehalt wäre, dass 2006 über eine Agrarreform verhandelt wird. Dann wird man den Kandidatenlandern Agrarbeihilfen samt Direktzahlungen ab 2004 gewähren können, wohl wissend, dass für die Zeit nach 2007 andere Regeln denkbar sind. Ich gehe davon aus, dass wir uns in Brüssel oder Kopenhagen auf einen Text einigen, in dem beide Positionen aufscheinen: zum einen die von jenen Ländern, die strukturelle Einsparungen fordern, zum anderen die von jenen, die sich nur minimale Einschnitte im Agrarbereich vorstellen können. Dann weiß jeder, worüber 2006 verhandelt wird.

Salzburger Nachrichten: Angeblich wird erwogen, dass die Staats- und Regierungschefs in zwei Wochen noch einmal zu einem Abendessen zusammenkommen, um etwaige Versäumnisse vom Gipfel in Brüssel nachzuholen.

Jean-Claude Juncker: Ich habe nicht so viel Hunger. Selbst wenn wir die Entscheidung verschöben, wären die Argumente dieselben wie jetzt. Ein Scheitern in Brüssel könnte auf die öffentliche Meinung in den Kandidatenlandern schlecht wirken. Wir stehen kurz vor der Zieleinfahrt, und wir reden noch intensiv darüber, welches Fahrzeug wir besteigen müssen. Das halte ich für irreführend.

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