Es gibt keine heiligen Kühe mehr

Jean-Claude Juncker ist der Premierminister des kleinsten EU-Mitglieds Luxemburg und gilt als einer der profiliertesten EU-Politiker. Er will das Bankgeheimnis für sein Land nur dann aufgeben, wenn auch die Schweiz, Liechtenstein und andere Finanzplätze das tun. (Interview: Tansel Tehzioglu)

Die Europäische Union hat sich vorgenommen, bis Ende dieses Jahres eine Richtlinie zur Harmonisierung der Besteuerung von Zinserträgen zu verabschieden, um der Steuerflucht einen Riegel vorzuschieben. Kernpunkt dieses Gesetzes wäre die Verpflichtung zum gegenseitigen Informationsaustausch der europäischen Finanzämter. Luxemburg zählt zu jenen Ländern, die dieser Regelung nur unter der Bedingung zugestimmt haben, dass auch Drittstaaten wie die USA, die Schweiz oder Liechtenstein diesem System des automatischen Informationsaustausches beitreten. Die Schweiz und Liechtenstein sind jedoch nicht bereit, ihr Bankgeheimnis aufzugeben, wofür Juncker, der auch Finanzminister seines Landes ist, Verständnis zeigt.

Offenbar gibt es auch in Europa eine "Achse des Bösen", nämlich das Dreieck Schweiz – Luxemburg – Liechtenstein. Diese Länder sind nach dem 11. September als Drehscheibe des internationalen Terrorkapitals verdächtigt worden. Werden die Terroranschläge instrumentalisiert, um missliebige Steuerpraktiken zu bekämpfen?

Jean-Claude Juncker: Diese Diskussion befindet sich in keinem Zusammenhang mit der Frage "Kampf gegen die Finanzierung des Terrorismus". Wir haben in Luxemburg beispielsweise ein sehr stringentes Gesetz gegen Geldwäsche. Das Bankgeheimnis steht den ermittelnden Behörden – Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichtern – nicht im Wege, wenn es um die Finanzierung von Terrorismus oder anderer krimineller Tätigkeiten geht. Ich habe in den letzten Monaten zwei längere Gespräche mit dem amerikanischen Präsidenten geführt, der beide Male deutlich gemacht hat, dass kein Land in der Europäischen Union den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden in Sachen Terrorismus so behilflich war wie Luxemburg. Wir wissen, dass wenn der Finanzplatz Luxemburg zu einem Paradies für Kriminelle und für Finanziers des Terrorismus werden würde, dass dann innerhalb von drei Tagen der Finanzplatz Luxemburg der Vergangenheit angehören würde. Es liegt im ureigensten Interesse Luxemburgs, sich aktivst am Kampf gegen die Finanzierung des Terrorismus zu beteiligen.

Ist das Bankgeheimnis eine heilige Kuh?

Jean-Claude Juncker: Es gibt überhaupt keine heiligen Kühe in einer Welt, die sich schnell verändert. Die luxemburgische Politik in dem Bereich ist darauf angelegt, wenn es um Steuerregelungen in Europa geht, finanzplatzschonende Lösungen zu finden, die so gestaltet sein müssen, dass durch unvernünftiges Handeln das Kapital nicht aus der EU vertrieben wird. Wir pochen auf Wettbewerbsgleichheit mit anderen Finanzzentren in der Welt. Wenn diese Finanzplätze auf ihr Bankgeheimnis oder auf bankgeheimnisähnliche Einrichtungen verzichten, werden wir das auch tun. Dies von uns einseitig zu verlangen, verrät Mangel an Einsicht und Phantasie.

Wie beurteilen Sie Liechtensteins Anstrengungen zur Erfüllung der EU-Forderungen und zur Bekämpfung der Geldwäsche?

Jean-Claude Juncker: Was die Bekämpfung der Geldwäsche anbelangt, befindet sich Liechtenstein objektiv in derselben Lage wie Luxemburg. Wenn sich herumsprechen würde, dass der Finanzplatz Liechtenstein grössere Teile seines Geschäftsvolumens mit der Finanzierung von kriminellen Machenschaften erzielte, dann würde auch der Finanzplatz Liechtenstein sehr schnell der Vergangenheit angehören. Insofern kann ich nur die auch in Liechtenstein erfolgten Schritte in Richtung Verschärfung der Überwachung im Kampf gegen die Geldwäsche belobigend hervorheben.

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