"Ran an die Reserven"

Telecran: Herr Frieden, der Staat verbucht zurzeit mehr Ausgaben als Einnahmen. Das geht aus dem Stabilitätsprogramm der Regierung hervor, das Sie Mitte Januar vorgestellt haben. Leben wir über unseren Verhältnissen?

Luc Frieden: Noch nicht. Die Investitionen, die der Staat tätigt, sind alle finanzierbar. Da aber die Einnahmen sinken, müssen wir die Ausgaben mittelfristig den neuen Gegebenheiten anpassen. Die Ampel ist, wenn man will, auf Gelb gesprungen: Die Situation ist nicht dramatisch, aber es gilt wachsam zu sein.

Telecran: 2003, 2004 und 2005, also gleich dreimal hintereinander, wird der Staat mehr ausgeben als einnehmen. Sind die fetten Jahre definitiv vorüber?

Luc Frieden: Es ist in der Tat ein Novum, dass die Ausgaben die Einnahmen übersteigen. Die Ursache ist ein Einbruch bei den Steuereinnahmen – bedingt durch die Flaute auf dem luxemburgischen Finanzplatz und das Lahmen der internationalen Wirtschaft.

Telecran: Wie wird gegenfinanziert?

Luc Frieden: In Zukunft werden wir die Ausgaben nicht mehr ausschließlich durch laufende Einnahmen, sondern auch durch unsere Geldreserven decken. Leider werden die nicht im Stabilitätsprogramm, das wir nach Brüssel schicken, berücksichtigt. Ansonsten gäbe es das darin enthaltene Haushaltsdefizit wirklich nur auf dem Papier.

Telecran: Wie viel Geld hat der Staat denn auf seinem Sparbuch?

Luc Frieden: Rund 2,6 Milliarden Euro. Die Reserven wurden in den vergangenen Jahren angelegt. Dank der hervorragenden Ergebnisse der Banken waren die Steuereinnahmen damals höher als erwartet und trotz massiven politischen Drucks haben wir das Geld nicht ausgegeben, sondern für schwierigere Zeiten auf die Seite gelegt. Die Weitsicht von damals kommt uns heute zu Gute.

Telecran: Und wie lange reichen die Vorräte?

Luc Frieden: Alle Investitionen der kommenden zwei Jahre lassen sich damit finanzieren. Und wir werden auf keinen Fall mehr ausgeben, als Einnahmen und Ersparnisse zulassen.

Telecran: Wird der Staat früher oder später Schulden machen müssen?

Luc Frieden: Bedingt durch rückläufige Einnahmen können wir die Ausgaben nicht mehr so steigern, wie noch in den vergangenen Jahren. Wir müssen sparen und Kostenüberziehungen vermeiden.

Telecran: Schulden ja oder nein?

Luc Frieden: Es ist nicht auszuschließen, dass für große Infrastrukturprojekte in den kommenden Jahren auch die eine oder andere Schuld gemacht werden muss. Das hängt ganz von der wirtschaftlichen Entwicklung ab, denn je besser es der Wirtschaft geht, umso mehr Steuern nehmen wir ein. Schulden sollen aber nur in Ausnahmefällen gemacht werden. Zurzeit sind keine vorgesehen.

Telecran: Trotzdem ist der Staat nicht schuldenfrei.

Luc Frieden: Wir haben die niedrigste Schuldenlast in ganz Europa und berücksichtigt man unsere Reserven, dann ist Luxemburg nicht nur schuldenfrei, sondern weit in den schwarzen Zahlen. Die Nettostaatsschuld beläuft sich auf 290 Millionen Euro, das sind 1,31 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Addiert man die Schuld der Gemeinden, wächst sie auf 5,5 Prozent. Der Maastricht-Vertrag erlaubt 60 Prozent. Da steckt also noch viel Potenzial.

Telecran: Worin liegt der Wert von Stabilitätsprogrammen?

Luc Frieden: Sie zeigen die voraussichtliche Entwicklung der öffentlichen Finanzen über einen Zeitraum von vier Jahren. Auf EU-Ebene ermöglichen sie, dass jedes Land nach denselben Kriterien beurteilt werden kann. Das heißt, die Finanzminister können rasch erkennen, ob ein Land sich angestrengt hat, um die Finanzen gesund zu halten oder nicht. Auch national stellen die Stabilitätsprogramme ein Instrument zur Überwachung der öffentlichen Finanzen dar.

Telecran: Welche Daten liegen dem luxemburgischen Programm zu Grunde?

Luc Frieden: Zum einen die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, wie die Regierung sie steuern will und das Finanzministerium sie errechnet hat. Zum anderen die Statec-Daten für die Entwicklung der Wirtschaft. Wir haben das vorsichtige Szenario des Statistischen Amts übernommen und gehen bei unseren Berechnungen von einem Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent für 2004 und von 3,1 Prozent für 2005 aus.

Telecran: Wie steht Luxemburg damit im EU-Vergleich da?

Luc Frieden: Sehr gut. Während wir einen Ausgabenüberschuss von weniger als einem Prozent des BIP haben, liegt der EU-Durchschnitt bei zirka zwei Prozent. Außerdem sind wir mit das einzige Land, das Ausgabenüberschüsse durch Geldreserven finanzieren kann.

Telecran: Die Gefahr der Nichterfüllung der Maastrichtkriterien besteht also ...

Luc Frieden: ... weder bei der Inflation, noch bei der öffentlichen Schuld, noch beim Haushaltsdefizit.

Telecran: Zwischen 2002 und 2005 nimmt der Luxemburger Staat jährlich zwischen 6,4 und 7,1 Milliarden Euro ein. Dem stehen Ausgaben von jährlich sieben bis acht Milliarden gegenüber. Macht immerhin ein Minus von rund einer halben Milliarde Euro pro Jahr. Wofür gibt der Staat das ganze Geld aus?

 Luc Frieden: Wir sind dabei, die Infrastruktur des Landes stärker als in den Jahren zuvor auszubauen. Das ist notwendig, damit unsere Wirtschaft konkurrenzfähig bleibt – vor allem, wenn die Konjunktur wieder anzieht. Bei vielen Investitionen handelt es sich zudem um Ausgaben, die für mehr als eine Generation von Nutzen sein werden. Das gilt es bei der Analyse der anfallenden Kosten zu bedenken.

Telecran: Einige Beispiele für große Infrastruktur-Investitionen?
Luc Frieden: Wir fördern den Ausbau des Straßen- und Schienennetzes. Man denke nur an die Nordstraße oder die Anbindung von Kirchberg an die Eisenbahn. Wir haben mehrere Gymnasien, Altenheime und Spitäler im Bau oder in Planung. Und wir investieren in die Kultur. Stellvertretend nenne ich den Konzertsaal auf dem Kirchberg.

Telecran: Obwohl die Einnahmen sinken, investieren Sie also munter weiter?

Luc Frieden: Wir wollen keinen Zickzackkurs in der Budgetpolitik fahren. Es wäre falsch, die Investitionen jetzt zurückzufahren, weil dann wären wir schlecht auf die Zukunft vorbereitet. Außerdem profitieren davon viele luxemburgische Unternehmen, vor allem aus dem Handwerksgewerbe und der Baubranche. Aus diesem Grund halten wir die Investitionen mit rund einer Milliarde Euro pro Jahr hoch, aber nicht zu hoch. Denn genauso falsch wäre es jetzt, über unseren Verhältnissen zu leben. Die Ausgaben dürfen nicht ausufern! Es gilt also einen Mittelweg zu finden ...

Telecran: Im Idealfall spiegelt ein Stabilitätsprogramm die Wirtschaftslage des Landes und die Sorgen seiner Regierung wider. Ihre Einschätzung?

Luc Frieden: Die Lage ist ernst! Unsere Einnahmen steigen nicht mehr so wie in den vergangenen Jahren. Wenn wir also unsere Finanzen gesund halten wollen, dann müssen wir den neuen Realitäten ins Auge sehen und umdenken. Das heißt, wir müssen – vielleicht mehr als in der Vergangenheit – Prioritäten setzen. Der Staat muss sich auf seine Kernbereiche konzentrieren. Dazu gehören meines Erachtens die Ausbildung, die Gesundheits- und Sozialpolitik sowie die Aspekte der Sicherheit. Wir müssen uns bewusst werden, dass wir nicht mehr alles zugleich realisieren können.

Interview: Luc Marteling

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