Jean-Claude Juncker au sujet de la position commune de l'UE relative à la crise irakienne (Deutsche Welle -TV)

AK: Guten Tag, meine Damen und Herren, herzlich willkommen zum Interview der Woche. Heute unser Gesprächspartner, Jean-Claude Juncker. Er ist Ministerpräsident von Luxemburg. Herr Juncker, nach monatelang öffentlich ausgetragenem Streit hat sich die Europäische Union am Montag auf eine gemeinsame Irak-Position geeinigt. Hat sie damit den Streit beigelegt oder übertüncht sie eine Krise?

JCJ: Ich glaube, es gibt nach wie vor in Europa relativ tief gehende Meinungsdivergenzen, was die Irak-Frage anbelangt. Aber immerhin haben wir es geschafft - das war ja auch Zweck der Veranstaltung - uns auf eine gemeinsame Linie zu einigen, die jeder mittragen kann. Und von der niemand sich mehr fundamental entfernen darf. Dann war das ein notwendiger Klärungsversuch. Das, was der Gipfel eigentlich geleistet hat, war auch, dass scheinbar auseinanderdriftende Positionen miteinander versöhnt wurden. Weil all 15 sagen, dass der friedlichen Konfliktlösung die absolute Priorität eingeräumt werden muss. Und, weil niemand ausschließt, dass es als ultima ratio - als allerletztes Mittel, das man einsetzen kann im Fall der Nichtkooperation des Iraks - zu einer militärischen Konfliktbegradigung kommen kann, von der ich hoffe, dass sie nickt eintreten wird. Nicht die Konfliktbegradigung, sondern die militärische Lösung.

AK: War es eine Mini-Krise der Europäischen Union oder war es doch tiefer gehend?

JCJ: Also ich glaube, wenn man sich hätte das weiterentwickeln lassen, wenn die griechische Präsidentschaft – was ich derselben sehr empfohlen habe - nicht durch Einberufung eines Gipfels reagiert hätte, dann hätte sich diese Minikrise durchaus zu einer dauerhaften Belastung für die sich erst im Werden begriffene gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik auswachsen können. Es war notwendig, die Notbremse zu ziehen.

AK: Gleichzeitig hat sozusagen nach dem Gipfel Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac eine neue Front eröffnet und den Neumitgliedern, die ja demnächst Beitrittsurkunden unterschreiben, im nächsten Jahr dabei sein werden, empfohlen, sie hätten besser den Mund gehalten. Ist das der neue Stil, der neue Ton in der EU?

JCJ: Das hat mit dem Gipfelergebnis nichts zu tun. Das betrifft auch nicht die Frage, ob dieses Gipfelergebnis belastbar oder nicht belastbar ist. Die Aussagen von Chirac betrafen eigentlich eine Situation, die es vor dem Gipfel gab. Der Brief der acht EU-Regierungschefs der Beitrittskandidaten. Und dann die zahlenmäßig beeindruckende Epistel der Kandidaten und anderer europäischer Staaten. Das hat sich alles vor dem Gipfel abgespielt. Und das war nicht unbedingt angebracht, jetzt nach dem Gipfel noch mal nach zu haken. Und ich glaube, die Mittel- und Osteuropäer - ich habe mit vielen von denen inzwischen sprechen können - haben das relativ schnell ad acta gelegt. Ich glaube nicht, dass das zu einer krisenhaften Entwicklung führen wird. Es sei denn, es entsteht der Eindruck, der aber schon im Verschwinden begriffen ist, als ob die alten Mitglieder der der Europäischen Union aus der Tatsache, dass sie schon lange dabei sind, das Recht ableiten, dass sie über größere Meinungsfreiheit, über ein größeres "say", wie man im Neudeutschen sagt, zu verfügen. Ich glaube aber nicht, dass dies die Absicht von Chirac war.

AK: Glauben Sie denn, dass die neuen Mitglieder an diesem Gipfel besser teilnehmen sollen? Mal ganz abgesehen von formalen Aspekten?

JCJ: Ach nein, ich fand das angesichts der eingetretenen Lage eigentlich relativ gut, dass wir uns noch einmal im Kreise der 15 die Köpfe heiß geredet haben. Und es wäre vielleicht nicht gut gewesen, weil ein falscher Eindruck entstanden wäre. Weil bei dem ersten Paneuropäischen Gipfel die neuen Kollegen wahrscheinlich staunend zur Kenntnis genommen hätten, dass wir da manchmal ganz schön Tacheles reden.

AK: Von außen wirkt das natürlich so, als hätte der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld mit seinen Aussagen von einem alten und einem neuen Europa nicht ganz unrecht gehabt. Sind die Beitrittskandidaten eher pro Amerikaner als pro Europäer? Haben Sie diesen Eindruck?

JCJ: Mein Handwerk besteht nicht darin, nur Überschriften in Zeitungen zu lesen, Schnellmeldungen von Agenturen zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch, um mal mit Lenin zu reden, von dem ja sonst niemand mehr redet, die Dinge hinter den Dingen zu sehen. Und, wer die Dinge hinter den Dingen sich ansieht, stellt sehr schnell fest, dass das, was als eine nuancenlose, proatlantische, proamerikanische, amerikaunkritische Haltung der neuen Staaten ausgegeben wird - wenn man den Dingen auf den Grund geht - so nicht stimmt. Weil fast alle, die sich Briefe schreiben, an Washington gewandt haben. Die haben inzwischen nochmals erklärt, sie wären durchaus der Auffassung, käme es zu militärischen Aktionen, müsse es zuerst einen Beschluss des Weltsicherheitsrates geben. Also, ein großer Teil dieser Staaten lehnt ein unilaterales Vorgehen ab. Insofern kann man das nicht einfach so einordnen, wie jene gewöhnt sind einzuordnen, die die Dinge hinter den Dingen nicht betrachten.

AK: Trotzdem wirkt es auf viele so, als erlebten wir zur Zeit in der Europäischen Union eine Verschiebung der innern Balance. Es wirkt, als wäre der deutsch-französische Motor einerseits und auf der anderen Seite vielleicht eine Stärkung der angelsächsischen Tradition in einem Widerspruch, von dem wir heute noch nicht wissen, ob das Europa der 25 so aussieht, wie das Europa der 15.

JCJ: Wir müssen dieses Problem lösen. Wir müssen lernen im Europa der 15 und in einem viel stärkeren Maße in einem Europa der 25 mit diesen kulturellen Unterschieden umzugehen. Wir müssen diese sich von einander entfernenden Dauerbefindlichkeiten oder auch momentanen Befindlichkeiten - wenn Europa etwas werden soll, und Europa muss etwas werden - müssen wir diese Stimmungen alle einfangen. Und daraus den Stoff machen, aus dem wir europäische Politik machen. Zu klagen, dass es Meinungsunterschiede gibt, finde ich eigentlich ein undemokratisches Verhalten. In der Demokratie ist das relativ normal, dass man nicht spontan immer einer Meinung ist.

AK: Luxemburg ist unbestritten nicht das größte europäische Land in der Europäischen Union. Wie sieht es denn seine Rolle in dieser ganzen Gemengelage zwischen den verschiedenen Stimmungen, Traditionen, Projekten, Hoffnungen, Visionen, die zur Zeit in Europa rumlaufen?

JCJ: Luxemburg ist ein kleines Land, das vieles besser weiß als seine Nachbarn, die etwas kleinere Augen und dafür größere Ohren haben. Dass es zur Europäischen Union, zur europäischen Konstruktion keine Alternative gibt, weder für Luxemburg noch für viel kleinere Länder oder auch für Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien beim Namen zu nennen, für niemanden ist der nationale Weg ein gangbarer Weg in die Zukunft. Und Luxemburg wird sich in diesem größer werdenden Europa - auch in dem jetzigen, was wir jetzt haben - immer darum bemühen, weil das unverdächtiger ist als andere - Brücken zu bauen. Nicht sofort der fundamentalen Position, die ein Mitgliedsland äußert, nachzulaufen, zu paraphrasieren, was diese Länder, diese Demokratien zum Ausdruck bringen. Und genau hin zu hören, was dieser sagt, was jener sagt. Und dann zu versuchen, Brücken zu schlagen zwischen auseinanderstrebenden Positionen. Das zu tun und nicht, darüber zu reden. Das ist eigentlich der Schlüssel zu einem doch manchmal erkennbarem luxemburgischem Erfolg in Europa.

AK: Herr Juncker, herzlichen Dank für das Gespräch

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