Jean-Claude Juncker: Die EU ist noch nicht kriegs- und friedenshähig

Berliner Zeitung: Der Irak-Krieg spaltet die Europäer. Wie tief geht die Krise?

Neulich wurde ich gefragt, was man tun müsste, um alle 15 EU-Länder wieder ins europäische Boot zu kriegen. Ich habe darauf halb lachend, halb trist geantwortet, dass ich nur ein leeres Boot sehe und 15, die verzweifelt nach Rettungsringen greifen. So ist die Lage. Wir haben ein Schauspiel abgegeben, das nach allem aussah, nur nicht nach gehobener Staatskunst.

Berliner Zeitung: Woran liegt das?

Es gibt einen Konstruktionsfehler in der Europäischen Union. Wir haben etwas, das nicht gemeinsam ist, gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik genannt. Dann erwarten die Menschen, dass dies auch stattfindet. Aber wir sind in Europa noch nicht so weit, kriegs- und friedensfähig zu sein.

Berliner Zeitung: Herr Juncker, Sie waren bei den EU-Reformen in Maastricht 1992, in Amsterdam 1997, in Nizza 2000. Warum ist das Ergebnis so schlecht?

Ich hatte gehofft, dass der Euro uns zwingt, auch in allen anderen politischen Fragen, inklusive der Außenpolitik, zusammenzukommen. Heute stelle ich fest: Wirtschaftlich hat man mit dem Euro zwar fast alles erreicht, was man erwarten durfte. Man mag sich nicht vorstellen, was angesichts der Irak-Krise heute im Währungssystem loswäre, wenn es den Euro nicht gäbe. Aber politisch hat die Währungsunion bei weitem nicht das gebracht, was sie hätte bringen müssen. Das ist enttäuschend.

Berliner Zeitung: Wie kann es denn besser werden?

Das ist vor allem eine Frage nach dem politischen Willen. Wenn man einen europäischen Konsens will, darf man nicht im Vorfeld nationale Extreme formulieren. Wir sind uns alle bewusst geworden, dass wir als EU versagt haben. Alle werden in Zukunft größte Energien darauf verwenden, eine Wiederholung zu vermeiden.

Berliner Zeitung: Was heißt das in der Praxis?

Die deutsche Regierung hat vorgeschlagen, das Amt eines europäischen Außenministers zu schaffen. Ich glaube, das würde uns weiterbringen. Wenn es jemanden gäbe, der die Lage aus europäischer Sicht analysiert, Politiken vorschlägt, sie mit den Mitgliedstaaten diskutiert und diese Politiken dann umsetzt und nach außen vertritt: Wenn wir so jemanden hätten, dann wären wir für künftige Konflikte wesentlich besser aufgestellt.

Berliner Zeitung: Herr Juncker, Sie träumen doch. Wie wollen Sie Frankreich, Deutschland, Großbritannien je überzeugen, so viel Macht an Brüssel abzugeben?

Von den drei Regierungen, die Sie ansprechen, sehe ich die deutsche Regierung am ehesten bereit, sich in dieses institutionelle Korsett hineinzubewegen. Andere werden sich schwerer tun.

Berliner Zeitung: Ist es für kleine europäische Staaten leichter?

Sicher. Große Staaten haben objektiv ein höheres Gewicht, und sie transportieren auch mehr Geschichte. Die kleineren haben zwar die gleichen schlimmen geschichtlichen Erfahrungen gemacht, aber sie haben in der Geschichte eine andere Rolle gespielt. Man muss nüchtern sehen, dass große Länder auch über ein größeres militärisches Potenzial verfügen.

Berliner Zeitung: Nun wollen zwei große Länder - Deutschland und Frankreich - und zwei kleine Länder - Belgien und Luxemburg - über die Schaffung einer europäischen Armee beraten.

Wir werden am 29. April in Brüssel einen Vierer-Gipfel haben. Dabei wird es wird nicht darum gehen, einen Putsch gegen die Nordatlantische Allianz zu inszenieren oder ein dauerhaftes Abrücken von den USA vorzubereiten. Wir wollen sehr konkret darüber reden, wie wir durch die Integration der Streitkräfte und der Rüstungsindustrien effizienter werden können.

Berliner Zeitung: Eine gemeinsame Armee können die Europäer aber nur haben, wenn sie sich einig sind, wofür sie militärische Gewalt anzuwenden bereit sind.

Richtig ist, dass wir von Zeit zu Zeit ein konzentriertes Gespräch über die europäischen Interessen brauchen werden. Richtig ist auch, dass das nur geht, wenn die Nationalstaaten willens sind, europäische Interessen auch dann mitzutragen, wenn sie ihnen nicht völlig einleuchten. Falsch wäre es, von der Vorstellung auszugehen, europäische Interessen würden sich nur mit militärischer Gewalt durchsetzen lassen. Politik besteht ja nicht nur aus militärischem Drohpotenzial, sondern auch aus politisch kluger Begleitung der sich anbahnenden internationalen Konflikte. Wenn wir wieder in das Stadium zurückfallen, wo der Krieg als ein normales Mittel der Politik angesehen wird, dann hätten wir einen zivilisatorischen Rückschritt zu beklagen.

Berliner Zeitung: Was können die Europäer derzeit im Irak-Konflikt überhaupt tun?

Die Europäer müssen an der transatlantischen Solidarität festhalten. Wenn diese Solidarität durch die Irak-Krise so geschwächt würde, dass zielorientierte Gespräche über internationale Fragen zwischen Amerikanern und Europäern nicht mehr möglich wären, dann würde die Welt insgesamt sehr viel instabiler werden.

Berliner Zeitung: Geht das mit dieser US-Administration überhaupt?

Es gibt keine andere. Verträge werden formal zwischen Regierungen abgeschlossen. Sie betreffen aber die Völker.

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