Schnelle Hilfe notwendig

Der Präsident des Internationalen Roten Kreuzes, Jacob Kellenberger, hat Sie letzte Woche in Straßburg über humanitäre Hilfe an den Irak informiert. Ist es mitten im Kriegsgeschehen nicht zu früh, um konkret darüber zu sprechen?

Charles Goerens: Wir reden noch nicht von Wiederaufbau. Vorerst geht es um schnelle Hilfe. Wir unterscheiden im Krisenfall zwischen der unmittelbaren Hilfe an die Not leidende Bevölkerung und dem längerfristigen Wiederaufbau. Wir sind jetzt im ersten Szenario. Probleme wie Wasserversorgung und medizinische Hilfe können nicht warten, bis der Krieg zu Ende ist. Hier muss schnellstens Abhilfe geschaffen werden. Später kann man dann umfangreichere Reparaturarbeiten vornehmer oder beschließen, die Wasserversorgung neu zu organisieren.

Wie viel Sinn macht humanitäre Hilfe mitten im Krieg? Wie unterscheidet sie zwischen Freund und Feind?

C.G.: Überhaupt nicht. Die Stärke des Internationalen Roten Kreuzes ist seine absolute Neutralität gegenüber den Kriegsparteien. Gerade weil es für keine der Krieg führenden Seiten Partei ergreift, ist seine Hilfe zu diesem Zeitpunkt ausschlaggebend. Es ist wichtig, dass es die Qualität der medizinischen Versorgung überprüft, dass es die Kriegsgefangenen besucht und identifiziert, dass es dafür sorgt, dass alle Verfügungen der Genfer Konventionen richtig angewandt werden.

Wird diese unparteiische Haltung von allen Konfliktparteien gleichermaßen anerkannt?

C.G.: Ja, ohne Zweifel. Das Rote Kreuz wird von allen Konfliktparteien anerkannt und steht mit ihnen im Gespräch. Zugute kommt ihm dabei die langjährige hervorragende Zusammenarbeit mit dem arabischen "Roten Halbmond" genau wie die Tatsache, dass es den Irak nie verlassen hat und deshalb die Lage ganz genau kennt und einschätzen kann. Der Krieg kam ja nicht unerwartet. Das IRK hat schon seit Monaten Pläne für seinen Einsatz und seine Arbeit studiert und ausgearbeitet.

Wie groß ist seine Bewegungsfreiheit mitten im Krieg?

C.G.: Es ist sehr wichtig, die humanitären Einsätze von den kriegerischen zu trennen. Die Mitarbeiter des Roten Kreuzes sind mit ihrem Logo als solche klar erkennbar. Sie sind durch die internationale Anerkennung ihres Statuts geschützt. Durch ihre völlige Unabhängigkeit und Überparteilichkeit sind sie aber auch sehr wichtige Informanten. Ohne das Rote Kreuz wüssten wir über manches nicht Bescheid. Die Journalisten berichten über den Kriegsverlauf. Durch das Rote Kreuz wissen wir, wie die irakischen Krankenhäuser klargekommen sind, wir wissen, dass die Infrastrukturen ausreichten, und dass Stresssituationen beim Personal aufgetreten sind, weil dieses durch die lange und intensive Arbeit überfordert war.

Wie stark ist der Druck der irakischen Behörden?

C.G.: Von da kommen keine Beeinträchtigungen. Uns wurde kein Fall zugetragen, in dem die irakischen Behörden dem Hilfswerk irgendwelche Schwierigkeiten gemacht hätten. Das einzige Problem, das es noch zu lösen gilt, ist das Besuchsrecht für die von den Irakern gemachten Kriegsgefangenen. Das bedeutet nicht, dass die Helfer der internationalen Hilfswerke, genau wie die Presse, nicht gewissen Gefahren ausgesetzt sind. Sie haben in diesem Konflikt auch schon Opfer beklagt, selbst wenn sie direkt nicht unter Beschuss stehen. In einem Spannungsgebiet bleibt die Gefahr nicht aus.

Inwiefern sind die Mitarbeiter des Roten Kreuzes auf diese extremen Situationen vorbereitet?

C.G.: Sie stehen unter dem Schutz der Genfer Konvention, der internationalen humanitären Abkommen, die von allen Kriegsparteien respektiert werden müssen. Darüber hinaus sind die Mitarbeiter vor Ort auf ihre schwierige Aufgabe vorbereitet. Sie wissen mit den Gefahren umzugehen und die Risiken abzuschätzen. Wenn der Schutz, den ihnen die internationalen Konventionen gewähren, nicht mehr garantiert ist, dann kann es auch vorkommen, dass sie abgezogen werden oder dass sie, wie letzte Woche bei der Schlacht um Bagdad gesehen, ihre Arbeit zeitweilig einstellen.

Wer sind die Mitarbeiter des Roten Kreuzes?

C.G.: In der Regel sind es Spezialisten. Natürlich sind viele Mediziner und Paramediziner dabei, weil die ärztliche Hilfe in erster Linie wichtig ist. Dazu kommen aber auch Techniker, die zum Beispiel einewasserleitung reparieren können. Vor Ort sind auch Juristen, die dafür sorgen, dass die Kriegsgefangenen richtig behandelt werden und Psychologen, welche die Bevölkerung betreuen.

Luxemburg hat spontan 3,5 Millionen Euro für humanitäre Hilfe bereitgestellt. Haben Sie dieses Geld jetzt integral dem Roten Kreuz gegeben?

C.G.: Das Internationale Rote Kreuz hat in einer ersten Phase jetzt eine Million Euro von uns bekommen. Der Rest wird je nach Bedarf und Nachfrage gestaffelt und dann nachgereicht. Als Land reagieren wir auf Anträge, weil wir von hier aus ja nicht wissen können, welches die Bedürfnisse sind. Und da ist das Internationale Rote Kreuz ein durch und durch zuverlässiger Partner.

Wie stehen wir im internationalen Vergleich mit dieser Summe?

C.G.: Deutschland gibt 20 Millionen Euro, Frankreich hat 8 Millionen bereitgestellt, Belgien 4. Diese Summen werden je nach Bedarf eingezahlt.

Ist das Rote Kreuz für alle Länder zum jetzigen Zeitpunkt der einzige verlässliche Partner? Kann man sich vorstellen, dass in Zukunft auch andere Akteure mit einbezogen werden?

C.G.: Wir Luxemburger wollen unsere Hilfe in einen allgemeinen UNO-Rahmen setzen. Wir können uns durchaus vorstellen, in einer zweiten Phase auch mit dem UNO-Flüchtlingswerk oder mit dem Welternährungsprogramm, beziehungsweise mit der UNICEF zusammen zuarbeiten.

Ist das nicht ein verzweifelter Versuch, der UNO im Irak doch noch eine Daseinsberechtigung zu verschaffen, nachdem sie ja von den Nationen, die den Krieg wollten, übergangen wurde?

C.G.: Die UNO findet mit den Mitteln, die sie besitzt, genügend Tätigkeitsfelder. Wir sprechen jetzt nur noch vom Irak. Aber in ganz Afrika häufen sich die Probleme: Süd- und Ostafrika haben Ernährungsprobleme, in der Region der großen Seen gibt es Spannungen, an der Elfenbeinküste ist die Gefahr eines Völkermordes noch nicht gebannt. Die UNO hat mehr Arbeit, als sie bewältigen kann.

Sie hat aber auch im Irak eine wichtige Aufgabe – nämlich die Sorge, die nationalistischen Gefühle nicht noch weiter zu verstärken. Dies vor allem, weil die Araber generell alle fremden Einmischungen ablehnen. Wir müssen uns bewusst sein, dass im Irak sehr schnell eine gewisse Zurückweisung der fremden Macht eintreten wird. Deshalb ist es umso wichtiger, den Irakern so schnell wie möglich die politische und wirtschaftliche Zukunft ihres Landes anzuvertrauen. Und dafür bietet die UNO den bestmöglichen Rahmen.

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