Jean-Claude Juncker: Wissen nicht, wohin die Reise geht

Profil: Die große Mehrheit des Konvents hat einem gemeinsamen Verfassungstext zugestimmt, darunter auch christdemokratische Vertreter. Sie haben sehr scharfe Kritik geübt. Warum?

Jean-Claude Juncker: Es gibt sicher auch viel Positives im Vorschlag. Dass die Europäische Union jetzt eine Verfassung bekommt, in welche auch die Grundrechtscharta für EU-Bürger integriert wird, ist ein Schritt, den man sich vor einigen Jahren noch gar nicht vorzustellen vermochte. Dass die Europäische Union eine eigene Rechtspersönlichkeit wird, ist auch ein sehr bedeutender Fortschritt. Und dass es in Teilbereichen europäischer Politik zur Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen kommt, ist die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches.

Profil: Wo liegen dann für Sie die Schwachstellen?

Jean-Claude Juncker: Meine Kritik betrifft erstens die Tatsache, dass es in Fragen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik prinzipiell bei der Einstimmigkeit bleiben soll. Dieser Zwang zur Einstimmigkeit wird die EU davon abhalten, zu einer internationalen Größe in der Weltpolitik aufzusteigen. Dass man die Perspektive nicht eröffnet hat, außenpolitische Entscheidungen mit Stimmenmehrheit zu treffen, halte ich für eine schwere Zielverfehlung. Der zweite Punkt meiner Kritik betrifft das institutionelle Durcheinander. Ich bin nicht prinzipiell gegen die Schaffung des Amtes eines zu wählenden Ratspräsidenten, sehe allerdings nicht, inwiefern sich dies im Vergleich zur bisherigen rotierenden Präsidentschaft effizienzsteigemd auswirken könnte. Ich verstehe auch nicht, wer die Sitzung der verschiedenen Fachminister künftig leiten soll. All dies ist bis jetzt vielleicht nicht immer effizient gewesen, aber es war wenigstens klar. Jetzt wissen wir nicht, wohin die Reise geht.

Profil: Der Zwergenaufstand der kleineren Länder gegen die großen war erfolglos. Ist dieser neue EU-Ratspräsident noch zu verhindern?

Jean-Claude Juncker: Wir haben ja diesem im Anflug befindlichen Riesenvogel, der den Europäischen Rat präsidieren soll, massiv die Flügel gestutzt. Zumindest ist jetzt auf dem Papier klargestellt, dass der Kommissionspräsident der eigentliche Spielmacher in der Europäischen Union bleibt und der Ratspräsident nicht zum Vorstandssprecher der Europa AG werden kann. Allerdings muss man eines klar sehen: Wenn es einen Kommissionspräsidenten geben sollte, der seine ihm durch Vertrag gesicherten Rechte nicht voll ausnützen würde, und parallel dazu einen gewählten EU-Ratspräsidenten, der seine Rechte auf Kosten des Kommissionspräsidenten auszuweiten versucht, dann werden wir Konflikte an der Doppelspitze haben. Das wird zu einer weiteren Unleserlichkeit der europäischen Politik beitragen.

Profil: Wer wird denn eigentlich die Union nach außen hin vertreten?

Jean-Claude Juncker: Leider ist die äußere Vertretung der Europäischen Union durch den Konvent mitnichten klarer geworden. Die Europäische Union wird nach außen hin vertreten vom gewählten Ratspräsidenten, vom europäischen Außenminister und vom Kommissionspräsidenten. Dann werden drei Europäer über den Laufsteg spazieren, über den George W. Bush alleine marschiert. Was daran klarer, effizienter, zielorientierter sein soll, konnte mir bis heute niemand erklären.

Profil: Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg haben eine gemeinsame-EU-Armee gefordert. Kann sich Europa militärisch von der NATO und den Amerikanern emanzipieren?

Jean-Claude Juncker: Europa wird im militärischen Bereich mehr Verantwortung übernehmen müssen, das steht fest. Davon unabhängig wird es auch die transatlantische Kooperation weiterhin geben.

Profil: Sie wurden zusammen mit Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel als einer der Favoriten für Top-Positionen in der EU genannt, speziell für die Funktion des Kommissionspräsidenten. Könnte es da in den nächsten Jahren zu einem Match Juncker gegen Schüssel kommen?

Jean-Claude Juncker: Nein, ich kandidiere nächstes Jahr für den Posten des luxemburgischen Ministerpräsidenten. Wenn die Luxemburger mir anlässlich des Wahlganges vom 13. Juni 2004 bedeuten, dass sie mich gerne als Premierminister behalten möchten, dann werde ich das machen. Wenn der luxemburgische Wähler mir den Stuhl vor die Tür stellt, werde ich mir überlegen, wo ich diesen Stuhl hinbewege, und mich dann darauf setzen. Mit Wolfgang Schüssel Streit zu bekommen ist, was diese Frage anbelangt, ein Ding der Unmöglichkeit. Da passt kein Stück Papier zwischen uns.

Profil: Würden Sie ihn eventuell unterstützen, falls er bereit wäre, neuer Kommissionspräsident zu werden?

Jean-Claude Juncker: Ich werde mit ihm darüber reden und dann erst mit Profil.

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