Kein Grund zum Jubeln. Landwirtschaftsminister Fernand Boden über die Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation in Cancùn

Luxemburger Wort: Stolperte die WTO in Cancùn letztlich über die Landwirtschaft?

Fernand Boden: Nein. Ich finde es mehr als bedauerlich, dass der Landwirtschaft nach dem ergebnislosen Abbruch der Verhandlungen der Schwarze Peter in die Schuhe geschoben wird. Denn sie stand überhaupt nicht im Mittelpunkt der Gespräche. Gescheitert ist Cancùn letztlich an den so genannten Singapur-Themen – Investitionsschutz, transparente Vergabe von Regierungsaufträgen, fairer Wettbewerb, Abbau bürokratischer Handelshemmnisse – und an der Tatsache, dass der WTO-Generaldirektor keine anderen Punkte in die Verhandlungen einbeziehen wollte.

Es war also auch eine Frage der Führung, dass die Verhandlungen ergebnislos blieben?

Fernand Boden: Meiner Meinung nach hätte der Themenkreis erweitert werden müssen, um die Aussichten zu steigern, einen für alle Partner annehmbaren Kompromiss zu finden. Das große Problem der WTO ist nämlich, dass alle 148 Mitglieds-Staaten ihr Einverständnis geben müssen. Und das kann nur über ein gegenseitiges Geben und Nehmen gelingen. Erschwerend hinzu kommt die fehlende Verhandlungsbereitschaft einiger Teilnehmer. Da spielte sicherlich die Versuchung eine Rolle, die World Trade Organisation zerschlagen zu wollen. Cancùn wurde zu politischen Muskelspielen missbraucht – dabei ist die Welthandelsorganisation kein politisches Gremium. Dass der multilaterale Mechanismus, der die WTO auszeichnet, nun auf der Intensivstation liegt, ist wahrlich kein Grund zum Jubeln. Die Freudentänze sind für mich jedenfalls unverständlich.

Die schwerwiegende Problematik der handelsverzerrenden Subventionen kann indes nicht geleugnet werden.

Fernand Boden: In diesem Punkt hat die Europäische Union im Vorfeld von Cancùn ihre Hausaufgaben gemacht. Dies gilt für die weit reichende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, aber auch für die Initiative "Alles außer Waffen", mit der die EU ihre Märkte für die Produkte der am wenigsten entwickelten Staaten geöffnet hat. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten hat Europa Kompromissbereitschaft gezeigt.

Die Angebote werden aufrecht erhalten. Wir dürfen Cancùn jetzt nicht zum vorwand nehmen, um beispielsweise die GAP-Reform wieder in Frage zu stellen - auch wenn ihre Umsetzung alles andere als einfach zu bewerkstelligen sein wird.

Darüber hinaus darf man den Aspekt der Subventionen nicht überbewerten. Andere Punkte wie der Respekt hygienischer, ökologischer und sozialer Standards müssen auch Beachtung finden. Und schließlich müssen den Entwicklungsländern, wo der primäre Sektor immer noch eine gewaltige wirtschaftliche Bedeutung hat, Wege aufgezeichnet werden, wie sie für ihr Land und ihre Region eine Landwirtschaft betreiben können, die Nahrungssicherung und Qualität gewährleistet.

Wie sehen Sie denn nun die Zukunft der Welthandelsorganisation? Wird der Handel künftig verstärkt auf bilaterale Beziehungen aufbauen?

Fernand Boden: Das wäre mit Sicherheit eine für die Dritt-Welt-Staaten Folgen schwere Entwicklung. Der Multilateralismus darf nicht in Frage gestellt werden, weil er allen Mitgliedern, auch den Ärmsten, Gehör verschafft. Bei einer Weichen-Stellung, die in bilateralen Abkommen mündet, werden viele armen Länder, die für den reichen Norden uninteressant sind, auf der Strecke bleiben.

Was muss sich denn bis zu einer nächsten Runde ändern?

Fernand Boden: Ein weiteres Cancùn wird es wohl nicht mehr geben. Es ist nicht mehr denkbar, dass 148 Staaten innerhalb von fünf Tagen einstimmige Entscheidungen treffen können. Das funkioniert auch nicht in der Europäischen Union mit ihren 15 Mitgliedern.

Wesentlich erscheint mir, dass die WTO einen neuen Elan, eine neue Dynamik erhält. Konkret muss dies bedeuten, die Gräben zwischen Nord und Süd zu überwinden, damit die in Doha ausgerufene Entwicklungsrunde ihrem Namen gerecht werden kann. Und dies wiederum ist auch eine Frage der Kohärenz zwischen den einzelnen Politikbereichen.

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