EU-Finanzminister beraten über Frankreichs Haushaltspolitik, Interview mit Premierminister Jean-Claude Juncker

Engels: Während Deutschland der EU zugesichert hat, durch Reformen und Sparanstrengungen so schnell wie möglich wieder unter die Drei-Prozent-Marke kommen zu wollen, lässt sich Frankreich solche Sparversprechen bislang nicht abtrotzen. Gestern beim Treffen der EU-Finanzminister in Luxemburg saß auch der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker mit am Tisch, denn er ist auch gleichzeitig Finanzminister seines Landes und nun am Telefon. Guten Morgen Herr Juncker!

Juncker: Guten Morgen!

Engels: Wie war denn gestern unter den Finanzministern die Stimmung gegenüber dem französischen Kollegen Francis Mer?

Juncker: Gestern war die Stimmung gut. Montagabend, als nur die 12 Finanzminister der Euro-Gruppe, also die Euro-Finanzminister tagten, war sie etwas angespannter. Wir haben den Franzosen versucht deutlich zu machen, dass weitere Sparanstrengungen notwendig sind, allerdings auch zur Kenntnis genommen, dass Frankreich sich bewegt und nicht mehr den Eindruck gibt, sich jenseits von Gut und Böse auf der anderen Seite des Stabilitätspaktes zu befinden.

Engels: Die EU-Minister sind ja wohl gespalten in dieser Frage, wie man gerade mit Frankreich umgeht. Der deutsche Finanzminister Eichel - wir haben es eben gehört - setzt auf Kompromiss. Sein österreichischer Kollege beharrt dagegen auf einer strengen Auslegung des Stabilitätspakts. Wo stehen Sie?

Juncker: Ich versuche mich dort aufzuhalten, wo der gesunde Menschenverstand angesiedelt ist. Er ist nicht immer leicht zu orten, wie Sie wissen, weder in Deutschland noch in Europa. Tatsache ist, dass Frankreich zum dritten Jahr die Defizitgrenze von drei Prozent nicht rammt, sondern reißt, und das können wir nicht einfach so zur Kenntnis nehmen, ad akta legen und die französische Haushaltspolitik einfach durchwinken. Deshalb ist unser Bemühen ein Bemühen, das darauf abzielt, Frankreich zu einer Bereinigung seines Strukturdefizites zu bringen. Dort hat Frankreich schon viel geleistet. Frankreich hat eine Rentenreform durchgeführt, die wird ein Prozent Einsparungen bringen im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt. Frankreich wird im Laufe dieses Jahres eine Gesundheitsreform durchführen; die wird auch erhebliche Einsparungspotenziale mit sich bringen. Dann muss man sehen, dass Frankreich, Deutschland und Italien sich in der Rezession befinden. Damit sind 75 Prozent des Euro-Bruttosozialprodukts in einer rezessiven Phase und dies wirkt sich negativ auf das Wachstumspotenzial in der gesamten Euro-Zone aus. Darunter leiden die Nachbarn und es kann nicht unser Interesse sein, Frankreich und Deutschland jetzt zu Sparanstrengungen zu zwingen, die die Investitionsquote in den öffentlichen Haushalten absenken würden, die konsumdämpfende und konjunkturabflauenlassende Effekte hätten und damit das Wachstumspotenzial in der gesamten Zone abbremsen würden. Nein, es geht jetzt darum, im Rahmen einer guten Koordinierung der Wirtschaftspolitik und unter der Maßgabe, dass Frankreich zusätzliche Anstrengungen im Jahre 2004 macht, den Franzosen die Möglichkeit zu geben, im Jahre 2005 zu einer Haushaltsbereinigung zu kommen. Dies setzt große Anstrengungen Frankreichs voraus, aber es macht wenig Sinn, jetzt Sanktionen zu entscheiden und die französische Haushalts- und Wirtschaftslage und damit auch die europäische Wirtschaftslage sich in dem desolaten Zustand befinden zu lassen, in dem sie sich befindet.

Engels: Aber persönlich: Luxemburg hält sich seit Jahren streng an die Defizitregeln von unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts und viele andere kleine EU-Mitglieder auch. Können Sie es dann noch in Ruhe mit ansehen, was Ihre Kollegen aus Frankreich und Deutschland da machen?

Juncker: Ich sehe mir erst mal in Ruhe an, dass die kleineren Staaten ihre Hausaufgaben gemacht haben. Luxemburg hat eine Gesamtstaatsverschuldung von vier Prozent. Das ist genau das, was die Franzosen jetzt mit der Reform von Haushaltsdefiziten in einem Jahr hinkriegen werden, was zu begrüßen ist, und sie hätten damals eigentlich mehr machen müssen. Wenn die Konjunkturresultate steuerlicher Art, die in den guten Konjunkturjahren erzielt worden sind, eindeutig dem Schulden- und Defizitabbau zugeführt worden wären - das hat Frankreich nicht gemacht, das hat Deutschland nicht gemacht und jetzt sind sie in der Lage, in der wir uns befinden. Deshalb kommt es jetzt darauf an deutlich zu machen, dass bei Wiederanspringen des Konjunkturmotors und bei Einfahren von zusätzlichen konjunkturbedingten Haushaltseinnahmen diese strikt und stringent dem Defizit- und Schuldenabbau zugeführt werden. Dazu braucht es eindeutige Verpflichtungen Deutschlands und Frankreichs.

Engels: Bauen Sie denn, baut die Europäische Union Frankreich und Deutschland auch deshalb goldene Brücken, weil sie innerhalb der EU einfach zu mächtig sind, um sie zu bestrafen?

Juncker: Wer Haushaltsdefizite in der Höhe einfährt wie Frankreich, ist nur relativ betrachtet ein mächtiger Staat. Ein Staat, der seinen Verpflichtungen, die er in Europa eingegangen ist, nicht nachkommen kann, der mag zwar groß sein. Mächtig am Tisch ist er jedenfalls nicht. Deshalb geht es nicht darum, goldene Brücken zu bauen, sondern der Vernunft eine Bahn zu brechen. Wir müssen mit den Franzosen, teilweise auch mit unseren deutschen Kollegen präzise Vereinbarungen treffen, wie die Jahre 2004 und 2005 haushaltsmäßig verlaufen müssen, und wir brauchen die Gewissheit, dass Konjunkturquellen, wenn es sie denn gibt, das sprudelnde Geld in den Defizitabbau bringen. Hier muss mittelfristig Klarheit geschaffen werden und jeder muss wissen, was er zu tun hat. Ich bin im übrigen über das, was die Franzosen vorgelegt haben, nicht voll umfänglich zufrieden. Ich stelle trotzdem fest, dass es erhebliche Kraftanstrengungen in Paris gibt, um die Haushaltslage zu sanieren. Man darf sich ja nicht vorstellen, was eigentlich passieren würde, wenn es den Stabilitätspakt, seine Zwänge und die Angst vor den Konsequenzen, die sich aus diesen Zwängen ergeben, nicht gäbe. Dann wäre die Haushaltslage in Frankreich, wahrscheinlich auch in Deutschland wesentlich besorgniserregender als sie jetzt ist. Der Stabilitätspakt zeigt Wirkung, weil auch in den großen Mitgliedsstaaten die Angst umgeht, dass man auf die Anklagebank gezerrt wird - dort sitzt man ja schon -, aber dass man auch verurteilt wird. Niemand lässt sich gerne verurteilen und wird alles tun, um dieser Verurteilung dadurch, dass er inhaltlich mehr leistet, zu entgehen.

Engels: Deutschland und Frankreich, wenn sie es beide nicht schaffen, den Kurs zur Konsolidierung wieder einzuschlagen, oder nicht wollen je nachdem, scheitert dann der Euro-Stabilitätspakt?

Juncker: Nein, der scheitert nicht. Wir werden uns im Rahmen des Euro-Stabilitätspaktes mit den Franzosen, zum Teil auch mit der deutschen Finanzpolitik sehr intensiv unterhalten müssen. Dies tun wir ja auch zur Zeit. Frankreich steht unter dem massiven Eindruck, dass die Partner in der Euro-Zone weiteres haushaltspolitisches Fehlverhalten nicht akzeptieren, und die Franzosen werden große Anstrengungen machen, um im Jahre 2005 wieder im Stabilitätsboot eindeutig zu sitzen. Man muss ja auch sehen - das sieht man eigentlich weniger oft -, dass der Stabilitätspakt, der Stabilitätsgedanke überhaupt deshalb Eingang fand in das Vertragswerk, weil sichergestellt werden sollte, dass die europäische Währung stabil ist. Man muss feststellen, dass als die Haushaltslage besser war in der Euro-Zone, der Euro schwach war und dass jetzt, wo die Haushaltslage nicht zufriedenstellend ist, der Euro stark ist. Man muss die gesamten ökonomischen Effekte auf die gesamte Euro-Zone ausleuchten, die durch deutsche und französische Politik entstehen, im Guten wie im Bösen, damit man hier zu einer richtigen Betrachtungsweise kommt.

Engels: Der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker. - Ich bedanke mich für das Gespräch!

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