Bei den notwendigen Klarstellungen müssen wir uns möglichst nah am Konventionsentwurf entlang bewegen

Lëtzebuerger Journal: Herr Ministerpräsident, Sie haben den Verfassungsentwurf mit einem Film in einer Dunkelkammer verglichen, von dem niemand weiß, was drauf ist. Welche Befürchtungen verbinden Sie mit diesem Vergleich?

Jean-Claude Juncker: Wenn ich von der Dunkelkammer rede, spreche ich nicht vom gesamten Verhandlungsergebnis des Konvents, sondern von den institutionellen Vorkehrungen.

Nehmen wir den Vorschlag zur Präsidentschaft in der EU. Bisher ist es einfach, weil man weiß, wer von welchem Land jeweils sechs Monate den Vorsitz im Ministerrat führt.

Solange man aber nach der Abschaffung des wechselnden Vorsitzes zwischen den Mitgliedstaaten nicht weiß, wer welchen Ministerrat wie führen wird, liegt ein Film in der Dunkelkammer, von dem man nicht weiß, welche Bilder er bei der Entwicklung zeigen wird.

Ich habe mich, wie inzwischen sehr viele Kollegen, in den letzten Monaten immer wieder dafür eingesetzt, dass hier zusätzliche Präzisionen vorgenommen werden. So, wie der Vertrag vorliegt, ist er nicht ohne weitere institutionelle Vorkehrungen durchzusetzen.

LJ.: Trotz dieser Unzulänglichkeiten aber wollen die sechs Gründungsmitglieder der EU, im Gegensatz zu mehreren Beitrittsländern, das Gesamtpaket des Vertragswerks – abgesehen von mehr technischen Veränderungen in den Grundfragen – nicht mehr offnen, um die erreichen Fortschritte nicht wieder aus Spiel zu setzen. Wie soll die Regierungskonferenz verfahren?

Jean-Claude Juncker: Es gibt Zeitungsüberschriften, die sagen, dass die sechs Gründungsmitglieder für den Gesamtverlauf der Regierungskonferenz auf einer Linie lägen. Das ist aber nicht so.

Die drei Benelux-Regierungen haben wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass es notwendige Klarstellungen zu treffen gilt. Selbst die Franzosen haben deutlich gemacht – die Deutschen weniger – dass es noch Nachbesserungsbedarf gibt. Es gibt den feinen Unterschied zwischen den sechs Gründungsstaaten und den neuen Mitgliedsländern der Union, dass wir uns so nah wie möglich am Text des Konventsentwurfes entlang bewegen möchten, während andere weitergehende Infragestellungen ins Auge fassen.

LJ.: Unmittelbar nach der ersten Vorlage des Konventsentwurfs waren Sie mit Ihrer kritischen Wertung der Sprecher der kleineren Länder, die ihre Interessen nicht ausreichend gewahrt sahen. Was hat sich danach geändert, dass Sie am letzten Treffen dieser Gruppe in Prag nicht teilgenommen haben.

Jean-Claude Juncker: Ich habe immer wieder den institutionellen Aspekt am Vertragsentwurf kritisiert. Andere Punkte weniger, obwohl es auch da einiges anzufügen gilt, das von einer höheren Ambition hätte getragen sein können.

Im Vorfeld des Konventsendergebnisses habe ich mehrfach im Namen der kleinen EU-Staaten und auch auf deren Wunsch hin gesprochen. Es ging damals bei dem Treffen von acht Ländern in Luxembürg darum zu verhindern, dass Giscard d'Estaing einen Vertrag vorlegt und der Konvent ihm zustimmt, in dem der neu vorgesehene, gewählte EU-Ratspräsident die absolute Nr. l im institutionellen Gefüge der EU geworden wäre. Dagegen haben wir uns mit Erfolg gewehrt. Der EU-Ratspräsident ist jetzt nur noch ein Schatten der Idee Giscards.

Es ging darum deutlich zu machen, dass in vielen Bereichen, in denen heute mit Einstimmigkeit entschieden wird, in Zukunft mit Mehrheit entschieden werden sollte.

Es ging darum, den gemeinsamen Außenminister als neue Institution durchzusetzen und den so genannten Volkskongress abzulehnen.

All das konnte auf Grund des Widerstandes der kleinen Staaten bewerkstelligt werden.

Wieso sollten wir dann eine Abwehr auf breitester Front weiterführen, nachdem wir uns in wesentlichen Punkten durchgesetzt haben?

Es geht jetzt darum, punktuelle Verbesserungen zu machen. Die sind auch höchst notwendig, weil ansonsten die Europäische Union in der institutionellen Ineffizienz untergehen würde.

LJ.: Gilt der Versuch der punktuellen Verbesserungen auch für die EUAußenpolitik, in der ja weiterhin einstimmig beschlossen werden muss, und wo trotz des gemeinsamen Aussenministers die Außenvertretung nicht eindeutig geregelt wurde?

Jean-Claude Juncker: Man wird versuchen müssen, hier weitere Fortschritte zu erzielen, übertriebene Hoffnungen aber mache ich mir keine.

LJ.: Der Vorschlag der Zwei-Klassen-Kommissare ist auf Benelux-Initiative hin zur gleichberechtigten Rotation abgemildert worden. EUKommissionspräsident Romano Prodi aber möchte stattdessen das Gewicht der Kommissare durch die Schaffung von Kommissarsgruppen strukturieren. Könnte das eine Alternative sein?

Jean-Claude Juncker: Die Benelux-Länder haben auf Grundlage des Prinzips, dass jedes Land einen Kommissar nach Brüssel entsendet, den Vorschlag gemacht, aus Gründen der Entscheidungseffizienz nur der Hälfte des Kommissarskollegiums Stimmrecht einzuräumen.

Unter der Maßgabe, dass die Kommissare, die über das Stimmrecht verfügen, rotieren müssen, so dass abwechselnd der Kommissar eines jeden Landes abstimmt.

Wir kämpfen dafür, dass dieses Ergebnis auch von der Regierungskonferenz beibehalten wird. Viele kleinere und mittlere Staaten sind aber noch dagegen.

Den Vorschlag der Kommission selbst, Zweiklassen-Kommissare einzuführen, nämlich diejenigen, die den Vorsitz in den Kommissarsauschüssen hätten, die sich aus vier oder fünf Kommissaren zusammensetzen, und die dann losgelöst von einer Kollegiumsentscheidung separate Entscheidungen unter Anführung eines Hauptkommissars zu treffen hätten, halten wir für absolut gefährlich für die kleineren und mittleren Staaten, weil letztendlich die Kommissare aus den größeren Ländern Gruppenleiter wären und die aus den kleineren Ländern zu Mitläufern würden.

LJ.: Die Europäische Zentralbank hat darauf gedrungen, dass ihre Aufgabe, für ein inflationsfreies Wirtschaftswachstum zu sorgen, stärker hervorgehoben wird. Entsteht dadurch nicht ein Widerspruch zu der Präambel der Verfassung, in der auf die Verantwortung der EU auch für Wirtschaftsförderung, Arbeitsplätze und den sozialen Zusammenhalt hingewiesen wird?

Jean-Claude Juncker: Ich bin mir nicht sicher, ob es der Stabilität in Europa hilft, wenn im Vertrag selbst das Ziel der Preisstabilität weiterführend als bisher beschrieben wird.

Ich bin der Auffassung, dass die Textpassage, die wir jetzt im Vertrag stehen haben, eigentlich ausreichend ist. Ich will mich aber einer derartigen Debatte nicht versperren. Nur muss die Europäische Zentralbank wissen, dass sie dann konfrontiert wird mit dem Standpunkt derer, die der Meinung sind, nicht nur Preisstabilität gehört in den Aufgabenbereich der EZB, sondern auch Wachstum und hohes Beschäftigungsniveau.

L.J.: Beim Gipfel in Thessaloniki erklärten die Staats- und Regierungschefs, sie wollten zusammen mit den Außenministern die Regierungskonferenz selbst bestreiten und nicht der Beamtenebene überlassen, wie in früheren Jahren. Jetzt überlassen sie nach der Eröffnung, bei der es – wie sie erklärten – noch nichts Neues gab, aber das Feld allein den Außenministem. Warum?

Jean-Claude Juncker: Es war nie strikt geplant, dass die EU-Regierungschefs sich bei jeder Etappe der Konferenz selbst involvieren. Es ist normal, das die Außenminister diese Aufgabe übernehmen. Sie haben auch Zeit dafür. Die Regierungschefs weniger.

Es reicht, wenn in den nationalen Regierungen die Positionen der Mitgliedstaaten maximal koordiniert werden, und wenn im Falle einer Nichteinigung der Außenminister die Regierungschefs eingreifen. Die Außenminister können ja auch zurückgreifen auf die Vorarbeiten der Finanzminister, der Justizminister und anderer.

LJ.: Nach dem Verlauf der Eröffnung der Regierungskonferenz, halten Sie es da für möglich, dass der Vertrag, wie vom italienischen Vorsitz gewünscht, im Dezember abgeschlossen werden kann ?

Jean-Claude Juncker: Die italienische Ratspräsidentschaft wird sich darum bemühen, aber ich halte das Abschlussdatum für weniger wichtig, als eine qualitativ hoch angesiedelte Regierungskonferenz mit Substanz in den Hafen zu bringen. Aber wenn es vor Ende des Jahres geht, um so besser.

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