Erna Hennicot-Schoepges: Luxemburg darf seine Chancen auf dem Gebiet der Forschung nicht verspielen. La ministre de la Culture, de l'Enseignement supérieur et de la Recherche au sujet de l'Université du Luxembourg

Luxemburger Wort: Warum braucht Luxemburg, inmitten eines breit gefächerten universitären Umfeldes, eine eigene Hochschule?

Erna Hennicot-Schoepges: Seit 1987 haben wir uns in der Forschung engagiert und drei "Centres de recherche publics" geschaffen. Diese haben sich gut entwickelt. 1991 haben wir zudem den "Fonds national de la recherche" als Finanzierungsinstrument ins Leben gerufen. Der Fonds hat acht nationale Forschungsprojekte initiiert, die bis ins Jahr 2007/2008 laufen.

Die Forschung erlaubt es uns, neue Unternehmen für den Standort Luxemburg zu interessieren. Unser Land braucht für das 21. Jahrhundert eine Neuorientierung. Eine solche Neuorientierung wurde in der Vergangenheit in regelmäßigen Abständen immer wieder vorgenommen. Zunächst hatten wir die Stahlindustrie, dann wurden der Finanzplatz und das Satellitengeschäft entwickelt, und nun stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten bieten sich der Wissensgesellschaft im 21. Jahrhundert? Ich meine, Luxemburg darf seine Chancen auf dem Gebiet der Forschung nicht verspielen.

Wenn man allerdings Forschung sagt, braucht man auch eine Universität, die als Lokomotive für die industrielle Weiterentwicklung des Landes dienen kann.

Bei einem Besuch in Bayern habe ich festgestellt, dass die dort getätigten Investitionen in die Forschung ein sehr wichtiger Standortfaktor für die Ansiedlung von neuen Unternehmen sind.

Die Universität ist kein Selbstzweck. Sie soll der Gesellschaft dienen, den Unternehmen in Luxemburg eine Hilfestellung geben bei der Erarbeitung von Forschungsprogrammen und natürlich die nötigen Fachkräfte ausbilden.

Luxemburger Wort: Wo wird die Universität Luxemburg ihre Schwerpunkte setzen ? Wird es eine reine Forschungs-Universität?

Erna Hennicot-Schoepges: Zunächst muss eine Bestandsaufnahme des bisher Angebotenen gemacht werden. Welche Studiengänge werden in ihrer jetzigen Form fortgesetzt oder ausgebaut, welche werden nicht mehr weitergeführt, wo besteht ein Bedarf an neuen Fächern und Abschlüssen? Diese Bestandsaufnahme betrifft vor allem den "Bachelor"-Abschluss, wo die Mobilität der Studenten ein wichtiges Element und ein Charakteristikum der Universität Luxemburg ist. Danach müssen wir natürlich ausloten, auf welchen Gebieten wir mit hochkarätigen Forschungsprojekten hevortreten können. Hier gibt es zwei erfolgreiche Modelle für den dritten Zyklus: das europäische Recht und die "School of Finance". In anderen Bereichen, etwa in der medizinischen Forschung, werden bereits Doktorarbeiten vorbereitet. Solche Aktivitäten müssen jetzt in der Universität gebündelt werden.

Luxemburger Wort: Ist ein komplettes Grundstudium nach klassischem Muster noch vorgesehen?

Erna Hennicot-Schoepges: An zwei Fakultäten, der technologischen und der pädagogischen, gibt es zwei "bachelor professionnel". Bei den Aktivitäten am "Centre universitaire" muss allerdings noch geregelt werden, wo ein komplettes Grundstudium angeboten wird. Das wird die Aufgabe des Rektors und seines Teams sein.

Luxemburger Wort: Im Gespräch mit dem "Luxemburger Wort" hat Rektor Francois Tavenas vor allem die Luxemburger Abiturienten als potenzielle Studenten für die neue Universität genannt.

Erna Hennicot-Schoepges: Es ist nicht Ziel der Regierung, die Mobilität der einheimischen Studenten abzubauen. Das Projekt wurde entwickelt, um ausländische Studenten nach Luxemburg zu bringen. Es wäre geradezu kontraproduktiv, Luxemburger von einem Auslandsstudium abzuhalten - dies kann nur zum Vorteil des Landes sein.

Einen Nachteil gibt es allerdings auch: Viele luxemburgische Universitätsabsolventen kehren nicht mehr in ihre Heimat zurück. Daraus ergibt sich eine weitere Daseinsberechtigung für die Universität Luxemburg: Wenn wir den eigenen Forschem attraktive Arbeitsbedingungen in Luxemburg bieten, dann werden sicher einige von ihnen auch wieder ins Großherzogtum zurückkehren.

Langfristig können wir uns ohnehin den Verlust von intellektuellem Potenzial nicht leisten.

Luxemburger Wort: Wie funktioniert die Universität heute, in ihrem embrionalen Stadium?

Erna Hennicot-Schoepges: Seit der Veröffentlichung des entsprechenden Gesetzestextes am vergangenen 6. Oktober ist die Universität Luxemburg eine Realität. Das akademische Jahr 2003/2004 wird noch unter den bisher gültigen Bestimmungen zu Ende geführt. Das Gesetz hat für die laufenden Studiengänge Übergangsregelungen festgelegt. Mit dem Schulanfang 2004/ 2005 gelten dann die Vorgaben der neuen Universität Luxemburg.

Luxemburger Wort: Jene Institute, die bisher im postsekundären Unterricht aktiv waren, werden nun in die Universität integriert.

Erna Hennicot-Schoepges: Das werden in der Tat Institute der Universität Luxemburg sein, die allerdings nicht in ihrer bisherigen Struktur weitergeführt werden. Sowohl das "Institut superieur de technologie" als auch das "Institut superieur d'etudes et de recherehes pedagogiques" (ISERP) und das "Institut d'etudes educatives et sociales" (lEES) müssen ihre Studiengänge dem "bachelor"-Abschluss anpassen. Bei dieser Anpassung wird natürlich auch zu überprüfen sein, welche Dozenten für den Unterricht qualifiziert sind. Eine "commission des titres" ist mit dieser Aufgabe betraut.

Luxemburger Wort: Wie wird das Professorenkollegium zusammengestellt?

Erna Hennicot-Schoepges: Ziel der Universität ist es, möglichst viele Professoren fest einzustellen. Dies ist im Interesse des Unterrichts und der Studenten, die von den Professoren dann auch persönlich besser betreut werden können. Die Nomenklatura ist nach sehr strikten Kriterien und hohen Qualifikationsansprüchen definiert worden. Voraussetzungen sind u. a. ein Doktortitel und wissenschaftliche Veröffentlichungen. Darüber hinaus wird es auch weiter möglich sein, mit Lehrbeauftragten zu arbeiten.

Luxemburger Wort: In Luxemburg entsteht somit ein neuer Berufsstand.

Erna Hennicot-Schoepges: Genau. Wir haben bei verschiedenen Instituten bisher auf Dozenten aus der Privatwirtschaft zurückgreifen müssen. Dies hat nicht nur organisatorische Probleme hervorgerufen, sondern auch einen Mangel an Kohäsion in den einzelnen Instituten. Diesem Problem können wir mit einem festen Bestand an Professoren aus dem Weg gehen.

Luxemburger Wort: Ist es das Ziel der Universität, sich in Nischenfächern einen Namen zu machen?

Erna Hennicot-Schoepges: Wenn wir es fertigbringen, dass Studenten und Doktoranden sich an der Universität Luxemburg immatrikulieren, weil sie hier einen spezifischen Studiengang absolvieren oder bei einem anerkannten Professor Seminare belegen können, dann erhält die Universität auch ein internationales Renommee. Uns bleibt nicht die Zeit, eine lange historische Tradition zu entwickeln, wie es andere Universitäten in Jahrhunderten machen konnten.

Luxemburger Wort: Sind namhafte Professoren interessiert, nach Luxemburg zu kommen?

Erna Hennicot-Schoepges: Wenn etwas Neues entsteht, gibt es immer Leute, die sich an solch einem Projekt beteiligen wollen. Es liegt am Rektor, seine internationalen Kontakte spielen zu lassen.

Darüber hinaus gibt es hoch qualifizierte luxemburgische Forscher an ausländischen Schulen, die wir für die Universität gewinnen möchten.

In einer nächsten Phase, wenn Doktoranden hier abschließen, werden auch Assistentenstellen geschaffen.

Luxemburger Wort: Inwieweit werden Industrie und Privatwirtschaft in das Projekt Universität eingebunden?

Erna Hennicot-Schoepges: Mein Wunsch ist es, dass die Industrie die neue Hochschule als Forschungsplattform wahrnimmt. Es ist durchaus vorstellbar, auf einem ur-luxemburgischen Gebiet wie der Stahlproduktion Materialforschung zu betreiben, oder etwa auf dem Gebiet Baumaterialien mit sämtlichen ökologischen Fragen.

Luxemburger Wort: Wie sieht es mit den Wohnmöglichkeiten für Studenten, mit spezialisierten Buchhandlungen aus?

Erna Hennicot-Schoepges: Diese Frage ist der Beleg, dass sich mit der Universität neue Aktivitäten in Luxemburg entwickeln werden.

Wir arbeiten zurzeit am Aufbau einer Universitätsbibliothek, die mit der Nationalbibliothek vernetzt werden soll. Ein zweites, wichtiges Arbeitsfeld ist die Bereitstellung von Wohnraum. Da kommen wir nicht umhin, auf private Anbieter zurückzugreifen, denen wir natürlich angemessene Rahmenbedingungen bieten werden.

Im Dezember werde ich dem Ministerrat diesbezüglich ein Dossier unterbreiten, das u. a. den Rückgriff auf Privatwohnungen sowie die Schaffung von Wohnraum durch den Staat und in Zusammenarbeit mit den Gemeinden vorsieht.

Luxemburger Wort: Wird die Universität Luxemburg Studiengebühren erheben?

Erna Hennicot-Schoepges: Im Gesetz steht weder, dass Gebühren vorgesehen noch verboten seien. Es bleibt also der Universität vorbehalten, ob und für welche Studiengänge eine finanzielle Beteiligung erforderlich wird.

Die Universität kann nicht komplett zum Nulltarif funktionieren, allerdings darf man nicht verschweigen, dass sie auch eine soziale Funktion hat. Ein Grundstudium muss gebührenfrei bleiben.

Luxemburger Wort: Die Zielvorgabe von Rektor Francois Tavenas sind 4.000 Studenten an der Universität Luxemburg.

Erna Hennicot-Schoepges: Zurzeit sind rund 2.800 Studenten eingeschrieben. Es scheint mir also durchaus realistisch, in den kommenden vier Jahren l.000 weitere Studenten aufzunehmen. Ich bin überzeugt, dass wir aufgrund der Spezifizität der Universität - u. a. die Mehrsprachigkeit - in einer ersten Phase keine Studentenschwemme erleben werden.

Wir dürfen bei diesem Projekt nicht überstürzt vorgehen und uns keine Fehler erlauben.

Luxemburger Wort: Frau Ministerin, vielen Dank für das Gespräch.

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