Jean-Claude Juncker: Nicht in Harmonie mit mir selbst. Premierminister Juncker über die Asylpolitik

woxx: Herr Premierminister, nach Ihrem Besuch im Kosovo äußerten Sie sich pessimistisch über die dortige Lage. In den vergangenen Jahren sind zunehmend Asylbewerber aus dem Kosovo nach Luxemburg gekommen. Nun ist ein Rückführungsabkommen in Arbeit. Werden diese Menschen wieder in ihr Herkunftsland zurückgeschickt?

Jean-Claude Juncker: Auch wenn das Abkommen unter Dach und Fach ist, wird es nicht zu kollektiven Zwangsrückführungen kommen, bis sich die Lage im Kosovo beruhigt hat. Es wird aber zu individuellen Rückführungen kommen, wenn sicher gestellt ist, dass dies ohne Gefahr für Leib und Leben geschehen kann.

Ehemalige Flüchtlinge aus Serbien-Montenegro werden schon seit über einem Jahr in ihr Land zurückgeschickt. Von einer stabilen politischen Lage kann aber dort nicht die Rede sein. Weshalb diese Rückführungen?

Jean-Claude Juncker: Die Lage im Kosovo ist nicht vergleichbar mit der in Bosnien, Serbien-Montenegro oder Mazedonien. Bei den drei Letzteren hat sich die Chance auf eine Ankunft in einer neuen Normalität deutlich verbessert. Ich habe keine Bedenken, Menschen dorthin zurückzuschicken.

Normalität? Die Präsidentschaftswahlen in Serbien-Montenegro sind mehrfach gescheitert, Premierminister Djindjic wurde ermordet, der Ausnahmezustand ausgerufen.

Jean-Claude Juncker: Das sind aber keine Vorgänge, die in der Flüchtlingsfrage von Relevanz sind. Politische Morde, so schlimm sie auch sind, sagen nichts aus über die Alltagsqualität der Menschenrechte. In Bosnien, Mazedonien und Serbien-Montenegro habe ich den real erkennbaren Willen festgestellt, von dem reinen Gegeneinander der Ethnien abzurücken. Im Kosovo habe ich das Gegenteil beobachtet.

Die ausgewiesenen Montenegriner kehren in ein Land zurück, das ihnen so gut wie keine wirtschaftliche und soziale Perspektive bietet. Ist es verantwortbar, sie in derartige Umstände zurückzuschicken?

Jean-Claude Juncker: Ja, ich finde das verantwortbar. Wer Menschen hier Zuflucht bietet, weil sie keine ausreichenden Perspektiven in Montenegro haben, muss wissen, dass er dann dem massiven Zustrom aus ärmeren Regionen der Welt Tür und Tor öffnet. Nun würde ich dies gerne tun. Ich habe schon einmal erklärt, dass ich mich in der Flüchtlingsfrage nicht in Harmonie mit mir selbst bewege. Man hat auch Verantwortung für die Asylbewerber, die wegen Verfolgung aus religiösem, politischen oder philosophischen Gründen nach Luxemburg fliehen und denen die Priorität zukommen muss. Es kommen ständig neue Asylbewerber in übergroßer Zahl, so dass wir in den Anfangsmonaten des nächsten Jahres wirklich nicht mehr wissen, wo wir diese Menschen unterbringen können.

Einige der abgelehnten Asylbewerber hatten hier bereits eine Arbeitsstelle in Aussicht. Warum bekamen sie, obwohl sie schon mehrere Jahre hier lebten, keine Arbeitserlaubnis ?

Jean-Claude Juncker: Weil das Problem sich so nicht stellt. Als Arbeitsminister hatte ich die Möglichkeit geschaffen Arbeitsgenehmigungen zu erteilen. Man hat das später aus gutem Grunde geändert. Es sprach sich herum, dass man in Luxemburg nicht mehr des Landes verwiesen werden könne, auch wenn man illegal eingewandert ist, dass man irgendwie eine Arbeitserlaubnis bekommt, wenn man erst eine Arbeitsstelle gefunden hat. In Teilen des Balkans wurde massiv Propaganda betrieben, um nach Luxemburg zu kommen. Wir konnten dem nicht einfach tatenlos zuschauen, so sehr ich es auch begrüßte, wenn wir Menschen bei gelungener Integration bei uns behalten könnten. Aber wir werden nicht nur die in Luxemburg haben, deren Integration gelungen ist, sondern auch eine unwahrscheinlich große Zahl von illegalen Einwanderern, bei denen keine politische Motivation vorliegt, ihr Land zu verlassen. Die werden wir nicht integrieren können. Man muss sehr gut aufpassen, um die fragilen Gleichgewichte – auch hier in Luxemburg – nicht zu stören. Wenn sich herumspricht, dass sich in der Gruppe dieser Menschen, die Asyl beantragen, eine große Zahl befindet, die kriminell motiviert ist, dann wird dies den Menschen schaden, die aus politischen Gründen nach Luxemburg kamen, und anderen Zuwanderern. Ich sehe das mit Sorge.

Im vergangenen Juni trafen Sie sich zu einer Unterredung mit Vertretern hiesiger Hilfsorganisationen. Diese hatten bereits lange davor um ein Gespräch gebeten, aber keine Antwort erhalten. Legen Sie wenig Wert auf die zivilgesellschaftlichen Strömungen hierzulande?

Jean-Claude Juncker: Die Zivilgesellschaft hat null Prozent mehr Wert als die Politik selbst. Ich bin bereit, der Zivilgesellschaft, was immer das auch sein mag, zuzuhören. Es finden auch dauernd auf allen möglichen Ebenen Gespräche zwischen Flüchtlingsorganisationen und der Regierung statt. Ich habe aber sehr oft die betrübliche Feststellung gemacht, dass das, was nach diesen Unterredungen in die öffentliche Meinung dringt, etwas anderes ist als das, was in diesen Unterredungen gesagt wird.

Als das Sammelzentrum für abgewiesene Asylbewerber in Findet eröffnet wurde, erfuhren die Nichtregierungsorganisationen und die Presse erst spät davon. Zugang bekamen sie nicht. In anderen Ländern werden solche Zugangsrechte gewährt. Warum nicht in Luxemburg?

Jean-Claude Juncker: Ich habe keine Ahnung, wieso der Zugang verwehrt wurde. Es würde mich auch nicht stören, wenn es diesen Zugang gäbe. Wobei ich dankbar bin, dass nicht alle Stimmen, die sich im Rahmen der Flüchtlingsdebatte artikulieren, Zugang zur luxemburgischen Presse finden. Ich meine diejenigen Stimmen, die sich mir gegenüber in Versammlungen, in Briefen und am Telefon äußern, auch wenn man sie – zu Recht – nicht in der Presse zu Wort kommen lässt. Viele Menschen sagen mir, die Zeitungen würden gar nicht über das berichten, was Sache ist. Das macht mich besorgt, obwohl ich eine spontane Sympathie für die Kräfte in unserer Gesellschaft habe, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Diese Meinungsträger ziehe ich auf alle Fälle jenen vor, die systematisch Stimmung gegen Flüchtlinge und Ausländer machen.

Die luxemburgische Regierung lehnt eine Einwandererquote ab. Warum?

Jean-Claude Juncker: Weil ich allergisch gegen die Vorstellung bin, dass man Menschen in Quoten einteilen kann. Wir befinden uns da im Verbund mit mehreren europäischen Ländern, die dies ablehnen. Eine Kontingentierung ist keine Pro-Flüchtlingsmaßnahme. Wenn wir eine hätten und diejenigen, die zu uns kommen, würden sich nicht kontingentieren lassen, würde es das Problem weder abschwächen noch beseitigen.

Seit dem Sommer steht der Vorwurf im Raum, Luxemburg habe bei der Abschiebung eines tunesischen Staatsbürgers gegen internationale Menschenrechtsabkommen verstoßen.

Jean-Claude Juncker: Der Vorwurf steht im Raum. Ich kommentiere das nicht. Das haben die zuständigen Minister und Verwaltungsinstanzen getan. Ich habe ein Wissen über diesen Vorgang, das mich dauerhaft glauben lässt, dass richtig war, was in dem bestimmten Fall gemacht wurde. Die Öffentlichkeit muss damit leben, dass ich das Wissen habe und dementsprechend gehandelt habe.

Die luxemburgische Menschenrechtskommission sagt zu diesem Fall, dass nichts Folter rechtfertigt. Die Staatsraison könne keinesfalls über den grundlegenden Menschenrechten stehen.

Jean-Claude Juncker: Ich sehe das eigentlich nicht fundamental anders. Luxemburg hat ja niemanden abgeschoben im Wissen, dass er gefoltert würde – falls dies stimmt, wofür ich keine Anhaltspunkte habe.

Das Risiko bestand, da es sich sich doch um jemand handelte, der politisch aktiv war und gerade deswegen zurückgeschickt wurde.

Jean-Claude Juncker: Hier handelt es sich um jemand, der in Tunesien und anderswo politisch aktiv und auf dem Sprung war, in Luxemburg nicht nur politisch aktiv zu werden. Dies ist eine schwierige Güterabwägung. Und man muss die Sicherheitsrisiken genau einschätzen. Da ist man nie ganz fehlerfrei, das gebe ich gerne zu, obwohl ich in dem konkreten Fall kein Fehlverhalten erkennen kann. Wenn man aber ein bestimmtes Wissen hat und trotzdem nicht handelt, und wenn dann eintritt, was man befürchtet hat, dann zerfällt der Diskurs in tausend Bestandteile. Es findet sich hinterher niemand, auch nicht bei den schreibenden Gutmenschen, der sagt, Juncker hat die richtige Güterabwägung getroffen und wir haben jetzt 20 Tote zu beklagen.

Finden Sie, wie Ihre Ministerkollegen, dass die Menschenrechtskommission zu einem falschen Zeitpunkt falsche Sachen gesagt hat?

Jean-Claude Juncker: Ich glaube, dass hier aufgrund der Aufgabenteilung eine Menschenrechtskommission sich prioritär mit dem Aspekt beschäftigt, mit dem sie sich zu beschäftigen hat. Dafür wurde sie auch von mir eingesetzt. Die Regierung muss damit leben können, dass sie kritisiert wird und sie muss sich auch mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln erklären. Das ist nun mal so in der Demokratie. Ich hätte mir gewünscht, die Meinungsäußerung der Menschenrechtskommission wäre zu einem anderen Zeitpunkt erfolgt, kann aber in dieser zu frühen Wortmeldung keinen Anlass sehen, ihre Arbeit in Frage zu stellen.

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