François Biltgen: "Vorruhestand wird nicht abgeschafft". Arbeitsminister Biltgen über die OECD-Studie über die Beschäftigungsperspektiven für ältere Arbeitnehmer

Luxemburger Wort: Herr Minister, gönnen Sie den Menschen ihren wohlverdienten Ruhestand nicht?

Francois Biltgen: Davon kann überhaupt keine Rede sein. Wer zeitlebens hart gearbeitet hat, hat ein Recht auf seine Pension, soll den Ruhestand in vollen Zügen genießen können. Wir wollen niemandem was wegnehmen.

Warum wollen Sie denn eine Diskussion lancieren, ob die Leute nicht doch länger im Beruf bleiben sollten?

Francois Biltgen: Weil die Wirklichkeit sich nicht an einem Fallbeispiel resümieren lässt. Jeder Arbeitnehmer hat eine andere Biographie, andere Bedürfnisse, andere Fähigkeiten und Wünsche. Ich kenne viele, die überhaupt keine Lust haben, mit 57 oder 60 aufzuhören, die noch voller Tatendrang stecken und gern im Betrieb bleiben würden. Doch sie werden aufs Abstellgleis geschoben.

Das ist erstens sozial nicht gerecht, zweitens ist es volkswirtschaftlicher Unsinn, und drittens stellt es die Rentenkassen langfristig vor gravierende Probleme. Wenn immer mehr Leute immer länger in Rente sind, wird es für die Aktiven, die Beitragszahler, zusehends schwieriger, das System finanziell in der Balance zu halten.

Sie sprechen die ominöse Rentenmauer an?

Francois Biltgen: In Luxemburg stellt sich die Frage nicht so akut wie z. B. in Deutschland. Hierzulande werden Jahr für Jahr Tausende Arbeitsplätze geschaffen, für die größtenteils Grenzpendler oder Zuwanderer eingestellt werden. Unser Arbeitsmarkt schrumpft nicht, er expandiert selbst dann, wenn die Konjunktur langsamer dreht. Von daher haben unsere Rentenkassen Luft zum Atmen.

Aber wir müssen in längeren Zeitabschnitten denken, dürfen die nachfolgenden Generationen nicht vergessen. Rentengerechtigkeit und Generationengerechtigkeit sind zwei Seiten derselben Medaille. Außerdem: Ist es richtig, dass die Luxemburger (bzw. die Einheimischen) vom Arbeitsmarkt gedrängt werden - oder sich von dort drängeln lassen -, und die offenen Stellen werden nur noch von Grenzgängern besetzt?

Dass Sie aber jetzt ausgerechnet mit einem Papier der OECD an die Öffentlichkeit gehen...

Francois Biltgen: ...hatten Sie mir wohl nicht zugetraut. Aber im Ernst: Ich glaube nicht, dass wir die Augen länger verschließen sollen vor dem, was OECD, EU-Kommission und Internationaler Währungsfonds seit Jahren bemängeln. Die Diagnose ist richtig, allerdings ist die vorgeschlagene Therapie nicht immer ideal. Ich bin der Meinung, es wäre fatal, den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als ob uns das alles nichts anginge.

Im Übrigen hat sich die OECD - nicht zuletzt dadurch, weil wir uns dem Dialog mit ihr nicht verschlossen - ein Stück weit gewandelt. Früher empfahlen die uns immer, wir sollten den Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer lockern. In ihrem jüngsten Rapport ist davon nichts zu lesen. Das käme für mich auch nicht in Frage. Neu ist zudem, dass die OECD die Arbeitgeber in die Pflicht nehmen will, was sie bislang nie tat. Sie sollten ihr Personalmanagement auf die Bedürfnisse der älteren Mitarbeiter ausrichten, deren Arbeitsbedingungen verbessern, Altersteilzeit und Fortbildungsprogramme anbieten.

Sollte der Staat da nicht mit gutem Beispiel vorangehen?

Francois Biltgen: : Das tut er bereits. Letztes Jahr, bei der Reform des Staatsbeamtenstatuts, wurde die Altersgrenze zum Eintritt in den öffentlichen Dienst auf 45 Jahre angehoben. Jetzt geht die Regierung noch einen Schritt weiter und will das Limit ganz abschaffen. Die 45 waren also nur von kurzer Dauer. Warum soll ich einer Person, die ihren Erfahrungsschatz aus dem Privatsektor beim Staat einbringen will, das verbieten, nur weil sie mit 50 anscheinend zu alt ist? Wir müssen weg von diesem verrückten Jugendkult.

Sie haben ein generelles Verbot von Altersdiskriminierungsklauseln angekündigt.

Francois Biltgen: : Ja, der Entwurf ist auf dem Instanzenweg. In Zukunft soll es z. B. verboten sein, in Einstellungsinseraten ein Alterslimit festzulegen, weil man angeblich nur Leute braucht, die sich in ein junges, dynamisches Team einfügen. Ich halte sehr viel von gemischten Arbeitsteams, wo die Qualitäten der Jüngeren und der Älteren zur Geltung kommen.

Die OECD geht aber noch viel weiter, kritisiert den Umstand, dass die Höhe der Gehälter ausschließlich an das Alter oder die Betriebszugehörigkeit gekoppelt ist. Verdienen ältere Arbeitnehmer zu viel?

Francois Biltgen: : Es ist nicht am Arbeitsminister, hier Position zu ergreifen. Das ist exklusiv Sache der Sozialpartner. Tatsache ist, dass die Gehältertabellen von Betrieb zu Betrieb verschieden konzipiert sind. In einigen Branchen gibt es sehr wohl leistungsbezogene Elemente in der Lohnßerechnung. Wenn die Kollektivvertragsparteien sich auf solche Formeln einigen... bitteschön. Wenn nicht, wissen sie schon warum.

Was mir am Herzen liegt, ist die Qualität des Arbeitsplatzes. Ich plädiere mit Nachdruck für gezielte Aktionen in den Betrieben, um Stress und Mobbing zu eliminieren. Ältere Mitarbeiter, aber nicht nur sie, sollen sich in ihrem Job wohlfühlen. Nur wer gern zur Arbeit geht, kann produktiv sein.

Das Luxemburger Vorruhestandsmodell bekommt in der OECD-Studie keine guten Noten.

Francois Biltgen: : Was mich aber nicht weiter stört. Man muss hier das Ganze sehen. Die "préretraite" ist ja in erster Linie ein Instrument zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Als solches leistet sie dem Land bis heute gute Dienste. Ich sage es mit allem Nachdruck: Falls meine Partei nach den Wahlen das Sagen behält, wird sie den Vorruhestand nicht abschaffen. Dies zumal er auch sozialpolitisch eine wichtige Funktion erfüllt. Fragen Sie mal den Schichtarbeiter, der jahrzehntelang schwer geschuftet hat. Mir fällt es nicht im Traum ein, den Leuten was wegzunehmen. Sofern punktuelle Reformen kommen, dann nur im Konsens aller Sozialpartner.

Was die "préretraite progressive" anbelangt, also den schrittweisen Eintritt in den Ruhestand, muss ich leider feststellen, dass sie bislang nicht greift. Dieses Angebot wird einfach nicht genügend genutzt. Die Idee bleibt aber gut.

Darüber hinaus fordern die Pariser Analysten eine tief greifende Reform des allgemeinen Pensionsregimes, indem sie das gesetzliche Rentenalter von 65 Jahren wieder zur Regel machen wollen.

Francois Biltgen: : Ein simplistisches Rezept von der Art, dass niemand mehr unter 65 in Pension gehen darf, bringt rein gar nichts. Was wir brauchen, sind handgeschneiderte Lösungen, bei denen kein sozialpolitisches Porzellan zerschlagen wird. Grundsätzlich wollen wir, dass die Leute solange wie möglich eine gute Arbeitsstelle behalten.

Ich glaube auch, dass diese Option besser ist, als die Älteren aus dem Beruf zu schubsen und die freiwerdenden Jobs mit Grenzgängern zu besetzen. Man sollte sich nämlich nicht täuschen: Es sind kaum einheimische jüngere Arbeitslose, die von der Frühverrentung der über 50-Jährigen profitieren. Die Statistiken belegen, dass 70 Prozent aller neuen Stellen in Luxemburg von Pendlern eingenommen werden.

Und wie soll es weitergehen?

Francois Biltgen: : Wir sollten ohne Tabus über eventuelle gesetzliche Anpassungen, aber auch über den notwendigen Mentalitätswandel diskutieren. Ich sagte es schon in der Pressekonferenz vergangene Woche: Vor 30 Jahren sträubten sich die Arbed-Arbeiter gegen ihre Pensionierung mit 57, heute gilt man als komischer Kauz, wenn man mit 60 noch im Beruf ist. Die Gesellschaft hat sich also kulturell verändert. Sie muss sich jetzt neu orientieren.

Ich hoffe, dass die Gewerkschaften und Arbeitgeber das auch so sehen. Für mich ist klar, dass jegliche Kursänderung nur im Dialog der Sozialpartner vorgenommen werden kann. Den Mentalitätswandel kann man nämlich nicht per Gesetz dekretieren. Es ist zu begrüßen, dass die zwei großen Gewerkschaften im Verein mit der Arbeiterkammer und der Privatbeamtenkammer ein gemeinsames Reflexionspapier vorlegen wollen. Schön wäre es, wenn auch die Arbeitgeber einen ähnlichen Diskussionsbeitrag leisteten. Wir müssen die Debatte jetzt starten, je schneller, desto besser ... aber mit kühlem Kopf.

Herr Minister, vielen Dank für dieses Gespräch.

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