Anne Brasseur: Eine Dynamik schaffen. Die Sportministerin über das "Europäische Jahr der Erziehung durch Sport"

Revue: Die EU-Kommission und das Europäische Parlament haben für 2004 das "Europäische Jahr der Erziehung durch Sport" ausgerufen. Fühlen Sie sich in Ihrer Eigenschaft als Erziehungs- oder als Sportministerin dafür zustandig?

Anne Brasseur: Es ist eines der Ziele der europäischen Initiative, dass sich Sport und Erziehung ergänzen. Die gewünschte Bündelung der Verantwortung auf Regierungsebene ist bei uns schon Wirklichkeit.

Heißt das, die EU-Kommission legt den Mitgliedsstaaten nahe, Sport und Erziehung unter einen Hut zu bringen?

Anne Brasseur: Es gibt neben Luxemburg weitere Länder, in denen das so ist. Meist ist ohnehin das Sportressort kein eigenes Ministerium.

Die EU ruft regelmäßig "Jahre" zu einem bestimmten Thema aus. Glauben Sie, das bringt konkret etwas?

Anne Brasseur: Es bringt etwas, wenn man das Jahr zur Sensibilisierung nutzt. Danach müssen weitere Aktionen folgen, sonst war es nur ein kurzlebiges Feuerwerk. Die Menschen sollen die Vorteile der sportlichen Betätigung einsehen, über die Schule hinaus.

Also richten Sie sich nicht nur an Kinder und Jugendliche?

Anne Brasseur: Wir richten uns an jeden, deshalb werden sich die Sport pour tous-Dienste der Gemeinden Luxemburg und Mersch an den Feierlichkeiten zur Eröffnung des EU-Jahres am 11. Februar beteiligen.

Die Kommission hat 11,5 Millionen Eure bereitgestellt, um 200 Projekte in der gesamten Union zu unterstützen. Welche Vorhaben werden in Luxemburg mit EU-Geldern unterstützt?

Anne Brasseur: Die Initiative besteht aus einer Sensibilisierungskampagne und aus einzelnen Projekten, etwa einem Rundtischgespräch über die Vereinbarkeit von Schule und Leistungssport. Mir geht es weniger darum, Geld von Europa zu erhalten, als eine neue Dynamik zuschaffen.

Welche Pläne haben Sie denn um den schulpflichtigen Leistungssportlern das Training zu erleichtem?

Anne Brasseur: Im Lycée Aline Mayrisch haben wir seit dem Jahr 2000 im unteren Zyklus Sportklassen einrichten lassen, in den oberen Klassen werden die Sport Treibenden individuell betreut. Wichtig: Die Schüler werden nicht einfach auf eigenen Wunsch in eine solche Klasse aufgenommen, ein Sportverband muss sie einschreiben.

Was wird in diesem Jahr nun in Luxemburgs Schulen anders werden?

Anne Brasseur: Die Werte, die im Sport gelten, sollen auch in der Schule angewandt werden. Eigenschaften wie Leistung, Anstrengung, Trainieren, Aufbauen, Durchhaltevermögen, Fairplay werden im Sport als selbstverständlich angesehen. Regeln anerkennen: im Fußball stellt niemand in Frage, dass die Halbzeit 45 Minuten dauert. In der Erziehung sind diese Voraussetzungen ebenfalls unerlässlich.

Und was tut sich konkret im Sportunterricht?

Anne Brasseur: Vor zwei Jahren habe ich in der Primärschule die Initiative "d'Schoul bewegt sech" eingeführt. Dadurch soll durch Fortbildung der Lehrer die Qualität des Sportunterrichts verbessert werden. Im postprimären Bereich bieten die meisten Lehrer sehr interessante Aktivitäten an. Zusätzlich gibt es die LASEP, die LASEL und viele andere Sportangebote neben der Schule. Doch nicht jeder Schüler ist von solchen Programmen begeistert.

Wer Sport treiben will, hat also genügend Gelegenheit dazu. Aber geht es nicht gerade darum, die anderen für sportliche Betätigungen zu motivieren?

Anne Brasseur: Ja, es geht um die Bewusstseinsbildung, und da gibt es positive Entwicklungen. 1999 händigte ich zum ersten Mal als Ministerin den "brevet sportif" aus, an 84 Kinder und Jugendliche. Letzte Woche waren es 1.100 Teilnehmer, 700 haben bestanden.

Die Sportlehrer treten für eine dritte Sportstunde in den Sekundärschulen ein. Werden sie von Ihnen erhört?

Anne Brasseur: Wenn die Sportlehrer mir erklären, auf wessen Kosten ich ihnen eine zusätzliche Stunde geben soll, bin ich einverstanden. Die Gesamtstundenzahl darf allerdings nicht steigen.

Und wie steht es mit der Bewertung des Sportunterrichts?

Anne Brasseur: Der Sport genießt in der Jahresbewertung den Koeffizienten 1. Ich würde mir eigentlich mehr Ansporn wünschen.

Sieht das neue Sportgesetz keine schulischen Initiativen vor?

Anne Brasseur: Das neue Sportgesetz betrifft den Sport, nicht die Schule. Die Leistungen kann man ohnehin nicht durch ein Gesetz steigern. Es geht darum, die Organisation der Sportwelt zu reformieren. Erstmals wird auch das Dopingproblem angegangen.

Welche drei Maßnahmen fallen Ihnen spontan ein, die Sie seit Ihrer Amtsübernahme vor viereinhalb Jahren im Interesse des Sports in der Schute durchgezogen haben?

Anne Brasseur: Wie schon gesagt, es wurden Sportklassen eingeführt, in der Primärschule können die Lehrer Fortbildungskurse belegen und jährlich findet ein nationaler Sporttag statt.

Sport als Bestandteil des Lebens also: Da sind Sie nicht allein verantwortlich. Haben Sie Ihre Ministerkollegen eingebunden?

Anne Brasseur: Nicht nötig! Im Familien- und im Jugendministerium werden viele sportliche Tätigkeiten angeboten. Bei den Erwachsenen stelle ich eine Zunahme der sportlichen Betätigung fest, bei den Jugendlichen allerdings vermute ich eine gewisse Scheu vor der Anstrengung.

Stellen Sie das allgemein bei Jugendlichen fest oder ist dies spezifisch für die Jugend von heute?

Anne Brasseur: In der Perspektive wird immer gerne von der "Jugend vun haut" gesprochen. Doch vor einigen Jahrzehnten war man oft gezwungen, zu Fuß in die Schule zu gehen oder mit dem Rad zu fahren. Deshalb gab es damals weniger fettleibige Kinder.

Apropos Fahrrad. Fehlt es da nicht an der Infrastrktur, etwa an sicheren Radwegen?

Anne Brasseur: Zum Schulzentrum "Geessekneppchen" kann man aus vielen Stadtvierteln bequem und sicher mit dem Rad fahren. Ich wohne in der Nähe und muss leider feststellen, dass wenig Schuler das tun. Das neue Lyzeum in Redingen/Attert wird an das Fahrradnetz angebunden und ein Unterstand für die Rader ist eingeplant. Zum Lyzeum in Mamer bestehen auch Radpisten, besonders aus Richtung Bartringen.

Das Schulzentrum Limpersberg ist jedoch schlecht per Rad zu ereichen.

Anne Brasseur: Damit habe ich mich schon als Schöffin der Hauptstadt befasst. Radpisten sind auf Limpertsberg schwierig zu realisieren, da die Straßen eng sind, die Anrainer Recht auf Parkraum haben und zahlreiche Busse sehr viel Raum einnehmen.

Wenn Sie nach den Wahlen wieder die Möglichkeit haben, in die Regierung zu kommen, wollen Sie die Ressorts Erziehung und Sport beibehalten?

Anne Brasseur: Absolut. Es ist schwierig, aber spannend. Und es bleibt noch viel zu tun.

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