Marie-Josée Jacobs: Gleichheit fördern

REVUE: Mit dem Einsetzen des Frauenministeriums gelang der CSV 1995 ein Überraschungscoup. Seither tragen Sie hierfür die Verantwortung. Was würden Sie als größte Leistung bezeichnen?

Marie-Josee Jacobs: Wir haben eine völlig neue Bewusstseinsbildung herbeigeführt. Dass es geschlechtsbedingte Ungerechtigkeiten gibt, wird heute in keinem Gremium und von keiner Instanz mehr bezweifelt. Das ist die wichtigste Leistung. Natürlich unternehmen wir konkrete Aktionen, um diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen. In der Arbeitswelt bewegen wir z.B. das Patronat und die Gewerkschaften dazu, sich Gedanken über die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen zu machen.

REVUE: Wie hoch ist dieser Lohnunterschied?

Marie-Josee Jacobs: In Luxemburg verdienen Frauen durchschnittlich 28 Prozent weniger als Männer. Davon sind 16 Prozent strukturell bedingt. Sie sind die Konsequenz von Karrierepausen, Teilzeitarbeit usw. Die restlichen 12 Prozent sind allein auf die Tatsache zurückzuführen, eine Frau zu sein oder in einem typischen Frauenberuf zu arbeiten.

REVUE: Welche Berufe sind das?

Marie-Josee Jacobs: Hauptsächlich Verkäuferin und Frisöse. In anderen Ländern gehören auch die Gesundheitsberufe in diese Kategorie. Es sind Jobs in denen niedrige Löhne gezahlt werden. Skandinavische Studien zeigen, dass der Lohn steigt, sobald Männer in einen typischen Frauenberuf "eindringen". Männerarbeit wird noch immer höher eingeschätzt.

REVUE: Welchen Handlungsspielraum hat das Frauenministerium?

Marie-Josee Jacobs: Die "actions positives" in den Betrieben führen zu konkreten Resultaten. Dexia-BIL und Siemens werden dieses Jahr mit dem Frauenförderpreis ausgezeichnet, weil sie sich konsequent darum bemühen Frauen in Führungspositionen zu stellen. Allgemein haben wir sehr positive Rückmeldungen der Betriebe. Wenn Mitarbeiter nach ihren Fähigkeiten und nicht nach ihrer Geschlechtszugehörigkeit eingesetzt werden, erhöht sich die Produktivität. Eine bessere Harmonisierung von Berufs- und Familienleben führt zu einer zufriedenen Belegschaft. Und zu weniger Krankmeldungen.

REVUE: Positiv wirkt sich also die Aktion des Frauenministeriums vor allem im Berufsleben aus?

Marie-Josee Jacobs: In der Rubrik Leistungen möchte ich unbedingt das neue Gesetz gegen Gewalt in der Familie hervorheben. Vor einigen Jahren wäre es kaum vorstellbar gewesen, den Gewaltverursacher aus der Familie entfernen zu lassen. Dem Opfer blieb nur die Flucht. Seit November 2003 mussten 56 Personen - ausschließlich Männer- ausziehen.

REVUE: In welchen Bereichen sind Fortschritte am schwersten zu erzielen?

Marie-Josee Jacobs: An schwierigsten ist es, Mentalitätswechsel herbeizuführen. In vielen Köpfen ist das traditionelle Schema, wo der Mann berufstätig ist und die Frau sich um Kinder und Haushalt kümmert, noch fest verankert. Wenn von Teilzeitarbeit die Rede ist, sind implizit die Frauen visiert. Warum? Auch Männer können sich um die Erziehung ihrer Kinder kümmern. Deshalb haben wir ausdrücklich beim Elternurlaub festgeschrieben, dass er von beiden Elternteilen beansprucht werden und nicht übertragen werden kann.

REVUE: Wie steht es mit dem Gleichheitsprinzip in der Politik?

Marie-Josee Jacobs: Da gibt es kaum Fortschritte. Wir haben nicht mehr Frauen im Parlament als vor zehn Jahren, auf Gemeindeebene stieg der Anteil der Politikerinnen von zehn auf 15 Prozent. Im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern, gibt es bei uns keine Förderungsmaßnahmen, wie z.B. Quoten.

REVUE: Wenigstens können Sie diesbezüglich mit Ihrer eigenen Partei zufrieden sein...

Marie-Josee Jacobs: Ich wäre noch zufriedener, wenn die CSV nicht ausgerechnet im Nordbezirk die Quote verfehlt hätte! Es stimmt aber, dass wir neben den Grünen die einzige Partei sind, die so viele Frauen auf ihren Wahllisten hat. Ich bin auch überzeugt, dass wir weniger Frauen hätten, wenn wir uns nicht selbst - durch die Festschreibung der Quote - unter Druck gesetzt hätten.

REVUE: Sie fordern auch eine verfassungsrechtliche Verankerung des Gleichheitsprinzips von Mann und Frau.

Marie-Josee Jacobs: Und um diese Gleichheit zu erreichen, soll die Möglichkeit vorgesehen sein, besondere Maßnahmen zugunsten des diskriminierten Geschlechts zu ergreifen. Man kann sich auch Maßnahmen zugunsten der Männer vorstellen. In den Vorschulen und Kinderhorten arbeiten fast keine Männer. Dies hat zur Folge, dass wir auf eine Gesellschaft hinsteuern, in der Kinder ausschließlich von Frauen betreut werden.

REVUE: Wann wird das Gleichheitsprinzip in der Verfassung verankert?

Marie-Josee Jacobs: Wir warten noch auf das Gutachten des Staatsrates. Luxemburg ist das einzige EU-Mitglied, das die Gleichheit zwischen Mann und Frau nicht in seinem Grundgesetz stehen hat. Es ist sehr peinlich, wenn ich Jahr für Jahr bei der UNO gefragt werde, warum Luxemburg dies noch immer nicht getan hat. Für die Beitrittsländer war die Regelung der Gleichheitsfrage eine Zulassungsbedingung.

REVUE: "Gleichheit" außerhalb der Berufswelt erscheint noch schwieriger. Mit der Selbstverwirklichung der Frauen stieg die Scheidungsrate. Und die Zahl der Problemkinder. Was läuft schief?

Marie-Josee Jacobs: Es wäre zu einfach den Frauen dafür die Schuld in die Schuhe zu schieben. Schauen Sie sich z.B. dreißigjährige Drogensüchtige an. Deren Mütter waren bestimmt nicht berufstätig und doch ist mit ihren Kindern etwas schief gelaufen. Über die Hälfte der Ehen werden heutzutage geschieden. Ich bin besorgt über diese Entwicklung, die viele Frauen an den Rand der Armut treibt.

REVUE: Dennoch befindet sich die "Institution" Familie in einer tiefen Krise, seitdem die Frauen ihre Gleichberechtigung konsequent beanspruchen.

Marie-Josee Jacobs: Ich glaube, die Männer waren nicht ausreichend auf die Emanzipation der Frauen vorbereitet. Die Zunahme von Problemkindern sollte man eher im Zusammenhang mit der ganzen Lebensweise sehen. Noch nie haben die Kinder so viel ferngesehen, noch nie standen sie so stark unter Stress wie heute. Neben dem Schulpensum steht meist noch ein komplettes Freizeitprogramm an. Stress dominiert das Leben. Davon kann man keine positiven Auswirkungen erwarten.

REVUE: Sie sind seit fast zehn Jahren Frauenministerin. Wie sehen Sie Ihre Zukunft? Wird es nach den Wahlen noch ein Frauenministerium geben?

Marie-Josee Jacobs: Ich mache diesen Job sehr gerne. Die Zukunft hängt vom Verdikt des Wählers ab und von der Regierungsbildung. Wir befinden uns noch nicht in der Situation, wo das Frauenministerium überflüssig wäre. Im Vergleich mit anderen EU-Ländern haben wir weiterhin Nachholbedarf. Daher finde ich es wichtig, dass eine Person weiterhin für die Thematik der Gleichheit zuständig bleibt. Das Ministerium wird voraussichtlich nicht mehr "pour la promotion feminine" heißen, sondern "pour l'egalite des hommes et desfemmes".

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