Interview mit Premierminister Jean-Claude Juncker über die europäische Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung

Deutschlandfunk: Am Telefon sind wir nun verbunden mit Jean-Claude Juncker, Ministerpräsident von Luxemburg. Guten Morgen!

Jean-Claude Juncker: Guten Morgen!

Herr Juncker, die Abwahl der Konservativen, der vermeintliche Abzug der spanischen Truppen aus dem Irak, höhere Sicherheitsvorkehrungen in vielen Ländern Europas. Viele Kommentatoren sagen nun, die Terroristen haben damit bereits vieles von dem erreicht, was sie erreichen wollten?

Jean-Claude Juncker: Das sehe ich so nicht, obwohl ich partiell Verständnis für diese Aussage aufbringe. Die Wahl in Spanien wurde von den Konservativen wohl unter dem Eindruck der Attentate verloren, war doch eher eine Reaktion der spanischen Wähler auf den sehr ungeschickten Umgang der spanischen Regierung mit den Attentatsfolgen. Die Erklärungen sind etwas vielschichtiger.

Aber ohne den Bombenanschlag hätte es die Abwahl der Konservativen nicht gegeben?

Jean-Claude Juncker: Man weiß nie, wie der Wähler, wenn er mit sich selbst in der Wahlkabine steht, entscheidet, aber es ist wohl so, dass ohne diese Attentate José María Aznar und seine Volkspartei die Wahlen nicht verloren hätte. Aber er hat sie verloren!

Zynisch formuliert, Herr Juncker, könnte das bedeuten, Bombenanschläge vor Wahlen in den europäischen Ländern verändern die politische Landschaft?

Jean-Claude Juncker: Es wäre schlimm, wenn Terroristen unabhängig von ihrer jeweiligen Herkunft Wahl entscheidenden Einfluss auf die demokratischen Entscheidungsabläufe in Europa gewinnen würden. Wenn Massentötungen Wahlentscheidungen beeinflussen würden, dann gehen wir schlimmen Zeiten entgegen. Deshalb war das jetzt die entschlossene Reaktion der europäischen wehrhaften Demokratien.

Die siegreichen Sozialisten in Spanien, Herr Juncker, haben angekündigt, unter gegebenen Umständen die spanischen Soldaten aus dem Irak zurückzuziehen. Ist das eine fatale politische Konsequenz aus den Bombenanschlägen?

Jean-Claude Juncker: Das würde ich auch so einfach nicht mit ja beantworten, weil die spanischen Sozialisten hatten ja vor der Wahl angekündigt, dass die Rückzugspolitik ihre politische Strategie in Sachen Irak wäre. Sie bestätigen nach den Wahlen und nach den Attentaten eigentlich das, was sie vor der Wahl gesagt haben. Man muss allerdings darüber auch mit den Spaniern reden, weil es ist auch in unserem Sicherheitsinteresse, dass es zu einer Befriedung und einer die Demokratie fördernde Politik im Irak kommt. Da werden alle gebraucht. Darüber werden wir auch im Kreise der Europäer reden, wobei man die souveräne Entscheidung der Spanier wird respektieren müssen.

Ist der Westen zumindest zu einem gewissen politischen Grad erpressbar?

Jean-Claude Juncker: Nein. Der Westen darf nicht erpressbar sein und Terroristen in Europa und Terroristen außerhalb Europas, aber in Europa tätig müssen merken, dass die Europäische Union sehr solide und sehr geschlossen auf diese Herausforderung reagieren wird. Wir brauchen eine wesentlich stärkere Vernetzung unserer geheim- und nachrichtendienstlichen Erkenntnisse und Möglichkeiten. Europol muss gestärkt werden, die Zusammenarbeit der Geheimdienste auch. Hier darf es nicht bei nationalen Eifersüchteleien bleiben. Die nationalen Geheimdienste dürfen nicht auf ihren Informationen sitzen bleiben wie die Henne auf dem goldenen Ei. Hier muss Europa zeigen, dass Europa die Möglichkeit hat, sich zu wehren.

Herr Juncker, Sie sagen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, der Westen darf nicht erpressbar sein, aber Sie sehen durchaus die Gefahr?

Jean-Claude Juncker: Ich sehe die Gefahr, dass der Westen erpressbar werden könnte, wenn wir als Europäische Union uns nicht zusammenraufen und der weltweiten terroristischen Bedrohung, die jetzt auch in Europa angekommen ist, die geschlossene Reaktion der Europäer entgegensetzen. Hier darf es in Sachen Geheimdienst, Nachrichtendienst und polizeibehördlichen Aktivitäten nicht bei der nationalen Vorfahrt bleiben. Wir müssen die nationalen polizeidienstlichen und nachrichtendienstlichen Erkenntnisse und Möglichkeiten so polen, dass wir der internationalen Bedrohung mit einer international gebündelten europäischen Antwort entschlossen entgegentreten.

Was Sie jetzt fordern, böswillig interpretiert, Herr Juncker, könnte man sagen, Europa ist jetzt erst aufgewacht?

Jean-Claude Juncker: Wir verfügen über einen Aktionsplan gegen Terrorismus, den wir in der Folge der September-Attentate in New York uns an die Hand gegeben hatten. Wir müssen jetzt sehr akribisch überprüfen, wo dieser Aktionsplan umgesetzt wurde und wo er mangelhaft umgesetzt wurde. Ich sehe einige Gebiete, wo es zu einem defizitären Umsetzen der im September 2001 erfolgten Absichten kam. Der europäische Haftbefehl ist noch nicht in allen europäischen Ländern umgesetzt, weil es dort auch nationale parlamentarische Bremsen gibt. Wir müssen wissen, dass wir nicht nur ankündigen dürfen, sondern dass wir auch entschlossen handeln können. Zögern gilt nicht mehr!

Warum ist Europa immer noch nicht so weit, dass die nationalen Egoismen, gerade wie Sie es auch beschrieben haben, nicht in den Hintergrund treten?

Jean-Claude Juncker: Ich glaube ein wesentlicher Punkt ist, dass Staats- und Regierungschefs, Justizminister, Außenminister sich in Brüssel einigen, dass es dann aber bei der nationalen Umsetzung der dort getroffenen Beschlüsse hapert. Dies hat wesentlich damit zu tun, dass es sehr unterschiedliche nationale Befindlichkeiten gibt, wenn es darum geht, kollektive Sicherheit und individuelle Freiheit miteinander in Einklang zu bringen. Viele erleben kollektive Sicherheit und individuelle Freiheit als sich in antinomischem Prozess befindende Grundwerte und wir müssen mit unseren nationalen öffentlichen Meinungen, mit unseren nationalen Parlamenten wahrscheinlich auch im Vorfeld der in Brüssel zu treffenden Entscheidungen in einen wesentlich intensiveren Dialog treten, damit das, was in Brüssel entschieden wird, auch zügig und zielorientiert umgesetzt werden kann.

Das bedeutet, Herr Juncker, bislang gibt es immer noch zwischen den einzelnen Mitgliedsländern ein Vertrauensdefizit?

Jean-Claude Juncker: Ich glaube nicht so sehr, dass dieses Vertrauensdefizit zwischen den Mitgliedsländern als solches oder zwischen den nationalen Regierungen besteht. Ich sehe schon, dass einige nationale Nachrichtendienste sich schwer damit tun, ihre Informationen beispielsweise an Europol weiterzuleiten. Wir brauchen wahrscheinlich in der Europäischen Union und ausgehend von der Europäischen Union eine nachrichtendienstliche Koordinationsstelle, die nationale nachrichtendienstliche Erkenntnisse erhält und diese nach Prüfung an Europol weiterleitet. Es scheint relativ schwierig zu sein, nationale Nachrichtendienste dazu zu bringen, ihre Informationen an Europol weiterzuleiten. Dies ist der klassische Konflikt zwischen Nachrichtendiensten und Polizeibehörden. Diesen Luxus und diesen dauerhaften und andauernden Überprüfungsstress, den wir in unseren Nationalstaaten haben, wenn es um die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Nachrichtendiensten geht, können wir uns angesichts der eingetretenen Lage in Europa nicht länger leisten.

Also effizientere Kooperation, effizientere Koordination. Das ist Ihre Forderung. Wie schwierig wird das denn mit Blick auf die anstehende Erweiterung?

Jean-Claude Juncker: Dies wird schwierig, nicht nur mit Blick auf die anstehende Erweiterung. Ich halte auch wenig davon, dass man jetzt darüber nachdenkt, einen europäischen Geheimdienst, einen europäischen CIA zu schaffen. Nein, ich denke mir, dass Kooperation und Koordination, wenn richtig gestrafft, zu Effizienz steigernden Gesamtergebnissen führen. Daran sollten wir arbeiten und dies dann auch tun. Nicht nur Ideen in die Welt setzen, sondern Ideen umsetzen.

Eine europäische Staatsanwaltschaft steht auch auf dem Forderungskatalog. Machen Sie da mit?

Jean-Claude Juncker: Ich hielte eine europäische Staatsanwaltschaft für eine begrüßenswerte Neuerung. Das wurde ja auch im Konvent und in der Regierungskonferenz andiskutiert. Dies jetzt wahrscheinlich aber, wenn es um Terrorismus geht, die Angleichung einiger nationaler Rechtsinstitute voraus. Aber die Idee als solche erscheint mir absolut anstrebenswert.

 Jean-Claude Juncker war das, Ministerpräsident von Luxemburg. - Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

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