Europa der 25. Le Premier ministre Jean-Claude Juncker au sujet de l'élargissement et de l'actualité politique européenne

Inforadio: Herr Juncker, wie fühlt es sich an, demnächst nicht mehr Premierminister des kleinsten EU-Landes zu sein, sondern mit Maltas Beitritt nur noch der des zweitkleinsten.

Jean-Claude Juncker: Das führt bei mir zu keinerlei Veränderung meiner Gefühlslage.

Inforadio: Luxemburg hat es ja stets verstanden Kompromisse zu schmieden und trotzdem knallhart die eigenen Interessen durchzusetzen. Ich denke mir so Länder wie Deutschland oder Frankreich könnten sich eine solche Haltung nicht erlauben. Wird diese Rolle Luxemburgs schwieriger werden, wenn nun 10, vor allem kleinere Staaten der EU beitreten?

Jean-Claude Juncker: Ein kleines Land in der Europäischen Union muss wissen, dass es neben der Vertretung seiner ureigenen Interessen, auch immer sich in den Dienst der Europäischen Union, der Gemeinschaft eben stellen muss, Größere tun das auch manchmal. Aber wenn vor allem die Grossen zu entscheiden haben, ob die nationalen Interessen Vorrang haben oder das Gemeinschaftsinteresse, dann neigt die Waage doch sehr in Richtung Vertretung der nationalen Interessen. Wenn jetzt mehrere kleine Staaten mit an Bord der Europäischen Union sein werden, dann wird sich dies nicht wesentlich verändern, was jetzt spezifisch Luxemburg anbelangt, weil Luxemburg ist ein Gründungsmitglied der Europäischen Union. Wir machen das Geschäft, zwischen Gänsefüsschen, seit 52 im Rahmen der europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, dann der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ich geh überhaupt nicht davon aus, dass Luxemburg an Einfluss oder an Mitwirkungsmöglichkeiten einbüssen wird.

Inforadio: Wie wird sich Luxemburg in der EU künftig definieren? Vorreiter und Sprecher der kleinen EU-Staaten oder mitschwimmen in einem so genannten Kerneuropa, dominiert von den mächtigen Deutschen und Franzosen.

Jean-Claude Juncker: Dies wird kein Unternehmen sein, das unter deutsch-französischem Kommando steht. Das mag man in Deutschland und Frankreich so sehen, aber so wird es nicht sein, wenn es denn dazu käme und im Kerneuropa schwimmt man nicht mit, auf Kerneuropa muss man zurudern um zu Kerneuropa zu gehören. Das gilt nicht nur für kleinere Länder, sondern auch für Größere.

Inforadio: Sie gehen also davon aus, dass es zu so etwas wie einem Kerneuropa mal kommen wird?

Jean-Claude Juncker: Davon gehe ich nicht notwendigerweise aus. Ich war stets der Auffassung, dass Kerneuropa, also ein Europa der zwei Geschwindigkeiten oder der variablen Geometrie kein Verhandlungsziel während der Regierungskonferenz zur Verfassungsgebung sein kann. Wir sollten nicht ein Europa anstreben in dem nur einige voranmarschieren und andere den Tross der Nachzügler bilden. Mein Wunschkerneuropa ist ein Europa der 25, aber sollte sich im Laufe der anstehenden Verhandlungen herausstellen, dass es unüberbrückbare Gegensätze gibt zwischen den europäischen Staaten, die schneller voranschreiten möchten und denen, denen das Tempo überzogen vorkommt, dann könnte es als Konsequenz dieser dann eingetretenen Verhandlungsendlage durchaus so sein, dass diejenigen die schneller gehen möchten, dies auch tun werden.

Inforadio: Ich blicke auf die hohe Arbeitslosigkeit oder das Gerangel um den Stabilitätspakt. In Zeiten solcher Krisen findet die größte Erweiterung der EU statt. Ist dieser Zeitpunkt wirklich günstig gewählt?

Jean-Claude Juncker: Wenn die Geschichte sich bewegt, kann man sich die Zeitpunkte nicht aussuchen, man muss nur versuchen sich auf der Bewegungshöhe der Geschichte zu bewegen, Im übrigen befindet sich Europa nicht in einer existentiellen Krise. Das was wir jetzt erleben hat es früher auch schon gegeben. Ich mache Europapolitik als Mitglied des europäischen Ministerrates seit 20 Jahren. Ich bin nicht zufrieden über den jetzigen Zustand der Europäischen Union aber ich hab schon Zeiten erlebt in denen es schlimmer war als jetzt. Wir befinden uns jetzt in einer kritischen Situation, die werden wir überwinden, weil wir sie überwinden müssen, das weiß jeder und jeder wird sich auch bemühen dazu beizutragen, dass es zur Überwindung dieser kritischen Situation kommt und die Tatsache, dass dies parallel und zeitgleich zur Erweiterung geschieht, mag man bedauern, aber es ist halt so, weil wir uns überlegt haben, dass neben der Erweiterung, die Vertiefung der Europäischen Union ein ähnlich intensives Anliegen ist und dies wird über den Weg der Verfassungsgebung jetzt versucht.

Inforadio: Aber was ist mit den Menschen der bisherigen EU-Länder. Da fürchten sich viele vor der Niedriglohnkonkurrenz aus den Beitrittsländern. Wie kann man ihnen diese Angst nehmen?

Jean-Claude Juncker: Indem man nicht dauernd versucht ihnen diese Angst dauernd einzureden. Es geht uns, obwohl wir uns dauernd auf hohem Niveau beklagen relativ gut und wir denken wenn jetzt diese 8 mitteleuropäischen Staaten hinzutreten zur Europäischen Union, plus Zypern und Malta, dann würde es uns weniger gut gehen, weil wir unser Reichtum teilen müssen mir andren und diese Ängste, diese Besorgnisse, denen bin ich auch begegnet als 1986 Portugal und Spanien beitraten. Das hat in Deutschland wenige Menschen umgetrieben, aber in Frankreich doch sehr. Alle französischen Winzer und französischen Bauern waren gegen den Beitritt Spaniens und Portugals. Es ist nichts von all dem eingetreten was man als zwingend eintretbar beschrieben hatte. Die Erweiterung, die wir jetzt uns vornehmen, wird wesentlich schwieriger zu gestalten sein als alle bisher erlebten Erweiterungsprozesse der Europäischen Union aber wir werden das schaffen, weil es gibt zu dieser Erweiterung keine Alternative. Man kann stundenlang darüber reden was hätte sein sollen und was nicht hätte sein dürfen ,aber es ist so, dass nach dem Sturz des Kommunismus, nach dem Fall der Berliner Mauer, wir diese neu entstandenen Staaten, diesen neuen Demokratien, diesen neuen Volkswirtschaften in Mitteleuropa die Beitrittsperspektive anbieten mussten, ansonsten es zu wachsender Instabilität in Europa gekommen wäre, ansonsten die Grenzkonflikte zwischen diesen Staaten nie hätten gelöst werden können.

Inforadio: Aber wie wollen Sie es begründen, wenn viele Unternehmen sagen, wegen der günstigen Lohnkosten in den künftigen neuen EU-Staaten wollen wir abwandern. Wie wollen Sie das den Arbeitnehmern begründen die davon betroffen sind?

Jean-Claude Juncker: Das ist ein schwieriges Feld und man muss das in ein paar Unterabteilungen eingliedern oder aufgliedern. Es gibt Betriebe, weil die Kapitalisten halt so sind wie sie sind, die zieht es dorthin wo die Lohnbedingungen wesentlich günstiger vom Standpunkt der Kapitaleigner her betrachtet sind als bei uns. Das hat es immer gegeben und das ist heute Osteuropa, das war früher Südostasien und andere Teile der Welt und das Zweite ist, es gibt auch viele Delokalisierungen nach Mitteleuropa, die sich insgesamt positiv auswirken für die Beschäftigungslage der wandernden Betriebe bei uns. Es gibt luxemburgische Betriebe die in der Tschechischen Republik investiert haben und die deshalb ihr Produktionsniveau in Luxemburg auf der Höhe halten konnten, auf der sie sich befand, bevor die tschechischen Märkte sich öffneten. Man sollte deshalb die neuen Märkte die wir haben nicht notwendigerweise als uns in die Ecke drängende Konkurrenten betrachten. Luxemburg, wenn ich das Beispiel erwähnen darf, hat seinen Außenhandel mit Polen und Tschechien um über 500 Prozent gesteigert. Insgesamt hat sich der luxemburgische Außenhandel mit den 10 Beitrittsstaaten um 45 Prozent vergrößert. Ich mag es sehr wenn man klagt, aber man darf nicht über alles klagen.

Inforadio: Ich komme zum Thema EU-Verfassung. Der Anschlag hat mit dazu geführt, dass es zum Regierungswechsel in Spanien gekommen ist und erst dieser Wechsel hat auch den zweiten Blockierer, nämlich Polen unter Druck gesetzt, sich halt in den verhakten Verhandlungen um die EU-Verfassung zu bewegen. Ist es nicht bitter, dass Terror so massgeblich EU-Politik bestimmen kann?

Jean-Claude Juncker:  Ich bin stets davon ausgegangen, dass Spanien und Polen sich auch bewegt hätten, wenn es nicht zu einem Regierungswechsel in Spanien gekommen wäre, vielleicht nicht so schnell, vielleicht nicht so zügig, aber die Tatsache, dass jetzt eine andere politische Partei in Spanien Regierungspartei geworden ist, hat eben zur Folge, dass die auch das tut was sie vor den Wahlen angekündigt hat, nämlich sich stärker auf die europäische Mitte zu bewegen und dies bringt auch Handlungsbedarf im polnischen Lager hervor. Wieso dass Aznar und seine Volkspartei die Wahlen in Spanien verloren haben, das ist eine Frage die man so schnell nicht beantworten sollte. Es waren ja nicht nur die Attentate, sondern vielleicht auch eine zu lange anhaltende falsche Reaktion auf die Attentate. Aber ich will mich nicht zu der Theorie versteigen, die Terroristen und sie allein hätten es uns einfacher gemacht jetzt mit dem europäischen Verfassungswerk zu Rande zu kommen.

Inforadio: Wie schnell rechnen Sie denn jetzt mit einer Einigung?

Jean-Claude Juncker: Ich schließe nicht aus, dass es noch möglich sein wird vor Ende Juni, unter irischem Vorsitz, zum Abschluss zu kommen. Falls es nicht, dann werden wir diese Verfassung bis Ende des Jahres unter niederländischem Vorsitz, spätestes Datum Dezember 2004, in den Hafen einfahren müssen.

Inforadio: Glauben Sie eigentlich an die Vereinigten Staaten on Europa?

Jean-Claude Juncker: Ich hab es stets als irritierend empfunden, dass wir versuchen die Menschen von der europäischen Idee zu begeistern, dadurch dass wir ihnen in Aussicht stellen, aus Europa würde jemals so etwas werden können wie die Vereinigten Staaten von Amerika. Man wird Europa nicht gestalten können wenn man Abstand nimmt von dem Gefühl das viele Menschen in sich spüren, eine sofortige Nähe zu ihrem direkten Umfeld herzustellen. Europa wird die Nationen nie eliminieren können.

Inforadio: Also wird es auch nie eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik geben?

Jean-Claude Juncker: Doch die wird es geben. Man muss nicht die Nationen annullieren um in der Außen- und Sicherheitspolitik innovieren zu können. Wir haben in Europa einen großen Bedarf daran außenpolitisch mit einer Stimme in der Welt aufzutreten. Es gibt eine große Nachfrage weltweit nach mehr Europa. Die Menschen der Welt möchten wissen was Europa über bestimmte Probleme denkt, nur wir wissen nicht, dass die andern das gerne wissen möchten. Nein, wir werden jetzt unsere intergouvernementalen Gehversuche noch eine zeitlang weiterführen und dann nach und nach im Laufe der Jahrzehnte unsere Außen- und Sicherheitspolitik vergemeinschaften ohne, dass wir die Vereinigten Staaten von Europa haben werden.

Inforadio: Jetzt kommen 10 neue Staaten hinzu, in einigen Jahren sollen Rumänien und Bulgarien folgen. Wo würden Sie die Grenzen eines gemeinsamen Europas sehen?

Jean-Claude Juncker: Über die Erweiterung hin zu jenen Ländern die jetzt im Gespräch stehen, sehe ich eigentlich keinen direkten Anlass andere geographische Räume jetzt europatauglich machen zu wollen. Aber mit diesen neuen Nachbarn der Europäischen Union, Ukraine, Israel, andere, werden wir über eine besondere Form der Beziehungen nachdenken müssen. Auch mit Russland müssen wir auf dem Wege der Annäherung konzentrischer Kreise um die Europäische Union herum die russischen und unsere Sicherheitsinteressen so staffeln, dass ein Mehr an Zusammenarbeit entsteht.

Inforadio: Sie werden also Ihre EU-Ratspräsidentschaft nächstes Jahr nutzen um den Punkt Türkei auf die Agenda zu setzen.

Jean-Claude Juncker: Der Punkt Türkei steht auf der Agenda im Dezember 2004. Unter niederländischem Vorsitz werden wir darüber zu befinden haben, ob ja oder nein die Türkei die Aufnahmebedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen erfüllt. Wenn der europäische Rat ja sagen wird, werden wir unter luxemburgischen Vorsitz mit den Verhandlungen beginnen. Die sind ergebnisoffen und werden lange lange Jahre dauern. Wenn der europäische Rat zur Auffassung gelänge, die Türkei erfülle die Bedingungen noch nicht, werden wir unseren Vorsitz nutzen um gemeinsam mit der Türkei Wege und Mittel zu erörtern, wie denn die Türkei diese Aufnahmebedingungen erfüllen könnte. Wir werden das im Dezember 2004 sehen, das ist aus heutiger Sicht verfrüht sich endgültig dazu auszulassen.

Inforadio: Herr Juncker, welche Qualitäten sollte Ihrer Meinung nach der nächste EU-Kommissionspräsident mitbringen?

Jean-Claude Juncker: Er muss die europäische Geschichte kennen. Er muss zuhören können, spüren was die Ängste, Sorgen und Hoffnungen der Menschen im westlichen Teil Europas sind und spüren, ergründen, verstehen was die Ängste und Hoffnungen der Menschen in Mitteleuropa sind. Er muss ein Verständnis entwickeln für das notwendige Miteinander von großen und kleinen Staaten. Er muss begreifen, dass die europäische Konstruktion, damit sie komplett wird, auch Rücksicht nehmen muss auf die sozialen Belange der Menschen und er muss glaubhaft, im Namen der Europäer, nach innen und nach außen auftreten können. Nach außen, um unsern Partnern der Welt davon zu überzeugen, dass es einen geschlossenen europäischen Willen gibt, nach innen um deutlich zu machen, dass der europäische Traum nicht ausgeträumt ist, sondern dass er weitergeträumt werden muss.

Inforadio: Haben Sie einen der genannten Kandidaten, den sie persönlich favorisieren würden?

Jean-Claude Juncker: Hab ich zur Zeit nicht. Man muss das Ergebnis der Europawahl am 13. Juni abwarten und sich dann auf Grundlage des dann feststellbaren Ergebnisses für einen der genannten oder einen anderen Kandidaten entscheiden.

Inforadio: Am 13. Juni stehen ja auch Wahlen in Luxemburg an. Wenn Sie wieder gewählt werden, wonach es momentan aussieht, bleiben Sie wirklich Luxemburgs Premierminister für die gesamte Legislaturperiode, wie Sie es den Wählern in Ihrem Land versprochen haben?

Jean-Claude Juncker: Ich gehöre zu den altmodischen Menschen, die versuchen das, was sie ihren Wählern versprechen, auch einzuhalten und nicht 3 Tage nach der Wahl das Gegenteil dessen zu tun was man 3 Tage vor der Wahl angekündigt hat.

Inforadio: Sie sind ja erst 49, wird es auch in ferner Zukunft keinen EU-Kommissionspräsidenten Juncker geben?

Jean-Claude Juncker: Der EU-Kommissionspräsident wird für die Periode 2004-2009 ernannt und in der Periode stehe ich im Falle eines Wahlsieges für diese europäische Funktion nicht zur Verfügung.

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