Jean-Claude Juncker: Der 1. Mai ist ein guter Tag für Europa. Le Premier ministre au sujet de l'élargissement de l'Union européenne

Herr Premierminister, zum l. Mai wird die Europäische Union von 15 auf 25 Mitgliedstaaten anwachsen. Wie schätzen Sie dieses Ereignis ein?

Jean-Claude Juncker: Im wahrsten Sinne des Wortes als historisches Ereignis, weil jetzt zusammenwächst, was schon immer zusammengehört hat. Dies habe ich auch in meiner Erklärung zur Lage der Nation am Dienstag in der Abgeordnetenkammer gesagt. Jalta ist tot. Am l. Mai, 60 Jahre nach Kriegsende, hören auch die Kriegskonsequenzen auf. Der l. Mai ist ein guter Tag für Europa.

Welche Chancen sind mit der Erweiterung verbunden?

Jean-Claude Juncker: Die sich vollziehende Erweiterung der Europäischen Union bietet sowohl Chancen als auch Risiken. Eine große Chance besteht in unserer eigenen Sicherheit, denn die Erweiterung garantiert Friedensstabilität in Europa. Insofern gab es zur Erweiterung auch keine Alternative. Die neue Union muss zusammenwachsen. Wenn 25 sich an einen Tisch setzen, der eigentlich nur für 15 geplant war, dann fallen am Anfang Stühle, bevor jeder seinen Platz gefunden hat.

Welche Risiken kommen auf die erweiterte EU zu?

Jean-Claude Juncker: Es besteht die Gefahr des Sozialdumpings, des Steuerdumpings und der ökonomisch nicht fundierten Delokalisierung. Auf diese Risiken wird die Europäische Union durch in Entscheidungen zu gießende Politik antworten müssen. Und das wird sie auch tun. Aber wer in Europa kein Risiko eingeht, geht alle Risiken ein.

Wird Luxemburg im Europa der 25 überhaupt noch eine Rolle spielen?

Jean-Claude Juncker: Ich darf zur Beantwortung dieser Frage zunächst einmal auf meinen normalen Tagesablauf verweisen. Das sich vor aller Augen abspielende Besucherprogramm in Luxemburg beim Premier und bei der Außenministerin zeigt, dass unser Rat in Europa gefragt ist. Er wird in zunehmendem Maße von den neu hinzukommenden eingeholt. Luxemburg ist Gründungsmitglied der Europäischen Gemeinschaft und verfügt über Erfahrungen darüber, wie sich kleine Länder in der Europäischen Union bewegen müssen, können und sollen. Und sehr oft konsultieren uns nicht nur die Kleinen. Somit ist mir um den Einfluss Luxemburgs in der größeren Union nicht bange.

Und wie steht es um die wirtschaftlichen Auswirkungen auf Luxemburg?

Jean-Claude Juncker: Wir haben unseren Handel mit den mitteleuropäischen Staaten im letzten Jahrzehnt um 45 Prozent ausgeweitet. Mit Polen und Tschechien sogar um l.000 Prozent. Diese 45-prozentige Ausweitung ist doppelt so hoch wie der Anstieg unseres Anteils am Welthandel. Strikt egoistisch betrachtet: Für uns hat sich die Erweiterung bereits wirtschaftlich gelohnt. Doch die Erweiterung hat Bedeutung über das Wirtschaftliche hinaus, denn wir vereinigen nicht abstrakte Gebilde, wir bringen Menschen zusammen.

In Teilen der Bevölkerung wird eine Zuwanderungslawine befürchtet. Ist diese Annahme berechtigt?

Jean-Claude Juncker: Ich halte diese Annahme prinzipiell für nicht berechtigt. Bevor beispielsweise Menschen aus Nordpolen ihr Dorf, ihre Freunde, ihre heimische Umgebung verlassen, um nach Luxemburg auszuwandern, muss viel passieren. Sollten trotzdem zu viele dies tun wollen - wovon ich nicht ausgehe - wird die mehrjährige Übergangsregelung, welche die Arbeitsmarktzuwanderung reglementieren kann, im Ernstfall, uns helfen, diesen unwahrscheinlichen Prozess zu steuern.

Muss Luxemburg mit einem weiteren Import der Kriminalität rechnen?

Jean-Claude Juncker: Wenn es nicht den Europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gäbe, wenn wir also diesen Prozess in totaler Anarchie erdulden müssten, bestände eine reale Gefahr. Weil wir uns aber in einem europäischen Rechtsraum bewegen werden, können wir auch diesen Prozess für uns positiv gestalten.

Was können die Neuen von der EU lernen und umgekehrt was die Altmitglieder ggf. von den neuen Ländern?

Jean-Claude Juncker: Die Neuen können von den gestandenen EU-Mitgliedern lernen, dass man - um in Europa von der Stelle zu kommen - Kompromisse schließen muss, auch wenn sie einem nicht spontan einleuchten. Das Ende des Gegeneinanders und das zukünftige Miteinander macht Kompromissfähigkeit zu einer kontinentalen Tugend. Die Alten können umgekehrt von den neuen Reformfähigkeit lernen. Von den acht mitteleuropäischen Staaten hat es sechs im Jahr 1990 noch überhaupt nicht gegeben. Sie müssten sich erst als Staat erfinden, um dann sofort aus einer systemadministrierten Ökonomie in die marktwirtschaftliche Logik überzuwechseln. Die Völker Mitteleuropas haben sich als reformfähiger als die alten Demokratien Westeuropas erwiesen. Wir können bei ihnen und an ihrem Beispiel lernen, dass man nur weiterkommt, wenn man Mut zur Veränderung aufbringt. Mich beeindrucken die Leistungen der Mitteleuropäer enorm. Insbesondere die der einfachen Leute.

Mit Rumänien und Bulgarien sollen 2007 zwei weitere Staaten hinzukommen. Kroatien wartet auf den Beginn der Beitrittsverhandlungen, die Türkei ebenfalls. Wird sich der Beitrittsreigen fortsetzen?

Jean-Claude Juncker: Bulgarien und Rumänien werden, falls sie die Verhandlungen erfolgreich abschließen können, 2007 Mitglieder werden. Kroatien wird schnell aufschließen, falls die Bedingungen erfüllt werden. Über die Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei werden wir Ende des Jahres beschließen. Wir werden sehr ernsthaft überprüfen, ob die Türkei den Kriterien entspricht, denen man entsprechen muss, damit Verhandlungen aufgenommen werden können.

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