Erna Hennicot-Schoepges: Griff nach den Sternen. Die Forschungsministerin über Luxemburgs Beitritt bei der europäischen Weltraumorganisation ESA

Télécran: Frau Ministerin, im Namen der Luxemburger Regierung haben Sie am 6. Mai in Paris den Vertrag mit der "European Space Agency" unterschrieben. Wieso tritt Luxemburg der europäischen Weltraumbehörde ESA gerade jetzt bei?

Erna Hennicot-Schoepges: Die strategische Bedeutung des Raumfahrtsektors in Europa ist in letzter Zeit stark gestiegen. Das unterstreichen zum Beispiel das EU-ESA-Abkommen über die Umsetzung einer gemeinsamen Weltraumpolitik sowie der Vorschlag, die Raumfahrt in die europäische Verfassung aufzunehmen. Diese Entwicklungen werden eine Dynamisierung des europäischen Weltraumsektors mit sich bringen. Da kann Luxemburg als Sitz des weltgrößten Satellitenbetreibers nicht außen vor bleiben.

Stichwort SES: Wieso wurde sich nicht früher um einen Beitritt zur europäischen Weltraumagentur bemüht?

Erna Hennicot-Schoepges: Einen ersten Anlauf haben wir bereits 2000 unternommen - unter anderem auf Bitten des Betzdorfer Satellitenbetreibers. Damals wollten wir aber nur in das Satellitenprogramm "Artes" eingebunden werden. In seinem Gutachten zum diesbezüglichen Gesetzprojekt warf der Staatsrat dann die Frage nach einer Vollmitgliedschaft auf. Somit war das Thema auf der Tagesordnung.

Sie haben das Verhältnis der Europäischen Union zur ESA angesprochen. Die Weltraumagentur ist eine eigenständige Behörde...

Erna Hennicot-Schoepges: ... trotzdem wäre eine Nichtmitgliedschaft unklug, da Luxemburg als EU-Land sehr wohl an der Vorbereitung, Gestaltung und gemeinschaftlichen Finanzierung der europäischen Weltraumprogramme beteiligt ist. Ein Fernbleiben würde uns aber von der industriellen Umsetzung und somit auch vom wirtschaftlichen Nutzen ausschließen.

Den neuen EU-Mitgliedsstaaten dürfte es so ergehen ...

Erna Hennicot-Schoepges: Bis vor kurzem war Luxemburg - gemeinsam mit Griechenland - das einzige EU-Land ohne ESA-Mitgliedskarte. Als Griechenland dann eine Vollmitgliedschaft beantragte, mussten wir nachziehen - auch wenn die Situation nach dem 1. Mai eine andere ist. Mehrere neue EU-Mitglieder haben aber bereits ihre Absicht bekundet, der ESA schnellstmöglich beizutreten.

Wie sah die Aufnahme-Prozedur im Einzelnen aus?

Erna Hennicot-Schoepges: Im Dezember befasste sich die ESA mit unserem Antrag. Nachdem die Luxemburger Regierung ihr formelles Ja erneuert hatte, stimmte der Rat der europäischen Weltraumorganisation auf seiner Tagung Ende März dem Beitritt zum ESA-Übereinkommen zu. In der Zwischenzeit hatte sich ein Expertenteam in Luxemburg von den Möglichkeiten des "juste retour" überzeugt.

Was hat es mit dem "juste retour" auf sich?

Erna Hennicot-Schoepges: Wer dem ESA-Abkommen beitritt, muss einen Mitgliedsbeitrag zahlen. Rund 90 Prozent dieser Summe fließen dann aber in Form von Aufträgen an Unternehmen und Forschungseinrichtungen zurück ins Geberland. Es galt also auszuloten, ob die Möglichkeit eines "juste retour" in Luxemburg gegeben ist. Das Ergebnis war positiv.

Der Weg in die Vollmitgliedschaft ist also frei?

Erna Hennicot-Schoepges: Nach der Unterzeichnung des Abkommens muss noch das Parlament dem internationalen Vertrag zustimmen. Im Idealfall tut sie dies vor Ablauf der Jahresfrist, denn 2005 übernimmt Luxemburg den EU-Vorsitz und der Weltraum spielt eine wichtige Rolle in den Forschungsprogrammen der Union.

Wie teuer kommt die ESA den Steuerzahler zu stehen?

Erna Hennicot-Schoepges: Der Beitritt allein kostet 700.000 Euro - als einmalige Beteiligung am ESA-Kapital. Die Jahresbeiträge belaufen sich auf 1,2 Millionen für das obligatorische und auf zwei Millionen für das "Artes"-Programm. "Artes" ist zurzeit das einzige fakultative Programm, an dem wir uns beteiligen. Um zu sehen, ob die "juste retour"-Regelung klappt, wurde uns eine Übergangsfrist von sechs Jahren eingeräumt.

Worin sehen Sie das Hauptproblem?

Erna Hennicot-Schoepges: In einem Zirkelschluss: Ohne ESA-Mitgliedschaft keine Investitionen in die Weltraumforschung und ohne Weltraumforschung keine ESA-Mitgliedschaft. Mit dem Beitritt haben wir dieses Dilemma überwunden. Ich hoffe, dass die ESA zum Motor für Aktivitäten in diesem Bereich wird und so zur Diversifizierung der Luxemburger Wirtschaft beiträgt. Übrigens: Seit Bekanntgabe unseres ESA-Beitritts, haben bereits zwei ausländische im Raumfahrtsektor tätige Unternehmen Interesse an einer Niederlassung in Luxemburg bekundet.

Und wer hat in Luxemburg ein Interesse an der ESA?

Erna Hennicot-Schoepges: Der Beitritt gibt Unternehmen, Forschungseinrichtungen und der Universität die Möglichkeit, sich an den wissenschaftlichen und technologischen Projekten der ESA zu beteiligen. So etwas bedeutet immer Kompetenzgewinn und fördert die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. In erster Linie wird natürlich die SES profitieren. Aber nicht nur sie. Die ESA-Expertengruppe sprach mit rund 30 Unternehmen über die Möglichkeit einer Zusammenarbeit. Etwa 15 haben unmittelbares Interesse bekundet.

Wie reagieren die hiesigen Forschungseinrichtungen?

Erna Hennicot-Schoepges: Das "CRP Henri Tudor" ist bereits Mitglied im "European Space Incubators"-Netzwerk, das Start-up-Unternehmen mit Anwendungen im Raumfahrtbereich unterstützt. Aber auch für das "Centre Européen de Géodynamique et de Séismologie" in Walferdingen und das "CRP Gabriel Lippmann" ergeben sich neue Möglichkeiten: Ersteres könnte an Forschungsprojekten zur Erdgravitation teilnehmen, letzteres ist an Daten von Erdbeobachtungssatelliten interessiert, welche die bestehenden Datenreihen zum Verhalten unserer Gewässer vervollständigen und so zu neuen Erkenntnissen über die Überschwemmungsproblematik beitragen.

Trotzdem scheint die Weltraumforschung die Mensehen zu spalten: Was für die einen reine Geldverschwendung, ist für die anderen der Schlüssel zur Zukunft der Menschheit. Wie sehen Sie das?

Erna Hennicot-Schoepges: Bereits heute trägt die Raumfahrt maßgeblich zur Gestaltung und Verbesserung unserer Lebensbedingungen bei. Satelliten ermöglichen eine weltweite Kommunikation. Die Fernerkundung liefert wichtige Daten über unsere Umwelt und ermöglicht vielleicht bald die Vorhersage von Tornados, Erdbeben, Überschwemmungen. Die Erforschung des Weltraums bringt ihrerseits neue Erkenntnisse über Ursprung und Entwicklung des Sonnensystems, der Planeten und des Lebens. Darüber hinaus profitieren wichtige Industriezweige von Innovationen aus der Raumfahrt - von der Werkstofftechnologie über die Medizintechnik bis hin zu Software-Entwicklungen. Im Weltraumbahnhof Baikonur konnte ich mir einmal ein Bild von einem Kristall machen, der im Weltall - also ohne Schwerkraft - gezüchtet worden war. So gesehen bieten sich quasi ungeahnte Möglichkeiten. Trotzdem muss sich die Raumfahrt in den Dienst der Menschen stellen.

Ab wann können wir denn mit einem ersten Luxemburger Astro-, Kosmo- oder Taikonauten rechnen?

Erna Hennicot-Schoepges: Es ist nicht unsere Absicht, möglichst bald einen Luxemburger ins All zu schicken. Sollte sich jedoch zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen eines umfassenderen Projekts, das eine Reihe handfester Vorteile für unser Land aufweist, die Möglichkeit dazu ergeben, wird diese Frage noch einmal geprüft. Zurzeit ist sie aber kein Thema.

In Sachen Weltall-Schlagzeilen haben die Amerikaner zurzeit noch die Nase vorn. Bahnt sich zwischen NASA und ESA ein ähnlicher Kampf der Giganten an wie zwischen Boeing und Airbus?

Erna Hennicot-Schoepges: Der Konkurrenzkampf zwischen den beiden Raumfahrtagenturen mag von Zeit zu Zeit die Schlagzeilen beherrschen. Dabei sind sie nur schwer zu vergleichen. Im Gegensatz zur NASA stehen bei der ESA keine militärischen Ziele im Vordergrund. Trotzdem wäre eine engere Zusammenarbeit oder bessere Koordination der Forschungsvorhaben zu begrüßen. Dass dies möglich ist, zeigt ja die "International Space Station", kurz ISS. Hinter den konkurrierenden Missionen steht aber auch die Absicht, die eigene technologische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und den Wirtschaftspartnern gegenüber unter Beweis zu stellen. Das Beispiel Airbus hat gezeigt, dass Europa, sofern es sich zur Zusammenarbeit aufrafft, durchaus in der Lage ist, eine führende Marktposition einzunehmen.

Und was halten Sie von Menschen auf dem Mars? Werden wir den Roten Planeten eines Tages kolonisieren?

Erna Hennicot-Schoepges: Wer sich mit der Zukunft befasst und in großen Zeitabständen denkt, sollte Lehren aus der Vergangenheit ziehen. Von den Dinosauriern bis zu den Menschen war es ein weiter Weg. Wieso sollte man da ausschließen, dass wir in 100.000 oder Millionen Jahren auf dem Mars leben werden? Weltraum bedeutet ja gerade Denken ohne Grenzen ...

Vom Vater der Raketentechnik, Konstantin Tsiolkovsky, stammt der Spruch: "Die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber man kann nicht immer in der Wiege bleiben." Was halten Sie davon?

Erna Hennicot-Schoepges: Mit dem endlichen menschlichen Verstand ist das Unendliche kaum zu fassen. Daher sollten wir uns in Demut üben und uns eingestehen, dass wir bisher nur einen winzigen Teil eines großen Ganzen kennen. Ich denke, alle großen Forscher erbrachten ihre Leistungen in dieser Bescheidenheit.

Glauben Sie an Leben im All?

Erna Hennicot-Schoepges: Wissenschaftlich fühle ich mich nicht im Stande, auf diese Frage zu antworten. Metaphysisch gesehen ist der Welt eine transzendentale Komponente aber nicht abzusprechen. Daher möchte ich nichts ausschließen.

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