"Gerne die Hälfte". Frauenministerin Marie-Josée Jacobs über die Gleichstellungspolitik der Regierung

woxx: Frau Ministerin, wenn die CSV die Wahlen gewinnen würde, könnten Sie sich eine dritte Legislaturperiode als Frauenministerin vorstellen?

Marie-Josee Jacobs: Das kann ich im Voraus nicht sagen, es ist schließlich noch ungewiss, wer die Wahlen gewinnen wird. Ich habe viel Respekt vor den Wählerinnen und Wählern. Und selbst wenn wir gewinnen würden, hat der Koalitionspartner auch noch ein Wort mitzureden.

Was reizt Sie acht Jahre nach Ihrer Amtseinführung noch an dem Job?

Marie-Josee Jacobs: Etwas fertig zu bekommen – und zwar nicht nur in der Theorie, sondern vor allem in der Praxis. Bevor es das Frauenministerium gab, wussten viele Leute gar nicht, was das ist: Gleichberechtigung. Inzwischen müssten die allermeisten wissen, dass wirklich ein Unterschied zwischen Frauen und Männern besteht. Das ist auch unser Verdienst.

Die Situation der Frauen allgemein hat sich aber nicht wesentlich verbessert. Die Lohnunterschiede sind mit 28 Prozent nach wie vor groß, für die meisten Eltern ist es schwierig, Beruf und Familie gerecht zu vereinbaren. Warum geht es so langsam voran mit der Gleichberechtigung?

Marie-Josee Jacobs: Theoretisch sind wahrscheinlich alle – Frauen und Männer gleichermaßen – mit der Gleichberechtigung einverstanden. In der Praxis sind es aber immer noch vorwiegend die Frauen, die Teilzeit arbeiten und die unbezahlte Familienarbeit machen. Wir können alle Gesetze der Welt verabschieden: Wenn sich nicht etwas in den Köpfen der Menschen verändert, ist es schwierig, wirkliche Gleichberechtigung zu erreichen. Deshalb bleibt unser wichtigstes Ziel der Mentalitätswandel. Wenn ich heute aber Familien sehe, in denen Väter sich mehr um Kinder kümmern und Frauen ebenfalls eine berufliche Karriere machen, dann bin ich durchaus optimistisch, dass sich etwas tut.

Damit beide Eltern arbeiten können, müssen Beruf und Familie vereinbar sein. Der luxemburgische Elternurlaub gilt als fortschrittlich, weil er sich ausdrücklich an beide Partner wendet – trotzdem sind es vorwiegend Mütter, die ihn nutzen. Was fehlt?

Marie-Josee Jacobs: Viele Unternehmen in Luxemburg sind bis heute nicht wirklich für den Congé parental zu begeistern. Das ist teilweise verständlich, denn besonders für kleine und mittlere Betriebe ist es nicht einfach, Ersatz zu finden. Außerdem fürchten viele Männer wohl immer noch um ihre berufliche Karriere – obwohl sie das Recht haben, nach dem Elternurlaub auf ihren alten Arbeitsplatz zurückzukehren. Wir haben den Conge parental sehr großzügig gestaltet, aber Fakt ist: Männer verdienen durchschnittlich mehr als Frauen. Der Congé bedeutet meistens für sie, Einbußen beim Verdienst hinzunehmen. Und das wollen oder können viele Familien sich nicht leisten.

Ein weiteres Feld, in dem die Gleichstellung auf sich warten lässt, sind Frauen in Unternehmen. Ihre Regierung fördert Frauen in der Privatwirtschaft mit so genannten Actions positives, also mit freiwilligen Selbstverpflichtungen durch die Unternehmen. Reicht das?

Marie-Josee Jacobs: Wir haben stets gefordert: In das Kollektiwertraggesetz gehört eine Verpflichtung für die Arbeitgeber, dass Gleichberechtigung nicht nur verhandelt wird, sondern sich in konkreten Ergebnissen niederschlagen muss. Aber weder die Gewerkschaften, noch das Patronat waren bisher damit einverstanden. Natürlich würde es schneller gehen, wenn es eine Verpflichtung gäbe, Resultate nachzuweisen. Aber so lange die Sozialpartner nicht gewillt sind mitzumachen, riskiert eine solche Regelung ein toter Buchstabe zu sein.

Angesichts einer solchen Weigerungshaltung wäre es da nicht aber notwendig, die Gleichstellung von Frauen und Männer gesetzlich zu verordnen?

Marie-Josee Jacobs: Ich überzeuge Menschen lieber von einer Sache, statt sie zu etwas zu zwingen. Es ist sicherlich weiterhin wichtig, zu sensibilisieren und zu informieren. Allerdings kann ich auch nicht sagen, was in Zukunft einmal kommen wird.

Überzeugungsarbeit ist offenbar dringend notwendig. Luxemburg hat als einziges Land in der EU die Gleichberechtigung noch nicht in der Verfassung verankert.

Marie-Josee Jacobs: Ja, und das ist wirklich tragisch. Ich hoffe zutiefst, dass wir die Verfassungsänderung noch vor Ende der Legislaturperiode beschließen werden. Es ist sehr peinlich, auf UN-Versammlungen immer wieder erklären zu müssen, warum Luxemburg das Gleichheitsgebot noch immer nicht in seiner Verfassung hat.

Um die Präsenz von Frauen in der Politik zu erhöhen, hat Ihre Partei eine 30-Prozent Quote eingeführt: Ein Drittel aller Wahllistenplätze muss von Frauen besetzt werden. Die Frauenbewegung hat ursprünglich die Hälfte gefordert.

Marie-Josee Jacobs: Ich hätte auch gerne 50 Prozent. Ich weiß aber genau, wie schwer es war, überhaupt die 30 Prozent zu bekommen. Es gibt immer noch viele Leute, auch in meiner Partei, die eine solche Quotierung nicht wichtig finden. Ich meine aber, wenn die Frauenquote nach den Wahlen erste Ergebnisse gebracht hat, werden vielleicht auch die überzeugt sein, die sonst immer sagen: Die Männer sind die besseren Kandidaten.

Bei der LSAP waren es die Frauen selbst, die die Quote abgeschafft haben...

Marie-Josee Jacobs: Die Quote allein löst nicht alle Probleme. Unser Panaschier-Wahlsystem benachteiligt systematisch neue, unbekannte Kandidaten und Kandidatinnen. Darüber hinaus ist es auch sehr schwierig, neben Beruf und Familie abends noch Politik zu machen. Wenn sich da nicht bald etwas grundsätzlich ändert und bessere Bedingungen für das Politikmachen insgesamt geschaffen werden, wird es immer schwieriger, junge Frauen und Männer für die Politik zu gewinnen. Das gilt im noch größeren Ausmaß für die Gemeindewahlen.

Die Europäische Union hat vor Jahren das Gender Mainstreaming eingeführt. Als Konzept zur Gleichstellung von Frauen hat es sich erstmalig auf der Pekinger Weltfrauen-Konferenz durchgesetzt. Wo steht Luxemburg heute, fast zehn Jahre später?

Marie-Josee Jacobs: Wir sind nicht soweit gekommen, wie wir gehofft hatten. Wahrscheinlich wissen viele Leute bis heute nicht, was Gender Mainstreaming eigentlich bedeutet. Und was man nicht kennt, das lehnt man bekanntlich oft vorschnell ab. Für viele scheint der Ausdruck zudem eher negativ besetzt zu sein.

Hand aufs Herz, kennen denn alle Ihre Ministerkollegen und -kolleginnen diesen Politikansatz?

Marie-Josee Jacobs: Ich habe mir immer gewünscht, und es auch in der Chamber mehrmals gesagt: Lasst uns gemeinsam eine Art Lehrgang dazu machen. Leider habe ich nie ein Echo bekommen. Ich glaube aber nicht, dass jeder in der Regierung und in der Chamber genau weiß, was Gender Mainstreaming bedeutet. Wäre das der Fall, wären wir in puncto Gleichberechtigung sicherlich weiter, als wir es sind.

Die CSV konserviert selbst ein bestimmtes Familien- und damit auch Frauenbild. Vor allem in Sachen individualisierte Sozialuersicherangsansprüehe ist bei der CSV nicht viel zu holen.

Marie-Josee Jacobs: Das ist nicht richtig. Sicherlich sind die traditionelle Familie und die Ehe zwei wichtige Werte für unsere Partei. Aber wie es in unserem Wahlprogramm heißt: Jeder Einzelne zählt. Überall dort, wo Familie gelebt wird, sind wir in der Verantwortung, dies zu unterstützen. Die Hälfte aller Ehen werden geschieden. Daraus entstehen andere Formen von Lebensgemeinschaften. Das weiß auch die CSV.

Die "Mammenrent" begünstigt nichterwerbstätige Mütter ...

Marie-Josee Jacobs: Das stellen Sie falsch dar. Wir haben die Babyjahre eingeführt, die Kindererziehungszeiten. Wir haben also eine ganze Menge in Richtung individualisierte Ansprüche unternommen. Den forfait d'education haben wir für die Mütter eingeführt, die von den genannten Leistungen nicht profitieren können. Sie haben aber sehr wohl gearbeitet und dafür verdienen sie eine Anerkennung. 3.000 Franken sind nicht viel – in den meisten Fällen kommt man mit Babyjahren und Kindererziehungszeiten besser weg. Wir wissen aber auch, dass dies nicht das Leitbild der Zukunft ist. Ich denke, es ist wichtig, noch weiter den Weg der Individualisierung zu gehen. Aber man muss aufpassen, dass nicht wiederum die Frauen benachteiligt werden: Wegen der niedrigeren Lohne, und weil viele Frauen Teilzeit arbeiten, können schnell neue Ungerechtigkeiten entstehen.

Am Donnerstag war der dritte Girls' Day. Es mehren sich Stimmen, die einen Boys' Day fordern.

Marie-Josee Jacobs: Grundsätzlich finde ich es auch wichtig, einen Boys' Day zu veranstalten. Gender Mainstreaming gilt schließlich für beide, Frauen und Männer. Es wäre in unserem Interesse, wenn mehr Männer in frauentypischen Berufen arbeiten würden – allein schon wegen der Lohnunterschiede zwischen Frauenund Männerberufen. Darüber hinaus ist es aber grundsätzlich wichtig, dass Männer besonders in gesellschaftlichen Bereichen wie der Erziehung präsenter sind. In Krippen, Kindergärten, sogar in Grundschulen arbeiten fast nur Frauen. Es ist wichtig, dass Kinder auch männliche Vorbilder haben, und zwar nicht nur aus dem Fernsehen.

Warum gelingt es den Frauen nicht, Männer für diese Arbeiten zu gewinnen?

Marie-Josee Jacobs: Vielleicht, weil wir den Männern manchmal das Gefühl geben, ihnen etwas wegnehmen zu wollen.

Geht es nicht genau darum: Macht neu- und umzuverteilen?

Marie-Josee Jacobs: Wir stellen das zu negativ dar. Offensichtlich sind wir keine guten Marketingleute. Immerhin profitiert die gesamte Gesellschaft von der Gleichstellung, Frauen und Männer.

Sie leiten mit Familie und Frauen zwei Ressorts, die klassischerweise als "weich" gelten. Erfüllen Sie damit nicht selbst ein Klischee, das Sie eigentlich bekämpfen wollen?

Marie-Josee Jacobs: Ich habe als Landwirtschaftsministerin angefangen, das war sicherlich kein, wie Sie sagen, 'weiches' Ministerium. Wenn ich dann noch sehe, wie meine Arbeit jetzt konkret aussieht, kann ich Ihnen versichern: Das Frauenministerium ist alles andere als ein 'weiches' Ministerium!

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