Mady Delvaux-Stehres: Schule soll Spass machen

Télécran: Eine ehemalige Lehrerin übernimmt das Unterrichtsministerium. Kommt Ihre Berufserfahrung Ihnen bei Ihrer neuen Funktion zugute?

Mady Delvaux-Stehres: Alles, was man im Leben macht, bringt einem wertvolle Erfahrungen. Ich habe 15 Jahre als Lehrerin gearbeitet, seit 15 Jahren bin ich nun in der Politik tätig. Zusammen ergibt das ein umfangreiches Arbeitsfeld und viel Erfahrung, die mir sicher bei meiner Arbeit weiterhilft. Allerdings ist mein Erfahrungsbereich als Gymnasiallehrerin ziemlich klein, wenn man sämtliche Aspekte der Bildung berücksichtigt. Es gibt viel Neuland für mich. Ob meine ehemalige Tätigkeit dabei ein Vorteil ist, wird sich im Laufe der Zeit zeigen.

Zwischen 1994 und 1999 waren sie in der Regierung verantwortlich für Transport, Soziale Sicherheit und Kommunikation. Welche Erfahrungen nehmen Sie mit in die neue Regierung?

Ich habe gelernt, wie die Verwaltungen funktionieren und wie man als Minister seine Zeit einteilt. Außerdem bin ich durch meine frühere Tätigkeit in der Regierung geduldiger geworden. Ich kann anderen sehr gut zuhören und stundenlange Diskussionen führen.

Ein Schlagwort der vorherigen Regierung war die "Bildungsoffensive"...

Ich schätze diesen Begriff nicht sonderlich. Die Aufgabe der Schule besteht darin, jedes Kind und jeden Jugendlichen so zu fördern, dass er seine Fähigkeiten voll entfalten kann. Das ist eine Arbeit, die auf Dauer setzt, ein kontinuierlicher Prozess. Wir bauen also auf bestehende Traditionen auf. Momentan befinden sich Schüler in diesem Prozess und es ist die Pflicht der Schule, jeden weiterzubringen und niemanden zu vernachlässigen. "Offensive" klingt für mich danach, in möglichst kurzer Zeit Wunder zu bewirken. Doch in der Schule bewirken wir keine Wunder und schon gar nicht in kurzer Zeit. Den Erfolg der Arbeit sieht man erst nach und nach.

Möchten Sie die Philosophie von "Back to basics" in den nächsten fünf Jahren vorantreiben?

Die "Basics" waren meiner Meinung nach in der Schule nie in Frage gestellt. Dass man zur Schule geht, um lesen und schreiben zu lernen, war und ist klar. Es sind also weniger die "Basics", die mich stören, als vielmehr das "back". Bisher war noch immer jede Generation der Meinung, in der Zeit davor sei alles besser gewesen. Doch dieser Gedanke bringt uns nicht weiter. Die Aufgabe des Unterrichtsministeriums ist es jetzt, möglichst schnell festzulegen, was die Schüler auf jeder Ebene wissen müssen. Wir brauchen also gewisse Standards, die festlegen, was die Kinder beispielsweise nach dem 6. Schuljahr oder nach Abschluss der Pflichtschulzeit berherrschen müssen. Die Schule ist das Produkt einer Gesellschaft, die immer komplexere Anforderungen an Schulabgänger stellt. Wir müssen also den Wissensstand unserer Schüler an diese Bedürfnisse anpassen.

Aber genau an diesem Punkt scheint das luxemburgische Schulsystem doch zu versagen, wie Pisa gezeigt hat. Die Schüler scheinen nicht fähig zu sein, ihr Wissen anzuwenden. Wie wollen Sie sie in Zukunft besser auf das Leben vorbereiten?

Genau darin sehe ich meine größte Herausforderung. Wir müssen den Schülern beibringen, Probleme zu erkennen und zu lösen. Die Lehrer verfügen über Wissen, das sie Schülern vermitteln müssen, aber gleichzeitig sollen sie Jugendliche dazu anspornen, selber nach Informationen zu suchen. Ansätze dafür gibt es jetzt schon in manchen Schulen. Dabei darf man eines nicht vergessen: Wenn wir selbstständigere Schüler wollen, müssen wir ihnen die Zeit geben, selbst nach Informationen und Lösungen zu suchen. Momentan sind die Lehrpläne so gefüllt, dass dazu fast keine Zeit bleibt. Mir ist bewusst, dass die Straffung der Lehrpläne für das Lehrpersonal schmerzlich ist. Aber wir müssen einen Weg finden, die Schüler gezielter zu unterrichten.

In letzter Zeit hat die Schule häufig für Negativschlagzeilen gesorgt. Die "Geografie-Affäre" im Escher "Lycée de garçons" hat die Schule vor Gericht gebracht. Kann die Schule ihre Probleme nicht mehr selbst lösen?

Ich bedaure sehr, wenn Schulprobleme nicht in der Schule geregelt werden. Die Eltern haben natürlich das Recht, juristische Schritte zu unternehmen, wenn es nicht anders geht. Wir brauchen aber Mechanismen, die es erlauben, Probleme schulintern zu lösen. Um Formfehler in Zukunft zu vermeiden, wird das Unterrichtsministerium in den kommenden Monaten sämtliche großherzogliche Verordnungen, die Nachexamen und Benotungen betreffen, genau analysieren und versuchen, die Prozeduren zu harmonisieren. Das setzt natürlich voraus, dass Klassenräte, Klassenlehrer und Direktoren ihre Verantwortung übernehmen und gewährleisten, dass die Prozeduren eingehalten werden.

Soll bei der Benotung auch künftig am alten Punktesystem festgehalten werden?

Ich möchte vorweg sagen, dass in unseren Schulen sehr gute Arbeit geleistet wird. 90 Prozent der Dinge laufen gut, doch es wird fast ausschließlich über die anderen zehn gesprochen. Lob spornt bekanntlich zum Arbeiten an. Auch bei der Benotung brauchen wir ein anderes Evaluationssystem, das die Leistung der Schüler bewertet. Es wäre illusorisch zu glauben, dass wir unser traditionelles Notensystem von heute auf morgen abschaffen können. Aber wir müssen ergänzende Evaluationsmittel schaffen, die vermehrt den Fortschritt der Schüler aufzeigen.

Als Pilotprojekt soll 2005 eine Ganztagsschule eingeführt werden. Welche Vorteile erhoffen Sie sich durch dieses neue Modell?

Ich unterstreiche dabei den Begriff "Schule", denn es gibt ja jetzt bereits Ganztagsangebote. Hier soll der Stundenplan über einen ganzen Tag ausgedehnt werden. Momentan unterrichten wir fünf Stunden an einem Stück. Aus meiner eigenen Berufserfahrung weiß ich, dass man nach ungefähr drei Stunden nicht mehr konzentriert arbeiten kann. Deswegen möchten wir in der Ganztagsschule die Unterrichtseinheiten auf 90 Minuten erhöhen und zwischen zwei Fächern längere Pausen machen. Die Schüler sollen auch nach dem Unterricht besser betreut werden und bei den Hausaufgaben Hilfe bekommen, so dass sie zu Hause nichts mehr machen müssen.

Die Hausaufgaben fallen also weg?

Hausaufgaben sind mir, ehrlich gesagt, ein Dorn im Auge. Ich finde, dass sie die Ungleichheiten zwischen den Schülern verstärken. Einige Schüler bekommen zu Hause Unterstützung und Hilfe bei den Hausaufgaben, andere nicht. Das ist nicht fair. Eltern sollen auch keine Hilfslehrer sein. Ältere Schüler müssen die Aufgaben alleine lösen, aber Kinder bis zwölf, dreizehn Jahre brauchen Hilfe, und die sollen sie in der Schule bekommen.

Für eine obligatorische Weiterbildung des Lehrpersonals bestand bisher kein politischer Wille. Müssen sich Lehrer nicht weiterbilden?

Weiterbildung gehört zu jedem Beruf dazu. Wir haben momentan ein vielseitiges Angebot, das das Lehrpersonal freiwillig in Anspruch nehmen kann. Der Minister hat per Gesetz das Recht, verschiedene Kurse als obligatorisch einzustufen. Sollten wir zum Beispiel neue Evaluationssysteme einführen, muss das Unterrichtspersonal auf jeden Fall in diese Methoden eingeführt werden. Die Weiterbildung sollte aber im Idealfall eine Sache der einzelnen Schulen sein.

Welche Rolle soll den Eltern in der Schule zukommen?

Die Eltern sehe ich als wichtige Partner der Schule. Die Entwicklung der Kinder passiert hauptsächlich im Elternhaus und in der Schule. Deswegen müssen beide Parteien zusammenarbeiten.

Wie sieht für Sie die ideale Schule aus?

Das ist für mich eine Schule, in die sowohl Schüler als auch Lehrer gerne gehen. Das will nicht heißen, dass man dort nichts machen muss. Ich glaube nämlich, dass man mehr Spaß hat, wenn man viel lernt und gefordert wird. Das Schlimmste ist, wenn man sich in der Schule langweilt.

Das klingt fast schon utopisch. Sind Sie denn selbst gerne zur Schule gegangen?

Ja, ich bin immer sehr gerne zur Schule gegangen. Deswegen kann ich mich auch heute noch so für die Schule begeistern und glaube auch fest daran, dass es Schüler gibt, die Spaß an der Schule haben. Die Entwicklung der Gesellschaft bringt mit sich, dass Kinder hauptsächlich in der Schule ihre Freunde treffen. Sie soll also ein Ort sein, an dem Kinder zusammenleben, diskutieren und streiten, wenn es sein muss. Vor allem muss jedes Kind einen Platz in dieser Schule haben und gefördert werden. Das Konzept der Ganztagsschule ist vielleicht ein Schritt in diese Richtung.

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