"Eine neue neue Bewertungskultur braucht Zeit". Interview avec la ministre de l'Éducation nationale, Mady Delvaux-Stehres, au sujet de la rentrée scolaire

Tageblatt: Welche neuen Akzente wollen sie in den kommenden fünf Jahren setzen?

Mady Delvaux-Stehres: Zu meinen ersten Prioritäten zählt die Harmonisierung der Regelungen für den klassischen (ES) und technischen Sekundarunterricht (EST). Die Menschen verstehen nicht, wieso im "secondaire" 30 Punkte zum Weiterkommen benötigt werden, in anderen Schulzweigen dagegen 45; je nach Schultyp oder-stufe müssen klassische Nachexamen abgelegt oder Hausarbeiten vorgelegt werden. Diese Fragen sollen geklärt und die großherzoglichen Bestimmungen so schnell wie möglich überarbeitet werden. Das ist wichtig für die Eltern und Schüler; es ist aber auch wichtig für die Lehrer, da immer mehr Lehrer in beiden Schultypen tätig sind. Ich glaube nicht, dass es zumutbar ist, verschiedene Kriterien anzuwenden.

Zu den großen Akzenten des Regierungsprogramms zählt auch die Evaluierung. Schul- und Pilotprojekte müssen bewertet werden. Wir müssen feststellen, was sich bewährt hat und verallgemeinert werden kann. Infolgedessen müssen Programme überarbeitet, notwendige Kompetenzen definiert und Ziele festgelegt werden. Wir müssen von den Schülern etwas verlangen, was Sinn macht.

Darüber hinaus muss jeder an seiner Stelle Verantwortung übernehmen und die Ziele umsetzen, sonst geht es nicht. Wir benötigen die Zusammenarbeit aller Beteiligten.

In diesem Zusammenhang möchte ich Folgendes anmerken. Es ist nicht das Ministerium, das unterrichtet. Der Minister ist lediglich Kapitän. Es ist Aufgabe der Schule, jedes Kind so weit wie möglich nach vorne zu bringen. Ich weiß auch, dass sich nicht aus allen Kindern ein Nobelpreisträger machen lässt. Dennoch muss jedes Kind gefördert werden. Das ist der Grund, weshalb wir differenzierten Unterricht brauchen und Freude am Lernen vermitteln müssen.

Für Schulkinder ist zweierlei schlimm. Einerseits wenn ein Programm gemacht wird, das sie nicht verstehen und andererseits wenn sie unterfordert sind und sich langweilen. Beides muss verhindert werden.

Stichwort Schulpartnerschaft. In der vergangenen Legislatur kam insbesondere viel Widerstand vom Elterndachverband Fapel, der u.a. echte Mitbestimmung einklagte. Wollen Sie dieser mit Nachdruck vorgetragenen Forderung Rechnung tragen?

Mady Delvaux-Stehres: Ich bin froh, dass die Eltern bereits eine Unterredung beantragt haben. Ich denke, dass es wichtig ist, Eltern mit einzubinden. Natürlich kann nicht jede Entscheidung zusammen mit den Eltern getroffen werden. Die Benotung bspw. bleibt Lehrern vorbehalten. Ich denke, dass es daneben aber viele Bereiche gibt, wo Eltern einbezogen werden können. Insbesondere was die verstärkte Autonomie der Schulen angeht. Je größer der Spielraum, desto wichtiger die Partnerschaft. Das ist das eine.

Andererseits muss es Möglichkeiten innerhalb der Schule geben, Entscheidungen anzufechten und Gehör zu finden, was nicht heißt, dass Eltern nicht das Recht hätten, vor Gericht zu gehen. Grundsätzlich geht es aber darum zu verhindern, dass Konflikte vor Gericht ausgetragen werden.

Zur Schulautonomie möchte ich noch Folgendes sagen: Es reicht nicht aus, ein Gesetz zu verabschieden wie bspw. das über die Organisation der Lyzeen. Wenn wir die Schulautonomie ernst nehmen, müssen wir die Gesetze mit Leben füllen. Das ist eine der vordringlichsten Aufgaben. Es müssen eine Unmenge an Ausführungsbestimmungen verfasst werden, damit Schulautonomie funktioniert.

Protest gab es auch in Bezug auf die verschärften Promotionskriterien im Technischen Sekundarunterricht. U.a. haben Eltern und Schüler die Rücknahme dieser Entscheidung gefordert. Was ist ihre Haltung in dieser Frage?

Mady Delvaux-Stehres: "Die Vorbereitungen zur Schulrentree 2004 sind im Grunde abgeschlossen. Die Bestimmungen jetzt wieder abzuändern, scheint mir abwegig. Meinen Informationen zufolge wurde in den einzelnen Schulen ja auch versucht, dennoch möglichst viele Kinder aufzunehmen.

Mein Ziel ist es, bis zum Winter Klarheit im Hinblick auf das übernächste Schuljahr zu schaffen. Dazu gehört für mich auch eine Evaluierung des schulischen Scheiterns. Zu tun hat dies auch mit der Überarbeitung unseres Bewertungssystems, ein weiteres Ziel unseres Regierungsprogramms. Dieses Dossier liegt mir sehr am Herzen.

Auch unser Benotungssystem ist nicht objektiv. Das zu denken, wäre eine Illusion. Erstens ist es illusorisch zu glauben, dass 40 in allen Fällen 40 ist. Wenn zwei Lehrer verbessern, kommen meistens unterschiedliche Noten dabei raus. Zweitens ist die Note 40 ausgezeichnet, wenn der Schüler vorher immer eine Ungenügende hatte, schlecht dagegen ist sie, wenn er vorher nur Einser schrieb.

Eine neue Bewertungskultur zu schaffen und Lehrern neue Bewertungsgrundlagen zu geben, die den Fortschritten der Schüler Rechnung tragen, braucht Zeit. Es setzt viel Überzeugungsarbeit bei Eltern und Lehrern voraus. Wir alle sind in einem System mit Punkten aufgewachsen. Die Menschen bewerten die Schule von heute bekanntlich unter den Gesichtspunkten und Erfahrungen von früher. Angehen müssen wir das Problem trotzdem.

Kritik am Koalitionsabkommen kam bereits von der Feduse. In ihrer Stellungnahme strahlt die Staatsbeamten-Föderation nicht eben Reformfreude aus. U.a. wird darin die geplante Neu-Ausrichtung des Sprachenunterrichts kritisiert? Dadurch könnte das teilweise ohnehin geringe Sprachniveau der Schüler noch weiter sinken, so der Einwand. Teilen Sie diese Bedenken? Wie wollen Sie die Berufsverbände dazu bewegen, mit Ihnen am selben Strang zu ziehen?

Mady Delvaux-Stehres: Wieso das so interpretiert wird, kann ich mir eigentlich nicht erklären. Ich denke, hier spielt ein bisschen die Angst vor dem neuen Minister mit.

Überall wo ich hinkomme, höre ich die gleiche Klage: Das Niveau sinkt. Ich denke schon, dass wir Programme und Lernziele auf allen Schulstufen im Dialog mit allen Betroffenen definieren müssen. Wir sagen zu Recht, dass es wichtig ist, Sprachen zu beherrschen. Deshalb widmen wir dem Sprachenunterricht in Luxemburg so viele Schulstunden. Wenn ich aber ständig Klagen höre, Abiturienten könnten weder Deutsch noch Französisch sprechen oder schreiben, würde ich mir als Sprachlehrer Fragen stellen, was ich besser machen könnte.

Wir müssen zusammen einen Weg finden. Diesbezüglich habe ich konkrete Vorstellungen, die ich zuerst mit den jeweiligen Programmkommissionen besprechen möchte, bevor ich sie der Presse mitteilen möchte.

Problematisch dürften auch die Nachwehen der Nachexamen-Affäre sein. Befürchten Sie künftig nicht eine Prozesslawine unzufriedener Eltern?

Mady Delvaux-Stehres: "Ich hoffe, dass es zu keiner Prozesslawine kommen wird. Es ist nicht gut, wenn über Schulprobleme vor Gericht befunden wird. Niemand stellt im Grunde das Fachwissen und Beurteilungsvermögen der Lehrer in Frage. Gleichzeitig müssen Lehrer wissen, dass es Regeln gibt, die einzuhalten sind, ansonsten drohen ihre Entscheidungen vor Gericht gekippt zu werden.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal unterstreichen, dass es wichtig ist, vorgegebene Formen zu respektieren. Es gibt großherzogliche Bestimmungen darüber, wie ein Nachexamen abzulaufen hat. Wenn eine getrennte Bewertung vorgesehen ist, muss getrennt verbessert werden. Ich möchte an alle appellieren, diesbezügliche Texte genau zu lesen, damit jeder weiß, wie er sich gegebenenfalls organisieren muss. Damit würde auch das Risiko, Formfehler zu begehen, kleiner. Ich denke beispielsweise nicht, dass Eltern und Kinder gerne vor Gericht gehen. Sie tun dies nur, wenn sie das Gefühl haben, nicht gehört oder ungerecht behandelt zu werden. Daher appelliere ich an Schulen und Schulleiter, dafür zu sorgen, dass Kinder gerecht behandelt werden und Gehör finden.

Wenn es Probleme in einer Klasse gibt, sollte frühzeitig darauf reagiert werden. Das ist Aufgabe des Direktors. Er ist der pädagogische Leiter der Schule. Die Früherkennung der Probleme muss auf der Ebene der einzelnen Schulen stattfinden. Damit liegt die Verantwortung zuerst einmal beim Lehrer und bei der Schule selbst.

Im Regierungsabkommen steht, dass das Gesetzprojekt über die Reform des 1912 er Gesetzes nachgebessert werden soll. Was stört Sie am vorliegenden Text?

Mady Delvaux-Stehres: Ich will mir erst einmal Zeit nehmen, um mit allen Schulpartnern darüber zu diskutieren und zu schauen, was man besser machen kann. Es gibt einige Punkte, die mich stören. Ich will den Beratungen mit den Schulpartnern aber nicht vorgreifen.

Überhaupt scheinen Sie besonderen Wert auf Qualitätskontrolle zu legen. Haben Sie keine Angst damit auf großen Widerstand bei der Lehrerschaft zu stoßen?

Mady Delvaux-Stehres: Es geht nicht nur um die Bewertung der Schüler. Es geht auch um die Evaluierung der Schulprogramme und des ganzen Systems. In den Koalitionsverhandlungen wurde lange darüber geredet. Mit standardisierten Prüfungen wurde bereits ein erster Schritt in Richtung Bewertung des Unterrichts getan. Diese Maßnahme ist nur eine unter anderen. Ich denke, dass Schulen sich auch selbst evaluieren müssen. Das scheint mir sehr wichtig. Das geht nur durch Zusammenarbeit aller Fachlehrer. Evaluierung ist ein Mittel, sich weiterzuentwickeln, durch interne Diskussion und Erfahrungsaustausch.

Darüber hinaus brauchen wir auf der Ebene des Script Indikatoren, die uns erlauben, mitteibis langfristig regelmäßige Bewertungen durchzuführen. Ferner haben wir beschlossen, an allen internationalen Tests teilzunehmen. Den Blick von außen benötigen wir unbedingt.

Der Script ist sicherlich ein wichtiger Akteur in Sachen Bewertung. Wir brauchen aber auch andere, externe Experten. Die Uni Luxemburg kann herangezogen werden, aber auch andere Universitäten.

Auch die einzelnen Schulprojekte würde ich gerne bewerten lassen – augenblicklich sind es deren 20. Wir sollten wissen, welche Projekte gut laufen und verallgemeinerbar sind. Das vermisse ich ein bisschen. Klar, all dies kostet Geld. Wenn wir die Qualität des Unterrichts verbessern wollen, müssen wir uns auch diese Mittel geben.

Wie schaut es mit der Bewertung der Lehrer aus? Haben Sie sich auch darüber Gedanken gemacht?

Mady Delvaux-Stehres: Was ich nicht möchte, ist die Bewertung einzelner Lehrer. Ich möchte von der Idee wegkommen, dass ein einziger Lehrer alles kann. Für mich ist die Schule ein Team. Es geht um das Kind in der Schule. Wenn man Bewertungen anstellt, muss das immer in Bezug auf das Kind und seine Fortschritte getan werden. Das hängt ja nicht von einem einzigen Lehrer, sondern von einem Team ab.

Im Grunde habe ich kein Problem damit, dass Schüler ihre Meinung über Lehrer sagen. Das scheint mir normal in einer Partnerschaft. Das kann aber nur ein Element unter vielen sein. Einige Lehrer tun das bereits von sich aus. Sie verteilen einen Fragebogen an die Schüler, ohne daraus viel Aufsehen zu machen. Für mich hat das nichts Revolutionäres.

Kommen wir zum Pilotprojekt "Ganztagsschule" und dem darin vorgesehenen einheitlichen Werteunterricht. Welche Schule könnte 2005 mit dieser Aufgabe betraut werden?

Mady Delvaux-Stehres: Eine neue Schule. Genauere Angaben kann ich erst machen, nachdem ich mit den Verantwortlichen im Bautenministerium gesprochen und ein Inventar gemacht habe.

Klar scheint, dass nicht gleich eine ganze Schule so ausgerichtet wird. Wir wollen Schritt für Schritt vorgehen, zuerst auf den siebten Klassen, ein Jahr später auf den "6e"-Klassen usw. Folglich können wir in einer kleineren Infrastruktur anfangen.

Dazu will ich sagen, dass die Pilotschule neben dem Ganztagsmodell auf Teamteaching, fächerübergreifendes Lernen setzt. Hier sollen verschiedene Maßnahmen, die nicht gleich flächendeckend eingeführt werden können, ausprobiert werden, was aber keineswegs heißt, dass Innovation in allen anderen Schulen eingestellt wird.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es als Lehrer ein ausgezeichnetes Gefühl ist, in einer neuen Schule anfangen zu können. Deshalb wird das Ganztagsmodell in einer neuen Schule eingeführt. Darüber hinaus wird in allen anderen Schulen auch weiterhin Innovation gefördert.

Unser Ziel ist es, das Ganztagsmodell zur Schulrentree 2005 einzuführen. Das wäre traumhaft. Es würde mich auch freuen, wenn im Primärschulunterricht ähnliche Projekt entstehen würden. Das liegt natürlich im Kompetenzbereich der Gemeinden.

Die Auswertung von PISA II dürfte irgendwann ins Haus stehen. An was denken Sie, wenn jemand Sie an das Abschneiden der Luxemburger Schüler beim ersten OECD-Schülervergleichstest erinnert?

Mady Delvaux-Stehres: Ich denke, dass wir alle sehr traurig darüber waren. Wenn wir auf internationaler Ebene – egal welche Erklärungen man dafür sucht – so schlecht abschneiden, ist das weder gut für unser Land noch für unser Schulsystem oder unsere Diplome. Wie gesagt, ich war sehr traurig. Dass es so schlimm sein würde, hätte auch ich nicht gedacht.

Wurde inzwischen genug getan, um Fehlentwicklungen zu korrigieren?

Mady Delvaux-Stehres: Alles was wir vorschlagen, zielt darauf ab. Die Neu-Organisation des Sprachenunterrichts soll bspw. den Selektionscharakter abschwächen. Auch Schülerbetreuung und Ganztagsmodell sind Mittel, um sozialen Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken. Die Früherziehung zähle ich auch dazu. Je früher man ansetzt, je größer die Chancen, Ungleichheiten wettzumachen. Für mich gehört diese Aufgabe zu den Schwerpunkten, denen wir uns widmen müssen. Auf der gewonnenen Seite sind wir längst noch nicht.

Etwas anderes ist für mich sehr wichtig, was in Luxemburg lange Zeit nicht geglaubt wurde. Wir sind immer wieder davon ausgegangen, dass wir gute Eliten heranbilden. Das gelingt aber nur, wenn eine breite Basis es so weit wie möglich bringt. Es gibt keinen Antagonismus zwischen einer Bildung für alle und der Bildung von Eliten. Wir bekommen nur Eliten, wenn möglichst viele Schüler eine hohe Qualifikation erreichen. Das muss unbedingt in die Köpfe. Alle Länder, die bei der PISA-Vergleichsstudie gut abgeschnitten haben, verfügen über einen hohen allgemeinen Bildungsstand. Wer von vornherein so viele Schüler eliminiert, bekommt dadurch keine bessere Elite. Das ist empirisch weltweit bewiesen.

Deshalb verstehe ich die Aufregung über die Herabsetzung des Niveaus nicht. Das ist wirklich nicht der Punkt.

Alle – sowohl Schüler mit Lernschwierigkeiten als auch besonders Begabte – müssen gezielt gefördert und so weit wie möglich nach vorne gebracht werden. Das ist unsere Aufgabe.

Bei der Amtsübernahme haben Sie von einer noblen Sache in Bezug auf ihre künftige Aufgabe als Unterrichtsministerin gesprochen. Was erwarten Sie ihrerseits von den Schulpartnern, auf die Sie in der Folgezeit mit Sicherheit angewiesen sein werden?

Mady Delvaux-Stehres: Ja das stimmt. Dass es die nobelste Sache ist, denke ich immer noch.

Von den Schulpartnern erwarte ich mir loyale und offene Zusammenarbeit. Ich erwarte nicht, dass jeder hundertprozentig mit mir einverstanden ist. Ich gehe davon aus, dass wir alle in dieselbe Richtung gehen und die Schüler bestmöglich ausbilden und qualifizieren wollen.

Ich erwarte auch, dass jeder an seinem Platz seine Verantwortung übernimmt. Ich an meiner Stelle werde das Gleiche tun.

Dernière mise à jour