Erwirtschaften um zu verteilen. Interview avec le ministre de l'Économie, Jeannot Krecké

woxx: Sie reihen zurzeit die Prospektionsreisen aneinander. Lassen sich ausländische Firmenbosse leichter anlocken, wenn Sie ihnen persönlich erklären, wie niedrig die Unternehmenssteuern in Luxemburg sind?

Jeannot Krecke: Dass man mit einer konfiskatorischen Fiskalität die Geschäftspartner vergraulen würde, ist klar. Doch unser Hauptargument sind nicht die Steuervorteile. Eine rezente Studie zeigt, dass wir im Mittelfeld der EU-Mitgliedstaaten liegen, was die Unternehmensbesteuerung angeht. Wir haben andere Vorteile auszuspielen. Für viele Firmen ist Luxemburgs zentrale Lage in Europa ein wichtiges Argument. Entwicklungsabteilungen von Großunternehmen kommen hierher, weil wir Investitionen in die Forschung mit, 40 Prozent und mehr bezuschussen.

Auch da locken wir wieder mit Geld.

Jeannot Krecke: Es gibt viele Standortvorteile, die nichts mit Geld zu tun haben. Zum Beispiel die politische Stabilität, der soziale Frieden und der direkte Zugang zu den politischen Instanzen. Auch die Sprachkenntnisse der Luxemburger Bevölkerung sind ein Vorteil. Und dann, insbesondere für US-Firmen, das Gefühl der Sicherheit, das ihre Mitarbeiter hier haben. In vielen anderen europäischen Ländern fühlen sie sich vom Terrorismus bedroht.

Welche Firmen wollen Sie denn nach Luxemburg ziehen?

Jeannot Krecke: Meine USA-Reise dient dazu, Zulieferbetriebe aus dem Automobilsektor anzusprechen. Ein Beispiel für das, was wir suchen, ist die Firma Delphi; Hightech, viel Forschung und Entwicklung, hoher Mehrwert, umweltfreundliche Technologie. Oder der ECommerce: AOL, Microsoft und Apple bieten ihre Dienstleistungen bereits von Luxemburg aus an. Derzeit sind sie vor allem wegen der niedrigen Mehrwertsteuer hier. Wenn wir sie gut betreuen in Sachen Infrastruktur, bleiben sie.

Solche Firmen schaffen aber kaum Arbeitsplätze für unqualifizierte Arbeitnehmerinnen.

Jeannot Krecke: Wir suchen ja nicht nur Hightech-Unternehmen. Dass aber morgen eine Fabrik mit 5.000 Arbeitsplätzen nach Luxemburg kommt, das ist illusorisch. Unsere Gesprächspartner erklären uns, es mache keinen Sinn, eine größere Produktionseinheit in Luxemburg anzusiedeln. Es fehlen die spezialisierten Arbeitskräfte in großer Zahl, und vor allem sind die Löhne zu hoch. Diversifizierung heißt viele verschiedene Betriebe ansiedeln, vorzugsweise kleine und mittlere Unternehmen. Dadurch entstehen Arbeitsplätze für alle Qualifikationen.

Reicht das, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen?

Jeannot Krecke: Wir schaffen wesentlich mehr neue Arbeitsplätze als alle Länder um uns herum. Es stimmt, dass viele dieser Jobs von Grenzgängern besetzt werden, weil den Arbeitslosen aus Luxemburg manchmal die Qualifikation fehlt. Wenn die wirtschaftliche Entwicklung sich weiter verbessert, werden noch mehr Arbeitsplätze entstehen und die Arbeitslosigkeit wird zurückgehen.

Jeannot Krecke: Vor den Wahlen hatten Sie gesagt, es sei wichtig, dass die LSAP in die Regierung komme. Schwierige Entscheidungen in Sachen Sozialstaat stünden an.

Wir werden nicht daran vorbei kommen, uns zum Beispiel mit der Lissabon-Strategie auseinanderzusetzen, die den europäischen Wirtschaftsraum zum wettbewerbsfähigsten der Welt machen soll. Dazu gehört zum Beispiel eine gewisse Erwerbsquote, die Luxemburg derzeit nicht erreicht.

Woran liegt es, dass der Anteil der Beschäftigten in Luxemburg besonders niedrig ist?

Jeannot Krecke: Zum Teil kommt das von der relativ niedrigen Frauenerwerbsquote. Vor allem aber arbeiten die Menschen hier weniger lang. Ausländische Experten kritisieren, unsere Vorruhestandsregelungen würden nicht den Vorgaben der Agenda entsprechen. Entweder passen wir uns den Vorgaben an oder wir gehen weiterhin unseren eigenen Weg. Das Problem wird sein, den EU-Institutionen das zu erklären.

Für welche der zwei Möglichkeiten plädieren Sie?

Jeannot Krecke: Wir sollten weiter unseren eigenen Weg gehen, damit sind wir gut gefahren. Allerdings haben die Experten Recht: Länger studieren, früher in den Ruhestand und eine höhere Lebenserwartung – auf Dauer kann diese Rechnung nicht aufgehen.

Was halten Sie von der Forderung, die Arbeitszeiten in Europa müssten generell verlängert werden, um mit den USA mitzuhalten?

Jeannot Krecke: Das sehe ich nicht so. Das mag in bestimmten Ländern angebracht sein, aber als pauschale Antwort halte ich das für simplistisch. Statt mehr zu arbeiten kann man ja auch versuchen, die Produktivität zu steigern.

Sind die Reformen des sozialdemokratischen Kanzlers Gerhard Schröder für Sie ein abschreckendes Beispiel oder ein Vorbild?

Jeannot Krecke: Reform scheint mittlerweile zu einem Unwort geworden zu sein. Ich maße mir nicht an, über die Reformbestrebungen der deutschen Regierung zu urteilen. In Luxemburg haben wir das Glück, noch über staatliche Ressourcen zu verfügen, um Finanzierungsprobleme aufzufangen. Das ist in Deutschland anders. Die rot-grüne Regierung betreibt ja die sozialen Einschnitte nicht aus Freude an der Sache, sondern weil die Finanzierung des Sozialstaates nicht mehr aufgeht. Wenn man darüber nachdenkt, sieht man, es ist sinnvoll, was sie machen.

Sie sind langjähriges Mitglied der LSAP. Werden sie Ihrer Wirtschaftspolitik einen sozialistischen Stempel aufdrücken?

Jeannot Krecke: Wenn man es schafft, viel zu erwirtschaften, dann kann man ein soziales Netz finanzieren, das man sich sonst nicht leisten könnte. Bei der Kranken- wie bei der Rentenversicherung bietet Luxemburg höhere Leistungen für niedrigere Beiträge als in anderen Ländern. Die Wohnungsbeihilfen, die höheren Löhne und die niedrigeren Steuern kommen allen zugute. Der Reichtum, der insbesondere im Finanzsektor erwirtschaftet wurde, wurde auf die Gesamtbevölkerung umverteilt. Das ist das sozialistische oder soziale Element. Doch bevor man den Reichtum verteilt, muss er erst erwirtschaftet werden.

Ist es gleichgültig, unter welchen Bedingungen? Auch auf Kosten der Umwelt, mit allen Folgen die das hat?

Jeannot Krecke: Wir müssen uns entscheiden, was wir wollen. Wenn wir eine saubere Umwelt wollen, keine Industrie in unserer Nachbarschaft, keine Mülldeponie, keine Straße, dafür aber ein großes Grundstück und ein gutes Gehalt, um ein schönes Haus drauf zu bauen – das geht nicht auf. Irgendwo muss man Kompromisse schließen. Es gilt, ein vertretbares Gleichgewicht herzustellen zwischen den drei Komponenten der nachhaltigen Entwicklung: Wirtschaft, Soziales und Umwelt. Andere Parteien stellen die Umwelt oder die Wirtschaft besonders in den Vordergrund. Für die Sozialisten muss das Soziale zu seinem kommen, sonst sind die beiden anderen Komponenten wertlos.

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