Jeannot Krecké: Ich möchte daran gemessen werden, ob ich eine ordentliche Arbeit für das Land geleistet habe.

Luxemburger Wort: Herr Krecké, Sie sind ausgebildeter Sportprofessor. Warum sind Sie dennoch ein geeigneter Wirtschaftsminister?

Jeannot Krecké: Anfang der 80er Jahre habe ich eine Umschulung im Hinblick auf Wirtschafts-, Finanz- und Steuerfragen begonnen. Anfang der 90er Jahre habe ich dann als Consultant bei größeren Firmen gearbeitet und erhielt tiefe Kenntnis vom Innenleben der Unternehmen. Mit Willen, einer Vision und andauernder Weiterbildung denke ich, durchaus für den Job geeignet zu sein.

Was ist ihre Vision?

Ich möchte dazu beitragen, die Abhängigkeit der Luxemburger Wirtschaft von einem Sektor weiter zu verringern. Wir müssen das wirtschaftliche Risiko auf mehrere Schultern verteilen.

Die Weltwirtschaft befindet sich im Aufwind, Europa erholt sich konjunkturell. In welcher Situation befindet sich die Luxemburger Wirtschaft?

Auch in der Luxemburger Ökonomie geht es wieder bergauf. Allerdings ist das Wachstum zu einem großen Teil abhängig davon, was in den Ländern um uns herum geschieht. Luxemburg selbst muss dynamischer und untemehmensfreundlicher als früher werden und seine Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Wo die Schwächen liegen, soll übrigens eine Studie zeigen, die noch in der Ausarbeitung ist. Zudem müssen bürokratische Hürden dort abgebaut werden, wo sie einer positiven Entwicklung im Weg stehen.

Erlauben Sie einen Blick zurück auf den Wahlkampf. Da hat die LSAP u. a. einen "Sommet de la relance" gefordert. Was ist aus dieser Initiative geworden?

Ich war der Meinung, dass die Luxemburger Wirtschaft besonders im letzten Jahr und im Jahr davor in einer schlechten Phase war. Ich habe allerdings nie gespürt, dass die Regierung vor allem durch die Art und Weise, wie sie dem Problem begegnet, den notwendigen Aufschwung so richtig heraufbeschwört. Premier Jean-Claude Juncker hat eine Innovationsrunde angekündigt, wir von der LSAP nannten es "Sommet de la relance". Ich denke, jetzt werden wir das Thema anders angehen. Es gibt verschiedene Gründe - Lissabon-Strategie, Wettbewerbsfähigkeit oder Dienstleistungsdirektive -, die mit den Sozialpartnern besprochen werden müssen. Ich gehe davon aus, dass wir die anstehenden Dossiers über die Tripartite in einem besonderen Rahmen diskutieren werden. Dieser Kreis muss nicht "Sommet de la relance" heißen.

Ein anderes Thema aus dem Wahlkampf war der Stellenabbau bei Arcelor, gegen den die LSAP gewettert hat. Jetzt haben die Sozialisten das Wirtschaftsressort. Sind Sie als Minister nicht gefordert, das Dossier noch einmal aufzugreifen?

Ich weiß nicht, ob alle Möglichkeiten ausgelotet wurden, um den Abbau zu verhindern. Aber es kam zu einer Einigung: Es werden weniger Stellen abgebaut als zunächst geplant. Zu dieser Entscheidung sollte man jetzt auch stehen.

Dann war alles nur Wahlkampfgeschrei?

Das würde ich nicht sagen. Der geplante Stellenabbau war schon ein Problem. Es ging letztlich für alle darum, dass Arcelor weiter in Luxemburg bleibt. Wenn die Bedingung dafür ein sozialverträglicher Stellenabbau ist, und es keine anderen Möglichkeiten gibt, muss man sehen, dass die Beschäftigung durch andere Aktivitäten kompensiert wird.

Als es zwischen 1994 und 1999 - also während der Regierungsbeteiligung ihrer Partei - um den Verlust von rund 2.000 Stellen in der Stahlindustrie ging, gab es keine lautstarken Protestveranstaltungen. Was war denn damals anders?

Damals war es weniger schmerzhaft, weil der Abbau durch einen allgemein hohen Aufschwung der Beschäftigung ausgeglichen werden konnte. Wenn aber in schwierigen Zeiten mit hoher Arbeitslosigkeit Stellen gestrichen werden, ohne dass Ersatz geschaffen wird, fehlt es der nachfolgenden Generation an Arbeitsplätzen. Daher kämpft man in solchen Zeiten viel mehr um jeden Arbeitsplatz.

Als Wirtschaftsminister fehlt Ihnen die Zuständigkeit für den Finanzplatz, der rund 30 Prozent zum nationalen BIP beisteuert. Angetreten ist Ihre Partei, um Wirtschafts- und Mittelstandsministerium zusammenzulegen. Daraus ist nichts geworden. Jetzt fehlt Ihnen im Gegensatz zu ihrem Vorgänger auch noch der Transportsektor. Ihnen bleibt die Industrie, die etwa zehn Prozent zum BIP beiträgt. Ist die Bezeichnung Wirtschaftsminister vor dem Hintergrund dieser offensichtlich begrenzten Kompetenzen nicht die falsche?

Ich fühle mich für weitaus mehr zuständig, sonst würde ich einige Dinge nicht tun. Wir sind zu klein, um innerhalb der Regierung in Schubladen zu denken. Ich bin zuständig für die Entwicklung der Wirtschaft des Landes. Mit Sektorendenken kommen wir nicht weiter. Die große Stärke Luxemburgs ist, immer als Ganzes aufzutreten.

Warum macht man dann die Unterscheidungen?

Es gibt Bereiche, die eine Partei traditionell lieber betreut. Außerdem gibt es in Luxemburg die besondere Situation, dass bei einem Regierungswechsel immer ein Partner im Amt bleibt. Der Partner, der bleibt, und mit denselben Leuten antritt, will meistens auch seine Ressorts behalten. Wir waren angetreten, um den Mittelstand beim Wirtschaftsministerium einzugliedern. Um das umzusetzen, hätte es aber einer größeren Stärkung unserer Partei bedurft.

Sie haben sich eine aktivere Diversifikationspolitik auf die Fahnen geschrieben. Was genau meinen Sie damit?

Aktiv heißt in diesem Zusammenhang eine auf mehrere Sektoren ausgerichtete Wirtschaftspolitik. Wir wollen nicht nur Produktionseinheiten nach Luxemburg ziehen, sondern z. B. auch Unternehmen anziehen, die ihren Firmensitz in Luxemburg einrichten.

Das letzte ist aber eine Idee, die schon unter Ihrem Vorgänger geboren wurde.

Geboren ja, aber wo blieben die Resultate? Die Firma Masco, die ihr europäisches Headquarter hierzulande aufbaut, ist ein erster konkreter Erfolg.

Sie haben Masco während Ihrer USA-Reise für Luxemburg gewinnen können. Viele Beobachter werten die Wirtschaftsmission in die Vereinigten Staaten und nach Kanada als eine Fortsetzung der erfolgreichen Politik Ihres Vorgängers, Stichwort "développement endogène". Was antworten Sie denen?

"Développement endogène" bedeutet, das zu stärken, was bereits in Luxemburg ist. Mein Ziel aber lautet, nicht nur die alten Aktivitäten zu bewahren, sondern neue Aktivitäten anzuziehen. Es ist eine Frage der Gewichtung. Warum hat sich z. B. der Bereich Biotechnologie nicht weiterentwickelt? In Absprache mit Ministerkollegen werden wir prüfen, wie wir in diesem Sektor einen Schritt weiter kommen.

Was ist mit neuen Industriebetrieben?

Es gab einige interessante Projekte, die sich aber bislang nicht konkretisieren ließen. Industriepolitik, die in der Vergangenheit zum Teil vernachlässigt wurde, ist wichtig, um die Abhängigkeit vom Finanzplatz abbauen zu können. Der Finanzplatz ist zwar ein wichtiger Arbeitgeber und vor allem von Bedeutung für den Staatshaushalt. Das Gros der Arbeitsplätze aber wird nach wie vor im Mittelstand geschaffen. Damit das Sozialnetz weiter funktionieren kann, müssen Arbeitsplätze geschaffen werden.

Ihre Partei hat die alte Regierung dahingehend kritisiert, dass mit Unternehmen wie AOL lediglich Gesellschaften nach Luxemburg kommen, die nur viel Steuern abwerfen, aber wenig Leute beschäftigen.

Diese Kritik teile ich nicht. Diversifikation heißt auch, dass wir selbstverständlich Unternehmen wie AOL nach Luxemburg holen. Wir werden darauf Akzente legen und uns intensiv um Amazon, die sich noch nicht entschieden haben, oder Apple bemühen.

Was wollen Sie unternehmen, um die Abhängigkeit der Luxemburger Wirtschaft vom Finanzplatz zu verringern?

Die anderen Sektoren stärken. Wir müssen dafür sorgen, dass die Betriebe, die wir in Luxemburg haben, ihre Ausbaupläne hier realisieren. Wir suchen ja keine Fabriken mit 5.000 Arbeitern ...

... schaffen Sie auch nicht, die würde ja keine Gemeinde haben wollen. Schon beim Bau eines Windrades ist das Geschrei groß. Wie reagieren Sie darauf?

Man muss wissen, was man will. Wer hohe Löhne, eine gute Gesundheitsversorgung oder eine hohe Lebensqualität haben will, muss gewisse Dinge auf sich nehmen. Das erfordert eine Bewusstseinsänderung. Auch die Gemeinden müssen ihre Verantwortung übernehmen.

Ihr Parteikollege und Vor-Vorgänger Robert Goebbels hat die Diversifikationspolitik von Henri Grethen scharf kritisiert und als nicht ausreichend bezeichnet. Rein von den nackten Zahlen her hat Henri Grethen in seiner Amtszeit Projekte mit einem Investitionsvolumen von 604 Millionen Euro an Land gezogen. Liegt die Latte für Sie nicht recht hoch?

Ich kann nicht verhindern, dass man mich allein am Investitionsvolumen misst. Allerdings kommt es auf die Qualität der Investitionen an und z. B. darauf, welche Folgen sich für andere Wirtschaftsbereiche ergeben. Ich möchte daran gemessen werden, ob ich eine ordentliche Arbeit für das Land geleistet habe.

Ein letzter Themenkomplex, den es anzusprechen gibt, betrifft die Liberalisierung. Ganz direkt gefragt: Warum sind die Sozialisten gegen Liberalisierung, z. B. bei der CFL?

Weil wir nicht nur Gutes aus der Liberalisierung erfahren haben. Die britische Liberalisierungswelle im Bereich der Eisenbahn z. B. hat den Zustand der Züge oder des Schienennetzes deutlich verschlechtert. Es gibt gewisse Dienstleistungsbereiche - der so genannte "secteur général" - wie Wasser- oder Energieversorgung, Transport und Gesundheitswesen, wo ein öffentliches Interesse besteht und gewisse Qualitätsstandards erhalten bleiben. Wir wollen auch künftig einen nationalen Transport haben, der - was die CFL betrifft - überlebensfähig sein muss, aber bestimmte Standards einhält, selbst wenn es einen Teil des Profits kostet. Also, Liberalisierung ja, aber nicht auf Kosten der Qualität.

Herr Minister, wagen Sie zum Schluss einen Blick in die Glaskugel? Wo steht die Luxemburger Wirtschaft in fünf Jahren?

Ich habe schon als Fußball-Fachmann mit meinen Tipps immer daneben gelegen und mir zur Gewohnheit gemacht, keine Prognosen zu machen. Morgen kann politisch etwas geschehen, was die gesamte Wirtschaft in ein anderes Licht taucht. Ich möchte, dass es dem Land in fünf Jahren wirtschaftlich besser geht, als zu meiner Amtsübernahme.

Woran machen Sie das fest?

Dafür gibt es viele Indikatoren, zu denen auch Arbeitslosenquote oder BIP-Wachstum zählen. Wir wissen, dass Wachstum nötig ist, um unser Sozialversicherungssystem weiterhin finanzieren zu können. Daran werde ich gemessen. Wie soll ich wissen, wie sich die Wirtschaft in fünf Jahren entwickelt, wo wir 2002 nicht gewusst haben, welches Wachstum wir 2001 hatten?

Sie sprechen ein Problem mit der Datenerfassung durch den Statec an. Die Statistikbehörde untersteht ihrem Ressort. Die BCL hat sich vor kurzem beschwert, dass es immer noch keine trimestriellen Erhebungen gibt, die bereits seit dem Frühjahr vorgesehen waren. Gibt es diesbezüglich Neuigkeiten?

Ja. Statec-Direktor Serge Allegrezza hat mir versprochen, dass er ein erstes Modell Ende dieses Jahres vorlegen wird. Anfang des Jahres werden wir dann auf Grundlage einer verbesserten Datenbasis die konjunkturelle Entwicklung besser einschätzen können.

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