"Ich habe A gesagt, nun muss ich B sagen". Interview avec le Vice-Premier ministre, ministre des Affaires étrangères et de l'Immigration, Jean Asselborn

Jean Asselborn: Und, sprechen wir heute nicht über die "Mammerent"?

Telecran: Nein, wir möchten uns auf die Außenpolitik beschränken. Bei der Herbstsitzung der UN-Vollversammlung in New York hielten Sie Ihre erste wichtige Rede als Luxemburger Außenminister. Wie viel von diesem Text redigiert ein Außenamtschef selber?

Jean Asselborn: Die Rede vor der UNO ist eine Sache, aber sie ist nicht das Wichtigste. Der Auftritt vor den Delegierten dauert nur 15 Minuten. Viel wichtiger ist, dass man die besondere Atmosphäre der UNO kennenlernt. Dort bringen es entscheidende Politiker aus aller Welt zumindest noch fertig, miteinander zu reden.

Welche Eindrücke behalten Sie von der Sitzungswoche in New York zurück?

Jean Asselborn: Bei der UN-Vollversammlung herrscht ein geordnetes Chaos. Die Arbeitstage während der Sitzungswoche beginnen um 6.30 Uhr und enden erst abends gegen 22 oder 23 Uhr. Ich hatte allein in dieser Woche 32 Termine. Ein wichtiger Teil der Arbeit sind die bilateralen Gespräche, die 30 bis 45 Minuten dauern. Dafür gibt es im UN-Hochhaus kleine, nummerierte Gesprächsräume. Dort trifft man Regierungschefs und Außenminister aus aller Welt. Bei vielen Unterredungen sind der niederländische Außenminister, der außen- und sicherheitspolitische Beauftragte der EU, Javier Solana, EU-Außenkommissar Chris Patten sowie der Außenminister der nächsten Ratspräsidentschaft, also Luxemburgs, gefordert. Darüber hinaus gibt es traditionell Sitzungen mit den Außenministern Russlands und der USA.

Welchen Eindruck macht etwa der Außenminister der Supermacht USA auf den Vertreter des kleinen Luxemburg?

Jean Asselborn: Colin Powell traf ich in wenigen Tagen mehrmals. Man ist sich bewusst, dass dieser Mann an den Hebeln der Weltpolitik sitzt, aber er achtet seinen Gegenüber als Vertreter Luxemburgs und ist respektvoll gegenüber anderen Meinungen. Er kannte meine ablehnende Position in Sachen Irakkrieg bestens.

Zentrales Thema Ihrer UNO-Rede war der so genannte Multilateralismus. Was hat man sich unter dem Begriff genauer vorzustellen?

Jean Asselborn: In der Diplomatensprache klingt das Wort recht banal. Das Konzept basiert auf der Gründungsgeschichte der UNO, als man sich darauf verständigte, dass Diplomatie das Mittel sein sollte, Konflikte zu verhindern. Und wenn eine Krisensituation entsteht, dann sollte man versuchen, die Situation zu kontrollieren. Dazu braucht man zwei Dinge: Das eine ist der politische Wille, das andere sind allgemeine Regeln, wie sie in der UNO-Charta niedergeschrieben sind. Generalsekretär Kofi Annan hat Recht: Ein Staat, der heute in der Welt eine zentrale Rolle spielen und ethische Werte verteidigen will, hat die Pflicht, sich an die Regeln des internationalen Rechts zu halten. Tut er dies nicht, ist er nicht glaubwürdig. Für den Unilateralismus braucht man keine UNO. Dann entscheidet der Stärkste.

Multilateralismus heißt aber auch, dass man sich ansieht, wo die Wurzeln einer Krise liegen. Heute ist das der Terrorismus. Es ist oberflächlich und falsch, den Menschen weismachen zu wollen, dass man mit militärischen oder polizeilichen Maßnahmen in der Lage wäre, den Terrorismus zu besiegen. Deshalb muss die Entwicklungshilfe gefördert werden, die Reichen müssen viel mehr mit den Armen teilen. Im Gegenzug müssen die Zielländer zusagen, dass demokratische Regeln in ihren Gesellschaften Fuß fassen können.

Ist es in Luxemburg so, dass der Außenminister reist und der Premierminister entscheidet?

Jean Asselborn: Außenpolitik kann in einer Koalitionsregierung nur unter Aufteilung der Lasten funktionieren. Der Staatsminister hat ja unter anderem in der Europapolitik weitreichende Kompetenzen. Die Zusammenarbeit funktioniert, ich kann mich nicht beklagen. Wer so lange in der Politik tätig ist, der wird in einer Regierung nicht persönliche Dinge in den Vordergrund stellen. Es hat eine Zeit gegeben, in der Jean-Claude Juncker und ich über bestimmte Dinge gestritten haben. Das haben wir ausgetragen, ohne dass dabei unheilbare Wunden entstanden wären. Die Vergangenheit kann man kommentieren, die Zukunft muss man gestalten. Und Außenpolitik ist eine Notwendigkeit, um die Zukunft unseres Landes abzusichern.

Woher kommt Ihr persönliches Interesse an der Außenpolitik? Haben Sie sich während Ihres Jurastudiums vorstellen können, einmal Außenminister zu sein?

Jean Asselborn: Ehrlich gesagt, ich hätte es mir nicht einmal vor vier Monaten vorstellen können. Dass ich hier sitzen darf, habe ich dem Wähler und meiner Partei zu verdanken. Vor fünf Jahren stand die LSAP nicht gerade gut da. Meine Aufgabe war es, die Partei zusammenzuhalten. Das Ministeramt ist nicht die Belohnung dafür, dass mir dies gelungen ist.

Außenpolitik ist in meinen Augen mindestens so wichtig für unser Land wie die Innenpolitik, wenn nicht noch wichtiger. Deshalb war meine Position in den Koalitionsverhandlungen von Anfang an, dass der Vizepremierminister auch Außenminister sein müsste, wie es bei uns Tradition ist. Ich habe A gesagt, also muss ich nun auch B sagen.

Wie schützt man sich als bodenständiger Luxemburger Politiker davor, nicht vom Glanz der Diplomatie und der Weltpolitik geblendet zu werden?

Jean Asselborn: Als Bürgermeister fühlte ich mich als Diener der Einwohner meiner Gemeinde, als Minister ist man Diener des Landes. Diese Haltung bewahrt davor, abzuheben. Gewöhnen muss ich mich allerdings noch daran, dass ich meine Aktentasche nicht mehr selbst tragen muss. Und wenn ich einem großen Politiker die Hand gebe, dann tue ich das ja nicht nur als Jean Asselborn, sondern vor allem als Luxemburger Außenminister. Ich glaube nicht, dass die Politik einen Menschen über die Maßen verändern kann, wenn er das nicht will. Wenn man sich stets darüber im Klaren ist, dass man zu dienen hat und nicht bedient wird, dann kann nichts passieren. Außerdem ist das Amt ja zeitlich befristet.

Zu den brisanten Themen, die Sie bei der Regierungsbildung übernommen haben, gehört die Flüchtlingsfrage. Was wollen Sie hier anders machen?

Jean Asselborn: Das Thema Immigration war einer der Punkte, über den wir in den Koalitionsverhandlungen lange und tiefgehend diskutiert haben. Wenn man aus der Opposition kommt, kann man nicht alles wissen, was im konkreten Fall geschieht. Ich bin jedoch der Meinung, dass wir in diesem Land die Pflicht haben, Menschen, die aus einem Krisengebiet kommen, die Tür zu öffnen und mehr zu tun, als die Genfer Flüchtlingskonvention verlangt. Ein Flüchtling, der zu uns kommt, muss hier Zuflucht finden können.

In der öffentlichen Meinung geht es ja vor allem um Menschen aus dem früheren Jugoslawien. Diese Menschen müssen wissen, dass sie eine Aufgabe haben, dass ihre Heimatländer wieder aufgebaut und sowohl sozial als auch wirtschaftlich gestärkt werden müssen.

Wir haben uns in der Regierung darauf verständigt, dass Familien, die eine Zeitlang hier im Land leben und Kinder im Sekundarunterricht haben, hier bleiben können. Das wird von Fall zu Fall entschieden. Wir haben nicht für jeden Flüchtling aus dem ehemaligen Jugoslawien eine Lösung. Im Kosovo sind 80 Prozent der jungen Menschen arbeitslos. Wenn man ihnen keine Perspektive bietet, wenn das Land nicht wieder aufgebaut wird, dann haben sie keine Chance und wir riskieren einen neuen Krieg.

Es wird aber weiter Rückführungen von abgewiesenen Flüchtlingen geben?

Jean Asselborn: Es ist für keinen Politiker einfach, eine Entscheidung zu treffen, die bedeutet, dass Menschen das Land verlassen müssen. In einem Rechtsstaat entscheidet letztlich der Richter, wer Flüchtling ist und wer nicht. Wir können nicht jeden aufnehmen. Rückführungen – ja, es gibt immer noch laufende Verfahren.

Wir arbeiten daran, die Prozeduren zu verkürzen. Personen, die abgewiesen worden sind, müssen wissen, dass Konsequenzen erfolgen. Zudem müssen wir hier im Land eine Aufnahmekapazität haben für den Fall, dass es in einer Region wieder zu einer Krise kommt.

Was werden die außenpolitischen Schwerpunkte der EU-Präsidentschaft sein?

Jean Asselborn: Der Nahe Osten als einer der Schlüssel für den Frieden in der Welt, aber auch der Irak und Iran. Und dann erwarte ich, dass der Balkan wieder auf die Tagesordnung kommt. Wenn die Entwicklung zwischen Serbien, Montenegro und Kosovo, aber auch in Mazedonien in die falsche Richtung läuft, dann kann dies wieder ein Pulverfas? werden.

Wir werden auch über die nächste Erweiterungsrunde mit Rumänien, Bulgarien und Kroatien sprechen, sowie über die Türkeifrage selbstverständlich. Und schließlich geht es um die künftige Finanzierung der EU. Auch in Sachen Lissabonprozess werden in unserer Präsidentschaft entscheidende Weichen gestellt werden.

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