Interview avec le Premier ministre Jean-Claude Juncker au sujet du report du vote sur la Commission européenne au Parlement européen

Sandra Maischberger: Beinahe wären Sie ja heute an der Stelle von Barroso gewesen, weil Sie waren ja der eigentliche Wunschkandidat als Kommissionspräsident. Haben Sie sich den Schweiß von der Stirn gewischt, dass dieser Kelch an Ihnen vorbeigegangen ist?

Jean-Claude Juncker: Nein, ich habe das nicht aus heiterer Distanz erlebt, sondern war gestern Abend in Strassburg, hab auch mit dem Kollegen Barroso längere Zeit die Lage erörtert. Das hätte mir auch passieren können und wenn nicht, dann hätte ich eben andere Fehler gemacht.

Ah so. Welche Fehler hat denn Barroso gemacht? Was war denn gestern Abend noch der Stand der Dinge als Sie mit ihm sprachen?

Jean-Claude Juncker: Gestern Abend war der Stand der Dinge, eigentlich für jeden feststellbar, dass der Kommissionspräsident für sein Personaltableau keine Mehrheit im Parlament kriegen würde. Die Frage war, ob er den Durchbruch versucht oder ob er die Entscheidung trifft, die er letztendlich heute morgen dem Parlament mitgeteilt hat. Ich halte diese Entscheidung die er getroffen hat, angesichts der eingetretenen Sachlage und angesichts der Risiken eines negativen Votums für völlig in Ordnung gehend.

Das heisst also, Sie haben auch nicht zum Durchbruch, das heisst also zur Abstimmung geraten. Warum nicht?

Jean-Claude Juncker: Nein, ich habe zum Gegenteil geraten.

Warum? Was ist daran jetzt besser als wenn es die Abstimmung gegeben hätte?

Jean-Claude Juncker: Wenn es ein negatives Votum des Parlaments gegeben hätte, dies war ja zu erwarten, dann wäre der Kommissionspräsident eigentlich teilweise lädiert gewesen. Dadurch dass er jetzt um Zeitaufschub gebeten hat, dadurch dass er mit einigen Regierungschefs sich wird beraten können über Umstellungen in der Kommission, hat er die Möglichkeit dem Parlament ein Personaltableau vorzutragen, das Zustimmung findet. Er läuft jetzt den Dingen nicht hinterher, sondern er ist wieder auf dem Sprung.

Aber ich sehe schon, Ihre Fröhlichkeit hält sich auch in Grenzen. Das ist jetzt nicht ein brillanter Tag für Europa heute, oder?

Jean-Claude Juncker: Ja also, dies ist keine vergnügungssteuerpflichtige Veranstaltung, die wir hier durchschreiten. Trotzdem weigere ich mich eigentlich hier von institutioneller Krise in Europa zu reden. Es passiert hier etwas, das die Verträge nicht ausschließen. Das europäische Parlament hat per Vertrag das Recht, das perfekte Recht, die Kommission abzulehnen. Hat nicht mal die Kommission ablehnen müssen, sondern schon die zu erwartende Ablehnung hat dazu geführt, dass der Kommissionspräsident seinen Vorschlag zurückgezogen hat. Das Parlament nutzt hier seine Rechte. Dies ist ein Zeichen zunehmender Parlamentisierung der EU-Politik. Ich bin nicht froh über das jetzt eingetretene Szenario, aber hier passiert nichts, was nicht möglich gewesen wäre.

Dennoch würde ich gerne noch einmal eine Einschätzung haben. Also weil Barroso selber gesagt hat, im Vorwege dieser Abstimmung, wenn es zu einer Ablehnung kommt, dann befindet sich eben diese europäische Institution in einer Krise. Es gibt in Deutschland einen Politiker namens Wissmann, der hat gesagt, Europa sei jetzt faktisch führungslos, denn die alte Kommission, die jetzt noch ein bisschen weitermachen muss, die sind zum Teil schon mit neuen Jobs gar nicht mehr greifbar. Also was ist das heute für ein Signal?

Jean-Claude Juncker: Also, Mathias Wissmann hat teilweise recht, weil es gibt jetzt keine effektiv handelnde Kommission, weil die sich weiter im Amt befindliche geschäftsführende Prodi-Kommission kann keine massiven politischen Initiativen starten und die neue Kommission, die eigentlich an Allerheiligen hätte antreten sollen, kann nicht antreten. Insofern sind wir teilweise nicht führungslos, aber initiativlos. Die andern Institutionen der Europäischen Union funktionieren normal weiter und es wird jetzt das Bestreben aller sein, so schnell wie möglich eine neue Kommission zu bestellen. Ich gehe davon aus, dass Herr Barroso jetzt in Rom, anlässlich der Vertragsunterzeichnung, einige Gespräche führen wird und dass dann auch einige Kollegen Ministerpräsidenten ihn mit neuen Vorschlägen versehen. Herr Barroso kann ja nicht einfach Kommissare ablehnen. Die werden ja von nationalen Regierungschefs vorgeschlagen. Die stehen jetzt mit in der Pflicht, diese politische Krise, keine institutionelle Krise, aber eine politische Krise, schnellstmöglich zu beheben. Man kann Herrn Barroso auch hier nicht alleine lassen. Man muss wissen, es geht ja nicht nur um den Kommissarkandidaten Buttiglione. Das ist ein, um das mal freundlich auszudrücken, ein etwas schwieriger Fall. Es geht um drei, vier Kommissare, die nicht auf die Zustimmung des Parlamentes stoßen. Es braucht also hier ein etwas breiteres Revirement, als das was auch in der Presse manchmal singulär für den Fall Buttiglione erörtert wird.

Nun gut, dass es singulär erörtert wurde für Buttiglione, lag ja auch unter anderem auch an Barroso. Das war ja sein Angebot zur Güte. Er hat ja nur über diesen Posten tatsächlich gesprochen und angeboten dort ein paar Kompetenzen möglicherweise anders zu verteilen, so dass diese Kritik an Buttiglione nicht mehr so fest war. Aber es gab eben den Chef der liberalen Fraktion, Watson, der gesagt hat, der wirkliche unsichtbare Elefant in diesem Parlament, das seien tatsächlich die Regierungschefs. Sie haben ja angesprochen in Rom trifft man sich am Freitag. Barroso, wenn wir ihn richtig verstanden haben, wäre sehr für einen Krisengipfel der Regierungschefs, der europäischen Regierungschefs. Sind Sie dazu bereit? Können Sie das empfehlen?

Jean-Claude Juncker: Also es ist eigentlich eine Sache, die geregelt werden muss zwischen einzelnen Regierungschefs, die Kommissare vorgeschlagen haben, die nicht auf Zustimmung stoßen und dem Kommissionspräsidenten. Ich bin aber informiert worden, dass der niederländische Ratsvorsitz ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs nach Rom einberufen hat, wo wir uns dann am Rande der Vertragsunterzeichnung über die eingetretene Lage unterhalten. Aber ich kann Herrn Berlusconi nicht vorschreiben, wen er nach Brüssel schickt. Ich würde mir das auch von ihm nicht vorschreiben lassen, im Übrigen. Also wir müssen darüber reden, in einer angemessenen Form. Es wäre auch ein bisschen komisch, wenn wir da in Rom zusammensitzen und wir würden über alles reden, nur nicht über die jetzt eingetretene Lage.

Berlusconi, beziehungsweise sein Außenminister, hat heute schon gesagt, Buttiglione bleibt der Kandidat Italiens für einen Kommissionssitz. Das verlängert doch die Krise?

Jean-Claude Juncker: Ja. Ich glaube nicht, dass wir aus der Krise herauskommen, dadurch dass wir sagen, Augen zu und durch. Das „Einfach-weiter-so“, das geht jetzt nicht mehr. Wir müssen jetzt ernsthaft darüber reden, wie wir alle dazu beitragen können, gemeinsam, dass wir schnellstmöglich eine handlungsfähige Kommission wieder bestellen können. Unnötiges Feldgeschrei nutzt da überhaupt nichts.

Wenn man sich mal fragt, wie konnte es überhaupt so weit kommen? Wir sind gerade jetzt auf der Ebene der Regierungschefs. Also die Regierungen schlagen Kandidaten vor, die dann in diesen Anhörungen, in den Ergebnissen ja als kompetent oder nicht kompetent gewertet werden. Wo liegt die Verantwortung der Regierungen in diesem Fall? Was haben sie falsch gemacht? Wie groß ist der Anteil der Schuld?

Jean-Claude Juncker: Also ich bin normalerweise schnell zur Hand, wenn es um Schuldzuweisung geht. Wenn es aber um Schuldzuweisung an die Adresse der Regierungschefs geht, dann bin ich etwas bedächtiger in der ersten Reaktion. Man muss sich das Prozedere ja genau vor Augen halten. Man schlägt einen Mann oder eine Frau vor, der oder die Kommissar werden soll. Dann versammelt der Kommissionspräsident die angetretene Mannschaft und verteilt die Ressorts. Der- oder diejenige, die ich nach Brüssel schicke, weiß in dem Moment, wo er oder sie nach Brüssel geschickt wird, überhaupt nicht, mit welchem Portofolio er oder sie in der Kommission betraut wird. Dass man da eine gewisse Eingewöhnungsphase braucht, um sich auch in die Verästelung der technischen Details der dort anstehenden Materien einzuarbeiten, dies liegt auf der Hand. Man darf Kommissare, die nicht Kommissare sind, die sich im Vorbereitungsprozess befinden, nicht allzu streng beurteilen. Trotzdem wird ersichtlich, aus den Anhörungen, auch aus den Einlassungen Parlamentarier aller Fraktionen, dass das Parlament mit einigen in Vorschlag gebrachten Kommissaren Zustimmungsprobleme hat. Dies muss man zur Kenntnis nehmen. Ob das Parlament jetzt recht hat oder nicht recht hat, dies mag man ja im Einzelfall differenziert und nuanciert betrachten. Tatsache ist, dass das Parlament dem Kommissionstableau seine Zustimmung verweigert hätte, also müssten wir das Tableau neu zeichnen.

Ist es ganz falsch in dem, was gerade vorgefallen ist, einen Aufstand zu sehen des Parlamentes gegen den Ministerrat, das heißt also im Prinzip gegen die Regierungschefs der Länder, also einen Aufstand mit dem Ziel mehr Eigenständigkeit beweisen zu können?

Jean-Claude Juncker:  Ach, ich glaube wir haben es hier mit einem bunten Gemisch zu tun. Das Parlament oder einzelne Fraktionen sind verärgert über einzelne Kommissare. Es gibt in diesem Parlament, das Vertrag nach Vertrag mit zusätzlichen Rechten eingedeckt wurde, immer auch diesen Grundreflex, der darin besteht, es den Regierungen zu zeigen, wenn sie das Gefühl haben, Regierungen und Kommission nehmen das Parlament nicht ernst genug. Man muss dieses Parlament ernst nehmen. Es ist ein frei, direkt gewähltes Parlament mit eigenen Zuständigkeiten. Man darf sich über ein Parlament, das seine Rechte nutzt, nicht beklagen, und deshalb möchten wir auf die jetzt eingetretene Lage reagieren ohne kopfscheu zu werden. Wir befinden uns nicht im innerinstitutionellen Kriegszustand. Wir müssen gemeinsam dazu beitragen, dass wir die Kommission so schnell wie möglich wieder flott kriegen, damit in Europa sich wieder über Substanzfragen unterhalten werden kann, anstatt dass wir uns mit Personalquerelen herumplagen.

Gut. Dann um es einfach noch einmal vom Ende her zu denken. der Kommissionspräsident Barroso, Sie haben vorher gesagt, der wäre beschädigt gewesen oder teilweise, wenn sein Vorschlag, sein Tableau abgelehnt worden wäre. Ist er jetzt aber zumindest geschwächt, mit dem was er jetzt zu tun hat?

Jean-Claude Juncker: Ach, ich sehe das eigentlich nicht so. Wenn Führungsstärke auch darin besteht, dass man sieht, dass die Institution, mit der man zusammenarbeiten muss und deren Zustimmung man braucht, in die Pflicht genommen werden muss und man sich deshalb auf diese Institution im konkreten Falle des Parlaments zubewegen muss, dann ist das eher ein Zeichen von Einsicht in die Verhältnisse, als von störrischem Weitermachen. Nein, ich sehe eigentlich nicht, dass der Kommissionspräsident massiv lädiert wäre.

Die neue Ratspräsidentschaft im Januar des nächsten Jahres liegt bei Ihnen, also in Ihrem Land, in Ihren Händen. Sie müssten doch an einem heutigen Tag einigermaßen verzweifelt sein. Sie können ja gar nichts planen im Moment. Sie wissen ja noch nicht einmal, ob Sie im Januar eine Kommission haben werden, oder?

Jean-Claude Juncker: Also ich möchte doch davon ausgehen wollen, dass wir im Januar eine funktionsfähige Kommission haben. Die Schwierigkeit der Ratspräsidentschaft, die wir am 1. Januar antreten, ist halt die, dass wir jetzt nicht auf der Ebene der Kommission über die effektiv zuständigen Ressortkommissare verfügen. Ich bin dabei, die Zwischenbilanzierung des Lissabon-Prozesses vorzubereiten. Ich müsste mit Herrn Verheugen darüber reden können. Ich gehe auch davon aus, dass Verheugen in der Kommission bleibt und auch die Zuständigkeit über den Lissabon-Prozess behält, aber er ist nicht in Amt und Würde. Ich werde trotzdem mit ihm reden, weil ich vernünftigerweise davon ausgehen will, möchte und kann, dass er bleibt. Wer wird der nächste Währungskommissar sein? Da gehe ich auch davon aus, dass Herr Almunia das bleibt. Mit dem muss ich über Stabilitäts- und Wachstumspakt reden können. Aber andere Kollegen, Landwirtschaftsminister, Arbeitsminister, wissen einfach nicht, mit wem sie jetzt ihre Probleme im Vorfeld der Ratspräsidentschaft besprechen müssen. Insofern verlieren wir einige essentiell wichtige Vorbereitungswochen. Darunter werden wir während der gesamten Laufdauer des luxemburgischen EU-Ratsvorsitzes bis Juli nächsten Jahres zu leiden haben.

Wir werden sehen wie das ausgeht. Zum Stabilitätspakt. Gerhard Schröder hat sich heute noch mal dazu geäußert und gesagt, er ist sehr dafür, dass man die Maastricht-Kriterien etwas flexibler gestaltet. Er hat auch guten Grund dazu, weil sich abzeichnet, dass wir 2005, also Deutschland 2005, zum vierten Mal in Folge gegen das Defizitkriterium von 3 Prozent verstoßen wird. Sie haben erkennen lassen, dass Sie zumindest das Nachdenken darüber für wesentlich halten. Was kann denn am Ende eines solchen Prozesses des Nachdenkens stehen?

Jean-Claude Juncker: Also, am Ende des sowieso schon weiter fortgeschrittenen Nachdenkens wird stehen, dass wir ohne das Gebot der Stabilität aufzugeben, weil Stabilität ist angesagt, nicht nur in der Vorbereitungsphase zur Währungsunion, sondern auch nach Eintritt in die Währungsunion, den Pakt nicht lockern, sondern ihn zu einer zykluskonformen Anwendung bringen. Zurzeit befinden wir uns in der Paktsackgasse, wenn ich mich so ausdrücken darf, weil wir den Pakt eh wie je anwenden, ob wir in Zeiten von Hochkonjunktur sind oder ob wir uns in einer Konjunkturdelle befinden. Nein, der Pakt muss über die Dauer des gesamten Wirtschaftszyklussees angewandt werden und nicht nur auf den jeweiligen Moment. Ich glaube darüber besteht inzwischen informelles Einvernehmen. Genau dies werden wir tun, ohne dass der Eindruck aufkommen darf, dass wir hier die Stabilität zur Disposition setzen. Wir brauchen eine konjunkturkonformere Anwendung des Paktes.

Gerhard Schröder macht zwei Vorschläge. Zum Beispiel sagt er, die Nettozahlungen Deutschlands an die EU könnte man ja nicht einrechnen in das was danach dann am Schuldenberg herauskommt. Auch ein zweiter Vorschlag wäre, dasselbe mit den Bildungsinvestitionen zu machen. Ist das ein gangbarer Weg?

Jean-Claude Juncker: Also der erste Vorschlag kommt mir sehr vertraut vor.

Gut oder nur vertraut?

Jean-Claude Juncker: Bitte?

Ist der gut oder nur vertraut?

Jean-Claude Juncker: Meine Erinnerung ist die, dass ich nicht sehr weit abseits stand, als dieser Vorschlag zum ersten Mal formuliert wurde.

Und Sie halten ihn für gut?

Jean-Claude Juncker: Man wird einfach darüber reden müssen. Es macht jetzt keinen Sinn einzelne Vorschläge im Detail zu besprechen. Wir brauchen hier ein schlüssiges Paket von Detaillösungen, die eine Gesamtlösung aus einem Guss erlauben. Es macht jetzt wenig Sinn, dass wir auf allen öffentlichen Plätzen die Frage erörtern, welche Finanzpakete jetzt aus dem Anwendungsbereich des Stabilitätspaktes herauszulösen wären, aber die Vorschläge, die jetzt auf dem Tisch liegen, werden jedenfalls gründlich geprüft.

Wir sind sehr gespannt, wann Sie uns dann daran teilhaben lassen, also uns, die Öffentlichkeit auf den öffentlichen Plätzen, und danken zunächst einmal für die Einschätzungen am heutigen Tage nach Luxemburg. Jean-Claude Juncker, herzlichen Dank.

Jean-Claude Juncker:  Ja, danke.

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