Jean Asselborn au sujet de la candidature d'adhésion de la Turquie à l'UE

Schon vor der Ratsentscheidung, über den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, hat die Luxemburger Regierung gefordert, unmissverständliche Ziele zu definieren. Was sagen Sie zu vereinzelten Bestrebungen innerhalb der Union, im Falle eines Scheiterns der Gespräche, der Türkei - sozusagen als Notausstieg aus einer sich anbahnenden Krise - als "Trostpreis" die ungeliebte "privilegierte Partnerschaft", anzudrehen?

Die Debatte in der Abgeordnetenkammer war ziemlich eindeutig. Die vier großen Parteien waren einer Meinung. Wir, als Luxemburger Regierung, haben einen klaren Auftrag bekommen. Wir können lange über die Geschichte der Beziehungen zwischen Türkei und Europa sprechen, was uns allerdings überhaupt nicht weiter bringen würde. Worum geht es? Es geht darum, Verhandlungen mit der Türkei über einen möglichen Beitritt zur Europäischen Union zu beginnen. Es geht nicht darum, die Türkei in die Union aufzunehmen. Durch den politischen Druck aufgrund des Wunsches, der Union beitreten zu wollen, hat die gesamte türkische Bevölkerung in den vergangenen drei bis vier Jahren von Reformen profitiert - Frauenrechte, Minderheitenrechte, Abschaffung der Todesstrafe, Erneuerung des Rechts, die offizielle Abschaffung der Folter. Ja, man könnte sagen, dass das alles nicht ausreicht. Wenn man aber bedenkt, was in den letzten Jahrzehnten in der Türkei passiert ist, sieht man jetzt den Schnitt. Und da gibt es nur eines: der Türkei ein Datum nennen.

Gibt es für die Türkei überhaupt eine Alternative zu Europa? Oder anders gefragt, kann Europa es sich leisten, die Türkei draußen vor der Tür zulassen?

Wäre es ein Vorteil, wenn wir eine Türkei hätten, die nichts mit Europa zu tun haben will? Ein ganz klares: Nein!

Wenn wir eine Türkei haben wollen, die sich zu Europa bekennt, dann sollen wir das ehrlich mit "Ja" oder "Nein" beantworten. Ich meine, wir würden mit einer Türkei, die Interesse an Europa hat, besser fahren: man braucht ja nur auf die strategische Lage zu schauen, auf die Größe des Landes und auf das Potential. Nicht nur aus wirtschaftlichen, auch aus kulturellen Gründen. Für die Stabilität in Europa wäre es gut, wenn die Türkei Mitglied der Union werden würde und für die Türkei und die Stabilität der ganzen Region wäre es gut, wenn Europa da mit entscheiden könnte.

Das osmanische Reich war bis zum armenischen Völkermord im Ersten Weltkrieg für die erfolgreiche Integration ethnischer Minderheiten mittels Millet-System bekannt. Heute scheint die Türkei wieder auf dem richtigen Weg zu sein. Oder?

Die Türkei ist ein riesiges Land mit riesigen Problemen. Bei meinen Gesprächen in Sofia hatte ich Gelegenheit, mit den Außenministern von Armenien und Aserbaidschan zu reden. Hier gibt es noch viele ungelöste Fragen. Wir wissen beispielsweise, dass die Grenze zwischen Armenien und der Türkei noch immer dicht ist. Bei all diesen ethnisch motivierten transnationalen Problemen müssen wir uns die Frage stellen, ob wir sie besser lösen können, wenn die Türkei nicht zu Europa gehört. Ich meine: Nein!

Minderheiten-Probleme, wie im Fall der Kurdenfrage, sind besser mit den uns von Brüssel an die Hand gegebenen Instrumenten lösbar, als im politisch luftleeren Raum. Die Türkei muss, will sie die Verhandlungen ernsthaft führen, wissen, dass das die Fragen sind, die Europa interessieren. Aber Minderheiten gibt es nicht nur in der Türkei, sondern auch in einem Land, dass wir hoffentlich auch aufnehmen können: Rumänien.

Die erfolgreiche Integration der Kurden innerhalb einer EU-Türkei könnte eine Signalwirkung für die kurdischen Minderheiten im Irak, in Syrien und Iran haben. Könnte und würde die EU in dieser Frage eine Rolle spielen?

Wir sollten nicht zu weit greifen. Wir können uns nicht überall einmischen. Wir müssen uns aber immer auf den Standpunkt stellen, dass die Menschenrechte unteilbar sind. Das Recht auf kulturelle Freiheit gilt für alle Minderheiten. Ich weiß allerdings nicht, ob wir ein Interesse haben, in die eventuellen Streitigkeiten, über die Grenzen der Türkei hinaus, einzugreifen und beispielsweise den Streit um den Völkermord an den Armeniern lösen zu wollen. Sogar die Armenier haben damit ein Problem.

Aber das mit der Signalwirkung mag stimmen. Wenn die Kurden in der Türkei so behandelt werden, wie sie behandelt werden müssen, nämlich als Menschen und nicht als furchteinflößende ethnische Gruppe, könnte sich das auf die ganze Region auswirken. Aber auch hier gibt es regionale Unterschiede, auch die Kurden sind kein homogenes Volk.

Wirklich beantworten lässt sich die Frage allerdings zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Aber natürlich muss sich Europa auch über die grenzübergreifenden Probleme Gedanken machen.

Der Kaukasus als EU-Außengrenze macht vielen Menschen - nicht nur am Stammtisch - Angst: Unübersichtliches Terrain, russische Interessen, Terrorismus. Könnte das nicht zu einer Verstärkung der Probleme zwischen Union und Russland führen?

Nicht nur die Grenze im Kaukasus. Auf dem Höhepunkt der ukrainischen Krise ist eines klar geworden. Im dritten Jahrtausend kann kein Staat mit einer Lüge leben, wobei die größte Lüge die Wahlfälschung ist. Was sich in der Ukraine bewegt hat, ist auf Druck von der Straße geschehen, nicht als Folge der Politik.

Auf Russland muss man aufpassen. Ob in Moldawien, in der Ukraine, in Weißrussland oder in Georgien, Russland verliert an Einfluss in ehemals für die Sowjetunion lebenswichtigen Regionen.

Es gibt da zwei Möglichgkeiten. Man kann sagen: wir sorgen jetzt dafür, dass all diese Länder in die EU kommen. Oder aber man sucht den Dialog, ohne aber Zugeständnisse in Sachen Demokratie zu machen, denn Demokratie ist nicht teilbar.

Dann kann man sagen, dass man Verständnis hat und das bestehende Gleichgewicht aufrecht erhalten möchte, allerdings nicht ohne Dialog. Es kann nicht sein, dass die Berliner Mauer gefallen ist, nun aber in Georgien, in Moldawien oder der Ukraine neue Mauern errichtet werden. Dann hätten wir das 21. Jahrhundert völlig falsch begonnen und wären wieder da, wo wir angefangen haben.

Wir müssen aufpassen auf die Dynamik und das Dynamit zwischen Moldawien und Südkaukasus. Hier hat Russland immer noch eine Rolle zu spielen. Und es wäre falsch, die Länder mit allen Mitteln auf "unsere Seite" ziehen zu wollen. Allerdings muss auch Russland in seinem Verhalten gegenüber dieser Region umdenken.

Als ehemals wichtiger Faktor in der europäischen "balance of power" haben wir die Türkei nach 1918 vergessen. Was für eine politische Rolle könnte die Türkei in einer modernen EU – auch im außenpolitischen Bereich – spielen?

Ich sehe hier einmal vom rein strategischen Faktor ab, obwohl die Rolle der Türkei innerhalb der NATO von den Allermeisten, als die wichtigste Rolle der Türkei überhaupt angesehen wird. In meinen Augen bestünde die einmalige Chance darin, zu beweisen, dass unsere so genannte westliche Kultur in all ihren Spielarten der östlichen Kultur nicht nur begegnen, sondern auch mit ihr zusammen leben kann. Ängste und Vorurteile ließen sich – wenn auch in jahrzehntelanger Arbeit – dauerhaft auf beiden Seiten abbauen.

Kurzfristig mag das illusorisch klingen, im Hinblick auf 2050 erscheint mir dieses Ziel allerdings als von größter Wichtigkeit. Man sollte nämlich bedenken: Der weitaus größte Teil der Muslime lebt in Demokratien und nicht in Diktaturen. Der zentrale Punkt ist für mich jedenfalls das Zusammenleben der Kulturen, nicht die Stationierung von Jagdbombern. Wichtig ist, was in den Köpfen der Menschen passiert.

Die Laizität der Türkei wurde nach dem Ende des Ersten Weltkrieges von der neuen Militärelite diktiert. Durch einen konkreten Annäherungsprozess der Türkei im Rahmen der Beitrittsverhandlungen wird das Militär schrittweise in eine marginale politische Rolle gedrängt werden, was ja auch nach offizieller EU-Lesart beabsichtigt ist. Wie aber stellt man sich in der EU diese Gratwanderung vor. Vor wem hat Europa mehr Angst: vor den Militärs oder vor dem Islam?

Die zivile Kontrolle des Militärs bleibt eine der ganz großen Forderungen der Union. In den vergangenen zwei Jahren ist auf diesem Gebiet enorm viel geschehen.

Aber auch die islamische Dimension ist in Bewegung. Es haben sich wohl niemals seit Gründung der modernen Türkei so viele Menschen öffentlich zum Islam bekannt, wie jetzt.

Wir können uns aber wohl kaum anmaßen, den Türken vorzuschreiben, wie sie zu leben haben. Die Menschen müssen selbst herausfinden, wo ihr Glück ist oder nicht ist.

Allerdings können wir aus unserer eigenen Geschichte heraus zeigen, dass die Verquickung zwischen Religion und Staat, Religion und Politik nicht zukunftsfähig ist.

Wir müssen den Muslimen zeigen, dass ein Gottesstaat kein gangbarer Weg sein kann. Deshalb ist es ja auch so wichtig, in der europäischen Verfassung keinen konfessionell gebundenen Bezug zu Gott herzustellen.

Man mag sich auf seine kulturellen und religiösen Wurzeln berufen, aber man darf die Verfassung nicht zu einem religiösen Machtmittel missbrauchen. Diese Einstellung sollte sich auch in islamischen Ländern durchsetzen.

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