Jean-Claude Juncker au sujet de la situation en Europe, 60 ans après la fin de la Deuxième Guerre mondiale

Peter Weitzmann: Luxemburg, Deutschland und Europa 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Zu diesem Thema begrüße ich hier in "Thema Europa" jetzt Jean-Claude Juncker, den Premierminister Luxemburgs und Vorsitzenden des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs. Guten Morgen, Herr Juncker.

Jean-Claude Juncker: Guten Morgen.

Peter Weitzmann: Herr Juncker, wenn man sich das Verhältnis der Deutschen zu ihren europäischen Nachbarn betrachtet, dann fällt auf, dass es doch mit den kleineren Nachbarn immer so ein paar zwischenmenschliche Reibereien gibt, ich sage nur Holland und Österreich. Die Luxemburger scheinen aber ohne Groll auf den großen Nachbarn Deutschland zu blicken und umgekehrt auch. Wieso ist das Verhältnis eigentlich so gut?

Jean-Claude Juncker: Ich glaube, die Luxemburger wissen sehr gut, dass sie in einem kleinen Land leben, das von größeren und großen Nachbarn umgeben ist, Frankreich einerseits, Deutschland andererseits. Das, was wir an Kriegsereignissen hier in Luxemburg erlebt haben war sehr schlimm, aber wegen der Grenznähe und wegen der Dichte der auch menschlichen Beziehungen über die Grenze hinweg, haben sich Luxemburger sehr schnell mit den Deutschen versöhnt, ohne jemals zu vergessen, was war, aber doch aus dem festen Willen heraus, dass Derartiges um unsere Grenzen herum nie mehr passieren darf, was dazu geführt hat – dies ist auch die große Lebensleistung der Kriegsgeneration –, dass es nach dem Krieg nie zu  erbitterten Ablehnungsfronten gegen die Deutschen gekommen ist. Im Übrigen, die Deutschen im Saarland, die Deutschen im Trierer Raum sind den Luxemburgern nach dem Krieg stets freundlich begegnet und wir ihnen auch mit offenen Armen. Es hat mit den Menschen und mit ihrer Vernunft zu tun, die manchmal größer ist als die Vernunft der Regierenden.

Peter Weitzmann: Nun leben wir heute 60 Jahre nach dem blutigen Gemetzel des Zweiten Weltkriegs in einem friedlichen, freien und vereinten Europa. Haben Sie den Eindruck, dass dieses, ja man muss es ja fast politisches Wunder nennen, also dass dieses politische Wunder heute im politischen Alltag etwas zu sehr untergeht?

Jean-Claude Juncker: Den Eindruck hab’ ich sehr wohl. Wir sind jetzt am 60. Jahrestag des Kriegsendes angekommen und viele, die heute leben, arbeiten, in der Gesellschaft wirken, auch schon in Regierungen vertreten sind, haben keine direkte Kriegserinnerung. Ich auch nicht, ich bin 54 geboren, aber ich hab’ direkte Überlieferung von Kindesbeinen an, am Mittagstisch und abends in ruhiger Runde mir zugänglich machen können. Mein Vater war, weil die luxemburgischen jungen Männer, die zwischen 1920 und 1927 geboren wurden, zur Wehrmacht zwangseingezogen wurden, deutscher Soldat im Krieg. Ich hab das aus eigener Anschauung, weil er wurde verletzt im Krieg, trägt sichtbare Kriegsmerkmale in seinem Körper, das beeindruckt jemanden der 3, 4, 5, 6 Jahre alt ist. Ich weiß, was war, ohne es selbst erlebt zu haben. Viele wissen es nicht mehr und in 20, 30 Jahren werden diejenigen, die dann unsere Länder in Europa regieren und die unsere Gesellschaften in Europa animieren eine sehr verblasste Erinnerung an  Hitler und Stalin haben, etwa so wie ich Erinnerungen habe, das heißt, keine Erinnerung habe, an Wilhelm II und an Clemenceau. Die Distanz wird größer, die Erinnerung wird kleiner und die Begeisterung, diesen ewigen Nachkriegssatz „Nie wieder Krieg!“ zu einem politischen Aktionsprogramm auf alle Zeiten umzumünzen,  die nimmt ab und deshalb ist es Aufgabe meiner Generation, jetzt dafür zu sorgen, dass die europäischen Dinge wetterfest gemacht werden. Die Generation nach uns, ich möchte sie nicht beschimpfen, die wird dies nicht mehr tun können, weil die Väter und Großväter werden dann tot sein.

Peter Weitzmann: Glauben Sie, dass bei diesem Versuch, Europa wetterfest zu machen, wie Sie es nennen, die Bevölkerungen immer mitziehen? Im Moment haben wir ja grade die Debatte darum, dass die Begeisterung für Europa etwas nachzulassen scheint, denken wir nur an den Streit um die EU-Verfassung, die da in Frankreich unter die Räder kommen zu droht.

Jean-Claude Juncker: Also, Europa wird heute als etwas Selbstverständliches empfunden und die Absicht in Europa, es nie wieder zu Krieg kommen zu lassen, gilt als von jedem geteilt und als sich nie in Gefahr befindend. Das führt dazu, dass man sich als Opfer sehr oft des europäischen Tagesgeschäftes empfindet und die großen Zusammenhänge nicht mehr sieht und es geht das Gefühl verloren dafür, dass Europa ein irrsinnig komplizierter Kontinent ist, der einfache Lösungen nicht verträgt. Europa ist tägliche Feinarbeit und verlangt eigentlich, dass man jeden Tag neu anfängt. Dieses Gefühl, sich jeden Tag der europäischen Agenda neu zuzuwenden, sie behutsam zu pflegen, viel Energie in europäische Dinge einfließen zu lassen, viel Herz auch, Europa ist nicht nur eine Sache des Verstandes, dieses Gefühl geht verloren und ich bedaure das sehr und das hat auch damit zu tun, dass viele, die in der Politik unterwegs sind, sich eigentlich nur selten dazu bewegen lassen, über die eigentlichen Ursachen, wieso und weshalb  wir diese europäische Integration wollten und wieso und weshalb wir sie dringend auch in integrationsweiterführenden Schritten weiterhin brauchen, dieses Gefühl den Menschen zu erklären, Frieden ist nie ganz gesichert und es braucht den täglichen Einsatz dafür. Dieses Gefühl geht verloren, weil Menschen halt finden, dass die Haut ihnen näher sein darf als das Hemd. Die europäischen Hemden waren sehr oft blutverschmiert, wir sollten das immer im Kopf haben.

Peter Weitzmann: Wenn man das im Kopf hat, wäre dann zum Beispiel eben die Ablehnung der EU-Verfassung nicht ein erschreckendes Fanal?

Jean-Claude Juncker: Ich hielte dies für desaströs, nicht weil dann Europa zusammenklappen würde, das wird nicht geschehen, das wird nur in sehr kleinen nicht sichtbaren Schritten sich vollziehen, bis es eben dann zu spät ist. Wir werden 20, 30 Jahre europäischer Integrationsweiterführung verlieren, ohne es zu merken. Und deshalb gilt es Franzosen, Luxemburger, die ja auch ein Referendum am 10. Juli haben, davon zu überzeugen, dass die europäischen Dinge nie endgültig in den Kanälen laufen in denen sie laufen müssen, damit das europäische Wasser nicht durcheinander gewirbelt wird.

Peter Weitzmann: Nun ist es ja so, dass gerade die Luxemburger und auch die Saarländer nicht vorrangig auf dieser großen europäischen Bühne leben, sondern eigentlich ganz alltäglich auf der kleinen, in der Großregion Saar-Lor-Lux. Ist dieses Europa auf der kleinen Bühne nicht eine Chance, die vielleicht immer noch zu wenig genutzt wird?

Jean-Claude Juncker: Ich sehe das genau so wie Sie. Dies ist eine große Chance und macht im kleinen Raum das große Europa glaubwürdig und da sind wir manchmal zu kleingeistig und packen die Dinge nicht so an, wie sie angepackt werden müssen. Zwischen Saarland und Luxemburg sind die Beziehungen ja nun vorzüglichst und wir werden auch jetzt eine gemeinsame Schule, saarländisch-luxemburgische Schule im Saarland, ich sag nicht gerne aus dem Boden stampfen, aber uns sehr intensiv um dieses Projekt bemühen. Das große Europa bleibt stecken, wenn es diese Hunderttausende kleine Schritte der direkten Nachbarn nicht gibt und wir als Saarländer und wir als Luxemburger sind ja dieselbe Sorte Mensch, wir sollten uns viel intensiver um unser kleines Stück Europa kümmern.

Peter Weitzmann: Ein wichtiges Jahr für dieses kleine Stück Europa wird das Jahr 2007, wenn Saar-Lor-Lux und Rheinland-Pfalz als gemeinsame Kulturhauptstadt agieren werden. Da gab es im Vorfeld ja bislang immer mal ein bisschen Streit um die Konzepte, ums Geld, ob genug Geld da ist oder nicht. Schauen Sie trotzdem positiv auf dieses Jahr?

Jean-Claude Juncker: Luxemburg wurde zur Kulturhauptstadt Europa 2007 bestimmt und schon vor vier Jahren habe ich angeregt, dass wir dies auf der Ebene der Großregion feiern, zusammen begehen, dem Rest Europas zeigen, dass es so etwas gibt, wie Freundschaft über die Grenze hinweg und die Kulturhauptstadt Luxemburg soll dann eben auch saarländische Kulturhauptstadt sein. Dass man dann über Geld streitet, über Konzepte streitet, das hab ich schon vergessen und niemand wird sich im Jahre 2011 daran erinnern, wenn 2007 zum Erfolg geführt wird und  das werden wir machen, gemeinsam so wie es sich passt für Menschen, die sich mögen.

Peter Weitzmann: Europa – 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in "Thema Europa", war das der Ratsvorsitzende der Europäischen Union und luxemburgischer Premierminister Jean-Claude Juncker.

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