Jean Asselborn fait le bilan de la Présidence du Conseil de l'UE

Wolf von Leipzig: Was ist die außenpolitische Bilanz des sechsmonatigen EU-Ratsvorsitzes Luxemburgs?

Jean Asselborn: Unser Ratsvorsitz stand ganz eng im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Fragen: Stabilitätspakt, Lissabon-Strategie und die EU-Finanzperspektiven. Dann kamen die Referenden... Die Frage ist natürlich: Ist dieser "Aufschrei", der sich da gezeigt hat, nur gegen die Verfassung oder gegen Europa als ganzes gerichtet? Ich glaube mit (dem Präsidenten des Europaparlament, Josep) Borrell, dass sich dieser "Aufschrei" auch dagegen richtet, wie Europa momentan funktioniert. Warum ist das so? Jeder EU-Gipfel wird wie ein Fußballspiel dargestellt: Es muss einen Sieger und einen Verlierer geben. Wir können in Europas Nationalstaaten von Montag bis Samstag nicht gegen die EU-Kommission und gegen die Union wettern und am Sonntag von den Leuten verlangen, ihr müsst jetzt "ja" stimmen, Europa ist doch etwas Gutes.

Wolf von Leipzig: Wie steht es mit den Gründen für die Ablehnung des Europäischen Verfassungsvertrages?

Jean Asselborn: Die EU-Erweiterung ist eine der Hauptursachen für den Aufschrei gewesen. (...) Während in den zehn neuen Mitgliedsländern große Freude über die Erweiterung herrscht, ist sie in den 15 alten Mitgliedsländern auf viel Unverständnis gestoßen. Aber es gab und gibt keine Alternative zur Erweiterung. Man konnte die Länder ja nicht einfach außen vor lassen. (...) Wir sind zwar froh über den Fall der Mauer in Europa, aber es ist nicht gelungen, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Die wirtschaftliche Dimension der europäischen Einigung ist - seit den Römischen Verträgen von 1957 - sicherlich von enormer Bedeutung für Europa, doch ist die menschliche Dimension von Erweiterung vernachlässigt worden. Es wurde viel von dem für die Erweiterung nötigen Geld und deren wirtschaftlichen Vorteilen gesprochen, aber zu wenig von der menschlichen Dimension. (...) Die Länder (Mittel- und Osteuropas) liegen auf europäischem Territorium, und wir müssen ihnen die Chance geben, in einer Zone der Freiheit und der Demokratie zu leben. Wir Politiker haben versäumt, den Menschen hier die Angst zu nehmen, dass sie etwas verlieren könnten. (...) In (den Beitrittsländern) Rumänien und Bulgarien müssen jetzt die notwendigen Reformen zu Ende gebracht werden - sie müssen nicht nur per Gesetze verordnet, sondern auch in die Praxis umgesetzt werden, sodass Korruption beseitigt wird und Justiz und Gewaltenteilung wirklich funktionieren. Erst mit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens wird dieser Erweiterungszyklus abgeschlossen.

Wolf von Leipzig: War es kein Fehler in der Vergangenheit, dass einige Länder der EU beitraten, bevor schwer wiegende politische Hindernisse ausgeräumt waren - etwa im Fall Zyperns, das weiterhin geteilt ist?

Jean Asselborn: Lassen Sie mich später darauf eingehen.

Wolf von Leipzig: Wie wird es mit der Erweiterung weitergehen?

Jean Asselborn: Ein anderes Erweiterungsgebiet ist der Balkan, der in puncto Geographie klar ein Teil Europas ist. (...) Die (Balkan-)Länder haben (auf dem EU-Gipfel) von Saloniki 2003 eine Beitrittsperspektive erhalten. Europa kann diesen Ländern nicht Hoffnung auf Frieden, Demokratie und sozialen Wohlstand machen, dann aber sagen: "Ihr müsst sehen, wie ihr klarkommt". Selbstverständlich müssen wir diese Länder erst fit machen. Es ist ja noch nicht von Beitritt die Rede, denn vorerst bestehen nur Stabilitätsabkommen. Wir können jedoch nicht von einem vereinten und friedlichen Europa reden und gleichzeitig diese Region ignorieren. Wenn Europa mehr als eine Freihandelszone ist, nämlich ein politisches Gebilde, dann hat es die Pflicht, sich dieser Aufgabe anzunehmen. Und das kann nur Europa machen - nicht Amerika, nicht Russland und nicht China. Hier geht es vorrangig um Frieden und Stabilität in der EU.

Wolf von Leipzig: Wie steht es mit der Perspektive für die Türkei?

Jean Asselborn: Im Bericht der Kommission und auch in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Dezember steht ganz deutlich, dass die Verhandlungen (mit der Türkei über einen Beitritt, die am 3. Oktober beginnen sollen) "ergebnis-offen" sind. (...) Europa kann nicht immer mehr ausgeweitet werden, ohne vertiert zu werden. (...) Aber wie viel Druck schon von Europa auf die Türkei ausgeübt worden ist, lässt sich aus all den Reformen ermessen, die schon geschehen sind: Todesstrafe, Folter und Diskriminierung der Frau sind gesetzlich abgeschafft worden... Nicht alles ist hundertprozentig in der Praxis, die Religionsfreiheit existiert nicht vollständig, die Umsetzung der Gesetze bleibt lückenhalt, aber die Schritte gehen in die richtige Richtung. Die türkische Kultur muss sich nicht unserer Kultur anpassen. Doch die Werte Europas müssen genauso respektiert werden wie die Werte der Türkei. Der Druck aus Europa hat schon enorm viel für die Menschen in der Türkei bewirkt. Es wäre falsch, diesen Prozess zu stoppen. Es stimmt, das Zypern-Problem ist weiterhin ungelöst, was jedoch nicht allein die Schuld der Türkei ist.

Wolf von Leipzig: Wird die EU von ihren Versprechen gegenüber den Beitrittskandidaten abrücken?

Jean Asselborn: Wenn nun die Verhandlungen unter britischem Ratsvorsitz beginnen sollten, dann werden sie langwierig. Wir sprechen hier von mehr als einem Jahrzehnt bis wir vor einem Ergebnis stehen. Nach wie vor bin ich jedoch der Meinung, dass wir die (Beitritts-)Perspektive für die Türkei langfristig aufrechterhalten müssen. Es wäre falsch - um ein Schlagwort aufzugreifen -, die Erweiterung gänzlich zu stoppen. Sicher ist es jedoch illusorisch, den Ukrainern, den Moldawiern oder den Georgiern zu sagen: "Ihr werdet übermorgen beitreten" - das wäre unrealistisch. Beim Balkan bin ich hundertprozentig der Überzeugung, dass wir unsere Aufgabe dort beenden müssen. Wenn wir keinen Krieg mehr in Europa wollen, dann müssen wir diesen Schritt tun.

Wolf von Leipzig: Welche Erfahrungen ziehen Sie aus Ihrem sechsmonatigen Vorsitz?

Jean Asselborn: Während der vergangenen sechs Monate habe ich gesehen, dass - außenpolitisch gesehen - Europa wirklich ein Magnet ist. Viele Leute in der Welt blicken auf Europa, um ihre Werte zu definieren - vielleicht mehr als auf Amerika oder irgend ein anderes Land.

Dies gilt für Länder im Osten Europas als auch für jene im Süden Europas. (...) Europa ist ein großer Hoffhungsträger in Sachen Friedensvermittlung und Friedensstiftung. Das sieht und spürt man am allerbesten im Nahen Osten - und nicht nur wegen unseres Geldes. Ohne den Druck von uns, wären die USA heute nicht so engagiert im Nahen Osten - nicht ideal und hundertprozentig, aber jedenfalls viel stärker als in den zwei Jahren zuvor. Allerdings ist Amerikas Sichtbarkeit in der Welt oft viel größer als diejenige Europas. (...) Doch im Nahen Osten wird ganz stark auf Europa gesetzt.

Wolf von Leipzig: Auch von Seiten Israels?

Jean Asselborn: Die intelligenten Politiker in Israel wissen, dass der Konflikt nicht zu lösen ist, wenn die USA exklusiv auf Seiten Israels und Europa auf Seiten Palästinas stehen. Die USA sind viel stärker in Palästina engagiert als vorher: die US-Außenministerin (Condoleezza Rice) war zweimal vor Ort in diesem Jahr und (der Nahostsonderbeauftragte James) Wolfensohn wurde vom Nahost-Quartett ernannt, um den Rückzug aus Gaza zu begleiten. Israels intelligente Politiker sehen, dass es eine Aufgabenteüung in der Zusammenarbeit geben muss. (...) Ich weiß jedoch nicht, ob es uns gelingt. Der Nahost-(Friedens) Prozess geht nicht unbedingt ohne Schwierigkeiten vonstatten.

Wolf von Leipzig: Was meinen Sie genau?

Jean Asselborn: Dadurch, dass die Wahlen in Palästina verschoben worden sind und Neuwahlen in Israel sehr wahrscheinlich scheinen, befinden wir uns in einer Vorwahlzeit. Wie sich dies auswirkt, weiß man nicht. (...) Daher muss die Palästinenser-Autorität - mit Hilfe der Amerikaner und Europäer - alles tun, um den Staat aufzubauen, damit nicht allein die (extremistische) Hamas Sozialpolitik in Form von Schulen und Krippen in Palästina betreibt. Der Rückzug aus Gaza muss gelingen, um dann auf eine friedliche Zweistaatenlösung zuzusteuern.

Schließlich ist Europa auch ein Eckstein der internationalen Solidarität. Europa ist der politische Akteur, der am meisten für die internationale Solidarität tut: Dies verdeutlicht die vereinbarte Steigerung der Entwicklungshilfe auf 0,56 bzw. 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ab 2010 bzw. 2015. Afrika und Südamerika setzen große Hoffnung auf Europa, weil die EU einen viel größeren Teil des Bruttoinlandsprodukts in die Entwicklungshilfe steckt, und meist - wenn auch nicht immer - die EU-Mitgliedsländer mitziehen.

Letzter Punkt: Wir sind selbstverständlich auch ein politischer Partner - ob das nun mit den USA, Japan oder Russland ist. Wir könnten selbstverständlich noch stärker sein, wenn wir politisch besser strukturiert wären, wenn die Union auch Institutionen hätte, die nach außen besser funktionierten. Wir haben eine gewisse Anfälligkeit, wir haben Launen, wir haben einen spezifischen Charakter, weil wir als Europäer ständig einen Spagat zwischen den Interessen der Nationalstaaten und jenen des politischen Ensembles, das wir sind, machen. Als Europäer sind wir keine Militärmacht und das darf auch nicht das Streben Europas sein. Wir dürfen nie dahin kommen, zu versuchen, die Konflikte in Iran oder Irak zu lösen, indem wir dort unsere Muskeln spielen lassen oder militärisch eingreifen. Dafür ist die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) nicht da. Allerdings müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir - wenn innerhalb der Grenzen Europas Konflikte auftauchen - nicht die Chinesen, Russen oder Amerikaner rufen können. Wir wollen keine Militärmacht werden, die eine Bedrohung darstellt, aber wir haben die Pflicht dafür zu sorgen, dass wir Probleme lösen können, wenn Unruhen entstehen und Menschenrechte mit den Füßen getreten werden.

Wolf von Leipzig: Wie steht es mit dem Waffenembargo gegenüber China?

Jean Asselborn: Wir haben unsere Arbeit gemacht. Wir haben einen generellen Verhaltenskodex in Sachen internationalem Waffenhandel vorgelegt. Dieser Kodex ist von einem einzigen Land bis dato abgelehnt worden. Auch eine "Toolbox" (genaue Vorschriften darüber, welche Art von Waffen ausgeführt werden dürfen) ist erstellt worden. Wir könnten uns also ein für alle Mal dieses Embargos durch den allgemeinen Verhaltenskodex entledigen. (...) Wir müssen wissen: Die Amerikaner haben einen strategischen Dialog mit China, ohne uns gefragt zu haben, sie haben ihn einfach, denn sie kennen ihre Interessen. Wenn wir nicht wollen, dass China uns schneidet, müssen wir den Dialog suchen. Jetzt ist der Moment, um - zusammen mit den Amerikanern und den Japanern - auf Grundlage eines politisch-strategischen Dialogs mit China, die Frage des Waffenembargos zu lösen. Wenn wir aus Furcht vor der "gelben Gefahr" in einer Defensivhaltung verharren, werden wir überrumpelt. (...) Wenn man im beidseitigen Interesse einen Dialog herstellen will, muss man dieses Problem an der Wurzel packen - selbstverständlich sollen danach die Waffenlieferungen nicht in die Höhe schnellen.

Wolf von Leipzig: Sie argumentieren, eine Aufhebung des Embargos wäre bloß symbolisch und hätte keine praktischen Folgen.

Jean Asselborn: Symbolisch würde ich nicht sagen: Ein EU-Waffenembargo ist gegenüber drei Ländern in Kraft: Sudan, Myanmar und China. Dass es nun nicht zur geplanten Aufhebung des Embargos kam, liegt natürlich auch an dem von China verabschiedeten "Anti-Sezessionsgesetz", welches die Sache weder politisch noch in der öffentlichen Meinung vereinfacht hat. Wenn wir Fortschritte in der Menschenrechtsfrage machen wollen, müssen wir uns fragen, ob es nicht besser wäre, einen Dialog zu führen, um auf China einzuwirken.

Wolf von Leipzig: Nun besteht ja ein Dialog mit China.

Jean Asselborn: Ja. Doch könnte der Dialog auf ganz anderem Niveau geführt werden. Der Weg zu einem besseren Verhältnis mit China führt nicht über einen defensiven, sondern einen offensiven Dialog - der ein gewisses Maß an Gegenseitigkeit und auch Vertrauensbildung schafft. Dass dies unter Luxemburgs EU-Vorsitz nicht gelang, ist selbstverständlich nicht allein die Schuld Europas. China hat fälschlich geglaubt, dass das Problem gelöst ist, nachdem eine Aufliebung des Embargos bis zum Ende des Luxemburger EU-Vorsitzes geplant war. Die Tendenz geht jedoch dahin, das Problem auszuräumen und nicht zu betonieren.

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