"Zusammenarbeit ist Pflicht". Jean-Marie Halsdorf au sujet de la restructuration des communes

Daniel Michels: Herr Minister, Sie wollen fitte Gemeinden für das 21. Jahrhundert. Welche Fitnesstests sind zu bestehen?

Jean-Marie Halsdorf: Jede Gemeinde muss in den Bereichen Schule, ober- und unterirdische Infrastrukturen sowie Straßennetz die Mindestanforderungen erfüllen. Diese Basisleistungen müssen über das ganze Land abgedeckt werden. Am wichtigsten ist die Schule samt angegliedertem Bereich wie Kantine, Hausaufgabenhilfe oder Ganztagesbetreuung. Zudem müssen adäquate Sport-, Schul- und Kulturinfrastrukturen bestehen, die Versorgung mit sauberem Wasser und die Entsorgung von Abwasser und Müll garantiert sein. Jede Ortschaft muss an eine Kläranlage angeschlossen sein. Zudem sollen die Gemeindestraßen und -wege gut in Schuss sein.

Daniel Michels: Fusionen sollen freiwillig bleiben. Warum propagieren Sie die "Communautes de communes"?

Jean-Marie Halsdorf: Eine zukunftsfähige Gemeinde muss die oben genannten Punkte erfüllen. Dies geht nur mit einer gewissen Bevölkerungszahl, die man entweder über eine Fusion oder durch eine enge, koordinierte Zusammenarbeit von Gemeinden erhält. Nur so können die Basisdienste landesweit in einem vernünftigen Preis/Leistung-Verhältnis angeboten werden. Dieser Ratio liegt in einer Landgemeinde logischerweise höher. Er darf den Rahmen aber nicht um ein Vielfaches sprengen. Viele kleine Gemeinden können oft nur einen Bereich zufrieden stellend abdecken. Funktioniert die Schule, dann hapert es bei der Straßen- oder Wasserinfrastruktur.

Daniel Michels: Gibt das Innenministerium vor, welche Gemeinden zusammenarbeiten sollen?

Jean-Marie Halsdorf: Bei der Festlegung der kommunalen Gemeinschaften werden wir mit Fingerspitzengefühl vorgehen. Oberstes Ziel sind effizientere Gemeinden.

Daniel Michels: Statt aus zwölf Kantonen besteht Luxemburg künftig aus sechs Regionen. Werden die Institutionen und Verwaltungen ebenfalls dementsprechend aufgeteilt?

Jean-Marie Halsdorf: Außer den Kantonaltagungen der Feuerwehr haben die Kantone heute fast keinen Sinn mehr.

Die Anpassung der Gerichts oder Polizeibezirke wäre ein logischer Schritt. Aber zuerst werden die territorialen und administrativen Reformen auf Kommunalniveau durchgeführt. Dann sehen wir weiter.

Daniel Michels: Sind die kommunalen Syndikate ein Auslaufmodell?

Jean-Marie Halsdorf: Ein Syndikat entsteht dadurch, dass eine Gemeinde ein Projekt alleine nicht bewältigen kann und sich mit einer anderen Kommune für diesen einzelnen Punkt zusammenschließt. Das mag bei großen Aufgaben wie Trinkwasser oder Müllentsorgung gut sein. Oft arbeiten die Gemeinden ohne Systematik je nach Gelegenheit zusammen. Die "Communauté de communes" setzt auf das Prinzip der Territorialität. Demnach sollen in einem bestimmten Gebiet immer die gleichen Gemeinden die Dienstleistungen auf eine koordinierte Art und Weise anbieten.

Daniel Michels: Was geschieht mit den aktuell über 70 Gemeindesyndikaten?

Jean-Marie Halsdorf: Große Kommunalverbände wie Sidec, Dea oder Sidor behalten ihre Daseinsberechtigung.

Kleine Syndikate zwischen einzelnen Gemeinden sollen in den "Communauté de communes" oder in der Region aufgehen. Die Planungsregionen sollen für eine kohärentere Entwicklung des Landes sorgen.

Daniel Michels: Wie sollen sich die Gemeinden künftig finanzieren?

Jean-Marie Halsdorf: Nach den Gemeindewahlen werden verschiedene Finanzierungsmodelle im Parlament diskutiert. Man kann beispielsweise die staatliche Basiszuwendung für Gemeinden und "Communautés" oberhalb von 3000 Einwohnern erhöhen, den Verteilungsschlüssel bei der "Dotation de l'État" ändern. Hier ist noch vieles offen.

Daniel Michels: Aber die Gießkanne wird aus dem Innenministerium verbannt?

Jean-Marie Halsdorf: 1990 überwies der Staat 25 Millionen Euro an Finanzierungsbeihilfen für Infrastrukturen an die Gemeinden. 2004 waren es bereits 110 Millionen Euro. So kann es nicht weitergehen. In Zukunft muss verhindert werden, dass im Abstand von wenigen Kilometern identische, meistens nur spärlich benutzte Infrastrukturen entstehen. Staatlicherseits wird dies durch eine gezielte und nachhaltige Finanzierung der Bedürfnisse der einzelnen Regionen und kommunalen Gemeinschaften erreicht.

Daniel Michels: Und die Region...

Jean-Marie Halsdorf: ... an sich bekommt keine Kompetenzen. Sie soll sich als "Établissement public" um die Koordinierung der Infrastrukturen und die Verteilung der staatlichen Zuwendungen kümmern. Als Vertreter im "Regionalvorstand" könnte man die jeweiligen Bürgermeister und Distriktskommissare sehen.

Daniel Michels: Wie erklären Sie sich die Diskrepanz zwischen positiver Fusions-Grundstimmung und der Skepsis der Menschen, wenn es um die eigene Gemeinde geht?

Jean-Marie Halsdorf: Die Haut ist einem eben näher als das Hemd. Doch davon ungeachtet besteht ein Konsens, dass Kirchturmpolitik von vorgestern ist. Die Einwohner sehen die Gemeinde heute als modernen Serviceprovider. Um die Erwartungen zu erfüllen, müssen einige Gemeinden eben zusammenarbeiten oder fusionieren.

Daniel Michels: Hat das 3000-Einwohner-Limit für die Proporzwahl parteipolitisches Kalkül?

Jean-Marie Halsdorf: Die Proporz-Grenze und die kritische Masse für eine zukunftsfähige Gemeinde überschneiden sich zufällig. Würde die ganze Neuordnung des Landes an diesem einzigen Punkt zu scheitern drohen, lasse ich über diesen Wert mit mir reden.

Daniel Michels: Kommt der Berufsbürgermeister?

Jean-Marie Halsdorf: Es steht fest, dass die Kommunalpolitik eine Professionalisierung benötigt. Angesichts der Budgets könnten hauptberufliche Bürgermeister eine Möglichkeit sein. Auch dies wird im Rahmen der Diskussionen behandelt. Für mich ist dann aber die Trennung zwischen Abgeordneten- und Bürgermeistermandat ein logischer Schritt.

Daniel Michels: Bis wann werden die Gemeinden administrativ und territorial umgestaltet sein?

Jean-Marie Halsdorf: Angesichts der komplexen Materie – sogar die Verfassung muss geändert werden – ist es unmöglich bereits jetzt einen Zeitpunkt anzugeben. Bis zum Sommer 2006 soll alles auf dem Tisch liegen und im Parlament besprochen werden – klar ist, dass akuter Handlungsbedarf besteht.

Daniel Michels: Erfüllt die Zahl der Kandidaten für die diesjährigen Gemeindewahlen Ihre Erwartung?

Jean-Marie Halsdorf: Ich habe nicht das Gefühl, dass es eine allgemeine Knappheit an Kandidaten gibt. Nimmt das Interesse in einigen Gemeinden ab, wäre auch hier eine Fusion eine brauchbare Problemlösung.

Daniel Michels: Welche Zwischenbilanz ziehen Sie nach einem Jahr Innenminister?

Jean-Marie Halsdorf: Als ehemaliger Bürgermeister kenne ich die Sichtweise der Gemeindeoberhäupter und verstehe ihre Zurückhaltung auf verschiedenen Feldern relativ gut. Doch sollten die Bürgermeister auch die Sorgen des Innenministers verstehen. Die Herausforderungen an das Land lassen sich jedenfalls nur in gegenseitigem Respekt lösen. Staat und Gemeinden sollten sich ergänzen.

Daniel Michels: Herr Minister, wir bedanken uns für das Gepräch.

Dernière mise à jour