Mady Delvaux-Stehres: "Eine Anlaufstelle für alle"

Télécran: Stimmt es, dass die Lehramtskandidaten hierzulande in ihrem Studium zu wenig auf die Legasthenie-Problematik vorbereitet werden?

Mady Delvaux-Stehres: Ich erwarte sehr viel von der neuen Ausbildung der Lehrer. Zum neuen Profil gehört zum Beispiel, dass die Pädagogen eine Art Vordiagnose stellen können. Es ist nicht so, dass im Ministerium Probleme verkannt wurden. Es wird schon jahrelang daran gearbeitet, Schulbücher mit einer geeigneten Methode auszuarbeiten. Das neue Deutsch-Schulbuch Mila ist ein Beispiel dafür. In der Gemeinde Differdingen gibt es ein Projekt, in dem eine Primärschule mit dem "Service de l'Education Différenciée" zusammenarbeitet, um legasthenen Kindern zu helfen. Auch in der Stadt Luxemburg sind wir gerade dabei, ein Projekt vorzubereiten, in dem eine Gruppe von Lehrern speziell darin ausgebildet werden soll, gezielter auf die Schwierigkeiten der Kinder einzugehen.

Télécran: Wird das Thema Legasthenie demnach stärker in die Grundausbildung integriert?

Mady Delvaux-Stehres: Natürlich ist die Universität verantwortlich für die Ausbildungsinhalte, aber das ist einer der Aufträge, die wir an sie erteilt haben.

Télécran: In einer Schule in Deutschland gibt es eine auf mündliche und sinngemäße Leistungen beschränkte Deutsch-Note für Legastheniker. Können Sie sich etwas Vergleichbares für Luxemburg vorstellen?

Mady Delvaux-Stehres: Das wird die große Diskussion dieses Schuljahres. Das luxemburgische Schulsystem ist sehr auf die korrekte Rechtschreibung konzentriert. Aber Sprachkompetenz beinhaltet mehr als Schreiben, nämlich auch Reden und Verstehen. Indem jede der drei Kompetenzen für sich benotet wird, schwindet das Gewicht der Rechtschreibung. Das ist ein Mentalitätswechsel in unserem Schulsystem. Die Ganztagsschule "Neie Lycée" ist die erste Schule, die anders benotet und ich erwarte viel von dem Pilotprojekt, um zu beweisen, dass es etwas bringt.

Télécran: Soll also die Benotung der Leistungen von Legasthenikern geändert werden?

Mady Delvaux-Stehres: Ein neues Benotungsverfahren soll allen Kindern etwas bringen, nicht nur Legasthenikern. Wir müssen das, was die Kinder können, in den Vordergrund stellen, und sie nicht immer bestrafen für das, was sie nicht können.

Télécran: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass es zu wenig Auffangstrukturen für Eltern gibt, deren Kinder keinen Platz beim SREA bekommen?

Mady Delvaux-Stehres: Das ist ein allgemeines Problem. Es gibt relativ viele Beratungsstellen. Aber etwas haben wir nicht: ein multi-disziplinares Team. Eine Anlaufstelle mit Spezialisten, die die notwendigen Untersuchungen durchführen. Diesen Service wenigstens für die Primärschulen aufzubauen, ist mein großes Ziel für diese Legislaturperiode. Im Primärschulgesetz soll verankert werden, dass wir regionale Zentren oder sogar jeweils in den großen Gemeinden einen solchen Service haben.

Télécran: Soll dieser Service nur für Legastheniker oder allgemein für Schüler mit Lese- und Rechtschreibschwäche zur Verfügung stehen? Mady Delvaux-Stehres: Oft wissen die Eltern nicht, was ihrem Kind überhaupt fehlt. Sie merken nur, dass irgendetwas nicht richtig funktioniert. Dann sollen sie auf einer Stelle alle nötigen Ressourcen vorfinden.

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