Die Tendenz umkehren. François Biltgen au sujet de la lutte contre le chômage

Romain Meyer: Das statistische Amt sagt Luxemburg 4,2 Prozent Wirtschaftswachstum für 2006 voraus. Bei einer solchen Rate sind Sparappelle doch wohl fehl am Platz.

François Biltgen: Wachstum ist das eine und die Finanzlage des Staates das andere. Wenn wir in Zukunft die Weichen in die richtige Richtung stellen möchten – zum Beispiel im Forschungsbereich – so wird das viel Geld kosten.

Romain Meyer: Die Arbeitslosigkeit hat allerdings direkt mit dem Wirtschaftswachstum zu tun.

François Biltgen: Luxemburg benötigt laut Statec fünf Prozent Wachstum, damit die Arbeitslosigkeit abnimmt.

Romain Meyer: Gilt diese Fünf-Prozent-Bedingung nur für unser Land?

François Biltgen: Die ist spezifisch luxemburgisch, weil unser Arbeitsmarkt die Großregion ist. Der Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt betrifft nicht bloß die in Luxemburg Wohnenden, sondern die 500.000 Arbeitsuchenden der gesamten Region in und um Luxemburg.

Romain Meyer: In Luxemburg werden Arbeitsplätze geschaffen. Besetzten die Arbeitsuchenden aus dem Grenzgebiet die 8.000 neuen Stellen?

François Biltgen: Die Zahl der 8.000 muss relativiert werden. Nicht jeder neue Arbeitsplatz steht dem Arbeitsamt zwecks Vermittlung zur Verfügung, viele sind nur in unser Land verpflanzt worden – und oft die Beschäftigten gleich mit.

Romain Meyer: Wollen Sie damit sagen, dass keine neuen Arbeitsplätze geschaffen worden sind?

François Biltgen: Nein, aber es ist unklar, wie viele für die Arbeitsuchenden da sind, die dann noch dem Konkurrenzkampf mit den Grenzgängern ausgesetzt sind. Das Hauptproblem liegt bei der Qualifikation: Wer ausgebildet ist, findet einen Arbeitsplatz, die anderen haben Schwierigkeiten.

Romain Meyer: Das war doch auch schon vor zehn Jahren so!

François Biltgen: Ja, aber bei einer Arbeitslosenrate von 2,4 Prozent, die im Ausland als Vollbeschäftigung bezeichnet wird, war das weniger dramatisch. Damals fanden 60 Prozent innerhalb von sechs Monaten einen Arbeitsplatz. Das Bild des Arbeitsmarktes hat sich seither wesentlich verändert. In unserer postindustriellen Gesellschaft werden die Stellen für nicht Qualifizierte immer seltener. In den Betrieben werden immer weniger Menschen "mit durchgenommen". Nachwehen hat trotz Neueinstellungen die Anpassungsphase im Finanzsektor hinterlassen, wo auch gut Ausgebildete betroffen sind. Früher stellten die Banken Primaner ein, heute verlangen sie Universitätsabschluss.

Romain Meyer: Welche Menschen sind denn am meisten von Arbeitslosigkeit gefährdet?

François Biltgen: Am meisten gefährdet sind Menschen, die weniger leistungsfähig sind, aus welchen Gründen auch immer. Sie haben keinen Abschluss oder nicht das Richtige gelernt, andere haben soziale oder psychologische Probleme. Und Depressionen: Wer depressiv ist, gefährdet seinen Arbeitsplatz, und wer seine Arbeit verliert, wird leicht depressiv. Wer bis in einem solchen Teufelskreis steckt, ist höchst fragilisiert.

Romain Meyer: Reden wir nach den Ursachen von den Heilmitteln, die Sie sich vorgenommen haben. Welche Maßnahmen wollen Sie durchsetzen?

François Biltgen: Ich denke an ein Paket, das vom Staat, von den Arbeitsuchenden und von den Unternehmern verlangt, dass sie Verantwortung übernehmen.

Romain Meyer: Fangen wir beim Staat an?

François Biltgen: Die Arbeitsmarktverwaltung ADEM muss sich besser auf die individuelle Betreuung der Menschen konzentrieren können. Dieser Tage eröffnen wir in der Stadt Luxemburg einen Info-Point für Arbeitsuchende, damit diese sich nicht mehr für jede Auskunft bei der ADEM anstellen müssen. Die ADEM soll in Zukunft auch die Rolle einer Interimsfirma übernehmen.

Romain Meyer: Und die Verantwortung der Unternehmen?

François Biltgen: Wir müssen Druck auf die neuen Betriebe ausüben – da ist eher das Wirtschaftsministerium gefordert – damit sie eng mit der Arbeitsmarktverwaltung zusammenarbeiten. Am meisten Sorgen macht mir die Jugendarbeitslosigkeit. Mit der Unterrichtsministerin werde ich Anfang 2006 ein Projekt vorstellen, das die Berufsorientierung verbessert.

Romain Meyer: Kommen wir zu den Betrieben zurück.

François Biltgen: Die Unternehmen haben eine soziale Verantwortung. Sie müssen auch Arbeitsuchenden eine Chance geben, die nicht mit besten Noten kommen. Die angekündigten tausend Ausbildungsplätze sind ein erster Schritt, aber auch die bessere Nutzung der bestehenden Maßnahmen liegt mir am Herzen. Beim Staat arbeiten derzeit 988 junge Arbeitsuchende mit einem CAT-Vertrag, doch sind nur 198 junge Leute im Privatsektor in einem "stage d'insertion en entreprise" (SIE).

Romain Meyer: Was haben Sie gegen den "contrat d'auxiliaire temporaire" (CAT) beim Staat?

François Biltgen: Ich habe nichts dagegen, warne jedoch die Jugendlichen und auch ihre Eltern vor Illusionen. Sie müssen sich bewusst sein, dass es sich nur um eine vorübergehende Anstellung handelt, meist ohne echte Chance, dauerhaft eingestellt zu werden. Sie soll dem Jugendlichen Erfahrung und neue Kompetenzen bringen, um eine Arbeit zu finden. Im Privatsektor werden 70 Prozent der jungen Menschen, die in einer Eingliederungsmaßnahme sind, später eingestellt. Daher mein Aufruf an die Unternehmen, vermehrt auf diese zu 50 Prozent subventionierte Maßnahme zurückzugreifen.

Romain Meyer: Was verlangen Sie noch von den Unternehmen?

François Biltgen: Kurzfristig will ich über Gesetz festlegen, dass bei wirtschaftlichen Restrukturierungen nach Wegen gesucht wird, um einen notwendigen Arbeitsplatzabbau intelligent und sozialgerecht zu regeln.

Romain Meyer: Zu welchen Anstrengungen müssen denn die Arbeitslosen selbst bereit sein?

François Biltgen: Wenn das Arbeitsamt jemandem einen Ausbildungsweg vorschlägt und ihm erklärt, was er kann und was er noch lernen muss, dann muss der Arbeitsuchende auch zu eigenen Anstrengungen bereit sein. Dazu gehört, dass er sich selbst um eine Stelle bemüht, und nicht nur auf ein Angebot wartet. Daher meine Idee eines Vertrages zwischen Arbeitsamt und Arbeitsuchendem, das Rechte und Pflichten für beide Seiten beinhaltet.

Romain Meyer: Was soll mit den Beschäftigungsinitiativen der beiden großen Gewerkschaften geschehen?

François Biltgen: Diese von den Gewerkschaften aufgebauten Initiativen sollen Menschen zeitweilig oder definitiv betreuen, die in der freien Wirtschaft nicht unterkommen. Künftig soll ein Privatbetrieb, der bereit ist solche Menschen einzustellen, die gleiche Unterstützung erhalten. Der Direktor des Schweizer Arbeitgeber-Verbandes hat es richtig erkannt. Peter Hasler wird in der NZZ mit der Aussage zitiert, die Idee von Sozialfirmen dürfe nicht mit dem Hinweis auf Konkurrenzierung des Gewerbes blockiert werden. Wären die Diskussionen bei uns bereits so weit!

Romain Meyer: Was wollen Sie 2009 beim Abschluss der Legislaturperiode der amtierenden CSV/LSAP-Koalition unbedingt erreicht haben?

François Biltgen: Ich will die Tendenz bei der Arbeitslosigkeit umkehren. 30 Prozent Langzeitarbeitslose bedeuten soziale Ausgrenzung. Diesen sozialen Graben will ich bekämpfen.

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