"Die Krise ist im Kopf und im Herzen". Jean-Claude Juncker au sujet de l'actualité européenne

Freuen Sie sich auf den EU-Gipfel von nächster Woche?

Jean-Claude Juncker: Ich sehe dem Ereignis gefasst entgegen.

Kommt es zur Revanche mit Tony Blair, der Ihnen im Juni den Abschlussgipfel der luxemburgischen Präsidentschaft verpatzt hat, indem er Ihren Budgetentwurf für die EU ablehnte?

Nein, so funktioniere ich nicht. Ich habe einen Vorschlag gemacht, dem alle hätten zustimmen können, wenn die Briten eingelenkt hätten. Aber ich gehe nicht in revanchistischer Grundstimmung zum Gipfel. Es geht um Europa, weil wir diese europäische Krise nicht künstlich verlängern sollten. Im übrigen habe ich noch nie so viel Erfolg gehabt mit einem Vorschlag, wie mit diesem, den ich nicht durchgebracht habe. Mindestens 22 EU-Staaten fordern ihn jetzt vehement zurück.

Die Franzosen bezeichnen den britischen Budgetvorschlag als "zynisch und inakzeptabel", die Spanier sagen er sei "antieuropäisch". Welches Attribut würden Sie benutzen?

Ich finde einfach, dass er nicht gut ist – und ich brauche mir keine anderen Attribute dazu einfallen zu lassen. Es geht nicht an, dass man die Kohäsionsmittel für die neuen EU-Länder absenkt. Genau so falsch ist es, dass man ausgerechnet den zukunftsorientierten Teil der Agrarausgaben – die Kredite für die ländliche Entwicklung – kürzt. Und es ist nicht akzeptabel, dass sich Grossbritannien nicht wie alle anderen Mitgliedstaaten an der Finanzierung der Kohäsionpolitik in den neuen Mitgliedstaaten vollumfänglich beteiligt.

Nach dem Juni-Gipfel haben Sie gesagt, es sei beschämend gewesen, zusehen zu müssen, wie die neuen Mitgliedländer anboten, auf das ihnen zustehende Geld zu verzichten, um eine Einigung zu ermöglichen. Die Briten scheinen da weniger empfindlich zu sein.

Ich muss mich ja nicht für die Taten anderer schämen. Die neuen Mitgliedländer haben aus Verzweiflung zu erkennen gegeben, dass sie mit weniger Geld zu leben bereit wären. Es ist aber nicht korrekt, diese Verzweiflungstat jetzt schamlos auszunutzen. Allerdings ist das Schamgefühl unterschiedlich entwickelt in der EU.

Was fordern Sie bezüglich des Britenrabatts.

Ich erwarte, dass er weiter abgesenkt wird und dass wir eine endgültige Lösung dafür finden, damit wir 2014, nach Ablauf der Budgetperiode, nicht wieder neu darüber verhandeln müssen.

Ist es denn falsch, wenn Tony Blair eine Revision des Britenrabatts davon abhängig macht, dass auch die EU-Agrarpolitik reformiert wird? Schliesslich geht der Beschluss von 1984, Grossbritannien einen Rabatt zu gewähren, darauf zurück, dass es von den Agrarzahlungen der EU weniger profitiert als andere EU-Staaten.

Der EU-Haushalt von 1985 hat 61 Prozent der Mittel für die Landwirtschaftspolitik eingestellt, heute sind es noch 37,5 Prozent. Hätte man dem luxemburgischen Budgetvorschlag zugestimmt, wäre der Landwirtschaftbeitrag auf 31,5 Prozent gesunken. Das zeigt doch klar, dass die Agrarpolitik heute im EU-Haushalt längst nicht mehr die Rolle spielt, die sie 1984 spielte. Zweitens hat Grossbritannien bei der Aushandlung des Rabatts ja auch mit der relativen Wirtschaftsschwäche im Vergleich zu Deutschland und Frankreich argumentiert. Heute aber ist Grossbritannien beim Pro-Kopf-Einkommen reicher als diese Länder.

Weshalb beharrt Blair auf dem Britenrabatt: Kann er nicht anders oder will er nicht?

Man muss Tony Blair immerhin zu Gute halten, dass er in dem jetzt abgelehnten Vorschlag, entgegen dem, was noch im Juni seine feste Meinung war, den Britenrabatt deutlich abgesenkt hat. Nur reicht dieser Schritt eben nicht aus.

Steckt hinter dem Budgetstreit eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Zukunft der EU: Ist es so, dass Blair und einige weitere Staaten mit einem möglichst kleinen Budget eben auch ihre Vorstellungen von einem Minimal-Europa verfolgen, während andere eine starken, politischen Union anstreben?

Ja, diese Debatte haben wir in der EU. Aber es war eine Fehlanalyse der Briten zu denken, dass man diese Debatte endgültig über die Haushaltsplanung abwickeln könnte.

Es geht aber im Kern um die Zukunft Europas?

Ja, hinter dem Budgetstreit steckt eine viel tiefere europäische Krise. Wir streiten in allen unseren Mitgliedstaaten über den richtigen Weg der EU. Es gibt jene, die der Meinung sind, die EU gehe heute schon zu weit, und es gibt andere, denen sie noch nicht weit genug geht. Ein positiver Abschluss des Haushaltsstreits würde diese Krise nicht beheben. Weil wir uns einfach nicht über den richtigen Weg europäischer Integration für die nächsten Jahrzehnte zu verständigen imstande sind.

Weshalb denn nicht? Weil die EU nach der grossen Erweiterung zu einem Sättigungs- oder Erschöpfungspunkt gekommen ist? Weil sie sich mit dem Türkeibeitritt übernommen hat?

Och, das ist ein Seil mit tausend Fäden....

... nennen Sie die drei wichtigsten.

Die drei wichtigsten sind, dass wir Europapolitik mehr innenpolitisch als europapolitisch begleitet haben. Solange positive europäische Entscheidungen dem klugen und geschickten Verhandeln der nationalen Regierungen angerechnet, alle unangenehmen Beschlüsse aber der Unvernunft der EU angelastet werden, so lange hängt eine schiefes Bild Europas in den Wohnungen der Bürger. Zweitens haben wir die Erweiterung nicht richtig erklärt, weil wir gedacht haben, die Anfangsbegeisterung würde anhalten. Hat sie aber nicht. Wir haben es nicht vermeiden können, dass die Erweiterung als eine Bedrohungswalze für unseren nationalen Wohlstand interpretiert wurde, anstatt den Menschen zu erklären, dass es darum ging, die Stabilität auf dem europäischen Kontinent zu gewährleisten. Drittens haben wir immer so getan, als ob es nur ums Geld, um Nettoempfänger und Nettozahler ginge. Das sind aber völlig abwegige Begriffe in einem europäischen Solidaritätswerk. Wer die Europafrage auf die Geldfrage reduziert, tut so, als ob Krieg und Frieden keinen Preis und keinen Kostenpunkt hätten. Was wir für Europa an einem Tag einzahlen, ist ein verschwindend kleiner Teil dessen, was wir verpulvern würden, wenn es auch nur eine Stunde Krieg im Tag gäbe. Die Türkeiperspektive schliesslich hat das Verständnis für den Gesamtvorgang nicht erleichtert...

Man hat den Menschen die EU-Politik also nicht richtig verkauft.

Nein, nein. Es ist auch ein inhaltliches Problem. Es ist nicht nur die falsche Erklärung der Politik, sondern es wurden auch falsche inhaltliche Akzente gesetzt.

Wem genau machen Sie einen Vorwurf?

Uns Politikern, auch mir selbst.

Wäre eine stärkere EU-Kommission in dieser Situation nicht eine Hilfe gewesen?

Ich bin für eine starke Kommission, die Motor der europäischen Integration ist, die Spielmacher auf dem europäischen Spielfeld ist und nicht Linienrichter, der nur sein Fähnchen schwenkt, wenn er denkt, die Regeln des europäischen Wettbewerbsrechts seien nicht eingehalten worden. Aber die europäische Entwicklung hängt nicht von der Stärke der Kommission ab, sondern von der Politik, die sie in Europa verfolgt. In den letzten Tagen hat die Kommission wieder zu der Rhetorik zurück gefunden, die man eigentlich dauerhaft von ihr verlangen müsste: Nämlich, dass sie sich dagegen wehrt, dass die Solidaritätsinstrumente der EU durch den britischen Haushaltsvorschlag zerbrochen werden.

Es gefällt Ihnen, dass Barroso den Mut aufgebracht hat, seinen Mentor Tony Blair zu kritisieren.

Man braucht keinen Mut, um gegen Herrn Blair aufzutreten. Man braucht aber inzwischen in Europa Mut, um für Europa aufzutreten.

Bereuen Sie es manchmal, dass sie dem starken Wunsch der EU-Chefs ausgeschlagen haben, den Vorsitz der EU-Kommission zu übernehmen?

Wem wäre damit gedient, wenn ich jetzt sagen würde, ich bedaure es. Dann wäre ich es ja immer noch nicht. Ich habe es nicht werden können, weil ich den Luxemburger Wählern versprochen hatte, dass ich bei einer gewonnen Wahl hier bleiben würde. Ich fühle mich da mit mir im Reinen, nicht notwendigerweise aber mit Europa.

Was muss jetzt geschehen? Kann man einfach abwarten und zusehen, wie der Euroskeptizismus um sich greift?

Nein, ich akzeptiere das überhaupt nicht. Mein Wille, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen und den europäischen Zug wieder in Fahrt zu bringen, ist ungebrochen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die Menschen meiner Generation jetzt nicht tun, was von ihnen verlangt werden kann, nämlich die europäischen Errungenschaften endlich dingfest zu machen. Wir sind die Nutzniesser der Klugheit und Weisheit unserer Eltern und ich lasse überhaupt nicht zu, dass man dieses Erbe jetzt einfach in Gefahr bringt wegen kurzfristiger Überlegungen.

Was heisst denn "dingfest machen"?

Man muss europäische Politik in all ihren Teilen irreversibel machen, damit wir dort, wo gemeinschaftliches Handeln angesagt ist, nie mehr zurück fallen in intergouvernamentales Gehabe. Heute hat Europa einen Ministerrat. Dieser ist zusammen mit dem Parlament Gesetzgeber, deshalb muss man die Rechte des Parlaments – wie im Verfassungsvertrag vorgesehen – erweitern. Man muss die Bereiche, in denen mit qualifizierter Mehrheit abgestimmt wird, vergrössern. Wir brauchen einen gemeinsamen europäischen Kampf gegen das grenzüberschreitende Verbrechen und den internationalen Terrorismus. Deshalb benötigen wir auch ein Mehr an europäischer Sicherheits- und Aussenpolitik. Aber wir brauchen auch eine stärkere Koordinierung der Wirtschafts- und Währungspolitik. All das kann man nicht im losen Netzwerk organisieren, sondern es braucht starke Institutionen und Entscheidungsmechanismen. Deshalb dürfen wir aber den Nationalstaat als Idee nicht aufgeben. Es schaden all jene der EU, die alles wieder vernationalisieren möchten, aber auch alle anderen, die so tun, als ob die Vereinigten Staaten von Europa für morgen früh, 11 Uhr, auf der Tagesordnung stünden.

Das ist eine scharfe Kritik an Ihrem belgischen Kollegen, Guy Verhofstadt, der soeben ein Manifest zur Gründung der Vereinigten Staaten Europas vorgelegt hat?

Ich bin für Verhofstadt und einige seiner Ideen, aber ich bin gegen den Begriff der Vereinigten Staaten von Europa, weil dieser den Eindruck vermittelt, als ob wir den Nationalstaat aus der Geschichte des europäischen Kontinents verabschieden würden. Ich bleibe so lange ich lebe Luxemburger, und werde es überhaupt nicht zulassen, dass die EU alles wegschwemmt, woran ich hänge; genau so wie dies die Deutschen, die Franzosen, die Niederländer etc. zu recht ablehnen.

Sie haben gehofft, mit dem Luxemburger Referendum der Verfassungsdebatte nach dem französischen und niederländischen Nein wieder einen Impuls zu geben. Das hat nicht geklappt.

Wer sagt das?

Täuscht der Eindruck?

Ich habe nie die Erwartung gehabt, dass die Zustimmung Luxemburgs sofort andere Länder anstiften würde, es uns gleich zu tun.

Weil eben die meisten der Ansicht sind, dass die Verfassung politisch ohnehin tot ist.

Wer sagt denn so etwas?

Kommissionspräsident Barroso zum Beispiel, oder der neue polnische Premierminister.

Was wir beschlossen haben, ist lediglich, dass wir jetzt eine Denkpause machen und im Juni 2006 darüber beraten, wie und wann der Ratifizierungsprozess weiter gehen kann. Genau in diesem Prozess befinden wir uns. Alles läuft nach Zeitplan. Mein Punkt war: Wenn Luxemburg als dritter Gründerstaat auch Nein gesagt hätte, wäre der Ratifizierungsprozess endgültig gescheitert gewesen. So aber hat das luxemburgische Volk dem Verfassungsvertrag per Referendum zugestimmt, und es kann nun keine Instanz herkommen und das Volk zwingen, etwas anderes zu akzeptieren.

Aber während dieser Denkpause ist noch nicht viel heraus gekommen.

Ja, das stimmt. Wir haben eine Denkpause dekretiert, und es sieht mehr nach Pause als nach Denken aus. In den Mitgliedstaaten sind aber die treibenden Kräfte dabei, sich zu überlegen, wie sie die europapolitische Debatte wieder in Gang bringen können. Der britische EU-Vorsitz war allerdings eine Nullperiode, was die Wiederbelebung des Ratifizierungsprozesses anbelangt.

Mit "Dingfestmachen des Erreichten" meinen Sie also, dass mit der Ratifizierung der EU-Verfassung fortgefahren werden muss.

Ja, wobei mich der Begriff Verfassung maximal stört. Verfassung ist ein institutioneller Begriff, den die Menschen eigentlich auf ihren Nationalstaat angewandt sehen möchten. Sie können sich überhaupt nicht vorstellen, dass ein nichtstaatliches Gebilde auch eine Verfassung haben kann. Das war ein rhetorisches Überhöhung, die wir uns hätten ersparen können. Aber ich bin schon der Meinung – wie übrigens auch die neue deutsche Koalitionsregierung –, dass wir am Ratifizierungsziel festhalten sollten. Nur dürfen wir nichts erzwingen. Wir brauchen diese Pause, um in einem pädagogisch maximal gut organisierten Prozess die Menschen von dieser Verfassungsgebung zu überzeugen.

Das Ziel ist also, Frankreich und die Niederlage dazu zu bringen, noch einmal über dne Verfassungsvertrag abzustimmen.

Ja, wenn wir dabei bleiben wollen, dass der Vertrag nur in Kraft treten kann, wenn ihm auch alle Mitgliedländer zustimmen.

Ist die Abkürzung über ein Kerneurpa eine Alterantive?

Jetzt in Sachen Kerneuropa vorzupreschen, halte ich nicht für sehr zweckdienlich. Dies entfernt uns von der ursprünglichen Idee der Verfassungsgebung. Wenn wir jetzt damit beginnen, Europa wieder in jene zu spalten, die eine engere Integration wollen, und die anderen, die dies nicht möchten, bedeutet dies ein Rückschritt. Das war ja der Weg, wie wir die EU aus einer Gemeinschaft von sechs Staaten nach und nach ausgebaut haben. Es kann doch aber nicht sein, dass wir jetzt, wo fast alle mit an Bord sind, wieder damit anfangen, erneut eine kleine Truppe zu bilden. Das wäre eher eine Provokation an die Adresse derer, die wir noch nicht überzeugt haben, als ein zielorientiertes Vorgehen.

Sie haben viele Krisen in der EU erlebt. Ist die gegenwärtige, die schlimmste?

Es ist die tiefste Krise, weil sie nicht dort ist, wo man sie vermutet. Man denkt, Europa ist in der Krise, weil die Franzosen und die Niederländer gegen die Verfassung gestimmt haben und wir uns nicht auf eine finanzielle Vorausschau einigen können. Das ist nur die Konsequenz der Krise. Die eigentliche Krise ist eine andere: Es geht darum, dass die Grundidee der EU in Frage gestellt wird. Bislang bedeutete Europa die Organisierung der kontinentalen Solidarität. Heute gibt es viele, die denken, diese Solidarität brauche es nicht mehr. Diese Krise überwinden wir aber auch nicht mit einer Einigung im Budgetstreit. Die Krise ist im Kopf und im Herzen. Europa hat aufgehört, eine Sache dieses Mixes aus Gefühl und Verstand zu sein. Wer Europa nur aus dem Gefühl heraus gestaltet, oder aber nur mit dem Kopf, der ist nur ein halber Mensch. Es gibt zu viele halbe Menschen in Europa.

Und wie bringt man Herz und Verstand wieder zusammen, so dass die Menschen wieder an Europa glauben?

Es braucht immer wieder Überzeugungstäter, die sich selbst und die anderen dazu ermahnen, dass man mit diesem Integrationsprozess weiter machen muss. Ich bin zwar überhaupt nicht zufrieden mit dem Zustand der Europäischen Union. Ich bin aber auch nicht dafür, dass wir unsere Errungenschaften dauernd kaputt reden. Wir erklären der ganzen Welt, wie schlecht wir sind. Die anderen aber wollen es gar nicht glauben und sagen: Ihr macht das doch gut in Europa; ihr habt den Binnenmarkt geschaffen – das hätte euch niemand zugetraut; ihr habt den Euro gemacht – das hat euch niemand zugetraut; ihr habt europäische Geschichte und Geographie in einer Rekordzeit wieder zusammengeführt – auch das hätte euch niemand zugetraut. Kein Kontinent hat in den letzten zehn Jahren so viel geleistet wie der europäische. Alle bewundern uns. Alle schauen uns mit grossen Augen an, und wir sagen: Weshalb schaut ihr so gross, das ist doch nichts, was wir hier machen. Ich möchte jetzt hier nicht den Eindruck eines Schönredners erwecken, ich bin sehr verdriesslich über die aktuelle Lage, aber es ist nicht so als ob gar nichts mehr gehen würde. Die Europäer – das ist meine These – sind nicht stolz genug. Die Europäer könnten aber viel besser sein, als sie sind, das ist meine zweite These. Beides geht aber nur zusammen: Man kann nicht besser werden, wenn man nicht auch stolz auf das Erreichte ist.

Ist die Rolle Luxemburgs als Vermittler zwischen Frankreich und Deutschland durch die Erweiterung der EU weniger wichtig geworden?

Diese Mittlerrolle, die man nach aussen nicht übertrieben darstellen kann, ansonsten man ihrer verlustig wird, wird immer noch gebraucht, weil ohne den deutsch-französischen Schulterschluss in Europa nichts geht. Aber dadurch, dass jetzt viele andere Staaten mit an Bord sind, ist es für Luxemburg von Vorteil, dass es die Komplexität des deutsch-französischen Verhältnisses total verinnerlicht hat und gleichzeitig Sinn und Gefühl hat für die kleinen und mittleren Staaten, die neu zur EU dazugestossen sind. Mein Tagesablauf weist auf, dass ich sehr viel mit den Kollegen aus den neuen Mitgliedstaaten diskutiere und daneben mit Deutschland, Frankreich und den übrigen bisherigen Mitgliedstaaten. Ich habe also nicht das Gefühl, dass sich unsere relative Einflussmöglichkeit durch die Erweiterung verringert hat. Im Gegenteil. Ich habe heute zwei mal mit Merkel und Chirac telefoniert aber auch viel mit den Opfern des britischen Vorschlags aus Ostmitteleuropa.

Wie optimistisch sind Sie , dass es nächste Woche im Budgetstreit zu einer Einigung kommt?

Es braucht eine grosse Kraftanstrengung aller – vornehmlich aber der Briten –, und es braucht eine gehörige Dosis an Vernunft aller – vor allem aber bei den Briten. Nun ist allerdings, wie wir wissen, die Vernunft sehr unterschiedlich verteilt in der Europäischen Union. Wenn man es aber schafft, irgendwo eine Schnittmenge anzulegen, wo alle Elemente der Vernunft zusammen laufen, dann wird es machbar sein. Auch weil jeder weiss, dass es gemacht werden muss. Die Briten haben eine Bringschuld und sie wissen genau, dass sie unter österreichischer oder finnischer Präsidentschaft im nächsten Jahr nicht kompromissfähiger sein werden. Insofern ist jetzt der finale und optimale Moment für eine Einigung gekommen.

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