Der Skandal liegt woanders. Jean-Louis Schiltz au sujet de l'aide attribuée aux victimes du raz-de-marée dans l'océan Indien le 26 décembre 2004

Britta Schlüter: Nach dem Tsunami wurden weltweit Spenden in nie gekannter Höhe zugesagt. Sind sie auch tatsächlich gespendet worden?

Jean-Louis Schiltz: Zuerst möchte Ich einmal daran erinnern, dass die Luxemburger sehr großzügig für den Tsunami gespendet haben: an die neun Millionen Euro. Das freut natürlich den Entwicklungsminister. Ansonsten kann ich hier nur für die EU sprechen. Wir haben während der Luxemburger Präsidentschaft im ersten Halbjahr dafür gesorgt, dass ein regelrechtes Trackingsystem der Gelder aufgestellt wurde. Dieses System hat bis dato funktioniert. Mehr als 80 Prozent der Nothilfe-Gelder sind ausgegeben; ein akzeptabler Prozentsatz. Bei den Wiederaufbau-Geldern sind es weniger als 40 Prozent. Es war von Anfang an klar, dass ein Wiederaufbau Jahre in Anspruch nehmen würde. Die politischen Probleme, beispielsweise in Sri Lanka und Indonesien, sind nicht dazu angetan, dass es schneller geht.

Britta Schlüter: Und wohin sind die Luxemburger Gelder geflossen?

Jean-Louis Schiltz: Luxemburg hat die Nothilfe größtenteils über UN-Hilfswerke wie etwa Unicef, Welternährungsfonds und das Internationale Rote Kreuz abgewickelt. Die Regierung hat hier 4,5 Millionen Euro bereit gestellt. Diese wurden zu 100 Prozent unmittelbar nach der Katastrophe ausbezahlt. Wir unterstützen die jetzt begonnene Wiederaufbauphase mit 3,7 Millionen Euro. Die Gelder werden bereitgestellt, so wie die Projekte vorankommen. Der Hauptanteil wird sicherlich 2006 und 2007 fließen.

Britta Schlüter: Manche Hilfsorganisationen hatten Mühe, die hohen Summen vernünftig einzusetzen. Hat die Welt zu viel gespendet?

Jean-Louis Schiltz: Insgesamt wird der wirtschaftliche Schaden auf rund zehn Milliarden US-Dollar geschätzt. Die betroffenen Regionen sollen nun besser für die Zukunft gerüstet werden – nach dem Motto "Build Back Better". Die Spenden dürften demnach dem Bedarf entsprechen.

Es ist klar, dass einzelne Hilfsorganisationen auf einmal kolossale Summen auf ihren Spendenkonten hatten und nicht darauf vorbereitet waren. Unter dem Druck, diese Gelder konkret einzusetzen, sind sicherlich Fehler gemacht worden. Inzwischen wird die Koordination zwischen NROs, Behörden und Betroffenen jedoch immer besser.

Britta Schlüter: Wo gestaltet sich der Wiederaufbau denn am schwierigsten?

Jean-Louis Schiltz: Bis jetzt wurde der Wiederaufbau fast ausschließlich von NROs vorangetrieben. Es wurden bereits Tausende von Häusern gebaut und ganze Küstenstreifen gesäubert. In den zerstörten Gegenden Sri Lankas und Südindiens hatten bis vor kurzem fast alle Betroffenen ein festes Dach über dem Kopf. Leider hat Anfang Dezember dauerhafter Regen wieder einen Teil der provisorischen Bauten unbewohnbar gemacht.

In Aceh sind noch immer rund 50000 Menschen in Zelten untergebracht. Ein großes gemeinschaftliches Projekt der Vereinten Nationen und des Roten Kreuzes besteht jetzt darin, diese Menschen schnell in provisorischen Häusern unterzubringen. Man muss auch bedenken, dass noch Zehntausende eigentumsrechtliche Fälle geklärt werden müssen. Außerdem sind weite Küstenstreifen seit dem Beben nicht mehr bebaubar. In Indonesien und Sri Lanka mangelt es auch noch an Baumaterialien und qualifizierten Arbeitern. Dies treibt leider die Preise in die Höhe. Auch sind die Behörden mancherorts überfordert, schließlich sollen dort kurzfristig über 100000 Häuser entstehen.

Britta Schlüter: Wie bewerten Sie die Luxemburger Hilfsprojekte?

Jean-Louis Schiltz: Wir haben uns nach der Katastrophe mit den NROs zusammengesetzt, um gemeinsam zu entscheiden, wo das Ministerium am besten helfen kann. Wir arbeiten zusammen mit der Caritas, dem Roten Kreuz, Aide à l'enfance de l'lnde, den Indischen Patenschaften und SOS Villages d'Enfants Monde. Diese Projekte beurteilen wir insgesamt sehr positiv. Die Aufräumarbeiten und sozialen Programme laufen sehr gut. Der Häuserbau geht nicht sehr schnell voran, läuft aber trotzdem zufriedenstellend. Unser Tsunami-Koordinator macht sich regelmäßig vor Ort ein Bild.

Britta Schlüter: Nach dem Erdbeben in Pakistan ist die Spendenbereitschaft viel geringer. Wer kann was dagegen tun?

Jean-Louis Schiltz: Wer? Sie, das heißt die Medien. Und auch ich, indem ich nicht müde werde, die Dramatik der Lage in Pakistan vorzuführen. Wenn die Leute mir heute "Tsunami" sagen, antworte ich "Pakistan". Vom Tsunami waren viele Urlauber betroffen, und die Medien berichteten rund um die Uhr. In Pakistan nicht. Das sind die Unterschiede. Doch wenn im Pakistan nicht schnell mehr geschieht, werden die Menschen in den Bergdörfern von Kaschmir erfrieren. Ich könnte Ihnen hier problemlos andere Beispiele von "vergessenen Krisen" anführen. Seien wir doch ehrlich: Es kümmert an Weihnachten 2005 kaum jemanden, dass tagein tagaus im Norden von Uganda Hunderte von Menschen sterben müssen. Nur weil sich dort bekriegt wird und die internationale Gemeinschaft sich weitgehend abgewendet hat. Darin liegt der eigentliche Skandal.

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