"Merkel muss intensiv an einer Lösung stricken". Jean-Claude Juncker au sujet de la Présidence allemande du Conseil de l'UE en 2007

Tobias Blasius: Ganz Europa scheint darauf zu warten, dass Kanzlerin Angela Merkel während ihrer EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 die EU-Verfassung wieder belebt. Ist die Erwartungshaltung nicht überzogen?

Jean-Claude Juncker: Es wird ein äußerst schwieriges Halbjahr. Da Wahlen in Frankreich und den Niederlanden anstehen, wird es für die deutsche Ratspräsidentschaft nur sechs nützliche Wochen geben, um den Ratifizierungsprozess zur EU-Verfassung voranzutreiben. Angela Merkel muss intensiv an einer Lösung stricken, darf ihr Strickmuster aber erst am Ende vorlegen. Sonst wird es sofort wieder auseinander gerissen. Aber sie weiß, dass die geografische Größe Deutschlands auch größten Einsatz erfordert.

Tobias Blasius: Zurzeit wird wieder über die Erweiterung gestritten. Wo liegen die Grenzen der EU?

Jean-Claude Juncker: Ich weiß es nicht. Aber wenn ich es wüsste, würde ich mir die Erkenntnis patentieren lassen und die Einnahmen gerne mit Ihnen teilen. Der Beitritt Rumäniens und Bulgariens ist beschlossen. Ich bin dafür, dass wir auch die Aufnahme Kroatiens zügig abarbeiten. Wir dürfen jedoch nicht die Hoffnung aufkommen lassen, die Türkei könnte im selben Moment beitreten. Ich glaube, dass es künftig nicht mehr nur ein Drinnen oder Draußen geben wird, sondern verschiedene Intensitäten der Mitgliedschaft.

Tobias Blasius: Die erweiterungsmüden Bürger wird ein Konzept der abgestuften Nachbarschaftsbeziehungen an Stelle der EU-Vollmitgliedschaft nicht beruhigen.

Jean-Claude Juncker: Wir alle haben viel zu lange darüber diskutiert, ob Polen oder Tschechen uns die Arbeitsplätze wegnehmen und wie teuer der ganze Prozess kommt. Das historische Moment des Zusammenwachsens ist völlig in den Hintergrund geraten. Kein Wunder, dass auch die Bürger nur die Kosten und nicht den Nutzen der Erweiterung sehen. Mit der konkreten Beitrittsperspektive für die Türkei hat sich 1999 die Abwehrhaltung klar verstärkt. Viele Leute lehnen nicht so sehr das Europa ab, das sie haben, sondern jenes, das sie zu bekommen fürchten.

Tobias Blasius: Bekommen wir am Ende ein Kerneuropa, bestehend aus den zwölf Euro-Staaten?

Jean-Claude Juncker: Ich bin sehr dagegen, dass man die Gruppenbildung zum Ziel der europäischen Politik ausruft. Es kann gewiss sein, dass sich die Euro-Staaten in einigen Fragen schneller einigen können als die große Runde der 25 und mehr Länder.

Doch wer die Gruppenbildung von vornherein als kontinentale Zukunftsstrategie verfolgt, betreibt die Zersplitterung Europas.

In Europa ist ein Rückfall in nationalen Protektionismus zu beobachten. Einige Mitgliedstaaten schmieden in der Wirtschaft Allianzen gegen andere, um Fusionen zu verhindern.

Tobias Blasius: Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Jean-Claude Juncker: Gnädiger, als Ihre Frage vermuten lässt. Es ist eine irrige Annahme, dass sich der Staat aus allen Übernahmeaktionen heraushalten und allein den Finanzmärkten das Feld überlassen soll, selbst wenn er als Aktionär beteiligt ist oder tausende von Arbeitsplätzen davon betroffen sind. Ich weiß nicht, warum ich vornehm schweigen soll, nur weil irgendeine Globalisierungsmeinung das gerade verlangt.

Dernière mise à jour