"Slowenien hat gute Chancen". Jean-Claude Juncker au sujet de l'actualité européenne

Burkhard Birke: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat - zur Erleichterung an den Börsen - die Leitzinsen gestern unverändert gelassen. Und auch Spekulationen über eine Anhebung des Leitzinssatzes von derzeit 2,5 Prozent im Mai erteilte Notenbankpräsident Jean-Claude Trichet eine fast schon orakelhafte Absage. "Die gegenwärtig hohe Wahrscheinlichkeit, die einer Zinserhöhung bei unserer nächsten Ratssitzung zugemessen wird, steht nicht im Einklang mit der aktuellen Einschätzung des Rates." Über diese Einschätzung wird der Notenbankpräsident in den kommenden Tagen auch mit den EU-Finanzministern diskutieren, die sich in Wien zu einem informellen Rat treffen. - Im Deutschlandfunk begrüße ich nun den Vorsitzenden der Euro-Gruppe, den luxemburgischen Premier- und Finanzminister Jean-Claude Jean-Claude Juncker. Herr Jean-Claude Juncker, einen schönen guten Morgen!

Jean-Claude Juncker: Guten Morgen!

Burkhard Birke: Herr Jean-Claude Juncker, schließen Sie aus den Äußerungen des Europäischen Notenbank-Präsidenten, dass die Zinserhöhung nun auf den Juni verschoben ist?

Jean-Claude Juncker: Ich möchte mich an derartigen Spekulationen überhaupt nicht beteiligen. Der EZB-Präsident hat gesagt, was er zu sagen glaubte, und hat auch das gesagt, von dem er dachte, dass er es sagen müsste. Es ist nicht meine Sache, dies zu kommentieren. Ich halte die sich andeutende Zinspolitik der Europäischen Zentralbank angesichts erstarkter Wachstumskräfte in der Euro-Zone für in vollem Umfang gerechtfertigt.

Burkhard Birke: Das heißt Sie sehen durchaus wie Jean-Claude Trichet bei 2,2 Prozent Inflation Grund, tendenziell eher auf die geldpolitische Bremse zu drücken?

Jean-Claude Juncker: Geldpolitik ist Sache der Europäischen Zentralbank und nicht der Euro-Finanzminister. Wenn die Europäische Zentralbank in zwei Schritten in den vergangenen Monaten die Zinsschraube angezogen hat und falls es stimmen sollte, dass man die Aussagen des EZB-Präsidenten so verstehen könnte, als ob ein weiterer Schritt in der ersten Jahreshälfte denkbar wäre, dann hieße dies für mich in der Gesamtanalyse, dass die Europäische Zentralbank denkt, dass das Wachstum in der Euro-Zone inzwischen so gefestigt ist, dass eine Zinserhöhung keine wachstumsabschwächende Wirkung haben würde.

Burkhard Birke: Herr Jean-Claude Juncker, sehen Sie eigentlich jetzt als Finanzminister auch eines Nachbarlandes neue Inflationsgefahren in Deutschland durch die Mehrwertsteuererhöhung? Das Statistische Bundesamt rechnet immerhin mit 1,4 Prozent Preissteigerung in Deutschland durch die dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung.

Jean-Claude Juncker: Es wird Sache und hoffentlich auch Anliegen der preisgestaltenden Akteure im deutschen Wirtschaftsraum sein, die ins Auge gefasste Mehrwertsteuererhöhung nicht voll in die Preise und an den Markt weiterzugeben.

Burkhard Birke: Einige Frühindikatoren, etwa der IFO-Index in Deutschland, deuten ja auf ein Anziehen der Konjunktur hin. Gibt es denn berechtigte Hoffnung, dass sich insgesamt die Euro-Zone stabilisiert, auch insbesondere dass die Defizitsünder Frankreich und Deutschland nun endlich wieder die Maastricht-Kriterien einhalten?

Jean-Claude Juncker: Man muss beide Dinge, die miteinander in intimster Verbindung stehen, trotzdem auseinander halten. Ich gehe davon aus, dass die Wachstumskräfte in der Euro-Zone inzwischen so gestärkt sind, dass wir einem höheren Wachstumsniveau in 2006 und 2007 entgegensehen können. Ich möchte davon ausgehen können, dass sich dies auch positiv auf die gesamten Haushaltsdaten der von Ihnen zitierten Länder auswirken wird. Im deutschen Fall bin ich da zuversichtlich. Die Bundesregierung fährt in 2006 einen konjunkturschonenden Kurs, der meine volle Zustimmung findet, und fasst für 2007 einen stabilitätsfördernden Kurs ins Auge. Ich halte die deutsche Finanzpolitik für insgesamt schlüssig in den Jahren 2006 und 2007 und habe jeden Grund davon auszugehen, dass Deutschland im Jahr 2007 das Defizitkriterium des Maastrichter Vertrages, also weniger Defizit als drei Prozent, wird respektieren können.

Burkhard Birke: Herr Jean-Claude Juncker, wenn schon alte Mitglieder wie Frankreich und Deutschland solche Schwierigkeiten haben, diese Stabilitätskriterien einzuhalten, ist es denn dann schon Zeit, über einen Beitritt anderer Länder, etwa Sloweniens und der baltischen Staaten, zur Euro-Zone nachzudenken?

Jean-Claude Juncker: Zugang zur Euro-Zone findet der EU-Staat, der alle Auflagen des Maastrichter Vertrages, das heißt alle Konvergenzkriterien Inflation, Staatsverschuldung und Haushaltsdefizit, erfüllt. Wenn ein neues EU-Mitgliedsland, eines derjenigen, die am 1. Mai 2004 beigetreten sind, diese Auflagen erfüllt, gibt es keinen Grund und auch keinen Anlass, diesem Land den Zugang zur Euro-Währungszone zu verwehren. Slowenien und Litauen haben an die Tür geklopft. In getrennten Gutachten werden Europäische Zentralbank und Europäische Kommission Mitte Mai etwa ihre Konvergenzberichte beide Länder betreffend vorlegen und es wird dann Sache der politischen Entscheidungsträger in der Europäischen Union sein, über diese Frage zu befinden. Ich möchte dem nicht vorgreifen.

Burkhard Birke: Aber Sie werden ja in Wien darüber diskutieren und die Tendenz ist doch so, dass bei Litauen wegen der hohen Inflation eher ein Fragezeichen zu setzen wäre und Slowenien bessere Chancen hat. Teilen Sie diese Auffassung?

Jean-Claude Juncker: Slowenien hat gute Chancen und das Inflationsfragezeichen in der Kausa Litauen ist einfach richtig gesetzt. Darüber wird zu reden sein. Wir werden deutlich machen in Wien auf unserer heutigen Tagung, dass es keinen freien unkontrollierten Zugang zur Euro-Zone geben wird. Die Kriterien müssen erfüllt werden, ob es sich um kleine oder große Länder handelt. Kriterien sind Kriterien und Länder sind Länder, unabhängig davon ob sie groß oder klein sind.

Burkhard Birke: Kriterien sind Kriterien. Das dürfte doch auch für den Binnenmarkt gelten. Waren Sie überrascht über die unlängst doch spektakulären Abwehraktionen auf spektakuläre Übernahmeangebote zwischen großen europäischen Firmen insbesondere auf dem Energiemarkt? Droht denn hier der Nationalismus wieder mal über die Idee des grenzenlosen Kapitalmarktes zu obsiegen?

Jean-Claude Juncker: Ich würde mich da etwas zärtlicher ausdrücken, als Ihre Fragestellung vermuten lässt. Es ist so, dass der Binnenmarkt kein wilder Westen ist und dass ein Übernahmeangebot, wenn es sich als feindlich ausgibt, zu sofortigen Reaktionen führt. Das ist an sich ein normaler Vorgang, auch ein normaler demokratischer Vorgang, dass Regierungen, Aktionäre, betroffene Regionen sich bange oder halt hoffnungskräftige Fragen stellen. Ich bin eigentlich dagegen, dass man alle Übernahmeangebote, die zurzeit auf dem Tisch der Europäischen Kommission liegen, in einem Korb unterbringt. Es gibt solche und solche. Bei einigen wird man sich auch fragen dürfen und fragen müssen, ob die ins Auge gefassten Zusammenschlüsse einer ökonomischen Rationalität entsprechen. Man muss sich also auch über industrielle Konzepte unterhalten dürfen, ohne dass man sofort als Globalisierungsgegner oder als waschechter Protektionist beschimpft wird.

Burkhard Birke: Sagen Sie das auch als Premierminister eines Landes, das ja mit der Übernahme des Stahlkonzerns Arcelor durch Mittal zu kämpfen hat?

Jean-Claude Juncker: Das sehen Sie in etwa richtig, weil die luxemburgische Regierung ist der größte Aktionär bei Arcelor, und ein Aktionär, auch wenn er ein öffentlicher ist, darf sich die Fragen über die industrielle Zukunft und über den Zuschnitt und das Profil konkurrierender industrieller Konzepte auch öffentlich mit anderen unterhalten.

Burkhard Birke: Abschließend, Herr Jean-Claude Juncker, noch eine Frage an den luxemburgischen Ministerpräsidenten zu einem ganz anderen Thema, nämlich Weißrussland. Sollte man denn nach der unfairen Wiederwahl von Präsident Lukaschenko der Forderung des Europaparlaments nach klugen Sanktionen auf dem Außenministerrat am kommenden Montag nachkommen?

Jean-Claude Juncker: Der Europäische Rat, der Rat der Staats- und Regierungschefs, hat sich zu der Sachlage nach der unfair verlaufenen Wahl in Weißrussland geäußert. Es wird Sache der Außenminister der Europäischen Union sein, am nächsten Montag zu prüfen, welche Art der Reaktionen und Sanktionen die Europäische Union ins Auge fassen kann. Reaktionslosigkeit, nicht reagieren auf das, was in Minsk passiert ist, wäre der Beweis dafür, dass die Europäische Union zu gemeinsamer Außenpolitik nicht fähig ist. Ich denke schon, dass es hier um die Wahrung demokratischer Grundprinzipien geht und dass man, um in der Wortwahl des Europäischen Parlamentes zu verbleiben, hier zu klugen Sanktionen wird kommen müssen.

Dernière mise à jour